Der Rahmen für Erziehung
Natürlich findet Erziehung nicht nur zu Hause statt, immer und auch schon vor der Geburt und in den ersten Lebenstagen gibt es neben dem Tun der Eltern andere, das Leben des Kindes prägende Einflüsse. Nur wenn Eltern sich des größeren Rahmens, in dem Erziehung immer stattfindet, bewusst sind, können sie aktiv mit diesen Einflüssen umgehen, sie abwehren und mildern oder gezielt stärken. Deshalb sollten Eltern sich mit unterschiedlichen Erziehungsstilen, Werthaltungen und kulturellen Aspekten befassen.
Prägende Erziehungsstile
Jede Gesellschaft hat soziale Wert- und Normvorstellungen; indem diese in die Erziehung des Kindes einfließen, sichert die Gesellschaft ihren Fortbestand. Erziehungsstile sind in gewisser Hinsicht also auch ein Spiegel der Gesellschaft. Und da sich eine Gesellschaft fortwährend im Wandel befindet, schlägt sich dies auch in verschiedenen Erziehungsstilen nieder. Wie Eltern auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren, wie sie das Einhalten von Regeln durchsetzen und auf welche Art und Weise sie an es Anforderungen stellen, charakterisiert einen jeweiligen Erziehungsstil. Die amerikanische Entwicklungspsychologin Diana Baumrind und das Forscherduo Eleanor Maccoby und John Martin unterscheiden fünf Erziehungsstile.
Der autoritäre Erziehungsstil
Durch Druck, Drohungen, Zwang und starke Kontrolle wird das Kind von seinen Eltern zu absolutem Gehorsam erzogen, der keinen Platz für Diskussionen, selbstständiges Handeln oder Freiräume seitens des Kindes zulässt. Falls das Kind einen Fehler begeht und gegen Regeln verstößt, wird es hart bestraft. Durch das Fehlen von emotionaler Wärme in der Eltern-Kind-Beziehung und durch die Rigidität dieses Erziehungsstils wird das Ausbilden von sozialen Kompetenzen nicht gefördert. Dies kann zu einem schwachen Selbstvertrauen und zu Unselbstständigkeit führen.
Der autoritäre Erziehungsstil wird auch heute noch von Eltern praktiziert. Welche Folgen dieser Erziehungsstil bei Kindern haben kann, veranschaulichen folgende Ergebnisse eines schweizerischen Forschungsteams. Die Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello, der Soziologieprofessor Franz Schultheis und der Soziologe Stephan Egger führten 2008 bei dreitausend schweizerischen Kindern im Alter von 6 Jahren und Jugendlichen im Alter von 15 und 21 Jahren eine Befragung durch. Dabei stellten sie einen engen »Zusammenhang zwischen einem autoritären Erziehungsstil, der sich durch relative Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind und durch Verbote und Sanktionen auszeichnet, und dem späteren Risikoverhalten sowie der psychischen und physischen Gesundheit der Jugendlichen fest. So hegten autoritär erzogene Kinder später im Leben mehr Suizidgedanken oder konsumierten häufiger Cannabis und Tabak. 44 Prozent der 6-Jährigen und immer noch 20 Prozent der 15-Jährigen werden laut der Studie autoritär erzogen.«26
Wenn die Persönlichkeit des Kindes nicht respektiert wird, kann dies zu einer Resignation oder – sei es offen oder verdeckt – zu Aggressionen gegenüber den Eltern oder anderen Kindern führen. Kinder, die geschlagen oder hart bestraft werden, lernen zu lügen, um weitere Strafen zu vermeiden. Der gegenwärtigen Gesellschaft scheint dieser Stil hinsichtlich der Vermittlung ihrer Werte nicht zu entsprechen, denn moralische Werte werden auf diese Weise vom Kind nicht verinnerlicht.
Der autoritative Erziehungsstil
Von vielen Pädagogen und Psychologen als der Weg der goldenen Mitte angesehen, definiert sich dieser Erziehungsstil durch ein ausgewogenes Gleichgewicht von Autorität und Responsivität. Wie das Wort »autoritativ« andeutet, wird auch hier das Kind stark kontrolliert und es wird darauf geachtet, dass Regeln und Grenzen genau befolgt werden. Aber gleichzeitig gehen die Eltern mit viel Liebe und Zuneigung auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Sie antworten auf die Gefühle ihres Kindes in angemessener Weise (englisch »response« – deutsch »Antwort«).
Regeln werden konsequent, aber liebevoll durchgesetzt und vor allem nicht einfach aufgezwängt, sondern dem Kind zuerst erklärt, sodass es diese besser nachvollziehen kann und deren Sinn versteht. Die Anforderungen werden dem Kind kindgerecht nähergebracht. Das bewirkt unter anderem, dass Werte besser angenommen werden.
Bei diesem Erziehungsstil fordern die Eltern durch klare Botschaften und Regeln ein angemessenes Verhalten von ihrem Kind, setzen dies aber nicht, wie beim autoritären Erziehungsstil, durch Härte durch, sondern mit einfühlender Hilfe. Gutes Verhalten wird mit viel Lob bedacht.
Da die Eltern-Kind-Beziehung die Entwicklung zu einer eigenständigen Person fördert, ist es dem Kind erlaubt, Initiativen zu ergreifen und sich zu erproben. Trifft das Kind dabei auf Hindernisse, kann es auf die Hilfe seiner Eltern zählen, die ihm helfen, eine Lösung zu finden, ohne sie vorwegzunehmen.
So kann das Kind langsam wachsen und ein gesundes Selbstvertrauen aufbauen. Eltern und Kind formen ein Team, in dem jeder sich seiner Aufgabe bewusst ist. Mithilfe der Eltern werden auf diese Weise soziale Kompetenzen beim Kind trainiert, wie zum Beispiel Mitgefühl oder Respekt dem anderen gegenüber. Das positive Verhältnis von Autorität und Einfühlungsvermögen sowie eine von Sicherheit und Vertrauen geprägte Eltern-Kind-Beziehung machen aus dem Kind einen emotional stabilen Menschen, der mit unserer Gesellschaft in Harmonie leben kann und sich in ihr zurechtfindet.
Übrigens: Erziehungsstil und Suizidrisiko
Die Forschergruppe um PD Dr. Carolin Donath vom Uni-Klinikum Erlangen konnte in einer Studie nachweisen, dass der autoritative Erziehungsstil das Suizidrisiko bei Jugendlichen senkt und somit eine schützende Wirkung hat. »Kinder, die sowohl starke Zuwendung als auch ein hohes Ausmaß an Kontrolle und Regeln durch ihre Eltern erlebt hatten, haben im Alter von 15 Jahren seltener schon einmal ernsthaft versucht, sich umzubringen, als Jugendliche, die eine andere Erziehung erlebt hatten«27, sagt Dr. Donath. Im Vergleich dazu war der autoritäre Erziehungsstil mit einem erhöhten Auftreten von Suizidgedanken verbunden. 9 Prozent der 15-Jährigen, die autoritär in Deutschland erzogen wurden, haben Suizidversuche unternommen.
Der demokratische Erziehungsstil
Dieser Stil wird nur von Diana Baumrind angeführt. Er unterscheidet sich vom autoritativen Erziehungsstil durch die besonders hohe Kommunikationsbereitschaft in der Eltern-Kind-Beziehung. Eltern und Kind sehen sich als gleichberechtigt. Das kann natürlich zu vielen Diskussionen führen, die schon in der Kindheit beginnen und nicht erst in der Pubertät. Also heißt es hier oft, Zeit für den Meinungsaustausch einzuplanen und Geduld mitzubringen.
Beim demokratischen Erziehungsstil28 versteht sich der Erzieher als Gruppenmitglied. Er führt persönliche Gespräche mit den Kindern und Gruppenarbeit erfolgt ohne Befehle. Vorab gibt der Erzieher einen Überblick über die Tätigkeit und das Ziel, aber Entscheidungen werden in der Gruppe diskutiert. Wie Aufgaben verteilt werden, bestimmt nicht der Erzieher, sondern auch hier liegt die Verantwortung bei der Gruppe. Immer wieder unterstützt und ermutigt der Erzieher die Kinder. Lob und Tadel werden stets sachbezogen gegeben in Form eines konstruktiven Feedbacks. Gibt es Probleme, schlägt der Erzieher zur Auswahl Lösungsmöglichkeiten vor.
Der zurückweisend-vernachlässigende Erziehungsstil
Bei diesem Erziehungsstil kontrollieren die Eltern ihre Kinder kaum und sie zeigen wenig Wärme. Besonders diese fehlende Zuneigung prägt die Eltern-Kind-Beziehung. Da die Kinder von den Eltern nicht genug gelobt werden und wenig Anerkennung erhalten, kann dies zu einem Gefühl von geringem Selbstwert führen, was sich unter anderem auch auf die Schulleistungen negativ auswirkt. Oft werden Verhaltensprobleme bei den Kindern beobachtet.
Der permissiv-verwöhnende Erziehungsstil
Hierbei werden dem Kind nur wenig Grenzen gesetzt und das Einhalten von Regeln wird nicht sonderlich kontrolliert. So darf das Kind viel allein bestimmen. Diskussionen und Konflikten wird aus dem Weg gegangen. Das verlangt von Kindern, dass sie früh selbst Entscheidungen treffen müssen. Positiv ist dabei, dass die Kinder lernen, für ihre eigene Meinung und ihre Bedürfnisse einzustehen und Verantwortung zu übernehmen. Allerdings kann dies die Kinder leicht überfordern, denn die Eltern sind nicht präsent genug, was ihre Erziehung angeht.
Merkmale des permissiv-verwöhnenden Erziehungsstils29: Auffallend ist hier, dass sich der Erzieher nicht selbst beteiligt und sich zurückhält. Er entwickelt keine Eigeninitiative in der Eltern-Kind-Beziehung. Obwohl er sich freundlich dem Kind gegenüber verhält und auf Anfragen und Wünsche reagiert, zeigt er sich generell als passiv. Da er nur geringfügig eingreift, kann dies als Desinteresse interpretiert werden. Wird der Erzieher aktiv, so beschränkt er sich vorwiegend auf sehr kleine Vorgaben. Erst wenn das Kind die Hilfe des Erziehers einfordert, wird er Hilfestellungen geben.
Natürlich gibt es noch weitere Erziehungsstile, wie den Laissez-faire-Erziehungsstil, bei dem die Kinder von ihren Eltern nur begrenzt Richtlinien für ihr Verhalten vermittelt bekommen. Die Kinder sind zwar nicht gänzlich sich selbst überlassen, können aber von den Eltern nur minimale Unterstützung erwarten. Ein passives Verhalten der Eltern charakterisiert diesen Erziehungsstil; er fördert keine sichere Eltern-Kind-Bindung und der Mangel an festen Regeln führt die Kinder zu fehlendem Selbstwertgefühl und zu...