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E-Book

Fische gegen Krebs

Die Krankheit, mein Leben und ich

AutorSonja Funke
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783451802041
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Überbordend und nachdenklich zugleich, unprätentiös und mit einer gehörigen Portion Galgenhumor erzählt Sonja Funke die Geschichte ihrer Krankheit. Sie ist 37 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Es folgt der übliche Therapieverlauf: OP, Chemotherapie, Bestrahlung. Sie erfährt viel Unterstützung durch ihr Umfeld, sieht sich aber auch mit völligem Unverständnis konfrontiert, begegnet hervorragenden Ärzten, aber auch solchen, die besser umschulen sollten. Schließlich zerbricht auch ihre Beziehung. Eine Achterbahn der Gefühle und ein außergewöhnliches Buch.

Sonja Funke, geboren 1972 in Düsseldorf, studierte Germanistik und BWL. Sie arbeitet als Redakteurin und lebt in Frankfurt.

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Leseprobe

1. Träume, Hoffnungen, Wünsche


Mein Freund, seine Kinder und ich


Mein Freund, seine Kinder und ich sind in der Stadt. Mein Freund und sein Sohn müssen etwas besorgen. Sie brauchen etwa zwanzig Minuten. Die Männer ziehen los. Wir Mädels sollen uns die Zeit vertreiben. Wir stehen mitten in der Fußgängerzone. Hanna sieht mich an. „Was machen wir jetzt?“ Ich sehe Hanna an. Was tut man mit einer Achtjährigen zwanzig Minuten in der Innenstadt? Ich habe keine Ahnung. „Hmm. Wozu hast du denn Lust?“ Sie vergräbt die Hände tief in den Jackentaschen, zieht die Schultern hoch: „Keine Ahnung!“ Kein Wunder. „Wir können ja auf ein Hochhaus fahren und schauen, wie weit man von dort oben gucken kann.“ „Au ja.“ Es klingt wenig begeistert. Um uns herum ist es voll, hektisch und ungemütlich. Kaffee trinken? Zu H&M? In einen Buchladen? Vermutlich alles wenig erbauliche Vorschläge für ein Kind. Plötzlich habe ich eine Idee. „Komm mit“, sage ich und ziehe Hanna am Arm. „Ich zeig dir was.“ „Waaas?“, fragt sie leicht genervt. „Einen meiner Lieblingsplätze in der Stadt.“ Sie guckt kritisch. Ich ziehe sie um zwei Häuserecken und schiebe sie durch ein Tor. Mitten hinein in den Hinterhof einer Kirche, gleich bei der Fußgängerzone. Dort im Hof stehen ein paar Bänke, ein Marienbild, Kerzen zum Anzünden. Der Lärm der Stadt prallt an den Mauern des Kirchhofs ab. Es ist friedlich. Hanna staunt. Sie will eine Kerze anzünden. Ich sage ihr, dass sie sich dabei etwas wünschen soll. „Geht das dann in Erfüllung?“ „Bestimmt!“ „Gehen wir auch in die Kirche?“ Nun staune ich. An der Tür ein Handy-Verbotsschild: „Gott erreicht dich ohne Worte.“ Schnell stelle ich den Klingelton ab – und rein. Drinnen beginnt gerade eine Messe. Wir bleiben stehen. Hanna zieht mich am Arm und drückt sich auf eine Holzbank. Wir lauschen der Orgelmusik. „Darf ich ein Gesangbuch holen?“, flüstert sie. Klar. Während Hanna das Buch holt, schaue ich verstohlen auf mein Handy. Mist. Drei unterdrückte Anrufe und zwei SMS vom Freund. „Wo seid ihr?!“ Was soll ich tun? Hanna drückt sich gerade wieder neben mich auf die Bank, hält mir das aufgeschlagene Buch unter die Nase. „Sing!“ Ich singe. Während ich singe, fange ich an zu überlegen. Beim Freund scheint es dringend zu sein. Wenn ich vielleicht das Telefon in den Mantelärmel … und dann ganz leise spreche … während alle singen …? Nein. Nicht gut, denke ich. Neben mir steht Hanna und singt aus voller Kehle mit. Sie hat offensichtlich Spaß. Das Handy vibriert. Neue SMS. „Wo seid ihr denn? Ich erreich euch nicht“, simst der Freund. Ich blicke mich verstohlen um. „In der Kirche“, simse ich. Die alte Dame neben mir sieht mich an. Ertappt. Ich werde knallrot und lasse das Telefon in meiner Jacke verschwinden. Ich fühle mich, als hätte ich einen Lippenstift geklaut. Kommt man ins Fegefeuer, wenn man im Gotteshaus eine SMS verschickt? Hanna blickt mich an. Sie singt weiter. Inbrünstig. Ich atme tief durch. Das Telefon vibriert schon wieder. Ich versuche, es zu ignorieren. Das gelingt mir exakt drei Sekunden. „Woooo seid ihr???“, simst der Freund. „Wann können wir uns treffen?“ Mir ist heiß. Ich bin hin- und hergerissen. Zwischen dem Kind, das selig singend neben mir steht, dem Freund, der es offenbar eilig hat, und dem drohenden Fegefeuer. Was tun? Hanna singt, der Freund simst, und ich schwitze. Endlich ist das Lied zu Ende. Hanna stößt mich an. „Guck mal“, flüstert sie. „Lass uns gehen“, flüstere ich zurück und ziehe an ihrer Hand. „Aber guck mal!“, flüstert sie. „Komm“, sage ich und stoße sie an. Sie rührt sich nicht. Sie starrt nach rechts. „DA!“, sagt sie eindringlich und etwas zu laut in die gerade totenstille Kirche: „Da ist einer von den sieben Zwergen!“ Ich bleibe stehen. Drehe mich um und sehe ein bärtiges Gesicht. Dort drüben steht ein Kapuzinermönch.

„Ich bin ganz sicher: Es ist nichts …“


Ich sitze beim Frauenarzt. Routineuntersuchung. Ultraschall vom Unterleib. „Oh, da haben Sie …“ „Ja?“ „… eine kleine Zyste.“ „Zyste?“ „Ja, an den Eierstöcken.“ Zyste? An den Eierstöcken? „Na ja, das kann man schon mal haben. Das ist nicht schlimm, das kann man ruhig so lassen.“ Ich will keine Zyste, ich will ein Kind! „Bin ich schwanger?“ „Nein.“ Wie nein? Der Eisprung! Das ist sicher der Eisprung. Schließlich habe ich immer kräftig mitgezählt – es muss der Eisprung sein. Ich weiß es genau. Aber wieso erkennt er den denn nicht? Als Frauenarzt? Das müsste er doch sehen. Der muss doch einen Eisprung von einer Zyste unterscheiden können. Komisch. Vielleicht hat er nicht so genau hingeschaut.

Es geht schon weiter. Ultraschalluntersuchung der Brust. Rechte Seite. „Alles in Ordnung, alles wunderbar“, sagt er und kurvt inzwischen mit dem Ultraschalldings über die linke Brust. Glitschig, dieses Glibbergel. Und kalt. „Ist auch alles wunder-“ Er hat das Wort schon halb ausgesprochen, dann stockt er. „Was ist das denn?“ Er tastet nochmal, guckt, tastet, fährt nochmal mit dem Ultraschall hin und her. Guckt. Tastet. Ultraschall. „Nee. Ist auch alles in Ordnung, ist auch wunderbar. Ein bisschen verdicktes Gewebe. Kann man schon mal haben. Ist alles kein Problem, alles in Ordnung.“

Nachdenklich gehe ich nach Hause. Zweimal „Kann man schon mal haben“ in einer Untersuchung finde ich ein bisschen viel. Einmal stutzen – okay. Aber zweimal? Ich weiß nicht. Vielleicht gehe ich doch lieber noch mal zu einer anderen Ärztin?

Bisher fand ich den Arzt gut. Er ist ein angesehener Frauenarzt, das weiß ich sicher. Aber – und auch das ist sicher – er hört inzwischen ziemlich schlecht. Das ist mir nicht nur bei dieser Untersuchung wieder aufgefallen, auch bei den vorherigen Untersuchungen hatte ich schon den Eindruck, dass ich sehr laut und langsam sprechen muss. Ist ja auch nicht schlimm. Wird halt auch immer älter, der Gute. Aber vielleicht sieht er auch einfach nicht mehr so gut?

Ich entschließe mich, noch zu einer anderen Frauenärztin zu gehen. Bei meinem Hausarzt in der Praxis ist eh eine, und ich habe schon öfter gedacht, dass es eigentlich ziemlich praktisch wäre, alles in einem Haus zu haben. Dann könnte ich die Termine gleich hintereinander machen und müsste nicht immer quer durch die halbe Stadt und in unterschiedliche Richtungen fahren, wenn ich mal zum Arzt will. Vielleicht ließe sich das dann sogar in der Mittagspause erledigen. Ich nutze die Gelegenheit, um diese Ärztin zu testen.

Ich erzähle ihr von der vorangegangenen Untersuchung. Sie kennt den Arzt, bekräftigt seine Kompetenz und wiederholt die Ultraschalluntersuchung. „Also, ich bin mir eigentlich auch sicher, dass da nichts ist. Das ist alles in Ordnung. Aber ich bin ja jetzt hier schon der Check-up. Und um wirklich ganz, ganz sicher zu gehen … –, also, ich würde sagen, zu 98 Prozent, das ist alles in Ordnung.“ Sie guckt noch einmal genau auf das Ultraschallbild und dreht den Bildschirm so, dass ich es sehen kann. Ich erkenne gar nichts. „Also da“, sie drückt mit dem Ultraschalldings auf meiner Brust rum, „da ist was, da sehe ich was. Aber ich bin mir sicher, dass das nichts Schlimmes ist. Aber das ist …, nur weil ich jetzt hier schon der Gegencheck bin – …, also wenn Sie jetzt bei mir zum ersten Mal wären, würde ich auch sagen, ist alles in Ordnung. Aber weil ich jetzt hier schon die Kontrollperson bin, schicke ich Sie noch mal zur Mammographie. Gehen Sie doch mal kurz eben gegenüber in das Gebäude.“ Sie zeigt aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Haus. „In der Praxis gegenüber ist eine Mammographie, machen Sie die mal eben. Ich rufe an, dass Sie heute drankommen. Aber gehen Sie nur zu Frau Doktor Sachs. Sagen Sie, ich hätte Sie geschickt, und bestehen Sie darauf, zu Doktor Sachs zu kommen.“

Also latsche ich gegenüber in die Praxis. Dass ich meine Mittagspause so dermaßen überziehe, war nicht abgesprochen. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Kurzer Anruf in der Redaktion. Dort ist heute viel zu tun, und die Stimmung ist nicht gut. Meine ausgedehnte Mittagspause trägt nicht zur Verbesserung der Lage bei. Mist. Bestimmt gibt es Stunk, wenn ich nachher zurückkomme. Aber das muss jetzt sein. Ich sitze in der Praxis und warte. Ewig. Das Wartezimmer ist voll. Ich warte, warte, warte. Nach einer gefühlten Ewigkeit frage ich die Dame an der Rezeption, wie lange es denn wohl ungefähr dauern wird, bis ich drankomme. „Sie sind doch erst seit zehn Minuten da. Ein bisschen Geduld brauchen Sie schon.“ Die Ärztin sei grad in der Mittagspause. Wenn sie zurückkomme, sei erst noch eine andere Patientin dran. Was? Und die Untersuchung selbst? Woher sie das denn wissen solle? Ja, woher eigentlich. Aber wie lange so Mammographien halt sonst so üblicherweise dauern? Vierzig Minuten. Oder so. Huch! So lange? Ja, klar, die Bilder müssen erst einmal gemacht werden. Ich setze mich wieder ins Wartezimmer. Zappel auf meinem Stuhl hin und her. Und warte. Tief ein- und ausatmen. Meine Fußspitzen trommeln auf den Boden. Nach dreieinhalb Minuten beschließe ich: So geht das nicht. Ich will einen anderen Termin. Ich kann jetzt nicht untätig hier rumsitzen, und in der Redaktion ist die Hölle los. Das gibt dort einen Riesenärger, wenn ich statt dreißig Minuten drei Stunden Mittagspause mache. „Aber Sie sollten doch …“ „Ja, ja, aber jetzt muss ich halt eben gehen, und ich komm später nochmal wieder. Am späten Nachmittag. Oder morgen. Aber jetzt muss ich zurück zur Arbeit.“ Im Laufschritt flitze ich ins Büro – leider bin ich nicht vor dem Anpfiff der Kollegen zurück.

Irgendwie finden Doktor Sachs und ich in den...

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