Sie sind hier
E-Book

Evolution in Menschenhand

Synthetische Biologie aus Labor und Atelier

VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451809606
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Seit der Antike träumen Menschen davon, Leben künstlich zu erschaffen. Angetrieben durch die enormen Fortschritte bei der DNA-Sequenzierung und Gensynthese ist mit der Synthetischen Biologie eine Fachdisziplin entstanden, die es ermöglicht, das Erbgut von Organismen umzuprogrammieren und lebende Systeme mit Eigenschaftskombinationen herzustellen, die es in der Natur bisher nicht gegeben hat. So könnten zukünftig Lösungen für drängende Probleme in Bereichen wie Gesundheit, Umwelt und Energie gefunden werden. Gleichzeitig bringt die Synthetische Biologie auch politische, rechtliche und ethische Herausforderungen mit sich. Ein interdisziplinärer Ansatz, um aktuelle Entwicklungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu diskutieren.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

»Weder ist eine Kultur ohne Wissen vorstellbar noch ein Wissen, das nicht in eine Kultur eingebettet wäre.«1

Editorial

Sonja Kießling und Heike Catherina Mertens

Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 verfolgt die Schering Stiftung mit ihren Förderprogrammen in Wissenschaft und Kunst das Ziel, Wissen zu fördern, zugänglich zu machen und zu verbreiten. Unser Augenmerk gilt dabei weniger dem bereits Gewussten als dem Entstehen neuen Wissens – in den Wissenschaften und den Künsten. Das Wissen der Künste? Gibt es ein solches überhaupt? Muss nicht der Kunst jegliches Wissen abgesprochen werden? Dieser Auffassung des Szientismus, nach der jedes Wissen begründetes Wissen sein muss, das überprüfbar, reproduzierbar und objektiv ist, halten wir mit Jürgen Mittelstraß entgegen, dass es neben diesem begrifflichen, expliziten Wissen noch ein anderes, implizites Wissen gibt: »das sich in der (künstlerischen) Darstellung ausdrückende (ästhetische) Wissen«.2 Künstler zeigen die Ergebnisse ihrer Forschungen: in der Malerei und Skulptur ebenso wie in den neuen künstlerischen Medien wie Film, Performance oder Installation.

Das vorliegende Buch ist der Versuch, sich der Synthetischen Biologie sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus künstlerischer Sicht zu nähern, um so unser Wissen über diese Fachdisziplin zu erweitern und zugleich die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung zu reflektieren. Während die beteiligten Natur- und Geisteswissenschaftler im vorgegebenen Format ›Buch‹ ihr übliches Werkzeug, die Sprache, nutzen können, sind die Möglichkeiten der Kunst hier zwangsläufig beschränkt: aus Filmen, die Bewegung und gesprochene Sprache (auf-)zeigen, werden stumme Bilder; von lebenden Tieren, Objekten und gestaltetem Raum bleiben nur Fotos. Wir haben daher weitgehend auf Ansichten der Ausstellung »assemble | standard | minimal« von Revital Cohen und Tuur Van Balen verzichtet, die den Anlass für das Symposium »Evolution in Menschenhand?« gegeben hat. Stattdessen kommt der Künstler Tuur Van Balen in einem Interview selbst zu Wort und beschreibt drei zentrale Werke aus der Ausstellung: Sterile, Albino-Goldfische ohne Fortpflanzungsorgane aus einem japanischen Labor, Sensei Ichi-gō, eine Maschine, die in der Lage ist, sterile Goldfische zu erzeugen, und Pigeon d’Or, eine Videoinstallation, die eine Reihe von Interventionen zeigt, in denen Wissenschaftler, Taubenzüchter und der Künstler selbst das Ziel verfolgen, unter Nutzung von Methoden der Synthetischen Biologie Tauben Seife ausscheiden zu lassen.

Revital Cohen und Tuur Van Balen zeigen auf ihre Weise, wie Menschen in biologische Prozesse eingreifen, und sie werfen Fragen auf, die nicht allein aus künstlerischer Sicht betrachtet werden sollten. Zusammen mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat die Schering Stiftung daher renommierte WissenschaftlerInnen eingeladen, diese Fragen aus multidisziplinärer Perspektive zu erörtern. Dass dies nötig ist, belegt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die im Januar 2015 veröffentlicht wurde. 82 Prozent der Befragten wissen kaum etwas oder gar nichts über das noch junge Fachgebiet der Synthetischen Biologie. Weder ist der Begriff bekannt, noch gibt es großes Interesse an diesem Forschungsfeld, was überrascht, angesichts des gesellschaftlichen Interesses an wissenschaftlichen und ethischen Fragen der modernen Gentechnik.

Demzufolge widmen wir uns im ersten Teil dieses Buches zunächst den Fragen »Was ist und was kann die Synthetische Biologie?«, die chemische, lebenswissenschaftliche, biotechnologische und ingenieurwissenschaftliche Ansätze miteinander verbinden.

Alfred Pühler definiert den Begriff und stellt die Synthetische Biologie in den Kontext der modernen Biowissenschaften, insbesondere der Gentechnik. Auch werden potenzielle Anwendungsmöglichkeiten in der Biotechnologie sowie deren Grenzen herausgearbeitet.

Petra Schwille stellt die Frage nach der Entstehung des Lebens, nach der Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen. Das ist auch Gegenstand ihrer eigenen Forschung. Um die Merkmale von Zellen als minimale Einheiten belebter Materie zu erkennen und zu verstehen, untersucht sie zelluläre Abläufe in einer vereinfachten zellfreien Umgebung. Ihr vorläufiges Ziel ist es, aus einzelnen Zellbausteinen ein Gebilde zu konstruieren, das aussieht wie eine Zelle und sich kontrolliert teilen kann. Sie hofft, mit diesem »Bottom-up«-Ansatz der Synthetischen Biologie die minimalen Voraussetzungen für zelluläres Leben zu entschlüsseln.

Jens Hauser, Kurator der Ausstellung »assemble | standard | minimal« in der Schering Stiftung, stellt das Werk von Revital Cohen und Tuur Van Balen in den Kontext weiterer künstlerischer Ansätze, die sich der Methoden und Konzepte Synthetischer Biologie für ihre eigenen, subjektiven Zwecke bedienen. Mitnichten verstehen sich die Künstler dabei als Übersetzer oder Vermittler dieses Forschungsgebietes für die Öffentlichkeit. Vielmehr geht es häufig um kritisch-reflektierende Betrachtungen und Inszenierungen sowie um direkte Kooperationen von Künstlern und Wissenschaftlern, die nicht selten auch von Missverständnissen begleitet werden.

Im zweiten Teil der Publikation »Kunst und Wissenschaft als Poiesis?« beschreibt Hans-Christian von Herrmann mit Blick auf die Literatur der vergangenen zwei Jahrhunderte das Bestreben, sich mit wissenschaftlichen Themen und Experimenten als »Science Fiction« auseinanderzusetzen. Angefangen bei Mary Shelleys Frankenstein oder Der moderne Prometheus über die künstliche Geburt des Homunculus in Goethes Faust bis zu Michel Houellebecqs Roman Elementarteilchen – um nur einige Beispiele zu nennen – verfolgen auch Schriftsteller die Vision der Entstehung von Leben. Während die Autoren der vergangenen Jahrhunderte auf den jeweiligen Stand des Experimentierens zurückgreifen, gehen sie in der jüngeren Zeit über das in der Natur Vorkommende hinaus. Sie beschreiben nicht nur künstliche Interventionen in die natürliche Ordnung, sondern auch Korrekturen der Konstruktionsprinzipien.

Für die zeitgenössische bildende Kunst zeichnet Ingeborg Reichle in ihrem Beitrag die Auswirkungen der Technosciences und die Entwicklung zukünftiger Szenarien einer durch Menschenhand entstandenen Lebenswelt nach: von den Anfängen der Transgenic Art und BioArt in den 1980er Jahren bis hin zum Einfluss von iGEM (international Genetically Engineered Machine) und der Do-It-Yourself-Biology-Bewegung auf die Künstler. Seit 2009 verfügen die Künstler sogar über eine eigene Kategorie ›art and design‹ beim iGEM-Wettbewerb, einem internationalen Wettbewerb für Studierende auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie.

Wie sieht es mit der Poiesis in der Wissenschaft aus? Hier liefert Tobias Erb mit der Transformation von atmosphärischem Kohlenstoffdioxid in organische Substanz – gleichbedeutend mit der Umwandlung von unbelebter in belebte Materie – ein Beispiel dafür, dass es in der modernen Biologie nicht mehr nur um das reine Erkennen biologischer Grundprinzipien geht, sondern vielmehr darum, diese auch anzuwenden. Mit seinen Forschungen ist er auf dem besten Weg, einen Designer-Stoffwechselweg zu schaffen, um Kohlenstoffdioxid in organische Substanz zu transformieren. Am Ende dieser Entwicklung könnte – in ferner Zukunft – die Umwandlung von klimaschädlichem Kohlenstoffdioxid in Biomasse oder einen nachhaltigen Rohstoff stehen.

Im dritten und letzten Teil der Publikation wird die »Forschungsroutine oder Grenzüberschreitung« in den Blick genommen. Damit verbunden ist die Frage, welche gesellschaftlichen Akteure bei der Weiterentwicklung und Anwendung von Prinzipien der Synthetischen Biologie eine Rolle spielen. Hintergrund ist die zunehmende Forderung der Öffentlichkeit – und diese schließt Künstler mit ein –, nicht mehr einfach nur über wissenschaftliche Errungenschaften informiert zu werden, sondern selbst aktiv auf unterschiedlichste Art und Weise an der Wissenschaft teilhaben zu wollen.

Die Synthetische Biologie war von Beginn an eng mit Bewegungen wie der Do-It-Yourself-Biology oder auch dem Biohacking verbunden und hat daher zu solchen Formen der Bürgerbeteiligung eine besondere Nähe. Einblicke in diese Szene gibt Rüdiger Trojok in seinem Beitrag. Er zeigt, wie man mit kommerziell verfügbaren Materialien, Enzymen und Chemikalien ein eigenes Genlabor zusammenstellen kann. Hier können eigene Konzepte und Forschungsansätze verfolgt werden, allerdings nur in Versuchen, die kein Sicherheitslabor erfordern. Diese im »Heimlabor« durchgeführten Experimente entsprechen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft, haben jedoch einen öffentlichen Diskurs angestoßen, der ethische wie juristische Fragen aufwirft.

Den juristischen Fragen widmet sich Tade M. Spranger in seinem Beitrag. Er fächert den rechtlichen Rahmen auf, in dem er auf bereits existierende biomedizinische und forschungsrechtliche Regelungen zurückgreift, die sich auf einzelne Anwendungsbereiche der Synthetischen Biologie auswirken könnten. Vor dem Hintergrund gesundheitlicher Risiken und nationaler Sicherheit hat der Gesetzgeber so beispielsweise geregelt, dass zwar jeder Gene aus Organismen isolieren, analysieren und vermehren kann, aber diese Gene dürfen nur in speziell zugelassenen Laboren und unter Leitung ausgebildeter Fachleute in Organismen eingebaut werden. Es existiert also weder für Wissenschaftler und erst recht nicht für Künstler...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Gesellschaft - Männer - Frauen - Adoleszenz

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt

E-Book Die Sehnsucht nach einer verlogenen Welt
Unsere Angst vor Freiheit, Markt und Eigenverantwortung - Über Gutmenschen und andere Scheinheilige Format: ePUB

Freiheit und Eigenverantwortung statt Ideologie und Bürokratie - Günter Ederer analysiert auf Basis dieser Forderung die existenziellen Probleme unserer Gesellschaft: Bevölkerungsrückgang,…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Mitten im Leben

E-Book Mitten im Leben
Format: ePUB/PDF

Die Finanzaffäre der CDU hat nicht nur die Partei und die demokratische Kultur der Bundesrepublik in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt, sondern war auch der Auslöser für Wolfgang Schäubles Verzicht…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Weitere Zeitschriften

Baumarkt

Baumarkt

Baumarkt enthält eine ausführliche jährliche Konjunkturanalyse des deutschen Baumarktes und stellt die wichtigsten Ergebnisse des abgelaufenen Baujahres in vielen Zahlen und Fakten zusammen. Auf ...

Berufsstart Bewerbung

Berufsstart Bewerbung

»Berufsstart Bewerbung« erscheint jährlich zum Wintersemester im November mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

Computerwoche

Computerwoche

Die COMPUTERWOCHE berichtet schnell und detailliert über alle Belange der Informations- und Kommunikationstechnik in Unternehmen – über Trends, neue Technologien, Produkte und Märkte. IT-Manager ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler ist die Fachzeitschrift für die CE- und Hausgeräte-Branche. Wichtige Themen sind: Aktuelle Entwicklungen in beiden Branchen, Waren- und Verkaufskunde, Reportagen über ...

filmdienst#de

filmdienst#de

filmdienst.de führt die Tradition der 1947 gegründeten Zeitschrift FILMDIENST im digitalen Zeitalter fort. Wir begleiten seit 1947 Filme in allen ihren Ausprägungen und Erscheinungsformen.  ...