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E-Book

Flüchtlinge verstehen

Wer sie sind, was sie von uns unterscheidet und was das für uns bedeutet

AutorRudolf Stumberger
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783959713498
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Flüchtlingskrise ist allgegenwärtig. In den Medien nimmt die Berichterstattung darüber, woher die Flüchtlinge kommen, welches ihre Motive sind, wie sie sich verhalten und wie man sie integrieren kann, einen sehr großen Teil ein. Aber allzu oft vergessen wir, dass es den einen Flüchtling nicht gibt. Die Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, setzen sich aus verschiedenen Gruppen und Ethnien zusammen, die zudem über sehr unterschiedliche soziale, kulturelle und religiöse Hintergründe verfügen. Der Soziologe und Journalist Rudolf Stumberger analysiert und charakterisiert in seinem Buch Flüchtlinge verschiedener Herkunft: Was unterscheidet Afghanen von Syrern und Irakern, aus welchen Gründen fliehen Albaner, Libyer oder Eritreer aus ihren Ländern? Wie sieht die Gesellschaft der Herkunftsländer aus und über welches Frauenbild verfügt man dort? Dieses Buch schafft Klarheit, indem es erklärt, wie die verschiedenen Gruppen denken, was sie geprägt hat, warum sie uns fremd erscheinen und was wir über die Menschen, die bei uns Schutz suchen, sonst noch wissen müssen.

Rudolf Stumberger, geboren 1956 in München, studierte Soziologie, Publizistik und Volkswirtschaft und lehrt als Privatdozent Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er arbeitet als freier Journalist und Publizist in München. Er hat bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht.

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Leseprobe

Einleitung

Menschen auf der Flucht


Seit einigen Jahren gehören sie in Deutschland zum medialen Alltag: verstörende Bilder von Menschen auf der Flucht, die sich im Meer an Boote klammern oder die an Land in Zeltlagern hausen. Familien mit Kindern, Männer, Frauen, Jugendliche. Viele sind seit 2015 schon in Deutschland, beantragen hier Asyl, sind zu Nachbarn in den Asylbewerberunterkünften geworden. Und viele sind noch unterwegs im großen Flüchtlingstreck, in dem die Menschen Schutz vor Bürgerkrieg, Hunger und Verfolgung suchen.

Auf den Fotos der Nachrichtenagenturen und in den Bildberichten der Tagesschau erscheinen diese Flüchtlinge als eine große, einheitliche Gruppe, die sich auf dem Weg befindet. Und der Begriff des Flüchtlings verdeckt die Tatsache, dass es sich bei jedem Migranten um einen Menschen mit eigener Geschichte, mit eigenem Herkunftsland und eigenem kulturellen Hintergrund handelt. Die Unterschiede können dabei sehr groß sein und der Asylbewerber aus dem Osten Äthiopiens hat wenig mit der Flüchtenden aus den Bergen Afghanistans zu tun. Und sie wiederum unterscheidet sich von dem Migranten aus dem Kosovo ebenso wie von der aus dem Norden von Syrien geflohenen Kurdin. Gemeinsam ist ihnen allen ihre Notlage.

Dieses Buch soll helfen, die Flüchtenden kennenzulernen. Wer sind sie, woher kommen sie, was haben sie für eine Mentalität und welchen kulturellen Hintergrund, was ist ihre Religion und was sind die Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen haben? Welche Sprache sprechen sie? Wie ist dort die Stellung der Frau und wie ist die Situation der Menschenrechte? Wie sind die Menschen durch die Geschichte ihres Landes geprägt, warum kam es dort zu Bürgerkrieg und Gewalt? Wie ist die soziale und wirtschaftliche Lage in ihren Heimatländern?

Diese Fragen werden in einzelnen Kapitel zu den jeweiligen Flüchtlingsregionen beantwortet. Diese Flüchtlingsregionen sind der Nahe Osten (Irak, Syrien) und Afghanistan; der Maghreb (Libyen, Tunesien und Algerien); Ostafrika (Äthiopien, Eritrea, Somalia) und der Balkan (Kosovo, Albanien).

Drei Szenen

Wer sich vergegenwärtigen will, wie sehr das Thema Flüchtlinge seit zwei Jahren die Menschen und die Politik in Deutschland bewegt, dem seien folgende drei Szenen in Erinnerung gebracht.

München, Montag, 7. September 2015: Normalerweise warten auf dem Platz neben dem Münchner Hauptbahnhof die Taxis auf ihre Fahrgäste und von hier startet der Shuttle-Bus zum Flughafen. Doch seit dem Wochenende stehen da mehrere weiße Zelte mit der Aufschrift »Medizinisches Katastrophen-Hilfswerk Deutschland«, der Platz ist durch Sperrgitter und die Polizei abgeschirmt. Seit Freitagabend sind hier 20 000 Flüchtlinge mit Zügen aus Budapest angekommen, für den heutigen Montag werden weitere 10 000 erwartet. Auch jetzt bewegt sich in der Absperrung eine Gruppe Menschen in Richtung der wartenden Busse, einige haben eine Decke um die Schultern, über Nacht ist es kalt geworden. Nein, sagt einer der Polizisten, er wisse nicht, wohin die Busse führen, irgendwo zu einer Unterkunft in der Stadt. Seit sechs Uhr morgens macht er hier mit den Kollegen seinen Dienst, an diesem Montagvormittag kommen an die 300 Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof an, die meisten auf Gleis 26, mit dem Zug aus Budapest oder aus Salzburg. Draußen an der Absperrung steht Bastian, seine zwei Lieblingsplüschtiere in der Hand. Bastian ist sechs Jahre alt und kommt aus Ingolstadt, er will die Tiere einem Flüchtlingskind schenken. »Schau, da drüben kannst du sie übergeben«, sagt seine Mutter und zeigt auf eine Lücke in der Absperrung. Ein paar Meter weiter gibt Elizabeth Matzinger, Pressesprecherin der Polizei, den Journalisten einen Überblick. Nein, man könne derzeit noch nicht abschätzen, wie viele Menschen noch kommen würden. Ja, die Polizei sorge dafür, dass alles friedlich und geordnet ablaufe, an die 70 Beamte seien im Einsatz, dazu noch weitere 70 von der Bundespolizei. Nein, die Ankommenden würden nicht registriert, sie erhielten Essen und Trinken sowie medizinische Versorgung, dann würden sie mit Bussen auf die Unterkünfte in München, Bayern und die anderen Bundesländer aufgeteilt. Die Polizistin steht vor dem Starnberger Bahnhof, einem Flügel des Hauptbahnhofes. Hierher werden die Flüchtlinge von den Zügen geleitet und dann in Empfang genommen, auch dieser Bereich ist abgesperrt. »Welcome to München« steht in bunten Lettern auf einem Pappschild, andere Begrüßungsschilder sind auf Arabisch.1

Idomeni in Griechenland an der Grenze zu Mazedonien, Sonntag, 24. April 2016: Der Flüchtlingsort ist ein großes, wildes Zeltlager mit dem alten Bahnhof und den Gleisen als Mittelpunkt, im Norden begrenzt durch den Zaun mit Stacheldraht. Nach der Schließung der Grenze harrten hier bis zu 15 000 Menschen aus, derzeit sind es noch rund 10 000 Flüchtlinge, die auf eine Besserung ihrer Lage hoffen. In den Zelten, den alten Gebäuden und den ausrangierten Eisenbahnwaggons hausen oft ganze Familien, groß ist die Zahl der Kinder, die unbeaufsichtigt durch das Gelände streunen. Heute ist Sonntag und ein seltsamer Frieden liegt mittags über dem Lager. Zwischen den aus alten Brettern und Decken zusammengeflickten Hütten und den bunten Kuppelzelten steigt ab und zu Rauch in den blauen, sonnigen Himmel auf, manche Familien kochen sich ihr Mittagessen auf improvisierten Feuerstellen selbst. Menschen kauern vor ihrem Unterschlupf, Kinder spielen im Sand. »Hello, friend« ist ihr Standardsatz, wenn die Leute aus den NGOs (Nichtregierungsorganisationen) vorbeigehen. Männer sind dabei, irgendwo Holz zu organisieren, sehr gefragt sind die Steckdosen in einem Raum des alten Bahnhofgebäudes, hier können die Akkus der Handys aufgeladen werden – sie sind eines der wichtigsten Dinge im Camp, um Informationen über die aktuelle Lage zu erfahren. Ein paar hundert Meter vom Bahnhofsgebäude entfernt endet das Lager am Grenzzaun. Metallisch glänzt er in der Sonne und im Stacheldraht hängen zerfetzte Wolldecken mit der Aufschrift des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nation und Reste von Kleidungsstücken. Ein verbeultes Blechschild trägt die Aufschrift »Staatsgrenze« und verweist mit einem Pfeil auf einen »Checkpoint« zur Registrierung, das Ganze auch in arabischer Schrift. Von einem Checkpoint ist allerdings nichts zu sehen, nur die Gleise, die hinüber nach Mazedonien führen. Quer über die Schienen versperrt ein schweres Eisengitter den Zugang, direkt dahinter ist ein Militär-Panzerwagen mit Tarnbemalung postiert.2

Das Lager wurde am Montag, 23. Mai 2016 von der Polizei ohne Gewalt geräumt, die Flüchtlinge in vom Militär kontrollierte Camps in Griechenland gebracht.

Irgendwo im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien, 27. Mai 2016: Die Hilfsorganisation Seawatch meldet auf Facebook: »Unsere Crew trifft gerade am Schauplatz eines gekenterten Holzbootes mit vielen Menschen an Bord ein. Einige befinden sich noch im Wasser. Anzahl an Toten unklar. Die vorhin geretteten 120 Menschen ruhen sich derweil auf unserem Deck von den Anstrengungen der Flucht aus.«3 Auch ein totes Baby wird aus dem Wasser geborgen. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der UNO sind in der vergangenen Woche an die 700 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken.

Zuvor hatte am 13. Mai 2016 das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gemeldet: »Rund 1000 Flüchtlinge und Migranten verschiedener Nationalitäten sind gestern in mehreren von Frontex koordinierten Operationen gerettet worden, darunter geflüchtete Familien und unbegleitete Minderjährige. In einem Einsatz vor der Küste Siziliens wurden etwa 500 Menschen, die in zwei Fischerbooten einige Tage zuvor von Ägypten aus gestartet waren, südöstlich von Kap Passero gerettet.« Frontex ist eine Behörde der EU, die den Schutz der Außengrenzen koordiniert.

Diese drei Szenen rahmen das sich seit 2015 abspielende Flüchtlingsdrama ein. Warum sich die Flüchtlingssituation in Europa plötzlich verschärfte, hat verschiedene Ursachen. Ein Hauptgrund war sicherlich, dass der Bürgerkrieg in Syrien unvermindert weiterging und die Menschen dort keine Perspektive mehr für sich sahen. Zudem kürzten die Internationalen Organisationen ihre Hilfen für die Flüchtlinge in den Lagern Jordaniens und der Türkei, sodass sich die Lage dort rapide verschlechterte. Daher machten sich die Menschen auf den Weg über den Balkan. Bis zum August 2015 waren rund 160 000 Flüchtlinge insbesondere aus Syrien nach Griechenland gekommen. Die Lage in den Aufnahmelagern dort war katastrophal, viele Flüchtlinge wollten auf der sogenannten Westbalkanroute über Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich und von dort aus weiter nach Deutschland und Schweden reisen. So kamen mehr als 150 000 Flüchtlinge bis nach Ungarn. Viele wollten von Serbien aus in das Land, bevor der angekündigte ungarische Grenzzaun fertiggestellt war. Ende August 2015 erklärte das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, syrische Flüchtlinge würden nicht mehr in andere EU-Staaten zurückgeschickt. Damit wurde das Dublin-Abkommen praktisch außer Kraft gesetzt, demzufolge Flüchtlinge in dem Land der Europäischen Union Asyl beantragen müssen, das sie als Erstes betreten. Danach versuchten viele Syrer, aus Ungarn über Österreich nach Deutschland zu gelangen: zu Fuß, per Bahn, mit dem Bus. Tausende von Flüchtlingen versammelten sich am Bahnhof in Budapest, Anfang September 2015 ließ man sie mit dem Zug ausreisen. So kamen innerhalb von wenigen Tagen Zehntausende Flüchtlinge nach Deutschland und...

Blick ins Buch

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