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E-Book

Foxtrott 4

Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan

AutorJonathan Schnitt
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641073572
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Authentischer Insider-Report über die wirkliche Situation der Soldaten in Afghanistan
»Zehn Jahre Afghanistankrieg - ein unangenehmes, peinliches Datum«, schrieb die »Zeit« im Herbst 2011 und nannte diesen Krieg eine »schwer erträgliche Last« für den Westen. Diese Last tragen seit zehn Jahren auch deutsche Soldaten. Der Journalist Jonathan Schnitt wollte sehen, hören, spüren, was das, aus der Nähe betrachtet, bedeutet - jeden Tag, jede Nacht.
Er lebte ein halbes Jahr mit einem deutschen Bataillon nahe Kundus, das »an vorderster Front« Dienst tat, teilte mit den jungen Frauen und Männern Hitze, Dreck, Flöhe, Anstrengung, Angst. Er sprach mit ihnen über ihre Erlebnisse, Gefühle, Wünsche und über die Gefahr, dem Tod zu begegnen. Und er sah, wie der Krieg sie veränderte. Jonathan Schnitt rückt aus der Innenperspektive endlich die Soldaten in den Mittelpunkt und zeigt das ungeschminkte deutsche Gesicht des Afghanistankrieges - hautnah, illusionslos, berührend.

Jonathan Schnitt hat Rechtswissenschaft und Journalistik studiert. Nach Stationen bei Spiegel TV, der dpa in Washington und im ARD-Studio in Tel Aviv arbeitet er seit Februar 2010 als Redakteur für die 'Fernsehmacher' und als Autor für 5/14-Film.

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Leseprobe

Einschießen bei 55 Grad

Frühmorgens und abends beobachte ich, wie die Fahrzeuge im PRT Kunduz am »Ehrenhain« – dem Sammelplatz – auffahren, um »raus« zu fahren. Der Ehrenhain hat zwei Funktionen: Zum einen ist er Sammelplatz für alle Einheiten, die »raus« fahren, zum anderen ist er Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan und in Kunduz im Besonderen. Er steht innerhalb eines quadratischen Schotterplatzes und besteht aus zwei rechtwinklig angeordneten Mauern. Davor steht ein Gedenkstein. Er ist mit dem Eisernen Kreuz der Bundeswehr versehen. An den Mauern sind die Gedenktafeln für die im Einsatz verstorbenen Soldaten befestigt. Auf den Gedenktafeln steht jeweils der Name, Vorname, Dienstgrad und Name der Einheit des Toten.

Hinter dem Ehrenhain stehen zehn Fahnenmasten – die sieben Flaggen der an der ISAF-Mission beteiligten Nationen, die Flagge der NATO, Afghanistans und die deutsche Flagge. Der deutsche Fahnenmast steht ganz im linken Eck des Ehrenhains.

In den Fahrzeugen: lauter junge Männer mit ernsten Gesichtern. Wenn sie in der ersten Dämmerung zurückkommen, sind ihre Gesichter so verstaubt, dass man nicht mehr erkennt, ob sie vielleicht doch gerade lächeln. Wir werden bald die nächsten sein, die am Ehrenhain auffahren.

Für die 3. Kompanie von Hauptmann Schellenberger und damit auch für den Foxtrott-Zug wird es in der nächsten Woche ernst – dann müssen sie in »Raumverantwortung«, so heißt das. Sie werden im Raum Chahar Darreh als Task Force eingesetzt. Das bedeutet: Außenposten besetzen, Patrouillen durch die Dörfer, Überwachen der Verbindungswege, Suche nach Sprengfallen und Suche nach dem unsichtbaren Feind, der sich womöglich irgendwo in den Bergen oder auch in den Dörfern versteckt.

Zuvor müssen aber noch die Waffen eingeschossen werden. Dafür fährt die Kompanie auf die Westplatte, ein Sandsteinplateau westlich des Feldlagers. Eine einstündige Fahrt durch das Kunduz-Tal.

6:30 Uhr – die Dingos, die Marder-Schützenpanzer und die Fuchs-Transportpanzer fahren auf dem Sammelplatz, dem Ehrenhain, auf. Die Waffen werden soweit durchgeladen, wie es die Sicherheitsbestimmungen zulassen. Dann die herzliche Ermahnung vom Zugführer, die Soldaten sollten nicht rausfahren »wie die Pimmelfrisöre«, sondern wachsam sein. Aus der TOC (Tactical Operations Center), der Einsatzzentrale, sagt er, gäbe es eine Warnung vor einem Selbstmordattentäter im Raum Kunduz. Die Schranke nach »draußen« öffnet sich.

Zum ersten Mal verlassen wir unsere Schutzburg, das Feldlager. Ich sitze in einem Transportpanzer Fuchs. Er hat Luken, aus denen man beobachten kann und auch filmen könnte. Doch zunächst sitze ich »unter Luke«. Sehe nichts außer dem Inneren des Panzers. Stahl und Waffen. Oben durch die Luke kann ich ein Stück Himmel sehen, wolkenlos wie beinahe immer, und die MP 7 des stellvertretenden Zugführers, der aus der Luke heraus die Umgebung überwacht. Man hört die rauschenden Meldungen über Funk. Die Soldaten um mich wirken ruhig, abwartend, fast abwesend.

Die Kolonne rollt von der Anhöhe, auf der das Feldlager steht, hinunter in das Kunduz-Tal. Die Straße ist sogar befestigt. Wir fahren durch den Distrikt Chahar Darreh, einen von sieben Distrikten in der Provinz Kunduz. Über eine Furt geht es durch den Kunduz-Fluss. Wie Science-Fiction-Gefährte wirken die Bundeswehr-Fahrzeuge im Vergleich zur Umgebung – den kargen Feldern, den erbärmlichen Hütten und Verschlägen der afghanischen Dörfer.

Westplatte, Sandsteinplateau westlich des Feldlagers

Die Bundeswehr-Kolonne fährt auf die Anhöhe. Eine Kamelkarawane wartet geduldig, bis die Militärfahrzeuge vorbeigezogen sind. Die Sonne steht jetzt überdimensional riesig über der Westplatte. Sie nimmt die Hälfte des Horizonts ein. Hier ist es noch mal heißer und staubiger als im Feldlager. Ein Apache-Kampfhubschrauber fliegt über uns hinweg.

Schröder steht vor seinem Dingo. Wild sitzt im Fahrzeug, sagt, den Blick in die weite Ebene gerichtet: »Also ehrlich, was mich bis jetzt hier am meisten beeindruckt, ist die Landschaft.« In seiner Brille spiegeln sich Sonne und Wüste. »Früh oder abends sieht man dann das Gebirge. Ist voll geil. Genauso wie der Sternenhimmel. Das sind so die Momente, wo ich mir sag, das siehst du in Deutschland auf jeden Fall nicht.«

Der Auftrag von Foxtrott 4 für diesen Tag: Einschießen der Waffen und das Fernhalten der Zivilbevölkerung. Funk: »Grundsätzlich ist dein Primärauftrag das Weghalten der Zivilbevölkerung.«

Von weitem sehe ich einen Mann mit einem Esel. Frage mich: Ob der wohl weit genug weg ist?

Sebastian Bachert, der einsatzerfahrene Hauptfeldwebel, steht vor den Soldaten des Zuges: »Wir werden hier heute Anschießen der Handwaffen durchführen.«

Schröder: »Man kann viel trainieren, ob das Magazinwechseln oder weiß ich was ist. Was ich nicht üben und trainieren kann, sind real Verwundete oder Sachen, die man in Afghanistan sieht und die man einfach nicht gewohnt ist.«

Hauptmann Dominic Schellenberger, Chef der 3. Kompanie Task Force Kunduz: »Üblicherweise ist das so, dass Zivilpersonen – insbesondere Kinder – hierher kommen, um die Hülsen zu sammeln. Das dürfen die auch, aber erst, wenn wir mit Schießen fertig sind. Wir haben dafür auch den Sprachmittler dabei. Der wird mit den Zivilisten sprechen.«

Dann dürfen die Soldaten loslegen; die Task Force Kunduz feuert ihre ersten scharfen Schüsse auf afghanischem Boden ab. Wenn auch nur zur Übung. G36, P8, MG4, G3 und Granatpistole. Es knallt, es raucht und explodiert für fünf Stunden in der Wüstenlandschaft.

Immer wieder nähern sich Kinder den Soldaten. Doch selbst Kinder lassen die Neuankömmlinge, die »Tapsies«, noch nervös werden.

Chill: »Im Grunde genommen … ist hier jeder verdächtig …«

Ein Soldat ruft Schröder zu: »Der in dem grünen Kaftan da, der grad wegläuft, der hat ein Telefon!«

Aber der Mann ist weit weg und scheint harmlos. Er ist nur zu seinen fünf oder sechs Ziegen gelaufen.

Ich frage Schröder, ob er auch Angst hat in solchen Momenten. Schröder: »Ja, hab ich. Wenn jemand keine Angst hat, dann läuft irgendwas schief …«

Auf einem Schützenpanzer habe ich die Aufschrift »Brave Heart« gesehen.

Frage: »Ist Mut die Abwesenheit von Angst?« Darauf Schröder: »Angst ist ein Instinkt, der alles im Körper noch mal hochfahren lässt. Und die Sinne werden alle noch mal schärfer – ob das Hören, das Sehen, das Fühlen.« Mit Feigheit habe das nichts zu tun. Aber keine Angst zu haben, beweise noch nicht, dass einer mutig ist.

Afghanische Kinder sitzen in Gruppen auf dem Boden. Sie warten, um die Patronenhülsen einzusammeln. In einem Land so arm wie Afghanistan sind selbst diese Messingteile wertvoll genug, um einen sehr langen Marsch und das sehr lange Warten in der Hitze auf sich zu nehmen.

Schröder ruft aus TPZ: »Die wollen nur Hülsen sammeln!«

Im Hintergrund schießen die Soldaten auf ihre Übungsziele. Die Hülsen klimpern auf dem Boden.

Hauptfeldwebel Sebastian Bachert geht mit dem Sprachmittler der Bundeswehr in Richtung der wartenden Afghanen und erklärt ihm: »Die einzige Möglichkeit, die die haben, ist: Sie gehen nach hinten zu ihren Fahrrädern, warten dort, bis wir weg sind, und wenn wir weg sind, können sie alle Hülsen haben.«

Der Sprachmittler spricht mit den Jugendlichen und Kindern auf Dari: »In diesem Bereich wird jetzt eine Rakete abgeschossen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Rakete euch trifft. Hier ist die Gefahrenzone.«

Bachert: »Kommt auch nur einer dichter ran als bis zu den Fahrrädern, kriegen alle keine Hülsen.«

Bachert und der Sprachmittler schauen die kleinen Afghanen eindringlich an. Die senken die Köpfe, nehmen ihre Siebensachen und ihren Esel und entfernen sich ein Stück.

Den anderen Soldaten erklärt Bachert: »Die Kuddels (so nennen die Soldaten die Afghanen) sind nur hier wegen der Scheiß-Hülsen, weil sie für das Messing halt Kohle kriegen. Alles, was größer ist als 7,62 mm (Durchmesser des Projektils), müssen wir wieder mitnehmen, weil sie sonst die Dinger für ihre IEDs (selbstgebaute Sprengfalle) benutzen.«

Die Soldaten gruppieren sich. Zur Übung sollen fünf Milan-Boden-Raketen abgeschossen werden. Ziel ist eine Abbruchkante am Berg. Die Raketen zischen Richtung Berg. Sie explodieren im Berg. Der Knall kommt spürbar ein paar Millisekunden später.

Dann sammeln die Bundeswehrsoldaten die größeren Projektile aus dem heißen Sand und werfen sie in Plastiktüten. Kurz danach rennen die kleinen Afghanen los, wie auf ein gemeinsames Signal. Nun sind endlich sie dran, die restlichen Hülsen aufzuklauben. Es ist ein berührendes Bild. Kleine Kinder graben den Sand nach ein wenig Messing um. Am Ende werden diejenigen, die heute Glück hatten, Messing im Wert von einem Euro zusammenbekommen. Eine Milan-Rakete kostet zirka 8.000 Euro.

Wild schaut in Richtung Kinder, dann in Richtung Sonne. Es ist 12 Uhr, und wir messen 55 Grad in der Sonne.

Plötzlich schleppen zwei Jugendliche einen kleineren Jungen heran. Er ist ohnmächtig. Die Jungs schauen die Soldaten an, hilflos und zugleich auffordernd. Der Sanitäter kommt heran und beugt sich über das Kind: »Der kriegt jetzt ein bisschen Elektrolyte, damit der Körper wieder hochkommt. Wir geben etwas Wasser raus, und dann ist das gut. Die sollen den aber im Schatten halten.« Der Junge auf dem Arm des Größeren trinkt. Der Sprachmittler...

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