Die folgende Untersuchung ist ein Forschungsvorhaben im betrieblichen Umfeld, bei dem wissenschaftliche Interessen und praktische Relevanz bzw. Bedürfnisse des Unternehmens miteinander verbunden werden. Der Anspruch der Arbeit ist es, zum einen bestehende Ansätze zu integrieren und im Rahmen der gegebenen betrieblichen Bedingungen einer ersten empirischen Prüfung zu unterziehen, zum anderen neue Hinweise für weitere integrative, ganzheitliche und umfassende (siehe 2.4.2) Transferforschung zu geben.
Ziel dieser Diplomarbeit ist es, empirisch zu untersuchen, inwiefern Zusammenhänge zwischen aus der Literatur herausgearbeiteten Faktoren und Transfererfolg im Feld bestehen.
Dafür muss Transfererfolg angemessen operationalisiert und erfasst werden. Da auf kein geeignetes Instrument zurückgegriffen werden kann, stellt die Entwicklung und Erprobung eines neuen Instruments zur Erfassung von Transfererfolg einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zu erstgenanntem Ziel dar. Durch die Dokumentation und Diskussion dieses Zwischenschritts soll der hier anwandte Zugang zur Transfererfassung für weitere Untersuchungen nutzbar gemacht werden.
Von den Ergebnissen sind einerseits Hinweise auf die Beziehung zwischen den von Baldwin und Ford (1988) bzw. Rank und Wakenhut (1998) genannten Hauptfaktoren und Transfererfolg zu erwarten. Zum anderen sollen genauere Angaben darüber gemacht werden können, welche Unterfaktoren - und damit Operationalisierungen der Hauptfaktoren aus bisherigen Untersuchungen - mit dem Transfererfolg zusammenhängen. Weiterhin sollen die Ergebnisse einen ersten Einblick in das bisher ungeklärte Binnenverhältnis der Faktoren geben.
Darüber hinaus soll der Einfluss der Transferdauer auf diese Zusammenhänge untersucht werden.
Die Basis des Transfer- und Transferfaktorenverständnisses für diese Untersuchung bildet das Bedingungsmodell für Transfer von Rank und Wakenhut (1998) (siehe 2.4.2). Über deren Erkenntnisse hinaus liefert die Synthese aus bisherigen Forschungsergebnissen (siehe 2.4.3, 2.4.4. und 2.4.5) einzelne Operationalisierungen in Form von Unterfaktoren der drei von Baldwin und Ford (1988) bzw. Rank und Wakenhut (1998) übernommenen Hauptfaktoren (siehe 2.4.1. und 2.4.2). Somit gehen in die Untersuchung die drei Hauptfaktoren Teilnehmermerkmale, Trainingsdesign und Arbeitsumgebung ein. Dabei besteht der Hauptfaktor Teilnehmermerkmale aus drei, der Hauptfaktor Arbeitsumgebung aus vier Unterfaktoren. Dem Hauptfaktor Training werden fünf Aspekte (siehe 2.7) zugeordnet, die jedoch wie bereits unter 2.4 erläutert, keinen Faktorenstatus haben. Der Hauptfaktor Training ist deshalb Haupt- und Unterfaktor zugleich, integriert aber dennoch bisherige Aspekte zur transferfördernden Trainingsgestaltung.
Die Ausprägungen der Haupt- und Unterfaktoren sowie ihr Zusammenhang mit dem Transfererfolg werden für verschiedene Zeitpunkte nach dem Seminar ermittelt.
Anmerkung
Die Variable Anwendungsgelegenheit wird hier nicht als Unterfaktor eingeordnet, da sie in dieser Untersuchung eine Sonderstellung erhält: Aufgrund der Annahme, dass Transfer nur gemessen werden kann, wenn die Teilnehmer bis zur Erhebung Gelegenheit zur Anwendung hatten, wurde die Stichprobe unter dieser Prämisse ausgewählt (siehe 4.1.4). Für die Variable Anwendungsgelegenheit ist aufgrund der Stichprobenzusammensetzung kaum Varianz zu erwarten, weshalb sie nur zu zusätzlichen Kontrollzwecken erhoben wird.
Für eine umfassende Vorhersage von Transfererfolg muss zunächst geklärt werden, welche Förderfaktoren den größten Zusammenhang mit den Kriterien des Transfererfolgs haben. Dabei wird auf Grundlage des Modells von Rank und Wakenhut (siehe 2.4.2) davon ausgegangen, dass die drei Hauptfaktoren Teilnehmermerkmale, Training und Arbeitsumgebung jeweils einen statistischen Zusammenhang mit den Kriterien des Transfererfolgs aufweisen. Auf diese Weise soll zunächst überprüft werden, ob auf der Ebene dieser theoretisch entstandenen (vgl. Baldwin & Ford, 1988) Hauptfaktoren postulierte Zusammenhänge bestätigt werden können. Über die Größe der Zusammenhänge sowie die Zusammenhänge der einzelnen Unterfaktoren kann aus der Theorie keine eindeutige Aussage getroffen werden. Um spezifischere Aussagen über die Zusammenhänge zwischen Förderfaktoren und Transfererfolg zu überprüfen, gilt demnach empirisch nachzuweisen, inwieweit und in welchen Ausprägungen die Unterfaktoren in der Praxis realisiert sind und in welchem Maße sie mit den Kriterien des Transfererfolgs zusammenhängen. Die Befunde für die Hauptfaktoren, welche mehrere unterschiedliche Konstrukte umfassen, können somit durch Ergebnisse zu Zusammenhängen einzelner Unterfaktoren mit dem Transfererfolg ergänzt bzw. spezifiziert werden.
Aus den Befunden von Smith-Jentsch, Salas & Brannick (2001) geht weiterhin hervor, dass der Unterfaktor Locus of Control als Moderatorvariable für den Zusammenhang zwischen Unterstützung durch die Kollegen bzw. Führungskraft und Transfererfolg fungiert.
Fragestellung 1: Zusammenhang von Förderfaktoren mit dem Transfererfolg
Thesen:
1a Es besteht jeweils ein positiver Zusammenhang zwischen den Einschätzungen der drei Hauptfaktoren Teilnehmermerkmale, Training und Arbeitsumgebung und der Einschätzung des Transfererfolgs.
1b Die Einschätzung des Unterfaktors Locus of Control moderiert den Zusammenhang zwischen dem Unterfaktor Unterstützung durch Arbeitskollegen und dem Transfererfolg.
1c Die Einschätzung des Unterfaktors Locus of Control moderiert den Zusammenhang zwischen dem Unterfaktor Unterstützung durch die Führungskraft und dem Transfererfolg.
Offene Frage:
1d Welche der Unterfaktoren
Motivation, Locus of Control, Leistungs- und Karriereeinstellung
Training
Unterstützung durch die Führungskraft, Unterstützung durch die Kollegen, Zeit und organisationale Bedingungen
weisen den größten signifikanten Zusammenhang mit der Einschätzung des Transfererfolgs auf?
Des Weiteren soll die Auswirkung des Abstands zur Weiterbildungsmaßnahme auf Förderfaktoren und die Kriterien für Transfererfolg gemessen werden.
Befunde über den Einfluss der Transferdauer auf den Zusammenhang des Hauptfaktors Teilnehmermerkmale mit dem Transfererfolg sind nicht bekannt. Da es sich beim Hauptfaktor Teilnehmermerkmale um stabile Persönlichkeitseigenschaften handelt, wurde hier angenommen, dass sich der zeitliche Einfluss nicht auf deren Zusammenhang mit dem Transfererfolg auswirkt.
Aus den Befunden von Fleishman, Harris und Burtt (siehe 2.4.5) wird geschlossen, dass der Zusammenhang des Hauptfaktors Arbeitsumgebung mit dem Transfererfolg mit zunehmender Zeitdauer nach dem Seminar verschwindet.
Ob und inwieweit sich die Einschätzungen der Unterfaktoren bei unterschiedlicher Transferdauer unterscheiden, ist bisher noch ungeklärt und wird deshalb als offene Fragestellung formuliert. Des Weiteren interessiert, ob sich die Einschätzung der verschiedenen Transfererfolgskriterien zu den unterschiedlichen Umsetzungszeitpunkten unterscheidet. Da die bisherigen Ergebnisse hierzu uneinheitlich sind (vgl. 2.4.1) , wird auch dies als offene Frage formuliert.
Fragestellung 2: Zusammenhang Förderfaktoren und Transferdauer
Thesen:
2a Der positive Zusammenhang des Hauptfaktors Teilnehmermerkmale mit der Einschätzung des Transfererfolgs in der Stichprobe „Transfer kurz“ unterscheidet sich nicht von dem in der Stichprobe „Transfer lang“.
2b Der Zusammenhang des Hauptfaktors Arbeitsumgebung mit der Einschätzung des Transfererfolgs ist in der Stichprobe „Transfer kurz“ höher als in der Stichprobe „Transfer lang“.
Offene Fragen:
2c Unterscheiden sich die Einschätzungen der Unterfaktoren
Motivation, Locus of Control, Leistungs- und Karriereeinstellung Training
Unterstützung durch die Führungskraft, Unterstützung durch die Kollegen, Zeit und organisationale Bedingungen
in der Stichprobe „kurz“ von den Einschätzungen der Variablen der Stichprobe „lang“?
2d Gibt es signifikante Unterschiede zwischen den eingeschätzten Transfererfolgskriterien der Stichprobe „kurz“ und der Stichprobe „lang“?
Da für diese Untersuchung die Operationalisierung und Messung von Transfererfolg durch einen deskriptiven, verhaltensnahen Selbst-Assessment-Bogen realisiert wurde, soll zusätzlich geklärt werden, ob sich der mittels dieses Instruments gemessene Transfererfolg von der durch eine Globalfrage erfassten subjektiven Meinung unterscheidet. Da in der Literatur immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass sich pauschale Selbsteinschätzungen nicht eignen,...