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Frauen und der Linksterrorismus. Wie aus der Journalistin Ulrike Meinhof eine Terroristin wurde

AutorAlexander Krüger, Constanze Mey, Daniel Hitzing, Yvonne Diewald
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl255 Seiten
ISBN9783668234895
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Terrorismus ist allgegenwärtig. Analog und digital wird über Anschläge berichtet und werden Möglichkeiten der Terrorbekämpfung diskutiert. Rechts- oder Linksterrorismus, religiöser oder nationalistischer Terrorismus - gleich welcher Art, Gewalt bleibt Gewalt. Warum werden Menschen aus unserer Gesellschaft zu Terroristen? Und sind es tatsächlich nur Männer, die bereit sind, zu Waffen zu greifen? Ulrike Meinhof (1934-1976) war eine deutsche Journalistin, die sich im Laufe ihres Lebens immer weiter radikalisierte. Sie war Gründungsmitglied der 'Roten Armee Fraktion' (RAF), einer linksextremistischen Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland. Doch sie war auch Ehefrau, Mutter und überzeugte Pazifistin. Welche Umstände führten dazu, dass sie keine andere Wahl sah, als in den terroristischen Untergrund zu gehen? Diese Fragestellung lenkt den Blick auf die Rolle von Frauen im Terrorismus und bildet die Grundlage für den vorliegenden Band. Aus dem Inhalt - Weibliche Wege in den Linksterrorismus - Der Weg einer Journalistin in den Terrorismus - Gewaltbereitschaft von Frauen - Analyse der Sprache von Ulrike Meinhof unter dem Aspekt ihrer Radikalisierung - Meinhof und Ensslin als Mitglieder der RAF

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Leseprobe

Gründe für den Terrorismus


Vorbilder


Inge Viett zählt in ihrem Buch „Nie war ich furchtloser“ etliche Vorbilder der Bewegung 2. Juni auf, worunter sich eine Vielzahl von Revolutionären befand. Neben den allgemein bekannten Revolutionären wie Thomas Müntzer, Fidel Castro und Che Guevara nennt Viett auch die revolutionäre Politikerin Rosa Luxemburg, welche eine der führenden Theoretiker der revolutionären sozialistischen Partei Polens Ende des 19. Jahrhunderts war.[xxxiv] Diese Frau war besonders für Inge Viett ein Vorbild. Ihr Geburtsdatum war ihr unbekannt, da sie in einem Waisenhaus aufgewachsen war und so nannte sie den 15. Januar als ihren Geburtstag, da es der Todesstag Rosa Luxemburgs war.[xxxv] Sie identifizierte sich mit ihr.

Vorbilder waren sehr wichtig für die Guerillakämpfer, da sie ihnen Kraft gaben und den Mut, um ihren Kampf bis zum Ende fortzuführen, obwohl man schon Monate vor dem Ende der Bewegung 2. Juni und auch lange Zeit vor der Auflösung der RAF deren Scheitern erkennen konnte. Ob ihr unbändiger Kampfeswille, der sie die drohende Niederlage nicht mehr erkennen ließ, am Ende nun von Vorteil war oder ihnen nur unnötige Kämpfe mit der Polizei und somit auch unnötige Opfer auf beiden Seiten bescherte, darüber verliert selten ein ehemaliges Mitglied ein Wort.

Das Besondere bei den Vorbildern der RAF und der Bewegung 2. Juni war aber, dass sie andere terroristische Vereinigungen nie als solche nannten. Die im Vorwort genannten Gruppen waren zwar ähnlich aufgebaut und hatten auch ähnliche Beweggründe für ihren Kampf, und trotzdem identifizierten sich die deutschen Terrorgruppen nicht mit ihnen. Inge Viett nannte in ihrer Biografie etliche Vorbilder für die Bewegung 2. Juni, doch waren dies stets einzelne Persönlichkeiten und keine Vereinigungen. Der Grund könnte darin liegen, dass eine einzelne Person, die gegen ein ganzes Imperium kämpft, viel mehr Potenzial zu einem Vorbild hat als eine Gruppe, die aus mehreren Persönlichkeiten unterschiedlichen Charakters besteht. Viett führte unter anderem auch Robin Hood auf.[xxxvi] – eine Romanfigur, von der nicht bekannt ist, dass sie jemals gelebt hat, die jedoch mehr Potenzial bietet, als so mancher existierende Politiker. Er repräsentiert den Kampf für die unterdrückte Masse. Sein Leben gab er auf, um sich an den Reichen zu rächen und gleichzeitig die Armen zu unterstützen. Dies spiegelte in gewisser Weise auch die Absichten der Bewegung 2. Juni und der RAF wieder, welche, zahlenmäßig ebenso unterlegen, als eine Minderheit gegen die übermächtige und in ihrer Sicht falsch handelnde Regierung kämpften.

Beitrittsgründe der Frauen


Es gab für Frauen spezielle Gründe, sich dem Kampf gegen den, aus ihrer Sicht kapitalistischen, Staat anzuschließen. Einen Grund für den Terrorismus nannte Inge Viett in ihrer Biographie. Die „soziale Kälte einer herzlosen Kriegsgeneration“[xxxvii] führte nicht nur sie in die Illegalität, sondern auch Brigitte Meinhoff, welche schon in ihrer Zeit vor der RAF die gesellschaftlichen Missstände anklagte.[xxxviii] Die zuvor genannte soziale und politische Unterdrückung ließ den Frauen zu dieser Zeit nur die Wahl der gewaltsamen Gehörverschaffung. Die 68er Revolutionen ließen zwar auch weibliche Demonstranten zu, allerdings nur dem Schein nach. Innerhalb der Studentenbewegungen waren die Frauen nur aus einem Grunde heraus geduldet: Sie mussten die üblichen ihnen zugeschriebenen Aufgaben übernehmen. Für das leibliche Wohl der Männer sorgen und sich um die Kinder kümmern, während die Studenten zu ihren Protestaktionen gingen, waren exakt die gleichen Vorgaben, die ihnen die Gesellschaft auch außerhalb der Revolution vorschrieb. Der einzige Unterschied war nur, dass sie es zur Unterstützung des Widerstandes taten. So hatten die Frauen genau genommen keine andere Wahl. Wollten sie sich Gehör verschaffen, so ging das im Grunde nur durch die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Weiter die Unterdrückung durch Staat und Gesellschaft dulden kam für viele nicht in Frage. In ganz Deutschland konnten sie sich somit nur auf diesen Weg politisch engagieren. Gisela Diewald-Kerkmann, eine Historikerin an der Universität Bielefeld, die sich seit einiger Zeit mit dem Phänomen der weiblichen Terroristen beschäftigt, stützt diese These mit der Begründung, dass Frauen grundsätzlich weniger zu verlieren hätten als Männer.[xxxix] Es galt sich politisches Gehör zu verschaffen, sich den Vorgaben der Gesellschaft zu widersetzen und ein eigenständiges Leben aufbauen zu können, völlig frei von irgendwelchen Zwängen. Die Frauen hatten genau genommen nicht viel zu verlieren. Der Gefängnisaufenthalt entsprach für viele dem exakten Gleichnis ihres vorherigen Lebens, lediglich verpackt in ein weniger schönes Erscheinungsbild. Mussten sie zu Hause dem Ehemann gehorchen, so mussten sie dies im Gefängnis eben dem Wärter usw.

Allerdings war die Emanzipation der Frauen innerhalb terroristischer Gruppen nur ein notwendiger Nebeneffekt. Trotzdem wurde den Frauen der Bewegung 2. Juni und der RAF immer wieder vorgeworfen, ihr einziger Grund zur bewaffneten Revolution sei, die Emanzipation der Frau mit Waffengewalt durchzusetzen. Der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Günther Nollau wertete das Verhalten der terroristischen Frauen als „Exzeß[sic!] der Befreiung der Frau“[xl]. Das sahen die Frauen selbst allerdings anders. Inge Viett äußerte sich in einem Interview dazu:

„Wir sind alle nicht aus der feministischen Bewegung gekommen. [...] Wir haben nicht bewusst so einen Frauenbefreiungsprozess für uns durchleben wollen. [...] Es war für uns keine Frage Mann-Frau. Das alte Rollenverständnis hat für uns in der Illegalität keine Rolle gespielt“[xli].

Und die Gesellschaft fand noch weitere Thesen, mit welchem sie unter allen Umständen widerlegen wollten, dass Frauen tatsächlich freiwillig und aus vollster politischer Überzeugung Gewalttaten begingen. Ganz oben auf der Liste der Motive stand die sexuelle Hörigkeit. Die Frauen wurden von einem Terroristen verführt, welcher sie schlussendlich zu den Gewalttaten zwang oder sie in dem Maße beeinflusste, dass sie es freiwillig für ihn taten. Damit waren alle Probleme gelöst: Die Männer waren letztendlich die Attentäter, die Frauen nur Opfer ihrer eigenen, überemotionalen Schwäche. Wieder spielten sie in den Augen der Gesellschaft ihre untergeordnete, hörige Rolle.[xlii] Manche Psychologen ließen die Emanzipation aber tatsächlich zur Sprache kommen. Allerdings interpretierten sie sie auf ihre eigene Art und Weise. Emanzipation galt in ihren Augen nicht als Kampf für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen, sondern lediglich als der Versuch der Frauen, männlicher zu wirken. „Nur mit der Waffe, dem klassischen Symbol der Männlichkeit, und nur mit besonderer Härte hätten die weiblichen Gruppenmitglieder die Vorstellung verwirklichen können, gänzlich emanzipierte Frauen zu sein“[xliii]. Mit diesen Worten wird der Psychoanalytiker Friedrich Hacker 1977 vom Spiegel zitiert. Dies war ein weiterer Versuch, die Terroristinnen nicht direkt als Frauen sehen zu müssen. Letztendlich war dies der selbst gebildete Schutz der Gesellschaft vor den weiblichen Terroristen.

Gemeinsamkeiten von Terroristinnen und Terroristen


Nicht nur die Vorbilder fungierten hauptsächlich für beide Geschlechter, auch bei den Beitrittsgründen gibt es viele Übereinstimmungen. Wie Inge Viett zuvor schon zitiert wurde, handeln Frauen der gleichen Überzeugung heraus, wie ihre männlichen Mitkämpfer. Das Entsetzen über den von der US-Regierung brutal geführten Vietnamkrieg und das Schah-Regime in Persien trieb die Menschen massenweise auf die Straßen. Durch die oft gewaltsamen Niederschlagungen der Demonstrationen sahen sich einige, vor allem junge und politisch engagierte Demonstranten gezwungen, ebenfalls mit Waffengewalt der Übermacht der Polizei entgegenzutreten. Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 gilt als die Geburtsstunde der gleichnamigen Bewegung 2. Juni und der RAF, die ab diesem Tag den bewaffneten Kampf gegen das, aus ihrer Sicht, kapitalistische Staatsgebilde ansagten. Waren diese terroristischen Bewegungen bis dorthin nur von einer geringen Größe (ca. 20 Mitglieder), erfreuten sie sich nach dem Hungertod von Holger Meins großem Zuwachs. Über sieben Wochen Nahrungsverweigerung ließen den 1.83 Meter großen RAF-Terroristen auf nur noch 39 Kilogramm abmagern, obwohl er zwangsernährt worden war.[xliv] Für die RAF, Bewegung 2. Juni und die Sympathisanten der Stadtguerilla-Gruppen war der Fall klar: Holger Meins wurde doch von der Justiz umgebracht. Sie gaben zwar zu, dass er zwangsernährt worden war, jedoch wurde ihm nur ein Bruchteil der benötigten Kalorienzahl zugeführt, sodass er letztendlich sterben musste. Sieben Wochen Nahrungsverweigerung zeugte von einer übermenschlichen Selbstbeherrschung. „Es sei das schlechte Gewissen gewesen – der da gibt sein Leben, und ich amüsiere mich –, das sie in die Arme der RAF trieb“[xlv]. Mit diesen Worten zitierte Die Zeit Silke Maier-Witt, die sich nach dem Tod von Holger Meins der RAF angeschlossen hatte und als Illegale in den...

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