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Exklusion

Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus

AutorMartin Kronauer
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl284 Seiten
ISBN9783593408361
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Prekäre Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Armut bringen Formen sozialer Ausgrenzung hervor, die in allen westlichen Gesellschaften ein Problem darstellen. Über die Ursachen und Folgen wird in den Sozialwissenschaften in Europa und den USA breit diskutiert. Martin Kronauer bietet in seiner grundlegenden Studie einen gut verständlichen Überblick über diese umfangreichen Debatten und die sich dahinter verbergende, immer explosiver werdende gesellschaftliche Realität. Dabei zeigt sich, dass sich das Problem der sozialen Exklusion besonders in den Städten verdichtet und die sozialen Grundlagen der Demokratie gefährdet. In seinem jetzt überarbeiteten und um ein aktuelles Nachwort erweiterten Buch gelingt es dem Autor, den Begriff der Exklusion zu schärfen und ihn für weitere Analysen unserer Gesellschaft nutzbar zu machen.

Martin Kronauer ist Professor für Strukturwandel und Wohlfahrtsstaat in internationaler Perspektive an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin.

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Leseprobe
III. Die Innen-Außen-Spaltung der Gesellschaft (S. 119-120)

1. Probleme mit dem dichotomischen Exklusionsbegriff

Mit ihren Kategorien "Ex klu sion" und "Un der class" greifen die Sozialwissenschaf ten in die öffentliche Debatte ein und beeinflussen sie die öffentliche Wahrnehmung. In dem Maße, wie die öffentliche Wahrnehmung der Armen und Arbeitslosen ihrer seits zu de ren Ausgrenzung beiträgt, wird die sozial wissenschaftliche Intervention damit selbst zum Teil des Problems, das sie zu erforschen sucht. Dies ist der we sentliche Grund, warum unter Sozialwis sen schaftlern heftige Auseinandersetzun gen darüber entbrannt sind, wie die Begriffe Exklusion und Underclass zu verstehen sind und ob sie sich über haupt zur Charakterisierung der so zialen Realität eignen. Die entscheidenden Fragen, um die es in den Auseinandersetzungen geht, betreffen die Vorstellung vom "In nen" und "Außen" der Gesellschaft, die in beiden Kategorien ent halten ist. Wie lässt sich diese Unterscheidung begriffl ich angemessen fassen?

Und wie lässt sich vermeiden, dass sie zur ideologi schen Waffe wird, die gegen die von Ausgren zung Bedrohten gewendet wer den kann? Was die erste Frage betrifft, so hat Castel auf das Problem hingewiesen, das in jeder duali stischen oder dichotomischen Interpretation der Innen-Außen Spaltung steckt. Der Exklusi onsbegriff, so verstanden, erhält seine Berechtigung und präzise Be deutung in all den Fäl len, in denen Menschen "durch Recht oder durch Regelungen" aus der Ge sellschaft ausge bürgert, der Gesellschaft gegenüber in eine "ex ter ri to ria le Position" (Castel 1996, S. 780) gebracht werden. Als Beispiele führt er den Landstreicher der vorin dustriellen Gesell schaft oder auch den Insas sen "to ta ler Institutionen" im Sinne Fou caults an. Ausgren zung stellt sich hier jeweils als Gegensatz von Zugehörig keit oder Nicht-Zugehörigkeit dar, in der Eindeutigkeit des Entwe der- Oder.

Selbst Ab stufungen partieller Zugehörig keit oder Ausschließung ändern an dieser dualen Logik prinzipiell nichts. Wie ist dann aber die Ausgrenzung von Armen und Arbeitslosen in den hoch entwic kelten kapitalistischen Gesellschaften der Gegenwart, unter den Bedingungen einer weitrei chen den rechtlichen und institutionellen Einbindung der Bevölkerung zu ver ste hen? Unter den Bedingungen also, die die Ausgrenzungsdebatte historisch erst möglich machte?

Das dichotomische Bild von Innen und Außen, das sich an rechtli chen Be stimmungen und institu tionellen Regelungen orientiert, stößt hier offenbar an seine Grenzen. Es gilt nur für be stimmte Kategorien der Ausgeschlossenen, bei denen der Staatsbürgerstatus selbst in Frage steht, und deckt nur besondere Fälle, eben die der rechtlichen und institutionellen Zu gangs verweigerung, ab. Castel spricht sich gegen die "lockere Verwendung" (Castel 1996, S. 780) des Exklusionsbegriffs in der ge gen wärtigen Diskussion aus und schlägt statt dessen den Begriff der "Deacute affiliation", der Ausgliederung vor.

Das Problem verschiebt er damit allerdings nur. Denn das Woraus und das Wohin der Ausgliederung bleiben auch bei ihm in ihrem Verhältnis zueinander letztlich unbestimmt. Am entschiedensten vertritt die Systemtheorie im Anschluss an Luhmann ein dicho to misches Verständnis von Exklusion. Erst Mitte der 90er Jahre, nach einem Besuch in Latein amerika und beeindruckt vom Anblick der Ar mut in den Favelas, hatte Luhmann den Exklu sionsbegriff - oder genauer, eine neue Variante von ihm - in seine Systemthe orie eingeführt. Allerdings brachte er damit zugleich sein eigenes Theoriegebäude heftig ins Wanken (wenn nicht zum Einsturz).

Denn unter den sy stemtheoretischen Prämissen der "Voll in klusion" treten die Aporien des dichotomi schen Exklusions begriffs beson ders deutlich zutage. Aus zwei Gründen fordert Luhmanns Versuch eine Auseinan dersetzung heraus. Zum einen bietet er ein Lehrstück für grundlegende theoretische Probleme im Umgang mit der Innen-Außen Unterscheidung. An ihnen kann und muss auch die empirische For schung ihre Kate gorien prüfen und schär fen. Zum andern befindet sich das Exklusions verständnis der Sy stemtheorie in wesentlicher Hinsicht in direktem Gegensatz zum Ex klusionsgedanken, wie er aus dem "so zial en Be wusstsein" und der Krise seiner Voraus setzun gen entspringt. Die Systemtheorie löst das Exklusionsproblem aus der histo ri schen Konstellation, in dem es auf tritt und diskutiert wird, heraus und er klärt Exklusion zur Konstitutionsbedingung "mo der ner" Gesellschaften schlechthin. Damit entzieht sie sie der Kritik - der theoretischen ebenso wie der praktischen."
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort zur zweiten Auflage8
Vorwort10
Einleitung: Das Ausgrenzungsproblem und seine Ambivalenz12
I. Exklusion, Unterklasse: Begriffe des gesellschaftlichen Umbruchs30
1. Unterschiedliche Annäherungen: Das Allgemeine und das Besondere in der Ausgrenzungsdebatte30
2.Das Ausgrenzungsproblem und das »sozialeBewusstsein«36
3. Der Exklusionsbegriff – Ursprung und Entwicklung in Frankreich41
4. Der Underclass-Begriff – Ursprung und Entwicklung in den USA54
5. Exklusion und Underclass – die gemeinsame »Schnittmenge«72
II. Eine neue Qualität der Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit und Armut74
1. Wandel der Bedeutung und sozialen Formen von Ausgrenzung75
2.Wandel der sozialen Bedingungen von Ausgrenzung94
3. Das Ausgrenzungsproblem am Übergang ins 21. Jahrhundert112
III. Die Innen-Außen-Spaltung der Gesellschaft120
1.Probleme mit dem dichotomischen Exklusionsbegriff120
2.Aporien des Exklusionsbegriffs in der Systemtheorie123
3. Vereinseitigungen des Exklusionsbegriffs in der Ausgrenzungsforschung134
4.Die Gleichzeitigkeit des Drinnen und Draußen142
IV. Ausgrenzungserfahrungen und gesellschaftliche Zugehörigkeit146
1. Interdependenz und Partizipation: Modi der gesellschaftlichen Zugehörigkeit und ihre Dimensionen146
2.Ausschluss aus Interdependenzbeziehungen151
3.Ausschluss von Teilhabemöglichkeiten168
4.Das Draußen vom Drinnen195
5.Streitpunkte der Exklusionsdebatte – erneut betrachtet199
Exkurs: Ausgrenzung im Quartier, ausgrenzendes Quartier?206
Ausblick: Das Ausgrenzungsproblem und die Zukunft der Demokratie216
Nachwort zur zweiten Auflage: Die Bedeutung des Exklusionsbegriffs für die Gesellschaftsanalyse der Gegenwart – Eine Wiederaufnahme der Debatte (2010)226
1. Verzögerung und neue Brisanz der Exklusionsdebatte in Deutschland227
2. Theoretische Besonderheiten und strittige Punkte der deutschen sozialwissenschaftlichen Diskussion230
3. Differenzierungen und Differenzen: »Exklusion« als soziale Ausschließung und in der Systemtheorie234
4.Merkmale des Exklusionsbegriffs, erneut betrachtet244
5.Exklusion, Prekarität, Unsicherheit255
6.Herausforderungen für eine Politik des Sozialen261
Literatur265

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