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E-Book

Faust & Helena

Eine deutsch-griechische Faszinationsgeschichte

AutorClaudia Schmölders
VerlagBerenberg Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783946334385
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Hellas - ein Traum von einer germanischen Braut?! ­Winckelmann, Goethe, Hölderlin, Nietzsche, ­Stefan George - sie alle (und viele andere) idealisierten ­Griechenland aus der Ferne und brachten es zugleich fertig, das Land selbst zu verachten. Ganz anders die Frauen und die Engländer: Lord Byron kämpft für die Griechen, Lady Hamilton zaubert, Kaiserin Sisi lernt Griechisch, Isadora Duncan tanzt auf der Akropolis. Und dann meldet sich 1935 eine streitbare irische For­scherin: Elsie Butler. Sie beschrieb den verzückten ­deutschen Blick auf Hellas in höchster Sorge. Zu recht: Sechs Jahre später machten sich die Nationalsozialisten auf den Weg, um die Braut endlich zu erobern.

Claudia Schmölders, Germanistin, Kulturwissenschaftlerin und Verlagslektorin, unter anderem der ältesten deutschen Märchenreihe bei Eugen Diederichs. 1991-1992 Fellow im Berliner Wissenschaftskolleg, seit 1998 ­Privatdozentin an der Humboldt-Universität zu Berlin mit Forschungen zur Physiognomik. Zuletzt erschien 'Hitlers Gesicht. Eine physiognomische Biographie' (2000). Sie ist Mitglied der Deutschen Akademie für ­Sprache und Dichtung; 2004 erhielt sie den Heinrich-Mann-Preis der Berliner ­Akademie der Künste.

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Leseprobe

VORWORT


»Faust und Helena«: das Paar ist weniger bekannt als etwa »Faust und Gretchen« oder »Faust und Mephisto«. Die letztgenannten haben beide einen Ruch, das eine klingt nach Mord und Heiratsschwindel, das andere nach satanischen Verabredungen und übermenschlich kaltem Gebaren. Nur Helena, so scheint es, kann Goethe aus den Verstrickungen erlösen, die ihn seit seinem »Urfaust« 1775 umgeben; aber wiederum nicht jene Helena aus dem deutschen Volksbuch, die er als Junge in einem Puppenspiel erleben konnte. Hier kam ja zu allem Ruchlosen noch blendender Liebestrug dazu, Helena war ein böses Phantom, wenn auch sehr schön. Keine Frau ist in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit dermaßen hingerissen geschildert worden – und es war dieser Anblick, den Goethe schließlich in die Waagschale werfen konnte. Doch durfte diese rettende Gestalt nicht nur aus der Hexenküche stammen, sie musste in eigener Anstrengung gesucht und vor allem: gefunden werden.

Die Schlüsselszene aus Faust II erreichte die literarische Welt ab 1832 – Goethe hatte das Erscheinen dieses Werkes bekanntlich zu Lebzeiten verweigert. Erst rund vierzig Jahre später waren die Verse auf der Bühne zu hören, und auch danach blieben sie theatralisch eher verborgen und Teil einer Lesekultur. Dabei deklamierten sie mit atemloser Drastik einen Wunschtraum der deutschen Bildungseliten, genauer des philhellenischen Deutschland seit Winckelmann; eben jenes Johann Joachim Winckelmann, der als Heros einer national verzückten Ästhetik Deutschland und Hellas einander verlobt hatte, ganz altmodisch mit dem unausgesprochenen Verbot der Besitznahme. Bevor ein maßgeblicher deutscher Dichter den Fuß auf griechischen Boden setzen wollte, sollten fast 150 Jahre vergehen, denn man hielt sich keusch an das Gebot, bis hin zu Gerhart Hauptmann. Reisende Archäologen, Maler und Touristen gehörten natürlich so wenig dazu wie etwa Otto I., der als König aus Bayern einzog, oder der Schweizer Jacob Burckhardt, dem man die strengste Kulturgeschichte des alten Griechenland dankt. Doch Dichter und Denker von Hölderlin bis Nietzsche errichteten Paläste auf diesem Boden, die keine Realität duldeten.

Zahllose Darstellungen dieses Sachverhalts gibt es aus der historischen Fachwelt, und je weiter die Forschung, desto höher aufgelöst das Bild. Aber vielleicht muss es kein Bild sein, vielleicht leistet die Analogie, eine poetische Formel ohne ausufernde Metahistorie, den besseren Dienst? Der Pfad, auf dem die Idealisten zu jener fieberhaft begehrten Helena vordringen wollten, war der Traum vom klassischen Hellas als eigener Heimat, den Goethe dann mit so viel Leben wie möglich erfüllen wollte, nämlich mit einer Verkörperung des schönen Idols, einer Hochzeit und sogar einer Geburt.

Zwei mythische Riesen standen dem Dichter dabei zur Seite, Prometheus und Pygmalion, beide begnadet mit gottgleich menschenschaffendem Schöpfertum. In »Faust. Eine Tragödie«, wie Goethe sein Stück schließlich nannte, verzwergen sich beide zu einem Famulus namens Wagner, der im Labor – vulgo Hexenküche – einen Homunkulus erzeugt, der dann wiederum in Faust II. eine Helena aus dem ägäischen Meer heraus erzeugt. Aber als was? Als Trugbild oder als leibhafte Frau, die ihrerseits Mutter werden konnte? Schließlich verdankte sie sich in dem Stück ja ausdrücklich einem Gang »zu den Müttern«. Oder kam sie als erlöste Kriegsbeute nach zehn Jahren trojanischem Krieg in die Gefilde der Seligen, um dort mit Achill einen Sohn namens Euphorion zu gebären? Das besagt jedenfalls einer der vielen Sagenstränge um diese Helena, an denen sich Goethe entfalten musste.

Wie mächtig das Paar Faust und Helena in der Folgezeit wirkte, braucht man nicht zu betonen. Und doch blieb die Ideengeschichte unterbelichtet. Redlich darstellbar ist sie ja nur mit Blick auf die politische Geschichte; denn selten war eine poetische Erfindung so politisch motiviert wie diese Familie Faust, und selten ein politischer Akt so bildungsschwer vorbelastet wie der deutsche Einmarsch in Griechenland im April 1941, der gespenstischen Hochzeit. 200 Jahre erst glühender und auch unendlich befruchtender, dann aber allmählich erstickender Nähe zwischen den Ländern endeten auf diese brutale Weise; aber eigentlich erst seit der letzten Jahrtausendwende, je näher der Ausschluss des Landes aus der EU rückte, wurde diese sonderbare Kulturtragödie wirklich bewusst. Es ging ja anfangs niemals um zwei Länder, sondern zunächst immer um ein Land namens Deutschland (oder Preußen oder Bayern) und eine historische Fiktion namens Hellas; aber je mehr Griechenland aus Hellas wurde, desto grausamer die Nähe. Schon bald nach der Einsetzung des bayerischen Königs 1832 regte sich Widerstand im griechischen Volk, man zwang ihn schließlich zum Rücktritt, und die Berichte aus dem Land deutscher Sehnsucht färbten sich zunehmend düster. Der poetische Kalender dazu wirkt unheimlich: Goethes Hochzeitsdichtung, die »Klassisch-Romantische Phantasmagorie« erschien noch pünktlich zum griechischen Freiheitskampf, aber zur Thronbesteigung gab es dann auch schon den »verwitweten« Faust in Teil zwei, Faust ohne Helena, nur noch mit einem Mephisto. Und doch blieb und strahlte die Idee dieses Paares durch die folgenden Jahrhunderte wie eine Ikone; Goethe hatte die Träume seiner eigenen Generation offenbar szenisch gebändigt und entfesselt zugleich.

Eine der frühesten und eindringlichsten Darstellungen dieser ganzen Konstellation stammt von einer irischen Germanistin namens Eliza Marian Butler (1885–1959). Ihr Buch mit dem psychologisch gemeinten Titel »The Tyranny of Greece over Germany«, »Die Tyrannei Griechenlands über Deutschland«, erschien 1935, es war eine überaus kritische Geschichte deutscher Graekophilie von Johann Jakob Winckelmann bis zu Stefan George. Sie wurde geschrieben, als aller Welt sichtbar wurde, was der angeblich philhellenische Tyrann an der Spitze des deutschen Reiches plante. Zuerst mit der Übernahme der antiken Olympiade, dann auch mit pseudohellenistischer Propaganda auf allen Gebieten, einschließlich der Kriegskunst, die schließlich auf das Land der Träume selber angewandt wurde. Viel zu viele humanistisch gebildete Deutsche beteiligten sich damals, und auf die meisten traf der Begriff der »Zuarbeiter« zu, den Ian Kershaw für die maßlose Interaktion zwischen Führer und Geführten im sogenannten Dritten Reich geprägt hat. Den langen Familienroman dieser Zuarbeit noch vor ihren mörderischen Exzessen erkannt und dargestellt zu haben, war das Verdienst von Eliza, gen. »Elsie« Butler, auch wenn sie weder Gräzistin noch Archäologin war, sondern Germanistin, die sich mit Heinrich Heine, Fürst Pückler-Muskau, Rilke und immer wieder mit Goethe befasste: vor allem mit Goethes Faust.

Bis heute ist aber unklar, wie sie zu ihrem Griechenbuch überhaupt kam. In den englischen Archiven gibt es dazu nahezu keine Unterlagen, weshalb die Forschung nach Butlers Tod weitgehend erlosch. Übrig blieb nur das mehr oder minder einhellige Lob für ihr Projekt und die zahlreichen Anregungen, die es gab und bis heute gibt. Immerhin wurde das Buch 1958 als Paperback erneut ediert, und Butler schrieb ein Nachkriegsvorwort dazu. Zwar seien die deutschen Klassiker, meinte sie nun, mit all ihrem Humanismus niemals imstande gewesen, Katastrophen wie den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln oder gar nur zu unterstützen; aber eine Neigung zu exzessiv träumerischem Denken, ohne Rücksicht auf die mitlebende Realität, sei ihnen doch allen gemeinsam.

»The Tyranny of Greece over Germany« wurde in Deutschland trotz einer gekürzten Übersetzung von 1949 niemals bekannt; vielleicht war das ein Fehler. Denn der deutschsprachige Griechenkult endete mit der Ausrufung zweier deutscher Staaten keineswegs und entwickelte sich nach der Wiedervereinigung erst recht. Angefangen von neuen Grabungserfolgen im alten Troja/Hissarlik, die eine viel größere Stadt gewesen sein soll als je vermutet, über die poetischen Großforschungen des Österreichers Raoul Schrott, der die berühmte Homerfrage wieder aufwarf und geistreich beantwortete, bis hin zum legendären Kulturwissenschaftler und Heideggerianer Friedrich Kittler, der um die zweite Jahrtausendwende ein überspanntes Werk von sechs Bänden zur Antike ankündigte, im Zeichen von Musik, Mathematik und Eros. Band eins war »Hellas I: Aphrodite« gewidmet, also eben jener Göttin, deren Eitelkeit das sagenhafte Paar Helena und Paris überhaupt zustande gebracht hat. Kittler starb 2011. Die dramatische Staats- und Finanzkrise des zeitgenössischen Landes hat er nicht mehr erlebt. Größte Hellasverehrung stand nun wie schon 1832 neben Hass auf die Realität. Deutschland, das für seine Kriegsgräuel 1941 bis 1945 nie wirklich einstand, wurde zum härtesten Gläubiger, Griechenland selber in Grund und Boden kritisiert. Ob zu Recht oder zu Unrecht ist hier nicht die Frage. Im Raum steht vielmehr die längst verbreitete Sorge der Betrachter, dass gerade die Feinheiten deutschen Kulturdenkens keinerlei Wirkung auf die politische Klasse haben, ja diese womöglich nur mit prätentiöser...

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