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Family Health Nurse. Ein neues Berufsbild in der professionellen Pflege und gemeindeorientierten Gesundheitsversorgung

ein neues Berufsbild in der professionellen Pflege und gemeindeorientierten Gesundheitsversorgung

AutorGabriele Achenbach
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2003
Seitenanzahl97 Seiten
ISBN9783638234597
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Gesundheit - Pflegewissenschaft - Sonstiges, Note: 1,7, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (FB 12), Sprache: Deutsch, Abstract: Ziel dieser Diplomarbeit ist es, auf der Suche nach neuen Ansätzen für die Pflege, das WHO-Konzept der Family Health Nurse als eine mögliche Lösungsalternative für Versorgungsformen vorzustellen, die den zukünftigen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Anforderungen entsprechen. Einige Worte zum Aufbau der Arbeit. Auf diese Einleitung folgt die Literaturanalyse. Daran schließt sich im dritten Teil der Arbeit die Bedeutung der Weltgesundheitspolitik an. Aufgaben und Ziele der WHO einschließlich des globalen Handlungsprogramms sowie die Verbindung zu der europäischen Ausrichtung 'GESUNDHEIT21' werden erläutert, die für die Entwicklung der Primärversorgung und für das Family Health Nurse Konzept von Bedeutung sind. Ein historischer Rückblick über vorausgegangene gesundheitspolitische Aktivitäten und Meilensteine vermittelt einen Überblick bis in die Gegenwart. Im vierten Abschnitt folgen Ausführungen zum Family Health Nurse Konzept der WHO, u.a. Aufgaben, Rolle, Ausbildungsprofil und Arbeitsfeld. Eine selbstentwickelte Vision im Jahre 2020 eines Beispielszenarios soll die in der Einleitung beschriebene Ist-Situation als zukunftsweisender Ausblick ergänzen. Die Spannungsfelder, Bedarf und Finanzierung sowie Chancen und Grenzen werden erörtert, in wie weit ein solches Modell für derzeitige und zukünftige Entwicklungen seine Berechtigung hat. Mögliche exemplarische Anknüpfungspunkte an Infrastrukturen im deutschen Gesundheitswesen und im deutschen Weiterbildungssystem werden skizziert. Darüber hinaus wird eine Umsetzungsstrategie entwickelt, die eine Realisierung im deutschen Pflegewesen ermöglicht. Last end but not least werden die Hauptgedanken dieser Arbeit in einem abschließenden Fazit noch einmal übersichtlich zusammengefasst.

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Leseprobe

1 Einleitung


 

Auf der Zugreise begegnete ich Frau G., und wie das manchmal so ist, öffnet man sich, auch zur eigenen Überraschung, Fremden in einer vorübergehenden Gesprächssituation leichter als vielleicht Freunden und Angehörigen.

 

Begegnung im Zug

 

Frau G. beginnt zu erzählen, wie einige der Beziehungen in ihrem Leben sich verändert hatten: "Meine Bekannten rufen nicht mehr an. Ich werde nicht mehr zum Kaffee oder Mittagessen eingeladen. Ich bin isoliert. Es kommt mir so vor, als würde jeder das Thema vermeiden. Gleichzeitig wollen alle, dass ich mich toll fühle. Wenn ich einmal nicht so gut drauf bin, gibt es niemanden, mit dem ich darüber sprechen kann." Sie war sehr verärgert über die behandelnden Ärzte, den Pfarrer und den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. "Diese Leute sollten doch wissen, wie man mit Jemanden umgehen muss, der so wie ich, an Krebs erkrankt ist. Es gibt kein Verständnis, nicht den geringsten Kontakt oder das geringste Mitgefühl, sie haben alle keine Zeit, schieben Termine vor, verbergen sich hinter ihrer Fachsprache oder berufen sich auf ihre Paragraphen."

 

Frau G. leidet an Morbus Hodgkin (Lymphogranulomatosis maligna). Sie ist Anfang sechzig, verwitwet, hat keine Kinder und lebt allein. Familienangehörige gibt es an ihrem Wohnort nicht, denn Frau G. und ihr Mann sind vor 3 Jahrzehnten aus Berlin nach Lengerich gezogen. Hinter der zu bewältigenden Krebsdiagnose verbirgt sich nicht nur eine spezifische Krankheit, sondern auch alle kulturellen Interpretationen und Stigmata, mit denen diese in unserer Gesellschaft behaftet ist. Krebskranke Menschen müssen ihr Kranksein nicht nur für sich, sondern auch für ihreMitmenschen erträglich machen.

 

Frau G. berichtet über ihre Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem, den Brüchen in der Versorgungskette, dem mangelnden professionellen Verständnis und den fehlenden Infrastrukturen: "Wissen Sie, ich war immer jemand, der großen Wert auf seine Unabhängigkeit gelegt hat. Diese vielen Chemotherapien, damit meine ich, die wechselnde ambulante und stationäre Behandlung, die Operation, ich konnte wochenlang nichts Festes essen. Mein postoperativer Zustand war sehr schwankend. Bücken, mein Bett machen oder die Wohnung in Ordnung halten, dass ging nicht, weil ich mich so elend fühlte. Wenn ich in die Arztpraxis komme, haben die Damen wenig Zeit. Für mehr als 'Guten Tag' und 'Nehmen sie im Wartezimmer Platz, es dauert noch', reicht es meist nicht. Der Arzt sagt mir nur, wie ich meine Medikamente nehmen soll 'Pinseln Sie den Mund aus, essen Sie nichts Hartes; die Wunde sieht gut aus'. Sie macht eine Pause, um ihre Gefühle zu unterdrücken. Er fragt nicht 'Wie geht es Ihnen, wie kommen sie zurecht?' Nein, er fragt nur 'Was kann ich für Sie tun?'"

 

Frau G. lächelt und fragt: "Kennen Sie Richard Kimbel auf der Flucht? Ein Fernsehfilm, der vor vielen Jahren im Fernsehen lief und von einem Arzt handelt: So kommen mir die Ärzte vor, auf der Flucht vor ihren Patienten. Kaum betreten sie das Zimmer, schon sind sie wieder verschwunden. Im Krankenhaus war das auch nicht anders. Die könnten ja eine Frage stellen, die einer Erläuterung bedarf und Mitgefühl voraussetzt. Er oder der Pfarrer haben mich nicht darauf hingewiesen, das es die Möglichkeit der ambulanten Pflege gibt. Wo ich doch in meiner Situation, noch nicht einmal in der Lage war, mein Bett zu machen oder mir einen Tee zu kochen. Von der Katzenwäsche ganz zu schweigen! Und ich weiß, wovon ich spreche, meine Mutter war Ärztin und ich habe meinen krebskranken Mann viele Jahre gepflegt."

 

Frau G. kann ihre Enttäuschung und Wut nicht verbergen. "Da liest man, dass unsere deutsche medizinische und pflegerische Versorgung gut sein sollen und dass jeder die Hilfe bekommt, die er benötigt. Ja, an den grünen Tischen und in den politischen Gremien gibt es die, aber in der Realität?"

 

Sie macht eine nachdenkliche Pause und fährt fort: "Ich frage mich manchmal, was machen die Menschen, die nicht in der Lage sind, sich über ihre Krankheit zu informieren, zu lesen und ihre Rechte in Anspruch zu nehmen oder wie z.B. heute im Zug, den Schaffner um Hilfe zu bitten. Ich frage Sie, wer kümmert sich darum, wie man vom Krankenhaus nach Hause kommt oder in die Praxis. Wie es zuhause weitergeht, ob man einkaufen kann, die Wäsche waschen kann oder wer die Termine für einen vereinbart, weil der persönliche Zustand so miserabel ist? Wen kann man ansprechen? Wer hört einem zu? Wer informiert einen, wenn man nicht weiter weiß? Der Hausarzt sicherlich nicht, dann schon eher die Schwester vom ambulanten Pflegedienst, aber leider kommt sie nicht mehr. Die Gutachter von der Krankenkasse haben beschlossen, dass ich keine Ansprüche mehr aus der Pflegeversicherung abe. Wissen Sie, meine Pension ist bescheiden, auch wenn ich Beamtin war. Es reicht für die Putzfrau und mein Hobby, ich reise gern. Keine großartigen Reisen, aber ich liebe die Nord- und Ostsee und lese gern über fremde Kulturen und Länder."

 

Frau G. überlegt: "Ach ja, ich wollte von Schwester M. erzählen. Schwester M. hatte eine Zeitvorgabe und musste dann zum nächsten Patienten. Hin und wieder trank sie mit mir eine Tasse Tee, hörte mir zu und für sie war es in Ordnung, wenn es mir nicht so gut ging. Sie war sehr fürsorglich, obwohl es nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehörte, nahm sie meinen Müll mit hinaus und stellte die Mülltonne an den Straßenrand. Sie gab mir Tipps zur Ernährung oder zu Verhaltensweisen und beantwortete mir sehr verständlich Fragen zu meiner Krankheit. Sie rief für mich beim Arzt an, um ein Rezept für mich ausstellen zu lassen oder einen Termin zu vereinbaren." Ihre Gesichtszüge nehmen einen entspannten Ausdruck an und sie spricht über ihre Vergangenheit: "Wissen Sie, ich erinnere mich an meine Mutter und ihre Arbeit als Landärztin. Sie besuchte ihre Patienten zuhause, nahm Anteil, hörte zu oder organisierte mit Schwester E. Hilfe. Als Kind freute ich mich immer über die selbstgemachte Marmelade, die leckeren Äpfel oder die Erdbeeren aus den Gärten der Patienten, die sie als Dank bekam. Manchmal konnten Patienten die Behandlung nicht bezahlen, dann zahlten sie mit Naturalien. Ach ja, Schwester E., die gute alte Gemeindeschwester kam regelmäßig zu meiner Mutter. Sie sprachen dann über die Patienten. Manchmal holte sie meine Mutter noch am Abend. Schwester E. unterstützte meine Mutter, ich kann mich noch erinnern, wie sie mich impfte. Und wie ich sie nach der Sexualität fragte, weil ich mich nicht traute, meine Mutter anzusprechen. Damals wurden diese Themen noch nicht zwischen Mutter und Tochter besprochen. Alle kannten sie und konnten sie immer ansprechen, auch wir Kinder. Ich weiß, diese vergangenen Zeiten kommen nicht zurück, aber für die Patienten wären solche Persönlichkeiten sehr wichtig!"

 

Die kurzen Ausschnitte aus der Lebens- und Krankengeschichte von Frau G. veranschaulichen Defizite und Missstände des deutschen Gesundheitssystems. Besonders die Schnittstellenproblematik zwischen dem stationären, ambulanten und dem öffentlichen Sektor wird aus der Betroffenenperspektive geschildert. Die Erzählung illustriert einerseits das persönliche Leid, dass durch komplexe Faktoren determiniert wird. Zum Beispiel durch soziokulturelle Normen, fehlende sozialpsychologische und kommunikative Kompetenzen der Gesundheitsberufe, mangelnde

 

vernetzte Strukturen, unzureichende bedarfsorientierte Planung und Steuerung der Gesundheitsversorgung sowie durch neue berufliche Anforderungen und Rollen und ungleiche Zugangsmöglichkeiten. Andererseits beschreibt sie den notwendigen Reform- und Handlungsbedarf und gibt eine gesundheitspolitisch wichtige und einfache Lösung für das Problem der Diskontinuität und der fehlenden gemeindenahen Infrastrukturen vor. Die der guten alten Gemeindeschwester, die in Kooperation mit dem Hausarzt zum Wohle der Patienten/Klienten[1] zusammenarbeitet. Ohne, dass Frau G. die gesundheitspolitische Ausrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kennt, beschreibt sie die Bedeutung der primären Gesundheitsversorgung mit einem integrierten Familien- und Gemeindeansatz sowie das Family Health Nurse Modell.

 

Einen besonderen Raum in dem Strategiepapier "Gesundheit21", dem gesundheitspolitischen Rahmenprogramm der Europäischen Weltgesundheitsorganisation, nehmen Überlegungen ein, wie man die Gesundheit der Bevölkerung unter dem

 

Aspekt den zur Verfügung stehenden Ressourcen anhaltend verbessern kann. In diesem Zusammenhang werden die Schwerpunkte:

 

Priorität für die Gesundheitsförderung

 

 Vernetzung der Gesundheitsdienste

 

Entwicklung der Humanressourcen, in quantitativer und qualitativer Hinsicht, mit effektivem Einsatz der einzelnen Gesundheitsfachberufe betont.

 

Im Aufgabenkreis der Pflege wird ein Konzept empfohlen, das der Berufsgruppe eine Schlüsselposition zuweist. Vor dem Hintergrund der Rationalisierungspotentiale können die potentiellen Kompetenzen der Pflegenden im Bereich der Gesundheitsförderung und der Vernetzung bzw. der integrierten Versorgung zweckentsprechender genutzt werden. Vorgeschlagen wird das Konzept der Family Health Nurse (FHN), eine Fachkraft der primären Gesundheitsversorgung (Public Health Schwester), das ein Dienstleistungsspektrum von der Pflege über...

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