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Familiales Scheitern

Eine familien- und kultursoziologische Analyse von Stanley Kubricks The Shining

AutorFrank Schröder, Oliver Schmidtke
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl463 Seiten
ISBN9783593412177
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Der Film »The Shining« zeigt das Scheitern einer Familie, das in dem Versuch des Familienvaters gipfelt, Sohn und Ehefrau zu töten. In einer detaillierten Analyse der Filmdialoge und der visuellen Darstellungsmodi rekonstruieren die Autoren die familiale Interaktion. Dabei entwickeln sie eine explizit soziologische Filmanalyse und zeigen, welchen Beitrag diese für die Filmwissenschaft leisten kann.

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Leseprobe
1 Einleitung

Der Film The Shining (Regie: Stanley Kubrick) wurde 1980 erstmals im Kino gezeigt und gilt schon lange als ein Klassiker des Horrorgenres. Gegenstand des Filmes ist das Scheitern einer Familie. Die Dynamik dieses Scheiterns mündet darin, dass einer der Protagonisten - der Familienvater Jack Torrance - versucht, seine Frau Wendy und seinen Sohn Danny mit einer Axt zu töten und damit seine Familie auszulöschen. Die Gründe für die Entfesselung der katastrophischen Dynamik sind für den Zuschauer keineswegs leicht zu erschließen. Es scheinen keine die Mitglieder der Familie überfordernden äußeren Ereignisse oder durch Rahmenbedingungen gesetzte äußere Bedrohungen, sondern vielmehr diffuse, endogene in der Beziehungsstruktur der Familienmitglieder angelegte Prozesse zu sein, die die katastrophische Dynamik entfalten. Gegenstand unserer Studie ist die Rekonstruktion dieser diffusen, nicht offensichtlichen Prozesse und ihrer spezifischen Darstellung, die mit den ästhetischen Mitteln des Spielfilmes eine der innerfamilialen Dynamik entsprechende horrorhafte Dynamik erzeugt.

Dargestellt wird im Film ein außeralltäglicher Prozess, der für die Zuschauer extrem anmuten muss. Solche Prozesse innerhalb von Familien sind jedoch empirisch weniger selten, als man angesichts der Abgründigkeit des Geschehens vermuten möchte. Es scheint kaum ein Monat zu vergehen, in dem nicht in der Öffentlichkeit von einem versuchten oder erfolgten erweiterten Selbstmord durch ein Familienmitglied berichtet wird. Kriminalistisch werden entsprechende Tathergänge als Amokläufe, erweiterte Suizide oder Murder-Suicide bezeichnet. Der Film zeigt somit ein in seiner Außeralltäglichkeit extremes Ereignis, das gleichwohl zum Gegenstandsbereich der erfahrbaren Welt gehört.

Wenn man unterstellt, dass innerfamiliale Prozesse, die denen ähneln, bei denen es schließlich zur Tatausführung kommt, auch in Fällen sich vollziehen, die aus anderen Gründen keinen so katastrophischen Verlauf nehmen, so ist die Basis benannt, auf der eine Darstellung solcher Prozesse für ein allgemeines Publikum interessant sein kann. Der Film zeigt am extremen Scheitern einer Familie ein Potential auf, das auch in Fällen vorhanden sein kann, die letztlich keine solch katastrophische Dynamik entfalten.

Diese einleitenden Überlegungen sollen die soziologische Filminterpretation als eine Forschungspraxis ausweisen, die die geisteswissenschaftliche sowie die kultursoziologische Filminterpretation transzendiert. Wir nehmen ausdrücklich in Anspruch, das Kunstwerk The Shining in einer Weise zu interpretieren, die die Werkanalyse als Rekonstruktion empirischer sozialer Realität versteht. Obwohl der Fall des Scheiterns der Familie Torrance in seiner spezifischen Konkretion ein fiktives Geschehen darstellt, das Werk ein Artefakt ist, muss der fiktive Fall unseres Erachtens als die Exemplifizierung einer strukturellen, empirisch wirksamen Realität gelten, die sich in unterschiedlichen Ausprägungen verkörpern kann. Diese Auffassung setzt voraus, dass die Analyse zwischen allgemeiner Struktur und fallspezifischer Ausprägung unterscheidet. In fallspezifischen Konkretionen manifestieren sich allgemeine soziale Strukturen, die durch eine detaillierte Analyse herausgearbeitet werden können. Mit Arnheim vertreten wir die Auffassung, dass sich in der Konkretion des Einzelfalles ein Allgemeines repräsentiert, das es in der Interpretation zu bestimmen gilt:

»Ähnlich wie beim Kulturfilm interessiert uns beim Kunstfilm die Geschichte irgendwelcher Einzelmenschen, weil sie etwas Allgemeines, etwas allen oder vielen Menschen Gemeinsames repräsentiert. Im täglichen Leben gibt es häufig das Interesse am Einzelfall als solchem: wir kümmern uns um die Schicksale unsrer Verwandten, eines Freundes, eines Ministers - im Kunstwerk tritt das Einzelschicksal immer nur beispielhaft auf. Der im erzählenden Kunstwerk dargestellte Einzelfall erlangt die Anteilnahme des Zuschauers nur deshalb, weil er charakteristisch für einen Typus ist, den der Zuschauer kennt. [...] Der Künstler kann auch einen ausgesprochenen Sonderfall, etwa die eigentümlichen Erlebnisse eines abnorm konstruierten Menschen, behandeln, aber dem künstlerischen Genuß zugänglich ist eine solche Schilderung nur dann, wenn sie etwas dem Zuschauer selbst Bekanntes widerspiegelt, wenn gerade auch in dieser speziellen Variation Allgemeinmenschliches, etwa in Verzerrung, demonstriert wird (so wie zum Beispiel die wissenschaftliche Beobachtung eines kranken Körpers besonders interessante Aufschlüsse über das Funktionieren des gesunden bringen kann).«

Es bedarf zur Darstellung der allgemeinen Strukturen keineswegs eines empirischen Realereignisses. Der strukturelle Zusammenhang muss sich hingegen als geltende Struktur identifizieren lassen.

Diese Auffassung soll im Verlauf der Analyse begründet und an dieser Stelle nur durch den Verweis auf eine Beobachtung untermauert werden, die sich im Verlauf der Sequenzanalyse des Filmes einstellte: Unsere Sequenzanalyse des Filmes widmet sich dezidiert und extensiv der Interpretation der im Film gesprochenen Dialoge - nicht der im Drehbuch entworfenen Dialoge, sondern der verschrifteten Dialoge der im Film hörbaren Äußerungen. Die Interpretation betrachtet somit die Dialoge als eine zentrale Ausdrucksdimension. Für die Interpretation von Dialogen ist es nicht von Bedeutung, ob es sich bei ihnen um fiktive oder um real vollzogene Äußerungen handelt. Die Bedeutungsstrukturen dieser Äußerungen können jenseits dieser Frage im Sinne empirisch geltender Regeln rekonstruiert werden. Eine Äußerung kann fiktiv entworfen oder real gesprochen werden. Für die geltenden Regeln, denen sie unterliegt und die Bedeutungsstruktur, die sie realisiert, ist diese Differenz nebensächlich.

Diese Aussage gewinnt bezüglich des spezifischen Filmgegenstandes von The Shining eine besondere Valenz, da empirisch soziologische Forschung zu Kriminalfällen, die dem in dem Film dargestellten ähnelt, kaum existiert. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass sich diese Fälle als Fälle erst dann manifestieren, wenn die Akteure zu Tode gekommen sind, und andererseits von Seiten der Kriminalpolizei kein Klärungsbedarf mehr besteht, da ein zu überführender Täter häufig nicht mehr gesucht werden muss. Daher ist es äußerst schwierig, Datenmaterial realer Fälle zu erheben, die einen katastrophischen Verlauf nehmen, der demjenigen der Torrances vergleichbar wäre. Die soziologische Rekonstruktion einer familialen Dynamik des Scheiterns, vergleichbar dem der Torrances, dürfte somit als äußerst schwierig, wenn nicht gar als unmöglich erscheinen. Hier erlaubt der fiktive künstlerische Entwurf und die Gestaltung eines ästhetisch stimmigen filmischen Kunstwerks die Thematisierung des nur schwerlich anhand von Datenmaterialien, welche anhand von realen Fällen gewonnen wurden, Erforschbaren.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt8
Danksagung12
1 Einleitung14
1.1 Forschungsstand22
1.2 Methode der objektiv-hermeneutischen Filminterpretation27
1.3 Bedeutung der Dialoge im Film32
1.4 Filmprotokoll36
1.5 Theoriemodelle der Interpretation40
1.5.1 Familiensoziologie41
1.5.2 Beziehungsfallentheorie50
2 Analyse des Films57
2.1 Analyse des Filmtitels58
2.2 Erläuterungen zum Filmprotokoll62
2.3 Sequenzanalyse des Filmes63
2.3.1 Vorspann63
2.3.2 »The Interview«72
2.3.3 »Closing Day«135
2.3.4 »A Month Later«200
2.3.5 »Tuesday«216
2.3.6 »Saturday«230
2.3.7 »Monday«242
2.3.8 »Wednesday«256
2.3.9 »4 pm«385
3 Zusammenfassende Gesamtdeutung des Films427
3.1 Zum Filmgegenstand427
3.1.1 Die Beziehung zwischen Jack und Wendy428
3.1.2 Die Beziehung zwischen Jack und Danny429
3.1.3 Die Beziehung zwischen Wendy und Danny430
3.1.4 Die familiale Interaktionsstruktur der Torrances432
3.1.5 Das Verhältnis der Familie zu ihrer sozialen Umwelt436
3.2 Die ästhetische Darstellung des Filmgegenstandes im Kunstwerk439
3.3 Methodische Schlussfolgerungen für die Kunstwerk- und Filmanalyse453
Literatur456

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