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E-Book

Freiburger Anti-Gewalt-Training (FAGT)

Ein Handbuch

AutorKlaus Fröhlich-Gildhoff
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl216 Seiten
ISBN9783170227361
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Das Freiburger Anti-Gewalt-Training (FAGT) ist ein Interventionsprogramm zur Veränderung (über-)aggressiven und gewalttätigen Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen. Es verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, d. h. es setzt nicht nur am Gewaltverhalten an, sondern versucht, die zugrunde liegenden Faktoren (inadäquate Selbst- und Fremdwahrnehmung, unzureichende Selbststeuerung, geringer Selbstwert, unzureichende soziale Kompetenzen) anzugehen. Das in der Praxis mehrfach erfolgreich angewandte und systematisch evaluierte Programm ist aus einzelnen Trainingseinheiten mit Kindern und Jugendlichen sowie Elementen der Elternarbeit aufgebaut. Die Diagnostik- und Evaluationsinstrumente sind gleichfalls Bestandteil des Handbuchs.

Professor Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff ist Professor für Klinische Psychologie, Entwicklungspsychologie und Kinder- und Jugendhilfe an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg. Er leitet dort das Zentrum für Kinder- und Jugendforschung.

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Leseprobe

3 Trainingsmanual


3.1 Grundhaltung des TrainerInnenteams


3.1.1 Allgemeine Grundhaltung


Die grundsätzliche Haltung des TrainerInnenteams gegenüber den Teilnehmer-Innen des Trainings (und deren Eltern) ist durch Wertschätzung und Respekt einerseits, sowie Klarheit und Konsequenz andererseits gekennzeichnet.

Respekt und Wertschätzung bedeutet, dass die Kinder/Jugendlichen in ihrem Bemühen, in ihrer Umwelt zurechtzukommen und in ihren Bewältigungsversuchen – als Person – ernst genommen werden. Es bedeutet insbesondere, ihre Stärken und Ressourcen immer wieder zu sehen. Respekt vor der Person bedeutet nicht: Respekt oder Achtung vor dem gewalttätigen Verhalten (und seinen Umständen, Beschönigungs- oder Verdeckungsversuchen [„der andere hat angefangen …“]).

Respekt bedeutet – positiv betrachtet – die Achtung der Person und ihrer jeweiligen Grenzen.

Klarheit und Konsequenz bedeutet ein eindeutiges, kongruentes Auftreten der TrainerInnen. Dies muss sich durch Sprache und Körpersprache („Kanalkongruenz“: einheitliche Signale auf allen Kommunikationskanälen) ausdrücken. Es ist hilfreich, einzelne Personen immer wieder direkt anzusprechen, besondere Bedeutung hat hier der Blickkontakt. Das Anfassen einzelner Personen sollte vorsichtig gehandhabt werden (nicht in der/den ersten Stunde/n); bei gewalttätigen Situationen kann (und sollte) es allerdings nötig sein, körperlich präsent einzuschreiten, z.B. die Jugendlichen, die sich prügeln, zu trennen. Klarheit und Konsequenz bedeutet, sich der eigenen Position als TrainerIn und LeiterIn bewusst zu sein und diese zu realisieren (die TrainerInnen sind für Programmdurchführung und Ablauf verantwortlich) – es bedeutet nicht, „blind“ Macht durchzusetzen!

Die TrainerInnen müssen bereit und in der Lage sein, Konflikte mit den Jugendlichen einzugehen und durchzustehen. Sie müssen die Jugendlichen mit deren Fehlverhalten konfrontieren und z.B. bei der Durchsetzung der Regeln (s.u.) konsequent und ggf. konfrontativ agieren. Dies bedeutet nicht, bei jeder – auch noch so geringen Gelegenheit – die Konfrontation zu suchen. Bei vorliegenden Konflikten müssen diese jedoch ‚angegangen‘ werden. Erfahrungsgemäß fällt ein solch klares Handeln nicht immer leicht und muss daher vorher trainiert werden!

Weiterhin ist es wichtig, die TeilnehmerInnen immer wieder auf den Sinn des Trainings hinzuweisen und hier Übereinstimmung zu erzielen:

  • „Warum bist du hier? Was willst du? Willst du besser klarkommen mit anderen, weniger Stress/Ärger … haben?“
  • „Du kannst dich entscheiden, wie weit du dich einbringst – aber wenn du hier bist und beim Training mitmachst, dann halt dich an die Regeln …“
  • „Wir beide bringen unsere Zeit ein, du und ich. Und wir wollen was erreichen [Ich krieg kein Geld, könnte genauso gut mit meiner Freundin shoppen gehen – aber ich will was bewegen, will Dich unterstützen, dass …]. Und da will ich, dass du mich ernst nimmst, genauso wie ich dich ernst nehme – wie kriegen wir das hin? Wie können wir jetzt weiter arbeiten?“ (→ auf klare Absprache/Übereinstimmung hinarbeiten …).

Zum Vierten ist Flexibilität erforderlich: Das betrifft das Umgehen mit den einzelnen TeilnehmerInnen und der Gruppe, aber auch die einzelnen Trainingselemente. Hier muss sich das Programm immer am Stand und den Themen der Gruppe wie der einzelnen Mitglieder ausrichten (Umstellen ist möglich). So ist denkbar, dass einzelne oder gar die Gruppe einen „schlechten Tag“ haben und/oder dass große Widerstände gegen einzelne Programmelemente bestehen. Dann muss das Programm umgestellt werden, Spiele zum ‚Lockern‘ können eingebaut werden, der Widerstand kann auch direkt zum Thema gemacht werden. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass das Trainingsprogramm als ‚roter Faden‘ dient, an dem sich immer wieder orientiert wird.

3.1.2 Konflikte und Konfrontation


Die Übungen bzw. Elemente des Programms – und die dadurch zu erreichenden „Lernfortschritte“ – sind nur die eine Ebene des Trainings. Die andere sind die konkreten Abläufe und Inhalte (verbale und nonverbale Äußerungen der Kinder/Jugendlichen) während der Sitzungen: Die Übungen sollen in erster Linie Anlass für Selbstreflexion und mögliche Verhaltensänderungen sein.

Daher haben alle Konflikte zwischen einzelnen TeilnehmerInnen und/oder TeilnehmerInnen und TrainerInnen Vorrang! Diese Konflikte bieten gutes Anschauungs- (und Lern-)Material für die Einzelnen (und die Gruppe). Also: Konflikte nicht glatt bügeln, sondern bearbeiten (siehe z.B. De-Eskalationsübungen) und Lösungen zuführen/klären. Es muss nicht jeder Konflikt künstlich hoch gekocht werden; manchmal ist es gut, Jugendliche einfach auseinander zu setzen, oft ist es jedoch besser, den Streit zu bearbeiten. Genauso wichtig ist es, mit einzelnen in angemessenen Situationen und in angemessener Weise die Konfrontation zu suchen (sich nicht mit oberflächlichen Erklärungen oder Entschuldigungen abspeisen lassen). Dies betrifft besonders die aufkommenden Debatten um die „gelben Karten“ im Rahmen des Belohnungssystems. Besonders wichtig ist es dabei, auf die Selbst-Verantwortung der Kinder/Jugendlichen für ihr eigenes Handeln hinzuweisen:

Hierzu ein Beispiel: Ein Jugendlicher beleidigt – regelverletzend – einen anderen, der Trainer verteilt daraufhin eine gelbe Karte → Jugendlicher: „Aber der hat mich auch beleidigt“ … → Interventionsrichtung: Du hast dich entschieden, mit gleichen Mitteln zurückzuschlagen (zu reagieren), du hast dich entschieden gegen die Regel zu verstoßen, es geht um dich, steh‘ dazu … [dann evtl.: Was hättest du anders machen können → hier ergibt sich ein gutes Lernfeld].

Die Betroffenen, bei denen gewalttätiges Verhalten sich als stabile Disposition entwickelt hat, haben sehr viele Erfahrungen darin, dieses Verhalten zu ‚legitimieren‘ („der andere hat mich provoziert …“; „wenn ich nicht zuschlage, kriege ich eins auf’s Maul …“). Es ist wichtig, diese ‚Philosophie‘ bzw. Rechtfertigungsstrategien immer wieder zu thematisieren und letztlich ins Wanken zu bringen, im besten Falle ‚aufzulösen‘.

Oft haben Kinder/Jugendliche Angst, ihr gewalttätiges Verhalten aufzugeben. Es hat ihnen bisher Sicherheit gegeben, sie haben die Befürchtung als „Weichei“ oder Verlierer da zu stehen. Auch hier müssen die TrainerInnen ‚dagegenhalten‘ und konfrontativ neue Anstöße geben. Es muss den Betroffenen deutlich werden, dass sie schon ‚verloren‘ haben, wenn sie auf das Spiel (die Provokation) des Gegenübers einsteigen. Sie machen sich zur Marionette, wenn sie den Konflikt austragen, sie tun genau das, was der andere von ihnen will. Es ist eine siegreiche Haltung, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, den anderen ins Leere laufen zu lassen, die Fäden der Marionette durchzuschneiden …

3.1.3 Arbeiten mit der Gruppe vs. Arbeiten mit Einzelnen


Hier ist ebenfalls ein hohes Maß an Flexibilität nötig, ein beständiger Wechsel von der „Ansprache“ an die Gruppe und dem Beschäftigen mit Einzelnen und ihren Themen. Bewährt hat sich das Abfragen in der Runde, genauso wichtig kann es jedoch sein, eine offene Gruppendiskussion zuzulassen.

Besondere Themen und/oder Konflikte Einzelner haben in der Regel Vorrang (das hält die Gruppe begrenzt aus!) – allerdings muss auch darauf geachtet werden, dass sich nicht Einzelne ständig durch Beiträge oder Störungen übermäßig in Szene setzen. Sinnvoll ist das Einbauen von Einzel- oder Dyadenarbeit, die dann vom TrainerInnenteam intensiver begleitet/unterstützt werden kann.

Sinnvoll kann auch eine vorübergehende (nur innerhalb einer Sitzung bei in jedem Fall gemeinsamem Ende) Teilung der Gruppe bei bestimmten Aufgaben oder eskalierenden Konflikten sein.

In besonderen Fällen kann es auch sinnvoll sein, mit einzelnen TeilnehmerInnen (oder zweien, bei Konflikt) allein in einem anderen Raum zu arbeiten (eine/r des TrainerInnenteams verlässt mit ihnen die Runde oder den Raum) – aber dies sollte die Ausnahme bleiben.

Beispiel: Einzelne Jugendliche haben ein besonders bewegendes Einzelthema, das nicht vor der Gruppe besprochen werden soll; einzelne Jugendliche boykottieren ständig (das Belohnungssystem wirkt nicht), dann ist Einzelklärung nötig und sinnvoll.

3.2 Wichtige Elemente


Im Folgenden werden zwei wichtige Elemente des Trainings ausführlicher dargestellt, die kontinuierlich eingesetzt werden (können).

3.2.1 De-Eskalation


Die hier vorgestellte De-Eskalationsmethode dient dazu, den aktuellen Konflikt zwischen zwei (und u. U. mehr) KontrahentInnen in der Situation zu klären – sie schafft keine ‚Freundschaften‘ und bietet auch keine Garantie, dass der Konflikt nicht später wieder aufflammt. Das Verfahren ‚verbraucht‘ bei den Beteiligten jedoch viel Energie, so dass erfahrungsgemäß zunächst eine Beruhigung eintritt, und die Klärung bietet die Chance, alternative Konfliktlösungsmöglichkeiten zu erfahren und auszuprobieren.

Das De-Eskalationsverfahren folgt einem klar strukturierten (regelhaften) Schema bzw. Ablauf und basiert auf einer klaren Haltung des-/derjenigen „Konfliktlösers/löserin“.

Abb. 4: Einschreiten in unterschiedlichen Konfliktphasen

Konflikte zwischen zwei (oder mehr) Personen brechen in der Regel nicht eruptiv aus, sondern steigern sich von verbalen Attacken zu...

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