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E-Book

Exposition und Konfrontation

AutorJürgen Margraf, Tobias Teismann
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl135 Seiten
ISBN9783840928253
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die Exposition bzw. Konfrontation ist die wichtigste einzelne Interventionsform bei Angststörungen. Sie stellt überdies ein zentrales Therapieelement bei verschiedenen anderen Störungsbildern, z.B. Essstörungen und Alkoholabhängigkeit, dar. Obwohl die Effektivität des Verfahrens in einer Vielzahl von Studien belegt werden konnte, ist die Implementierung der Methode im klinischen Alltag nach wie vor unzureichend. Vor diesem Hintergrund fasst das Buch den aktuellen Wissensstand zu dieser Interventionsform zusammen und gibt eine konkrete Anleitung für die praktisch-therapeutische Umsetzung verschiedener Konfrontationsverfahren. Praxisbezogen wird auf die Umsetzung von interozeptiven Konfrontationen, Konfrontationen in vivo, Konfrontation in sensu und Cue-Exposure-Verfahren eingegangen. Das therapeutische Vorgehen wird anhand von Fallbeispielen illustriert. Zudem wird der Umgang mit häufigen Schwierigkeiten beleuchtet. Aktuelle Diskussionen zur Gestaltung und Wirkweise von Expositionen ergänzen die Darstellung.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Einführung
  3. 1Beschreibung der Methode
  4. 2Theorie
  5. 3Diagnostik und Indikation
  6. 4Behandlung
  7. 5Neuere Entwicklungen
  8. 6Effektivität und empirische Evidenz
  9. 7Literatur
  10. 8Anhang
Leseprobe

|3|1 Beschreibung der Methode


Das zentrale Prinzip der Konfrontationsbehandlung besteht darin, dass Patienten unter therapeutischer Hilfe genau solche Situationen aufsuchen, in denen ihre psychischen Probleme – u. a. Angst, Unbehagen, Verlangen – auftreten. So werden Patienten, die an Angststörungen leiden – in Abhängigkeit von ihren jeweiligen Befürchtungen – beispielsweise angeleitet, sich Hunden anzunähern, mit Spinnen zu hantieren, mit dem Auto über Autobahnen zu fahren, hohe Türme zu besteigen, in Kaufhäuser, U-Bahnen, auf große Plätze oder in enge Räume zu gehen. Patienten mit Essstörungen lernen, sich vor dem Spiegel mit dem Anblick ihres Körpers zu konfrontieren oder sich Lebensmitteln auszusetzen, die in der Vergangenheit einen Essanfall stimuliert haben. Alkoholabhängige Patienten werden mit alkoholbezogenen Reizen konfrontiert, um die Erfahrung zu machen, dass Verlangen nach einiger Zeit abklingt und sich Versuchungssituationen ohne Rückfall bewältigen lassen. Grundsätzlich wird die Exposition zeitlich so lange ausgedehnt, bis Angst, Ekel, Unbehagen, Verlangen deutlich zurückgegangen sind, oder bis klar geworden ist, dass die vom Patienten befürchteten negativen Konsequenzen nicht eintreten.

Das Grundprinzip der Exposition war bereits lange vor der Beschäftigung der Fachwissenschaften mit diesem Thema bekannt. So beschreibt Goethe in seinem Werk Dichtung und Wahrheit, wie er sich selbst durch Konfrontation heilte.

Ein starker Schall war mir zuwider, krankhafte Gegenstände erregten mir Ekel und Abscheu. Besonders aber ängstigte mich ein Schwindel, der mich jedesmal befiel, wenn ich von einer Höhe herunterblickte. Allen diesen Mängeln suchte ich abzuhelfen, und zwar, weil ich keine Zeit verlieren wollte, auf eine etwas heftige Weise. Abends beim Zapfenstreich ging ich neben der Menge Trommeln her, deren gewaltsame Wirbel und Schläge das Herz im Busen hätten zersprengen mögen. Ich erstieg ganz allein den höchsten Gipfel des Münsterturms und saß in dem so genannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone, wie mans nennt, wohl eine Viertelstunde lang, bis ich es wagte, wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo man auf einer Platte, die kaum eine Elle ins Gevierte haben wird, ohne sich sonderlich anhalten zu können, stehend das unendliche Land vor sich sieht, indessen die nächsten Umgebungen und Zieraten die Kirche und alles, worauf und worüber man steht, verbergen. Es ist völlig, als wenn man sich auf einer Montgolfiere in die Luft erhoben sähe. Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig ward, und ich habe nachher bei Bergreisen und geologischen Studien, bei großen Bauten, wo ich mit den Zimmerleuten um die Wette über die |4|freiliegenden Balken und über die Gesimse des Gebäudes herlief, ja in Rom, wo man eben dergleiche Wagstücke ausüben muss, um bedeutende Kunstwerke näher zu sehen, von jenen Vorübungen großen Vorteil gezogen. Die Anatomie war mir auch deshalb doppelt wert, weil sie mich den widerwärtigsten Anblick ertragen lehrte, indem sie meine Wißbegierde befriedigte. Und so besuchte ich das Klinikum des ältern Doktor Ehrmann sowie die Lektionen der Entbindungskunst seines Sohnes, in der doppelten Absicht, alle Zustände kennenzulernen und mich von aller Apprehension gegen widerwärtige Dinge zu befreien. Ich habe es auch wirklich darin so weit gebracht, dass nichts dergleichen mich jemals wieder aus der Fassung setzen konnte. Aber nicht allein gegen diese sinnlichen Eindrücke, sondern auch gegen die Anfechtungen der Einbildungskraft suchte ich mich zu stählen. Die ahndungs- und schauervollen Eindrücke der Finsternis, der Kirchhöfe, einsamer Orte, nächtlicher Kirchen und Kapellen, und was hiermit verwandt sein mag, wusste ich mir ebenfalls gleichgültig zu machen; und auch darin brachte ich es so weit, dass mir Tag und Nacht und jedes Lokal völlig gleich war, ja dass, als in später Zeit mich die Lust ankam, wieder einmal in solcher Umgebung die angenehmen Schauer der Jugend zu fühlen, ich diese mir kaum durch die seltsamsten und fürchterlichsten Bilder, die ich hervorrief, wieder einigermaßen erzwingen konnte. (Goethe, 1970, S. 337–338)

Auch in der Fachliteratur tauchen konfrontative Methoden schon früh auf. Beispielsweise empfahl Oppenheim bereits 1911 in seinem Lehrbuch der Nervenkrankheiten, mit agoraphobischen Patienten zusammen die gefürchteten Plätze zu überqueren. Zur gleichen Zeit wies Sigmund Freud auf die Bedeutung konfrontativer Maßnahmen und die Grenzen der psychoanalytischen Therapie bei Phobien hin. In Wege der psychoanalytischen Therapie aus dem Jahr 1917 schrieb er dazu Folgendes:

Unsere Technik ist an der Behandlung der Hysterie erwachsen und noch immer auf diese Affektion eingerichtet. Aber schon die Phobien nötigen uns, über unser bisheriges Verhalten hinauszugehen. Man wird kaum einer Phobie Herr, wenn man abwartet, bis sich der Kranke durch die Analyse bewegen lässt, sie aufzugeben. Er bringt dann niemals jenes Material in die Analyse, das zur überzeugenden Lösung der Phobie unentbehrlich ist. Man muss anders vorgehen. Nehmen Sie das Beispiel eines Agoraphoben; es gibt zwei Klassen von solchen, eine leichtere und eine schwerere. Die ersteren haben zwar jedesmal unter Angst zu leiden, wenn sie allein auf die Straße gehen, aber sie haben darum das Alleingehen noch nicht aufgegeben; die anderen schützen sich vor der Angst, indem sie auf das Alleingehen verzichten. Bei diesen letzteren hat man nur dann Erfolg, wenn man sie durch den Einfluss der Analyse bewegen kann, sich wieder wie Phobiker ersten Grades zu benehmen, also auf die Straße zu gehen und während dieses Versuches mit der Angst zu kämpfen. Man bringt es also zunächst dahin, die Phobie so weit zu ermäßigen, und erst wenn dies durch die Forderung des Arztes erreicht ist, wird der Kranke jener Einfälle und Erinnerungen habhaft, welche die Lösung der Phobie ermöglichen. (Freud, 1895, S. 191)

Eine erste wissenschaftliche Arbeit, die im engeren Sinne als verhaltenstherapeutisch bezeichnet werden kann, wurde 1924 schließlich von Mary Cover |5|Jones veröffentlicht. Die Einzelfallstudie des „kleinen Peters“ beschreibt die Behandlung eines knapp Dreijährigen mit Angst vor Ratten, Kaninchen und anderen flauschigen Objekten (Pelzmäntel, Federn, Baumwolle). Jones behandelte Peter, indem sie ihn mit anderen Kindern zusammenbrachte, die keine Angst vor Kaninchen äußerten. Peter spielte jeden Tag mit drei anderen Kindern, wobei während eines Teils der Spielzeit ein Kaninchen anwesend war. Peters anfänglich starke Angstreaktion nahm kontinuierlich ab, bis er schließlich ruhig und unbeteiligt das Kaninchen anschauen konnte. Als Peter nach einer auskurierten Krankheit von einer Krankenschwester mit dem Taxi vom Krankenhaus nach Hause gebracht werden sollte, erlebte er einen Rückfall. Während sie in das Taxi einsteigen wollten, lief ein großer Hund auf sie zu und sprang sie an. Beide erschreckten sich sehr. Jones machte für den Rückfall die folgenden Variablen verantwortlich: eine fremde Umgebung, ein aversiver Stimulus (der Hund) und ein ängstliches Erwachsenen-Modell. Sie änderte ihre Therapiestrategie und konfrontierte Peter von nun an direkt mit dem Kaninchen, während er in seinem Hochstuhl saß und seine Lieblingsspeisen aß. Das Kaninchen wurde hierbei zunehmend an Peters Stuhl angenähert. Auch bei diesem Behandlungsteil wurden nicht ängstliche Kinder herangezogen, die vor den Augen Peters mit dem Kaninchen spielten. Schon bald konnte Peter ein Kaninchen auf den Arm nehmen, ohne eine Angstreaktion zu zeigen. Augenscheinlich weist die von Jones verwendete Methode große Ähnlichkeit mit der später von Wolpe (1958) beschriebenen Methode der systematischen Desensibilisierung auf.

Die Arbeiten von Wolpe (1958) zur systematischen Desensibilisierung und die Arbeiten von Stampfl und Lewis (1967) zur Implosionstherapie bildeten sodann das eigentliche Fundament der heutigen Expositionstherapie. Basierend auf tierexperimentellen Studien postulierte Wolpe (1954) in dem Artikel „Reciprocal Inhibition as the Main Basis of Psychotherapeutic Effects“ die reziproke Hemmung als allgemeingültiges Prinzip: Eine Angstreduktion wird erreicht, wenn angstauslösende Reize zusammen mit solchen Reizen vorgegeben werden, die eine dominierende antagonistische Reaktion auf Angst (die reziproke Hemmung) hervorrufen. Um sicher zu sein, dass die Hemmung stark genug war, gab er die angstauslösenden Reize stufenweise mit ansteigendem Schweregrad vor. Bei der Anwendung seiner Forschungsergebnisse auf Menschen zog Wolpe hauptsächlich drei...

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis7
Einführung10
1Beschreibung der Methode12
1.1Formen von Konfrontation15
1.2Ethische Aspekt der Expositionstherapie22
2Theorie23
2.1Habituation23
2.2Gegenkonditionierung24
2.3 Emotionale Verarbeitung („emotional processing“)25
2.4Extinktion und inhibitorisches Lernen26
2.5Selbstwirksamkeit28
2.6Fazit29
3Diagnostik und Indikation30
3.1 Beziehungsaufbau und allgemeiner Eindruck30
3.2Klassifikatorische/kategoriale Diagnose30
3.3Organische Ursachen und Komplikationen31
3.4Analyse des Problemverhaltens32
3.5 Weitere diagnostische Maßnahmen vor und während der Therapie35
3.6Indikation36
4 Behandlung: 4.1 Exposition in vivo37
4 Behandlung: 4.2 Interozeptive Exposition73
4 Behandlung: 4.3 Exposition in sensu85
4 Behandlung: 4.4 Cue-Exposure105
5Neuere Entwicklungen113
5.1Exposition in virtueller Realität113
5.2Enhancement-Strategien114
6Effektivität und empirische Evidenz118
7Literatur124
8Anhang131

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