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E-Book

Fesche Lola, brave Liesel

Marlene Dietrich und ihre verleugnete Schwester

AutorHeinrich Thies
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783455001624
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Zwischen diesen Schwestern lagen Welten: Während Marlene Dietrich im Zweiten Weltkrieg amerikanische Soldaten unterhielt, betrieb ihre Schwester Elisabeth mit ihrem Mann in Bergen-Belsen ein Kino für Wehrmachtsoldaten und SS-Leute. Die eine sagte den Nazis den Kampf an, die andere ordnete sich brav unter. Nach 1945 verlor die weltberühmte Diva in der Öffentlichkeit nie wieder ein Wort über ihre Schwester. Tilgte sie aus ihrer Biographie und schwieg darüber bis an ihr Lebensende. Trotzdem unterstützte sie Elisabeth und hielt heimlich Kontakt zu ihr. Die beiden führten einen umfangreichen Briefwechsel, nannten sich »Liesel« und »Pussycat«. Heinrich Thies zitiert in seiner fesselnden Doppelbiographie aus diesen noch nie veröffentlichten Briefen und aus vielen anderen Originaldokumenten und fängt die Verbindung der ungleichen Schwestern erzählerisch ein - eine Beziehung im Schatten der Weltgeschichte, ein Familiendrama zwischen Hollywood und Bergen-Belsen.

Heinrich Thies, geboren 1953 in Hademstorf, Niedersachsen, ist Journalist und Autor zahlreicher Biografien und Romane. Bei Hoffmann und Campe erschienen u.a. Geh aus, mein Herz, und suche Freud (2001) und Wenn Hitler tot ist, tanzen wir (2004).

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Leseprobe

1 Wiedersehen am Rande der Hölle


Überraschungsbesuch in der Heide. Auf dem Fliegerhorst Faßberg landet am 7. Mai 1945 gegen 9 Uhr das Flugzeug des US-Generals Omar Bradley. Hinter dem Piloten sitzt aber nicht der General, sondern eine Filmschauspielerin: Marlene Dietrich – in der khakifarbenen Uniform der GIs mit Helm und Kampfstiefeln. Die militärisch gekleidete Dame ist am frühen Morgen in München gestartet und über ein Land geflogen, das in Trümmern liegt. Erst am Vortag ist sie darüber informiert worden, dass sich in Bergen-Belsen bei den britischen Besatzungskräften eine Frau gemeldet hat, die behauptet, ihre Schwester zu sein.

Gleich am Flugfeld wartet ein Jeep. Die rund dreißig Kilometer lange Fahrt nach Bergen-Belsen führt, immer wieder behindert durch Militärkonvois, vorbei an Wiesen mit weidenden Kühen, an zerbombten Gehöften und ausgebrannten Autos. Sie endet auf dem Kasernengelände, wo vor kurzem noch die Wehrmacht regierte und jetzt die Briten eingezogen sind. Zielstrebig steuert die Besucherin das Büro des stellvertretenden Camp-Kommandanten Arnold Horwell an.

Der Brite, der gerade von seinem General über den soeben geschlossenen Waffenstillstand informiert worden ist, stammt aus Berlin; erst im Mai 1939 hat der promovierte Volkswirt Deutschland verlassen – gemeinsam mit seiner Frau Susanne. Als Juden sahen sich die beiden wachsender Verfolgung ausgesetzt. Mit der Sprache und Staatszugehörigkeit wechselte der Emigrant auch seinen Namen: Aus Horwitz wurde Horwell. »In England habe ich meinen Witz verloren«, pflegte er später zu sagen. Aber das war nur ein Spruch. Horwell bewahrte sich seinen Humor – obwohl seine Eltern in Theresienstadt ermordet worden waren und die Bilder von Bergen-Belsen ihn nicht mehr loslassen sollten. Und nun also dieser ungewöhnliche Besuch.

Marlene Dietrich mit Flugbegleitern vor der Generalsmaschine, die sie im Mai 1945 nach Bergen-Belsen zu ihrer Schwester gebracht hat – »Plane to Liese« hat sie auf das Foto geschrieben.

»Ein amerikanischer Offizier möchte Sie sprechen«, meldet ein Untergebener. »Kommt angeblich von General Bradley.«

»Lassen Sie ihn rein.«

»Sorry, Captain, aber es ist eine Sie

»Auch gut. Dann soll sie reinkommen.«

Unter dem Helm der Besucherin ringeln sich blonde Locken. Horwell meint das Gesicht zu kennen, ist aber zu verwirrt, um auf den Namen zu kommen.

Mit schelmischem Augenaufschlag reicht ihm die Dame in Uniform die Hand. »Captain Dietrich.«

Da klingelt es bei Horwell, der sich ebenfalls vorstellt – und seiner Überraschung mit galantem Schmunzeln Ausdruck verleiht. »Welche Ehre, Captain!«

Marlene Dietrich wehrt ab. »Quatsch, ich bin auch nur Soldat.«

Obwohl beide aus Berlin stammen, sprechen sie Englisch miteinander. »Ihre Frau?«, fragt die Besucherin, als ihr Blick mehrere Frauenfotos streift, die auf dem Schreibtisch stehen.

»Ja, das ist Suse. Gefällt Sie Ihnen?«

»O ja! Hübsch. Wunderschön, wirklich.«

»Ich werde es ihr ausrichten. So ein Kompliment aus dem Mund eines Filmstars kriegt man ja nicht alle Tage zu hören. Aber hätte ich geahnt, wer mich heute besucht, hätte ich die Bilder natürlich versteckt.«

»Sie haben es ja faustdick hinter den Ohren, Sie Charmeur.«

Das Begrüßungsgeplänkel hat etwas von einem Flirt. Dann wird die Besucherin ernst. Sie bittet darum, ihre Schwester sehen zu dürfen. Erst am Tag zuvor sei sie informiert worden, sofort von München hergeeilt, um Liesel in diesen schwierigen Tagen beizustehen. »Ich habe schon seit sechs Jahren nichts mehr von ihr gehört. Ich hatte immer schon Angst, dass die Nazis sie ins KZ stecken und sie für meine Aktivitäten auf der Gegenseite bestrafen. Aber wahrscheinlich kennen Sie Liesel gar nicht. Eigentlich heißt sie Elisabeth – Elisabeth Will.«

»Der Name ist mir bekannt.«

»Wissen Sie, wie es ihr geht?«

»Gut, jedenfalls den Umständen entsprechend.« Horwell knetet nachdenklich die Hände. »Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Ihre Schwester war nicht im Lager. Sie hat hier mit ihrem Mann ein Kino betrieben.«

Horwell ist der Name der Schwester und ihres Mannes seit Tagen vertraut. Das Ehepaar Will hat sich mit der Bitte um Vergünstigungen an ihn gewandt. Während die kleine Frau die Verwandtschaft mit Marlene Dietrich eher verschämt ansprach, trat ihr Mann fordernd auf, beklagte lautstark die Schikanen, denen er ausgesetzt sei, und führte seine berühmte Schwägerin ins Feld. Unschätzbare Dienste habe die den Amerikanern erwiesen. Immer noch, tönte der Kerl, sei der »Propagandawert« der Dietrich ungeheuer hoch.

Propagandawert! Horwell empfand es als Ironie der Geschichte, dass die beiden Schwestern während des Krieges Ähnliches gemacht hatten – nur an verschiedenen Fronten: Marlene hatte die US-Soldaten auf ihrem Vormarsch durch Europa begleitet und mit »Lili Marleen« und anderen Liedern bei Laune gehalten, Elisabeth hatte gemeinsam mit ihrem Mann deutsche Soldaten mit Ufa-Filmen in Traumwelten entführt. Nur anderthalb Kilometer vom Konzentrationslager entfernt hatten die Wills auf dem Kasernengelände ein Truppenkino geführt. In den »Tonlichtspielen« – mit zweitausend Plätzen, Bühne und angeschlossenem Kasino, zu dem ein Festsaal und eine Gaststätte gehörten –, waren auch SS-Offiziere vom Lager Bergen-Belsen ein und aus gegangen. In einem Nebentrakt des schlossartigen Gebäudes hatten die Wills in einer komfortablen Wohnung im Obergeschoss gelebt. Als die Briten kamen, mussten sie ihr Appartement räumen und in schlichtere Personalzimmer ziehen.

Horwell fordert Marlene höflich auf, Platz zu nehmen, bestellt Tee, bietet ihr eine Zigarette an und berichtet kurz, wie es ihrer Schwester und ihrem Schwager geht: dass sie sich frei bewegen können, trotz ihrer Verstrickung in das NS-System nicht als Gefangene oder gar Geiseln interniert sind.

Verstrickung in das NS-System? Marlene verschlägt es einen Moment die Sprache, sie ringt um Fassung. »Und ich hatte gedacht, Liesel wäre hier halb verhungert.«

»Seien Sie froh, dass Sie sich geirrt haben.«

Die Besucherin wirkt verwirrt. »Sie müssen verstehen, Captain«, beginnt sie in stockendem Ton. »Aber das ist alles nicht so leicht für mich. Ich weiß immer noch nicht, was aus meiner Mutter geworden ist. Sie wohnt in Berlin – oder besser: Sie hat in Berlin gewohnt. Ich weiß nicht, ob sie diese fürchterlichen Luftangriffe überlebt hat. Ich habe Ike gebeten, nach ihr suchen zu lassen.«

Ike! Horwell versteht, dass mit »Ike« der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Eisenhower, gemeint ist, und nickt beeindruckt. Eisenhower hat zurzeit anscheinend keine anderen Sorgen, geht es ihm durch den Kopf, und er muss unwillkürlich lächeln. Dann schlägt er vor, das Ehepaar Will holen zu lassen. Marlene schüttelt den Kopf. »Nicht meinen Schwager! Nur Elisabeth. Ich würde gern mitkommen, wenn Sie sie holen. Einverstanden, Captain?«

»Okay, Captain Dietrich. Ich lasse einen Jeep rufen. Ihre Schwester arbeitet hier zwar irgendwo im Camp, aber das Gelände ist riesig. Sie werden sehen.«

Das Kasernengelände liegt am Rand eines großen Truppenübungsplatzes, der tief in die Lüneburger Heide hineinragt, mit Schießbahnen zwischen Wäldern, Mooren und Heideflächen. Fünfundzwanzig Dörfer mussten geräumt werden, 3600 Bewohner ihre Heimat verlassen, als 1935 die Wehrmacht angerückt war, um sich auf einen neuen Krieg vorzubereiten. Doch die Wehrmachtssoldaten sind verschwunden. Die Briten haben das Kommando in der Heide übernommen.

Der 7. Mai 1945 ist ein schöner Tag, ein Maientag wie aus dem Bilderbuch. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Die frühe Wärme hat die Natur in eine wahre Aufbruchsstimmung versetzt. Aus dem nahen Wald weht der Duft von Kiefernharz herüber, es riecht nach Lindenblüten und Heckenrosen. Aber in die Frühlingsdüfte mischen sich andere Gerüche: der Gestank von Desinfektionsmitteln, durchsetzt von Rauch.

Erst wenige Wochen zuvor sind in Bergen-Belsen die Pforten der Hölle geöffnet worden. Britische Soldaten haben das Lager in der Nähe des Truppenübungsplatzes erreicht und Baracken betreten, in denen sie auf ausgezehrte, neben Leichen kauernde Menschen gestoßen sind. Kinder mit alten Gesichtern, Frauen und Männer, zu Skeletten abgemagert – wimmernd, apathisch, halb irre vor Hunger, Durst und Schmerzen, an Typhus, Fleckfieber und Tuberkulose leidend. Viele sind schon wenige Tage nach der Befreiung gestorben. Sie wurden sofort in Massengräbern beigesetzt. Die drohende Pestgefahr ließ den Briten keine andere Wahl. Das komplette Lager musste desinfiziert und nach und nach geräumt werden. Etliche der befreiten Häftlinge sind aber an diesem Tag im Mai noch auf dem Lagergelände, wo sie jetzt die lang ersehnten Lebensmittel erhalten, wenn auch noch viel zu wenig: Kartoffeln, Rüben, ein bisschen Speck. Sie kochen im Freien. Überall glimmen Feuerstellen. Was brennbar ist, wird verheizt – egal ob Bretter oder alte Schuhe.

Die Kranken und Geschwächten werden auf dem benachbarten Kasernengelände notdürftig in Militärgebäuden oder unter freiem Himmel versorgt. Ein Teil des deutschen Lagerpersonals ist von den Briten dazu verdonnert worden, für die befreiten Häftlinge und die britischen Soldaten im großen Stil...

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