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E-Book

Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart

Festschrift für Marcus Reinfried

VerlagNarr Francke Attempto
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl389 Seiten
ISBN9783823301165
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis54,40 EUR
Mit intellektueller Originalität, wissenschaftlicher Strenge und theoretischer Prägnanz hat Marcus Reinfried die Didaktik der romanischen Sprachen geprägt. Er ist für seine Forschungsarbeiten zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts sowie im Bereich der Methoden, der Medien-, Mehrsprachigkeits- und Landeskundedidaktik bzw. Interkulturalität national wie international be- und anerkannt. Seinen 65. Geburtstag haben FreundInnen, KollegInnen und SchülerInnen zum Anlass genommen, ihn und sein Schaffen mit einem Band zu würdigen, der die Forschungsfelder dieses geschätzten Wissenschaftlers wiedergibt. Die Beiträge lassen sich zwei großen Themen zuordnen: Fremdsprachenunterricht in historischer Perspektive und Facetten neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts.

Marcus Reinfried studierte Romanistik, Germanistik, Geschichte und Filmwissenschaft an den Universitäten Mannheim und Paris. Nach dem ersten und zweiten Staatsexamen unterrichtete er von 1981 bis 1992 sowie zwischen 2001 und 2008 an Mannheimer Gymnasien. 1992 promovierte er in Mannheim zum Thema Das Bild im Fremdsprachenunterricht. Die Dissertation wurde mit dem Strassburg-Preis für eine besonders herausragende wissenschaftliche Leistung ausgezeichnet. Im Jahre 1999 erfolgte die kumulative Habilitation an der Universität Kassel im Lehr- und Forschungsgebiet 'Romanistik/Fremdsprachenlehr- und -lernforschung'. Von 1996 bis 2001 übernahm Marcus Reinfried die Vertretungsprofessur an der PH Erfurt. 2005 folgte die Ernennung zum Außerplanmäßigen Professor der Kasseler Universität, zwei Jahre später der Ruf auf die Professur für die Didaktik der romanischen Schulsprachen an der Universität Jena. Von 1999 bis 2014 war Marcus Reinfried Mitherausgeber der Zeitschrift französisch heute, dem Verbandsorgan der Vereinigung der Französischlehrer und trug erheblich zu deren Etablierung in der Fachliteratur bei. Seit 2001 ist Marcus Reinfried als Vice-Präsident und als Präsident in der SIHFLES (Société Internationale d'Histoire du Français Langue Etrangère et Seconde) tätig. In letzterer Funktion übernahm et von 2010-2013 die direction der international renommierten Zeitschrift Documents pour l'Histoire du Français Langue Étrangère et Seconde. Der Band wird herausgegeben von Hélène Martinez und Franz-Joseph Meißner. Mit Beiträgen von: Dagmar Abendroth-Timmer \ Mark Bechtel \ Ingeborg Christ \ Daniel Coste \ Christiane Fäcke \ Inez De Florio-Hansen \ Hermann Funk \ Friederike Klippel \ Frank G. Königs \ Marie-Christine Kok Escalle \ Walter Kuhfuß \ Franz-Joseph Meißner \ Jürgen Mertens \ Steffi Morkötter \ Javier Suso López \ Andreas Rauch \ Gérard Vigner \ Laurenz Volkmann

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Leseprobe

Die Frontispize in der Grammaire Royale et Françoise von Robert Jean Des Pepliers


Walter Kuhfuß


Um 1700 enthalten die Lehrbücher des Französischen in der Regel keine Illustrationen, schon gar nicht solche, welche die Lernprozesse der Sprachenschüler unterstützen. Erst in Basedows Elementarwerk und in seinem auf der sinnlichen Anschauungsmethode basierenden Unterricht am Dessauer Philanthropin wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Bild systematisch benutzt, um dem Lerner einen direkten Zugang zu der Bedeutung eines Wortes bzw. eines Satzes zu ermöglichen (Reinfried 1992, 135). Deshalb verwundert es nicht, dass die Lektionen in dem ab 1689 am häufigsten verkauften Lehrbuch des Französischen, Des Pepliers‘ Grammaire Royale et Françoise1, ganz ohne veranschaulichende Bilder auskommen. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrbüchern des Französischen in dieser Zeit enthalten viele (geschätzt zwischen 50 und bis zu 100) Auflagen der Grammaire eine Illustration gegenüber dem Titelblatt, ein Frontispiz: eine kostspielige Investition des Verlegers, die nur bei dem zu erwartenden hohen Absatz des Buches getätigt werden konnte, schließlich musste der Kupferstecher bezahlt und das Bildprogramm entwickelt und künstlerisch umgesetzt werden. Nicht die Lernunterstützung der Sprachschüler war das Motiv für diese Illustrationen, sondern die Visualisierung des zentralen Anliegens von Des Pepliers‘ Grammaire Royale und damit die Werbung für den Kauf des Buches. Im Lauf des 18. Jahrhunderts und mit dem Wechsel der Verlage verändern sich freilich die Frontispize in aufschlussreicher Weise und demonstrieren den kulturellen Wandel eines mythologischen, politischen und pädagogischen Bild- und Ideenprogramms. Das soll am Beispiel einiger ausgewählter Illustrationen gezeigt werden.

1 Französischlernen à la Cour


Die Titelformulierung in Des Pepliers‘ Lehrbuch Grammaire Royale in der Auflage von 1693 begründet die autobiographische Legende, die der Autor selbst geschaffen hat: „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“. Mit dem Duc de Bourgogne konnte in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur Louis, Dauphin von Frankreich, Herzog von Burgund (* 6. August 1682 in Versailles; † 18. Februar 1712 in Marly-le-Roi), der älteste Sohn des französischen Thronfolgers Louis de Bourbon und der älteste Enkel Ludwigs XIV. gemeint sein.1 Außer dieser Selbstzuschreibung weiß man nichts von Des Pepliers‘ Leben und deshalb darf man dieser Tätigkeitszuschreibung stark misstrauen.2 Der Autor spielt mit dem höchsten Berufsbild für einen zeitgenössischen Sprachmeister, denn eigentlich hatte Fénelon, der Erzbischof von Cambrai, für die hervorragende Erziehung des jungen Prinzen gesorgt. In diesen hocharistokratischen Kreis zielt Des Pepliers mit seiner autobiographischen Angabe; auch die Titelformulierung Grammaire Royale (,royal‘ heißt im zeitgenössischen Sprachgebrauch königlich, aber auch exzellent3) und die Illustration gehen in die gleiche Richtung – ohne ihn allerdings zu genau festzulegen: Eine kalkulierte Uneindeutigkeit.

Abb. 1:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Völcker 1693.

Das Frontispiz (Abb. 1) zeigt die pädagogische Urkonstellation: Lehrer, Zögling und ,Stoff‘ in einer spezifischen Form, der Prinzenerziehung. Dargestellt werden die Göttin Athene, die Göttin der Weisheit, ein Prinz, der das Lehrbüchlein ergreift, und ein modisch gekleideter À-la-mode-Kavalier mit Justeaucorps-Überrock, Allonge-Perücke und zierlichem Menuett-Schritt, der dem Prinzen das Lehrbuch entgegenstreckt, und der daher der Sprachmeister (und „Erzieher des Duc de Bourgogne“) ist. Die Szene spielt vor einem wuchtigen barocken Portal, durch das der Prinz über einen pappelbestandenen (Des Pepliers!) Weg zu einem Schloss schreitet, das mit seinen Dachstatuen an die Gartenfront des Schlosses von Versailles oder/ und (wohl sehr wahrscheinlich) an die Lustgartenseite des zeitgenössischen Berliner Stadtschlosses erinnern soll – ohne diese allerdings präzise abzubilden4: Die Ambivalenzen sind durchaus gewollt.

Der Speer der Athene weist mit seiner Spitze über den Architrav hinaus zur Portalinschrift: „Grammaire Royale par M.‘ I.R. des Pepliers“ im Giebel, der von Voluten gekrönt ist – ein Import klassisch-französischer Architektur in diese Berliner Publikation. Die Botschaft ist überdeutlich. Auf dem Weg zum Zentrum der politischen Herrschaft muss sich der Prinz, geleitet von der göttlichen Lehrerin, dem Lehrbuch und dem Sprachmeister mit kontinuierlichem Fleiß dem Studium der königlich-exzellenten Grammatik hingeben. Die Berufsbezeichnung als Prinzenerzieher des möglichen Nachfolgers Ludwigs XIV., der Titel des Lehrbuchs und das Frontispiz: Für den Verkauf des Lehrbuchs waren das starke Argumente bei einer Schülerklientel aus den deutschen Oberschichten.

Der Illustrator spielt augenscheinlich mit Elementen, die im Versailler bzw. höfischen Kontext angesiedelt sind: das Schloss als kulturelles und politisches Zentrum der französischen Monarchie, die modische (und teure) Kleidung des Sprachmeisters, der außer der französischen Sprache auch französisch-höfisches Benehmen weitergeben möchte. Hinzu kommen der Titel des Lehrbuchs und die autobiographischen Elemente einschließlich des muttersprachliche Kompetenz signalisierenden Namens Des Pepliers, der zudem in die Ikonographie des Frontispizes aufgenommen wurde.5 Und doch veranschaulicht die Szene eher deutsche Wunschvorstellungen als einen realen Kulturtransfer.

Denn die Szene verbirgt eine grundlegende Ambivalenz. Es bleibt ungewiss, ob der dargestellte Prinz auf den Weg zur politischen Herrschaft geführt werden sollte, nämlich französischer König zu werden; die auf dem Umhang des kleinen Prinzen aufgebrachten heraldischen Blumenelemente sehen nur aus der Ferne wie Bourbonenlilien aus, sind aber bei näherem Hinschauen unspezifische Dekorelemente. Das Lehrbuch, das der Lernende in der Hand hält, war schließlich nicht für einen französischen Prinzen gedacht, sondern für deutsche Schüler; sie sollten durch das Erlernen der Fremdsprache Französisch in die (imaginierte) Nähe des Sonnenkönigs gelangen. Sprachliche Hilfestellung versprach ihnen der Autor in seiner vollständigen Berufsbezeichnung auf dem Titelblatt: „Informator der Frantzösisch und Teutschen Sprache“. Er bot sich also auch als Sprachmeister für die deutsche Sprache an.

2 Die Ursituation: Telemachos, Athene und Mentor


Ab der sechsten Auflage1 von 1701 (Abb. 2) ist die Fassade des Schlosses im Hintergrund wegretuschiert; das Bild zeigt eine nicht mehr lokalisierbare Gartenlandschaft, in der ein Brunnen sprudelt. Auch die hochstaplerische Berufsangabe „Des Hertzogs von Burgund Hofmeister“ fällt weg. Bestehen bleibt die mythologisch-allegorische Lehrsituation vor barocker Kulisse. Athene, die antike Schutzgöttin der Lehrer, führt einen Knaben an der Hand in die Mittelachse der Abbildung, in der eine Lehrperson im langen Gewand ihm ein Buch entgegenstreckt. Auch dieser Knabe ist durch Hermelinumhang und Krone als Prinz und durch das Personal als Lernender gekennzeichnet. Der Prinz ergreift das Buch, in dessen Verlängerung, im Schnittpunkt der Diagonalen, sich der Brunnen (der Weisheit oder der Erkenntnis) befindet, zu dem der Mentor mit dem Lehrbuch den kleinen Prinzen führt. Der Prinz muss die wuchtige Toranlage durchschreiten, welche die Grammaire Royale bildet und auf der immer noch die Allegorien von Fleiß und Ausdauer stehen. Gegenüber dem modischen Höfling aus dem ‚Versailles‘ von 1693 ist Mentor nun deutlich bescheidener gekleidet, mit längerem, einfacherem Gewand und einer Körpersprache, die statt der zierlich-galanten Tanzschritte eine angemessene Demutshaltung dem höher gestellten jungen Mann gegenüber ausdrückt: Das ist der Beginn einer schrittweisen Demontage des Sprachmeisters, die schließlich mit seiner vollständigen Entfernung aus den Frontispizen endet.

Abb. 2:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Völcker, 7. Auflage 1702.

In der Hochphase des französischen Kultureinflusses in Deutschland bringt diese Illustration die Werbestrategie des französischen Sprachmeisters höchst anschaulich zum Ausdruck. Die Szene illustriert einen Französischunterricht, wie ihn sich der zeitgenössische Französischlehrer im ausgehenden 17. Jahrhundert erträumte und auf dessen Wirkung bei den adligen (und zunehmend den bürgerlichen) Lernern er zusammen mit dem Verlag Völcker in der preußischen Hauptstadt setzte. Sie zielt auf die zentralen Motivationen für das Fremdsprache-Lernen in der Prinzenerziehung: Sie ist die Inszenierung einer hochprivilegierten Distinktion und Bildung. In dieser Sphäre des Pompös-Mythologischen sieht sich der Sprachmeister als unentbehrlicher Mitspieler. Er ist es, der den fürstlichen Knaben zu Erkenntnis und Wissen führt. Und es ist ein modernes Wissen, das kaum mehr etwas mit der lateinischen Sprache zu tun hat, die als Wissenschaftssprache immer noch dominierte. Nur die alteuropäischen Lerntugenden der Constantia und Diligentia erinnern die Lernenden noch daran, dass es ohne hartnäckigen, immerwährenden Fleiß beim Fremdsprachenlernen nicht ging. In diesem Milieu der adligen und hochbürgerlichen Lerner ist man sich des Beistandes der Götter und des irdischen Herrschers gewiss. Über allem schwebt das Wappentier des Hauses Hohenzollern, der heraldische Adler,...

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