2 Finanzmarktkrisenbedingte Auswirkungen auf den deutschen Mittelstand
Für den deutschen Mittelstand gibt es keine allgemeingültige Definition und aufgrund der Heterogenität bezüglich Branche, Umsatz, Mitarbeiteranzahl oder Rechtsform auch unterschiedliche Abgrenzungen. In dieser Ausarbeitung wird Bezug genommen auf die Definitionen des Statistischen Bundesamtes sowie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. Dabei wird der Mittelstand durch die beiden quantitativen Merkmale Arbeitnehmeranzahl sowie Jahresumsatz charakterisiert. Der Mittelstand, auch als kleine und mittlere Unternehmen bekannt, umfasst nach dem Statistischen Bundesamt Unternehmen, in denen zwischen 10 und 249 Arbeitnehmer beschäftigt sind und die einen Jahresumsatz von 2 bis 50 Mio. Euro erwirtschaften.[5] Das Institut für Mittelstandsforschung fasst den Mittelstand in Deutschland etwas weitläufiger, da hier alle Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern und mit bis zu 50 Mio. Euro Jahresumsatz diesem Terminus zugehörig sind. Nach dieser letzten Eingrenzung gehören 99,7 Prozent aller Unternehmen in Deutschland dem Mittelstand an, beschäftigen dabei gut 70 Prozent aller Arbeitnehmer und stellen ca. 80 Prozent aller Ausbildungsplätze bereit.[6] Desweiteren erzielt der Mittelstand knapp 50 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung, zahlt mit ebenfalls 50 Prozent die Hälfte aller Unternehmenssteuern in Deutschland und erwirtschaftet mehr als ein Drittel der gesamten Umsätze.[7] Abbildung 1 stellt diese Angaben grafisch dar.
Abbildung 1: Bedeutung des Mittelstandes[8] (ausgewählte Positionen)
Neben diesem quantitativen Rahmen lässt sich in der Literatur auch eine qualitative Eingrenzung finden: Die überwiegende Mehrheit der mittelständischen Unternehmen wird von den Eigentümern geführt (daher auch oftmals die Verwendung des Begriffs „Familienunternehmen“). Es fallen Haftung, Verantwortung, Leitung und Eigentum oft auf eine oder mehrere Familien.[9] Der Eigentümer identifiziert sich mit dem Unternehmen und handelt mit erhöhtem Risiko. Dies stellt folglich einen Unterschied zu einem reinen managergeführten Unternehmen dar. Als weitere qualitative Merkmale sind die Disposition weniger Finanzierungsquellen, kleinere Einkaufsmengen, dafür aber persönliche Beziehungen zwischen Eigentümer und Mitarbeitern sowie ein stärkeres gesellschaftliches Engagement im regionalen Umfeld zu beobachten.[10] Der Mittelstand kann aufgrund der beschriebenen Fakten als „Rückgrat“ der deutschen Wirtschaft bezeichnet werden und trägt daher eine sehr hohe volkswirtschaftliche Bedeutung in der Gesamtwirtschaft.
Bevor auf die Finanzierungsstruktur des Mittelstandes eingegangen wird, scheint es zweckmäßig, die gesetzlichen Regelungen von Basel II darzustellen. Diese haben bedeutenden Einfluss auf die Kreditvergabepraxis der Banken und somit unmittelbar auch auf den Mittelstand.
Im Rahmen des Risikomanagements für Banken hat die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) ein Regelwerk durch den Baseler Akkord II geschaffen, das Ende 2006 vollständig und verbindlich für alle Kreditinstitute in Deutschland in Kraft getreten ist.[11] Das Gesetz regelt u.a. die Eigenkapitalausstattung von Banken zur Hinterlegung von Krediten und stellt eine Erweiterung von Basel I aus dem Jahr 1988 dar, in der Banken dazu gezwungen werden, Kredite an Unternehmen mit einem einheitlichen Satz von 8 Prozent (sog. Solvabilitätskoeffizient) mit Eigenkapital zu hinterlegen.[12] Der hier relevante und wesentliche Unterschied ist die neuartige Erweiterung, dass sich Unternehmen beim Kreditvergabeprozess einem quantitativen (und qualitativen) Ratingsystem[13] unterziehen müssen. Hierbei wird ihre Kreditwürdigkeit (Bonität)[14] untersucht und dementsprechend ein Gewichtungsfaktor für den Zinssatz und anschließend die Kreditkonditionen festgelegt.
Das Rating setzt sich aus einer Prüfung bzw. Erhebung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der finanziellen Verhältnisse, der Managementkompetenz sowie den Geschäftschancen und -risiken zusammen.[15] Bei Unternehmen mit schlechterem Rating erhöht sich der Gewichtungsfaktor, steigt somit der Kreditzins für das Unternehmen und gleichzeitig auch die Eigenkapitalanforderung bei der Bank, mit der sie den Kredit absichern muss. Das Ziel des Gesetzgebers ist es, mehr Transparenz und Stabilität zu schaffen, eine intensivere Auseinandersetzung mit dem möglichen Ausfallrisiko des Schuldners zu erreichen und schließlich auch dafür zu sorgen, dass bonitätsstarke Unternehmen nicht mehr die Risiken für bonitätsschwache Unternehmen mittragen müssen.[16]
Aus klassischer Betrachtungsweise stellt sich bei der Frage der Unternehmensfinanzierung die Wahl zwischen Eigen- oder Fremdfinanzierung. Diese beiden Möglichkeiten können jeweils noch weiter in Innenfinanzierung (intern) oder Außenfinanzierung (extern) unterteilt werden. Dabei sind insbesondere erwirtschaftete Gewinne (intern) oder als Pendant dazu, wenn die Mittel aus der Innenfinanzierung nicht ausreichen, Kredite (extern), von hoher Bedeutung.[17] Die Unterscheidung ist insofern von Bedeutung, da je nach Art und Weise der Bereitstellung des Kapitals jeweils Unterschiede bezüglich den Rechten der Kapitalgeber, der Dauer der Kapitalüberlassung, der Gewinn- und Verlustbeteiligung sowie der Kapitalkosten zu tragen kommen.[18]
Die Kosten für Fremdkapital (FK) haben in der Regel einen geringeren Kapitalkostensatz gegenüber den Finanzierungskosten für Eigenkapital (EK) und werden daher bevorzugt. Dies ist damit zu erklären, dass die EK-Rendite der Kapitalgeber wächst, sofern die Rendite der Investitionen die FK-Zinsen übersteigt.[19] Diese Hebelwirkung nennt man „Leverage-Effekt“.[20] Ein hoher Verschuldungsgrad kann neben der Perspektive der Kapitalgeber aber auch aus Unternehmenssicht wünschenswert sein. Denn „financial leverage“, also die Steigerung des Gewinns durch einen optimalen Verschuldungsgrad, ist aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Kreditzinsen (tax shield) in der Theorie erheblich günstiger für Unternehmen.[21] Durch die Unternehmenssteuerreform von 2008 wurde allerdings eine Netto-Zinsschranke von zunächst einer Million Euro eingeführt.[22] Diese wurde Mitte 2009 auf nun drei Millionen Euro erhöht.[23]
Demgegenüber stehen allerdings das erhöhte Risiko und die in der Realität auftretenden Sicherheitsvorschriften der Banken sowie die Gegebenheiten des deutschen Finanzsystems: So stellt die Eigenkapitalquote eine der wichtigsten Kennzahlen im Unternehmen dar und für Kreditinstitute ist ein solider Grad an EK (in Relation zur Bilanzsumme) aufgrund der persönlichen Haftung als Sicherheit unabdingbar, ergo ist die Kreditwürdigkeit besser je höher das EK ist.[24] In Wachstums- und Investitionsphasen gilt vorhandenes EK als Erfolgsfaktor und in Krisenzeiten ist es wiederum ein kostbarer Risikopuffer.[25]
Trotzdem weisen mittelständische Unternehmen eine sehr niedrige EK-Quote auf, die sich im Durchschnitt auf ca. 14 Prozent (2007) beläuft. Bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als einer Million Euro liegt der Durchschnitt sogar nur bei ca. 7 Prozent.[26] Eine niedrige EK-Quote bedeutet im Umkehrschluss eine hohe Fremdkapitalquote, wobei Kontokorrentkredite oder Betriebsmittelkredite die Bilanz von mittelständischen Unternehmen dominieren. Daher sind Unternehmen enorm von dem Kreditvergabeverhalten ihrer Hausbank abhängig.[27] Da Kontokorrentkreditlinien zum Ausgleich von unerwarteten Liquiditätsengpässen notwendig sind,[28] stellen diese für die Unternehmen ein existenznotwendiges Kriterium dar. Besonders wenn Investitionen getätigt oder Betriebsmittel refinanziert werden, wird die Abhängigkeit vom Kreditvergabeverhalten der Banken deutlich. Bis zuletzt hat sich dies, durch enge und vertrauensvolle Beziehungen mit der eigenen Hausbank, jedoch als problemlos dargestellt.
Allerdings hat sich die Bedeutung des traditionellen Finanzierungsrückgrates Bankkredit durch die oben erläuterten Baseler Beschlüsse geändert.[29] Die Folge ist, dass Unternehmen die Auswirkungen von den neuen Regelungen zu spüren bekommen und sich einer objektiven Beurteilung unterziehen müssen. Aufgrund ihrer Rechtsform und Größe bleibt den meisten mittelständischen Unternehmen ein Zugang zum Kapitalmarkt verwehrt, sie können daher kein zusätzliches EK durch den Verkauf von Anteilsrechten generieren.[30]