Kapitalbedarf in Unternehmen entsteht dadurch, dass dem Unternehmen für zu leistende Auszahlungen keine Einzahlungen in zumindest gleicher Höhe gegenüberstehen. Der Kapitalbedarf hängt sowohl von der Höhe der Ein- und Auszahlungen als auch von deren zeitlichen Versatz ab. Im Hinblick auf die Kapitalsbedarfsermittlung ist zwischen dem Bedarf im Zusammenhang mit der Gründung oder Erweiterung des Geschäftsbetriebs und dem Bedarf im laufenden Geschäftsbetrieb zu unterscheiden. Hier soll zunächst die Kapitalbedarfsermittlung bei Gründung oder Erweiterung betrachtet werden, bevor im nächsten Kapitel auf die Ermittlung des laufenden Kapitalbedarfs im Rahmen der Finanzplanung eingegangen wird.
Der Kapitalbedarf bei Gründung oder Erweiterung des Geschäftsbetriebs setzt sich aus dem Anlagekapitalbedarf und dem Umlaufkapitalbedarf zusammen. Der Gesamtkapitalbedarf ergibt sich aus der Summe von Anlage- und Umlaufkapital.
Zum Anlagekapitalbedarf gehören insbesondere die zu leistenden Zahlungen für die benötigten Betriebsmittel, für eiserne Bestände, für die Gründung des Unternehmens (z.B. Gerichts- und Notarkosten) sowie für die Ingangsetzung des Geschäftsbetriebs (z.B. Personalbeschaffung, Markteinführungswerbung).
Bei der Ermittlung des Umlaufkapitalbedarfs ist zunächst die Kapitalbindungsdauer zu ermitteln, wobei zwischen Lohneinsatz, Materialeinsatz und zahlungswirksamen Gemeinkosteneinsatz zu unterscheiden ist:[3]
Beispiel:
Die Solar Energy GmbH plant die Errichtung einer neuen Produktionsstätte zur Herstellung von Fotovoltaik-Anlagen. Folgende Daten wurden im Rahmen der Vorprojektierung ermittelt:
auf einem bereits vorhandenen Grundstück soll ein Fabrikgebäude für 1.250.000 € errichtet werden
neue Maschinen für 2.750.000 € werden benötigt
für die Betriebs- und Geschäftsausstattung werden 500.000 € veranschlagt
Personalanwerbungskosten 100.000 €
Für das Umlaufvermögen wird von folgendem täglichen Bedarf ausgegangen:
Materialeinsatz 5.000 €
Lohneinsatz 10.000 €
zahlungswirksame Gemeinkosten 8.000 €
Die Rohstofflagerdauer beträgt 20 Tage, das Lieferantenziel 14 Tage, die Produktionsdauer 5 Tage, die Lagerdauer der Fertigprodukte 10 Tage und das Debitorenziel 30 Tage.
Die Finanzplanung dient der Ermittlung des laufenden Kapitalbedarfs sowie der Sicherung der Liquidität. Dabei wird vom Bestand an Zahlungsmitteln zum Beginn des Planungszeitraums ausgegangen und die zu erwartenden Einzahlungen und Auszahlungen berücksichtigt. Somit lässt sich der jeweilige Endbestand an Zahlungsmitteln bestimmen. Ist dieser positiv, besteht die Möglichkeit, überschüssige Zahlungsmittel anzulegen. Ein negativer Endbestand bedeutet Finanzierungsbedarf, der z.B. über Kredite zu decken ist.
Die Finanzplanung wird i.d.R. als Monatsrechnung in Tabellenform dargestellt:[4]
Nachfolgend ein Beispiel für einen stark vereinfachten Finanzplan Januar bis Juni. Es liegen folgende Daten vor:
Einzahlungen monatlich:
Auszahlungen monatlich:
Damit lässt sich der folgende Finanzplan erstellen:
Aus dem Finanzplan ergibt sich für den Monat April ein Finanzierungsbedarf in Höhe von 3.100 €, welcher z.B. durch einen Kontokorrent-Kredit gedeckt werden könnte.
Etwas schwieriger wird die Erstellung des Finanzplans, wenn die monatlichen Einzahlungen erst ermittelt werden müssen und die Umsatzsteuer berücksichtigt wird.
Dazu folgendes Beispiel:
Für die Fahrrad-GmbH soll ein Finanzplan für das 2. Quartal erstellt werden. Es liegen folgende Absatzzahlen (=Produktionszahlen) des ersten Halbjahres vor (1. Quartal Ist-Zahlen, 2. Quartal Plan-Zahlen):
Der Netto-Preis eines Fahrrades beträgt 350 €. Die Kunden zahlen die Rechnungen erfahrungsgemäß wie folgt:
An weiteren Daten zu zahlungswirksamen Vorgängen sind bekannt:
Materialkosten 80 € netto pro Stück, die Zahlung erfolgt im Monat vor der Produktion
Die Fahrrad-GmbH legt bei der Umsatzsteuer die Versteuerung nach vereinbarten Entgelten zugrunde, die Umsatzsteuer-Zahllast wird am 10. des Folgemonats überwiesen.
Der Endbestand an Zahlungsmitteln zum 31.3. beträgt 5.000 €.
Um den Finanzplan zu erstellen, müssen zunächst die erhaltenen Einzahlungen aus Umsatzerlösen für die Monate Februar bis April, die Materialkosten für die Monate Mai bis Juli und die Umsatzsteuer-Zahllast für März bis Mai berechnet werden, da diese im 2. Quartal zahlungswirksam werden.
Im April ergeben sich z.B. folgende Einzahlungen (netto):
Auf die Summe dieser Beträge sind dann die 19% erhaltene Umsatzsteuer als Einzahlung zu berücksichtigen. In den Folgemonaten ist entsprechend zu rechnen.
Für die Monate April bis Juni sind die Brutto-Auszahlungen für Material wie folgt zu berechnen:
Die Berechnung der Umsatzsteuer-Zahllast erfolgt, indem die Umsatzsteuer auf die gestellten Rechnungen des laufenden Monats vermindert um Korrektur für gezogenes Kundenskonto und die Vorsteuer, welche in den Materialrechnungen und den sonstigen Kosten sowie der Investition im Mai enthalten ist. Es ergibt sich folgende Rechnung:
Damit lässt sich nun der Finanzplan für das zweite Quartal erstellen:
Der Finanzplan zeigt für den Monat Mai einen Finanzierungsbedarf in Höhe von 20.473 €.
Übungsaufgaben zu Kapitel 2.1 und 2.2.
5. Ein Einzelhändler plant, eine weitere Filiale zu eröffnen. Dazu wird ein Gebäude benötigt, für dessen Anschaffung 360.000 € (incl. Nebenkosten) benötigt werden. Die Geschäftsausstattung wird mit 144.000 € veranschlagt, der eiserne Bestand an Waren mit 12.000 €.
Für den Wareneinkauf ist ein Betrag von 3.600 € täglich zu berücksichtigen, für die auszahlungswirksamen Handlungskosten 720 € pro Tag.
Das Lieferantenziel beträgt 30 Tage, die Lagerdauer 15 Tage und das Kundenziel 60 Tage.
Ermitteln Sie den Kapitalbedarf.
6. Eine Brauerei will ein neues Zweigwerk zur Herstellung von Bionade errichten. Folgende Daten sind bekannt:
Weiterhin soll ein eiserner Materialbestand berücksichtigt werden, der dem Verbrauch von 10 Tagen entspricht.
Die Materiallagerdauer beträgt 14 Tage, das Lieferantenziel 10 Tage, die Produktionsdauer 9 Tage, die Lagerdauer der Fertigprodukte 12 Tage und das Debitorenziel 23 Tage.
Ermitteln Sie den Kapitalbedarf.
7. Erstellen Sie einen Finanzplan für ein Unternehmen für das erste Halbjahr, wenn folgende Daten gelten (unter Vernachlässigung der Umsatzsteuer):
Schätzen Sie die Liquiditätssituation ein. Welche Vorschläge würden Sie unterbreiten?
8. Sie sollen den Finanzplan für einen Getränkehändler für das 2. Quartal erstellen. Dazu liegen Ihnen folgende Daten vor:
Für den Wareneinkauf wurden im März 38.080 € (brutto) aufgewendet, ab April wird mit monatlich 35.700 € (brutto) gerechnet. Die Zahlungen für den Wareneinkauf sind sofort fällig. Weiterhin sind folgende Ausgaben zu berücksichtigen:
Miete pro Monat 500 € (umsatzsteuerfrei)
Jeweils zum Quartalsende wird die betriebliche Versicherung in Höhe von 350 € fällig.
Personalkosten pro Monat 3.150 €
Monatliche Kreditrate 1.500 €
Steuervorauszahlungen: 4.000 € im Mai (GewSt.), 5.000...