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Filmzensur und -politik in der DDR. Untersuchung an ausgewählten Filmen von Jürgen Böttcher in den sechziger Jahren

Untersuchung an ausgewählten Filmen von Jürgen Böttcher in den sechziger Jahren

AutorAstrid Hartmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl158 Seiten
ISBN9783638551779
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Film und Fernsehen, Note: 1,3, Universität Leipzig (Kommunikations- und Medienwissenschaft), 199 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Stadt darf sich, ja muss sich in Kultur einmischen, so lautete die Forderung des ersten Kulturministers der DDR, Johannes R. Becher, womit eine eigenverantwortliche, autarke Kunst und Kultur den Zielen des Staates und ihrer führenden Partei entgegenstand. Die SED, die sich als Vertreter der Interessen des Volkes definierte, wollte die Kultur nach ihren politisch-ideologischen Richtlinien lenken und ihren selbsterklärten Führungsanspruch im Kulturbereich durchsetzen.Auch das Filmwesen unterlag diesem Machtanspruch und konnte sich nicht unabhängig von Partei- und Staatsinteressen entwickeln. Der Film als massenwirksame Kunst sollte nach Ideologie der SED ausgerichtet und jegliche kritische Haltungen verhindert werden. Zur Durchsetzung dieser Ziele bedurfte es einer entschiedenen Filmpolitik und Filmzensur, die Gegenstand dieser Arbeit sein soll. Ich möchte mich mit der Frage auseinandersetzen, unter welchen politischen Bedingungen Filme in der DDR entstanden und mit welchen konkreten Zensurmechanismen und filmpolitischen Handlungen Partei und Staat die Produktion von Filmen beeinflußten. Die Filmemacher der DEFA des einzigen Filmproduktionsbetriebes der DDR, waren Betroffene dieser Filmpolitik: Am Beispiel des Filmemachers Jürgen Böttcher soll beleuchtet werden, wie sich die Maßnahmen und Kontrollmechanismen von Partei und Staat auf das künstlerische Schaffen und die Produktion seiner Filme auswirkten. Jürgen Böttcher, der nach unmittelbarer Verarbeitung von Realität strebte und den Menschen und seine Widersprüchlichkeit in den Vordergrund stellen wollte, versuchte von Beginn an, sich parteilichen Doktrinen und propagandistischer Verherrlichung in seinen Filmen zu entziehen. Diese Haltung führte vor allem in den 60er Jahren zu Auseinandersetzungen mit parteilichen und staatlichen Zensoren, die sich in der Verwirklichung von Projekten und der Zulassung seiner Filme widerspiegelten.

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Leseprobe

3. Anfänge der Filmpolitik in den 40er und 50er Jahren


 

3.1. Schaffung von Zensurinstitutionen


 

3.1.1. Kontrollinstanzen in der sowjetischen Besatzungszone


 

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches und dem Beginn der alliierten Besatzung entwickelte sich in der sowjetisch besetzten Zone umgehend eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und  deutschen Kommunisten. Durch die neugegründete Zentralverwaltung für Volksbildung und durch das Filmaktiv[57] sollte die Schaffung einer Filmgesellschaft in der Sowjetischen Besatzungszone vorangetrieben werden.[58]

 

Am 17 .5. 1946 erhielt die DEFA die Lizenz zur Filmproduktion durch den Leiter der Politischen Abteilung der SMAD, Sergej Tulpanow.[59] Er betonte als wichtigste Aufgabe der DEFA, den demokratischen Aufbau Deutschlands voranzutreiben und zur Ausrottung der Reste des Nazismus und Militarismus beizutragen.[60] Die ersten Filme der DEFA spiegelten diese demokratischen Ziele von SMAD und KPD/SED in der Übergangsphase zu einer neuen Herrschaftsordnung wider: keine Orientierung auf Sozialismus, überparteiliche und pluralistische Koordination in Kultur und Öffentlichkeit, Antifaschismus.[61] Die Kontrolle der Filme übernahm eine Sektion für Propaganda und Zensur innerhalb der Politischen Abteilung der Sowjetischen Militäradministration. Bis 1946 existierte zusätzlich die Abteilung „Zentrale Zensur“ der SMAD, die außerhalb der Informationsverwaltung eine Vorzensur ausübte.[62] Ab 1946 kontrollierte – in Absprache mit der Fachverwaltung der SMAD – die deutsche Niederlassung der sowjetischen Filmverleihgesellschaft „Sojusintorgkino/Sovexport“ in Berlin alle DEFA-Produktionen.[63] Die DEFA hatte sich nach ihrer Gründung verpflichtet, dem sowjetischen Verleih das Drehbuch, die Darstellerliste beziehungsweise die Besetzung der Regie vorzulegen. Erst nach Genehmigung durften die Dreharbeiten beginnen. Daneben existierten bereits seit 1946 Filmprüfungs- und Begutachtungskommissionen, die den in Deutschland vorhandenen Kopienbestand sichteten und den Filmeinsatz vor Jugendlichen und in der Erwachsenenbildung kontrollierten, also eine Nachzensur nach kulturpolitischen und erzieherischen Gesichtspunkten vornahmen.[64] Die SED-Führung selbst intervenierte zunächst nicht in filmspezifische Fragen.[65] Die Filmemacher akzeptierten die Kontrolleure der Sowjetischen Militäradministration. Beide Seiten arbeiteten als Verbündete zusammen, die gleiche Ziele nach Frieden und Antifaschismus vereinte. Meinungsverschiedenheiten wurden in der Regel zwischen den Beteiligten direkt ausgetragen.[66] Durch diesen Grundkonsens nach Aufklärung und Demokratie existierten in den Nachkriegsjahren keinerlei Dreh- und Filmverbote der SMAD.[67]

 

Mit Beginn des Kalten Krieges verschlechterte sich das politische Klima. Die SED drängte darauf, ihre mit Hilfe der Sowjetunion einmal errungene prädestinierte Stellung im Osten Deutschlands dauerhaft zu festigen Das bedeutete die Durchsetzung der führenden Rolle und des unbedingten Wahrheitsanspruchs der Partei.[68] Im Zuge dieser Machtstabilisierung der SED wurde die Eigenständigkeit des Filmwesens erheblich eingeschränkt. In der DEFA vollzogen sich in den Jahren 1947 und 1948 eine Vielzahl formeller und personeller Umstrukturierungen, die auf eine Herrschaftssicherung  für die SED zielten.[69] Der entscheidende Schritt zur Etablierung der Vormachtstellung der Partei im Filmwesen stellte der Ende 1947 geschlossene Vertrag zwischen dem Ministerrat der UdSSR und der DEFA dar. Die Produktionsplanung und Endfassung der Filme sowie die Personalpolitik der DEFA konnte nur noch in Übereinstimmung mit der SED erfolgen.[70] Durch diesen Vertrag waren die Voraussetzungen für eine autoritäre Durchdringung der Filmkunst gegeben, zumal die DEFA die einzige zugelassene Filmfirma blieb und keine weiteren Produktionseinrichtungen entstanden.

 

Gleichzeitig begann eine ideologische Offensive von sowjetischen Kulturoffizieren, die die Kunst in der Sowjetischen Besatzungszone von der existenzialistischen Kultur im Westen abgrenzen wollten. Sie beugten sich der Kunstdebatte der KPdSU in der Sowjetunion, die schon ab 1946 gegen bürgerliche, liberale Tendenzen in Kunst und Kultur vorgegangen war.[71] Durch den Leiter der Kulturabteilung der SMAD, Alexander Dymschitz, wurde die  Formalismus-Debatte angefacht, die für den Film und alle anderen Kunstrichtungen ideologische Richtlinien festlegte und später auf die DDR übertragen wurde.[72]

 

Mit Gründung der DDR 1949 ging die Entscheidungskompetenz zur Beurteilung von Spielfilmen endgültig auf die führende Partei, die SED, über. Der demokratische Kurs der Filmpolitik, den die sowjetischen Besatzer durchzusetzen bemüht waren, wurde allmählich aufgehoben. Die SED begann, eigene staatliche und parteiliche Zensurinstitutionen zu errichten, die sie zunehmend perfektionierte.

 

3.1.2. Ausbau der Zensurinstitutionen in der frühen DDR


 

Innerhalb der SED war ab Mitte 1949 die Abteilung Kultur und Agitation für den Film zuständig. Ein Jahr später wurde die DEFA-Kommission beim Politbüro eingesetzt, die von nun an als maßgebliche ideologische Entscheidungsinstanz galt und sich vor allem für die Abnahme der Filme verantwortlich zeigte. Diese Kommission bestand vorwiegend aus hochrangigen Spitzenfunktionären der SED. DEFA-Mitarbeiter standen nur beratend zur Seite.[73] Das weist darauf hin, daß von Anfang an politische Absichten über die künstlerischen gestellt wurden.

 

Die DEFA –Kommission setzte die Vorgaben der SED sogleich in ihre Arbeit um und verfügte über das erste Verbot eines DEFA-Films überhaupt: Das Beil von Wandsbek von Falk Harnack (1951).[74] Unmittelbar nach diesem Eingriff verpflichtete das Politbüro die DEFA-Kommission, ihre Kontrollfunktion noch intensiver wahrzunehmen und schon Drehbücher bzw. Szenarien sorgfältig zu prüfen.

 

Die Partei perfektionierte Anfang der 50er Jahre die Mechanismen zur Kontrolle über die Filmproduktion und sicherte damit die Umsetzung ihrer Ideologie auf institutioneller Ebene ab. Im Zuge der Filmkonferenz 1952, mit der ein harter, ideologischer  Kurs in der Kulturpolitik durchgesetzt werden sollte[75], wurde das Staatliche Komitee für Filmwesen gegründet, das dem Ministerrat unterstellt war. Das Staatliche Komitee übernahm die Leitung und Kontrolle des gesamten Filmwesens. Das bedeutete, daß alle Filmhersteller eine Lizenz und sämtliche zur öffentlichen Vorführung gelangenden Filme eine Zulassung durch die neue staatliche Behörde benötigten. Diese Kontrolle ermöglichte es nach Ansicht der SED, die nationale Kultur und den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu fördern. [76]

 

Damit existierte eine staatliche Großbehörde, die die Aufgaben eines Wirtschaftsministeriums wahrnahm und gleichzeitig kulturpolitische bzw. Ideologiefragen

 

betreute. Ihr unterlagen sämtliche Sektoren des Filmproduktions- und Verwertungsprozesses.[77] Speziell für die Kontrolle der Filmproduktion wurden zwei Referate eingerichtet: Das Hauptreferat „Szenarien“ studierte und bewertete die eingereichten Drehbücher und literarischen Vorlagen für Filme, das Hauptreferat Filmkontrolle war für die Abnahme aller DEFA-Produktionen zuständig.[78] Damit wurde die zweifache Kontrolle der Filme durch eine Vor- und  Nachzensur gewährleistet. Der Wirkungskreis des Staatlichen Komitees für Filmwesen blieb jedoch begrenzt. Die DEFA-Kommission des Politbüros behielt weiterhin die Dominanz in personell-künstlerischen Fragen, in der Bewertung der Drehbücher und der Filmabnahme.[79] Die Parteiführung bewahrte somit die Kontrolle über die Arbeit der staatlichen Institution.

 

Der Neue Kurs, der nach dem Aufstand des 17. Juni und dem Tode Stalins 1953 eingesetzt hatte, begründete eine liberale Filmpolitik. Filmemacher forderten mehr Freiheit in der Gestaltung von Themen und Genres, denen die Partei  zustimmte.[80] Aus den Abteilungen der bis dahin einheitlichen DEFA wurden Studios gebildet, die ab Anfang 1953 den Status eines Volkseigenen Betriebes (VEB) erhielten: DEFA-Studio für Spielfilme (Hauptdirektor: Hans Rodenberg), DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme (Direktor: Günter Klein) sowie je ein Studio für populärwissenschaftliche Filme und Synchronisation.[81]

 

Ende 1953 begann die SED mit der Umbildung des Kontrollapparats, in deren Ergebnis die Errichtung einer zentralen Kulturbehörde stand. Mit der Gründung des Ministeriums für Kultur etablierte sich ein System der doppelten Zensurausübung, das bis 1989 wirkte: Die Kontrolle über das Filmwesen erfolgte einerseits durch staatliche Instanzen, andererseits behielt sich die Partei selbst die oberste Entscheidungsgewalt vor. Der Staat galt der SED dabei als Hauptinstrument zur Durchsetzung ihres...

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