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E-Book

FilmMusik - Martin Scorsese

Verlagedition text + kritik
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783869163604
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Bereits in 'Mean Streets' im Jahre 1973 gelang Martin Scorsese eine Szene, deren Kombination von Bild und Musik Kultstatus erlangte: Der Auftritt Robert De Niros zum Song 'Jumpin' Jack Flash' der Rolling Stones sollte nur der erste Wurf eines Regisseurs sein, der es wie kaum ein anderer verstand, Musik und Film zur Einheit zu verschmelzen. Martin Scorseses Werke zeigen eine Fülle von Facetten der Komposition von Bild und Ton und zeugen von einer Musikkenntnis jenseits stilistischer und zeitgeschichtlicher Befangenheit. Ob in Bernard Herrmanns Soundtrack zu 'Taxi Driver' (1975), ob als Hommage an die goldenen Zeiten des Jazz in 'New York, New York' (1977) und 'Raging Bull' (1980), ob in Peter Gabriels Originalkomposition zu 'The Last Temptation of Christ' (1987), in zahlreichen Reminiszenzen an die Oper oder in Konzertdokumentationen wie 'The Last Waltz' (1978), 'Feel Like Going Home' (2003), 'No Direction Home' (2005) oder 'Shine a Light' (2008) - immer wieder ist es Scorsese gelungen, den Zuschauer zum Zuhörer zu machen. Der zweite Band der Reihe 'FilmMusik' nimmt daher das Werk eines der musikalischsten aller Filmregisseure in den Blick, mit Beiträgen zu Scorsese und Oper, zu präexistenter Musik als Autorensignatur, zur Schizophrenie der Musik in 'Taxi Driver', zur stilistischen Vielfalt der verwendeten Musik in 'The Wolf of Wall Street' und zu Scorseses Arbeit mit seinem 'music supervisor' Robbie Robertson.

Guido Heldt, geb. 1965, Senior Lecturer in Music an der University of Bristol. Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte in Münster, am King's College London und in Oxford. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin (1997-2003), Gastdozentur an der Wilfrid Laurier University, Waterloo/ Kanada (2003). Mitherausgeber von 'Plurale.Zeitschrift für Denkversionen' (2001-2010) und der 'Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung' (seit 2008). Veröffentlichungen zur britischen Musik im 20. Jahrhundert, zur Filmmusiktheorie (ein Buch über Filmmusik und Erzähltheorie ist im Druck), zu Komponistenfilmen und zum musikalischen Film im 'Dritten Reich'.

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Leseprobe

Robert Rabenalt

»This is addictive«


Robbie Robertson als Scorseses music supervisor

I Gemeinsame Erfahrungen und die Rolle der Musik – im Leben und im Film


Scorseses Filme sind ohne ihren Anteil an unterschiedlichster Musik mit vielfältiger Bedeutung für Ästhetik und Thema des Films nicht denkbar. Unterschiedlich ist in der Regel nicht nur der Stil der verwendeten Musik, oft innerhalb ein und desselben Films, sondern auch die Art ihres Einsatzes. Ein Regisseur wie Scorsese, der jede Einstellung bis ins Kleinste plant und schon vor und während des Drehs sehr detaillierte Vorstellungen hat, diese anderen Beteiligten kommuniziert und verfolgt – wie könnte solch ein Regisseur ohne genaue Gedanken zur Musik in seinen Filmen, ohne eine auch musikalische und auditive Raffinesse zufrieden sein?

Martin Scorsese fand in Robbie Robertson einen außergewöhnlichen musikalischen Partner für seine Ideen und seine Fragen zur Filmmusik. Die erste Begegnung in künstlerischer Hinsicht zwischen Martin Scorsese und Jaime Robert Robertson kam anlässlich des Films THE LAST WALTZ (THE BAND, USA 1978) zustande. Am 25. November 1976 gaben The Band, in der Robertson die tragende Rolle als Autor der meisten Lyrics, als Komponist und Arrangeur hatte, in San Francisco nach 16 erfolgreichen Jahren ihr Abschiedskonzert. Nicht nur deshalb, sondern auch weil The Band namhafte Rock-, Folk-, Blues- und Popgrößen eingeladen hatte, mit ihnen auf der Bühne zu spielen und zu singen, umwehte dieses Konzert von Anfang an der Hauch eines historischen Ereignisses. Scorseses dokumentarisches Interesse an diesem scheint jedoch gering gewesen zu sein; der Film zeigt eher universelle Aspekte von Rock- und Popmusik. Im Interview mit Joshua Bear in der Zeitschrift Musician erwähnt Robertson, dass Scorsese seine Sicht auf das Ereignis so formulierte: »Ich wollte darauf von einer Seite blicken, von der aus wir es bisher noch nie gesehen haben«1 – eine Sicht, die sowohl für Scorseses dokumentarische wie auch fiktionale Filme gilt. Die Musiker werden in sehr persönlicher Weise von der Kamera eingefangen; diese »sucht« den Menschen hinter der Musikerfigur. Das Publikum ist in diesem Film dagegen nicht sichtbar. Das Zeigen der Reaktionen wäre eine andere »Geschichte«, sporadische Umschnitte wären eine Banalisierung und sogar Vortäuschung von Dokumentarischem.

Vermutlich um seinem Anspruch gerecht werden zu können, verfasste Scorsese ein 300-seitiges Skript für THE LAST WALTZ , und zwischen Robertson und ihm entstand ein Austausch, wie er in späteren gemeinsamen Projekten immer wieder stattfand: Gemeinsam sahen sie sich unterschiedliche Filme an, in diesem Fall von Luchino Visconti SENSO (SEHNSUCHT, Italien 1954) und IL GATTOPARDO (DER LEOPARD, Italien 1963), von Sergio Leone C’ERA UNA VOLTA IL WEST (SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, Italien/USA 1968), von Michael Powell THE RED SHOES (DIE ROTEN SCHUHE, USA 1948) sowie von Vincente Minnelli CABIN IN THE SKY (EIN HÄUSCHEN IM HIMMEL, USA 1943); gemeinsam gingen sie die Lyrics durch, führten Absprachen über die Intros und wer wann ein Solo mit welchen Instrumenten spielt und wann und wie die Soli beginnen und enden, die Kamerapositionen und das Licht – in nahezu alle gestalterischen Komponenten des Musikalischen und Filmischen führten beide einander ein, bevor der erste Ton gespielt und das erste Bild aufgenommen wurde. Zusätzliche Studio-Aufnahmen von The Band erlaubten es, weiteres Material für die Montage in THE LAST WALTZ zu integrieren.

Seit dieser auch durch Freundschaft geprägten Zusammenarbeit sind Robertsons Erfahrungen im Musikgeschäft und seine vielfältigen musikalischen Fähigkeiten und Kenntnisse bezüglich der jeweils aktuellen Rock- und Popmusik oder auch seine Kenntnis von weniger bekannten Musiktalenten in zahlreiche Filme Scorseses eingeflossen. Ein Jahr nach THE LAST WALTZ schreibt Robertson selbst an einem Film, CARNY (JAHRMARKT, USA 1979, Robert Kaylor ), spielt eine der Hauptrollen und komponiert und produziert die Musik. Offensichtlich zum ersten Mal betätigte sich ein Rockmusiker umfassend als Ko-Autor, Schauspieler und Produzent eines Kinofilms.

II Robertson als Berater, Produzent und Filmkomponist


Von den vielen Filmen Scorseses, für die Robertson als Musiker, Produzent oder music supervisor arbeitete, sollen hier nur wenige herausgegriffen werden, um Facetten der künstlerischen Arbeit und einige musikdramaturgisch interessante Besonderheiten beleuchten zu können. Der Aufgabenbereich für Robertson vergrößerte sich tendenziell im Laufe der Jahre. In RAGING BULL (WIE EIN WILDER STIER, USA 1980) war Robertson z. B. Komponist des Score und Produzent der source music. In THE KING OF COMEDY (KING OF COMEDY, USA 1983) und CASINO (USA 1995) stellte Robertson gemeinsam mit Scorsese den stilistisch und musikhistorisch sehr breit gestreuten Soundtrack aus bereits bestehender Musik zusammen. Die kompilierte Musik hat in den meisten Fällen auch eine Kommentarfunktion, ohne die der erzählten Geschichte möglicherweise Ebenen fehlen würden, z. B. ein Ausschnitt von Bachs Matthäus-Passion in CASINO, welche – nach Scorseses eigener Aussage – den Untergang des alten Las Vegas »ebenbürtig« kommentiert:

Für mich drückt dieser Bach ein essentielles Gefühl für etwas Großes aus, das verloren gegangen ist. Ob wir mit dessen Moral übereinstimmen, steht auf einem anderen Blatt – ich verlange nicht, dass man der Moral zustimmt – aber es gab das Gefühl von einem verloren gegangenen Imperium, und das erforderte eine ebenbürtige Musik.2

In SHUTTER ISLAND (USA 2010) überließ Scorsese Robertson sogar gänzlich die Vorauswahl von Musiktiteln, die als Filmmusik dienen. Aber bereits 1973 hatte Robertson für MEAN STREETS (HEXENKESSEL, USA 1973) zahlreiche Songs als Vorschläge für die musikalische Ausstattung des Films an Scorsese geschickt. Der Soundtrack von SHUTTER ISLAND besteht nun ausschließlich aus schon existierender Musik, erscheint jedoch (außer bei den verwendeten Songs) wie eine komponierte Filmmusik.

Ein Selbstzeugnis im Zusammenhang mit dem Film NEW YORK, NEW YORK (USA 1977) – eine Geschichte über eine scheiternde Liebe in der Welt der Musicals, aber auch über das Musikgeschäft und musikalische Stile – lässt erkennen, wie filmisches und musikalisches Gestalten für Scorsese zusammengehören:

Bei den Kamerabewegungen versuchte ich, dem Beispiel von Vincente Minnellis Filmen zu folgen, und ging sogar noch weiter. Zuerst war die Kamera für ein paar Takte Musik nah auf der Band, vor dem ersten Schnitt, der 24 Takte dauern sollte, d. h., es gab keinen master shot. Dann kam die Kamera für 12 Takte aus einem Winkel, dann für 12 Takte aus einem anderen und so weiter, vor und zurück, bis ein Stil daraus wurde. Dasselbe Prinzip wandte ich auch bei den Studiosequenzen in THE LAST WALTZ und den Box-Szenen in RAGING BULL an, wo es alle fünfzehn oder zwanzig Hiebe einen anderen Winkel ohne Sicherheitsaufnahmen gibt, und sogar bei den Billardspielen in THE COLOR OF MONEY .3

Es scheint – obwohl Robertson nicht an NEW YORK, NEW YORK beteiligt war – kein Zufall zu sein, dass hier Scorseses ersten beiden Filme mit ihm Erwähnung finden: THE LAST WALTZ und RAGING BULL. Sie können als bedeutendes Experimentierfeld und Prototypen der Zusammenarbeit von Scorsese und Robertson gelten.

Die für RAGING BULL eingesetzte präexistente Musik hat Scorsese – wie in vielen anderen Filmen auch – ausgewählt, um eine notwendige Realitätsnähe zu erreichen. Zudem verleihen nicht selten Songs oder klassische Kompositionen den Figuren bzw. der Geschichte eine zusätzliche Dimension, wie beispielsweise der Einsatz des »Intermezzos« aus Pietro Mascagnis Cavalleria Rusticana zur Eröffnung des Films und im weiteren Verlauf zu einer Kampfszene. Die Musik verweist auf sizilianische »bäurische Ritterlichkeit« – nicht nur eine Anspielung auf die eigene Kindheit und die Herkunft der Eltern Scorseses, sondern dramaturgischer Kontrapunkt, der die Figur auslotet, während szenischer Ton fast völlig fehlt. Zugleich entsteht so ein poetisch zugespitzter Verweis, der für die meist armen, in diesem Fall italienischen Einwanderer in einer von Gewalt geprägten Gesellschaft stehen kann.

Robertson hat für RAGING BULL auch die übrige Filmmusik komponiert und den Soundtrack produziert. Das vielfältige musikalische Material, das in diesem Film Verwendung findet, ist dramaturgisch legitimiert durch Bezüge zur Handlungszeit, zum Ort, zu Textinhalten und persönlichen Assoziationen der Filmschaffenden, ob es sich nun um religiöse italienische Musik, italienische Oper oder amerikanische Popsongs aus der Zeit der Handlung handelt – ein Kaleidoskop dessen, was Scorsese als Jugendlicher bei geöffnetem Fenster an All- und Festtagen in Little Italy in New York gehört haben dürfte (ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Soundtrack von MEAN STREETS ). Dass somit eine der Geschichte dienliche Geschlossenheit trotz musikstilistischer Heterogenität entsteht, konnte Robertson als weitere Inspiration für die Integration von Musik im Film...

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