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Freuds Religionskritik und der 'Spiritual Turn'

Ein Dialog zwischen Philosophie und Psychoanalyse

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783170239043
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Sigmund Freuds 1927 erschienene 'Zukunft einer Illusion' und die kurz darauf verfasste Erwiderung des reformierten Pfarrers und Psychoanalytikers Oskar Pfister ('Die Illusion einer Zukunft') eröffnen einen spannungsreichen Dialog zwischen dem Denken, der Praxis, den verschiedenen Schulen und Institutionen der Psychoanalyse einerseits und Theologie, Philosophie und Religionsgemeinschaften andererseits. Der aktuelle 'Spiritual Turn' zeichnet sich durch die Hinwendung zu vielgestaltigen spirituellen Suchbewegungen des religiösen Subjekts aus, sowohl innerhalb religiöser Institutionen als auch unabhängig von diesen. Dieser 'Spiritual Turn' löst eine Demokratisierung der Spiritualität, aber auch der klassischen psychoanalytischen Religionskritik und ihres Dialogs mit ihren Gesprächspartnern aus.

Prof. Dr. med. Eckhard Frick sj lehrt Anthropologische Psychologie an der Hochschule für Philosophie und Spiritual Care an der LMU München. Prof. Dr. phil. Andreas Hamburger lehrt Psychologie an der IPU Berlin. Mit Beiträgen von: Brigitte Boothe, Dominik Finkelde, Gerhard Schneider, Godehard Brüntrup, Jan Assmann und Aleida Assmann.

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Leseprobe

Wohin dreht der »Spiritual Turn«?


Eckhard Frick


Der Begriff »Spiritualität« entstand innerhalb des Christentums, vor allem in der römisch-katholischen Kirche, als mystische Innenseite der traditionellen und institutionalisierten Religion, die weitgehend auf Priester und Ordensleute beschränkt war. Eine erste innerkirchliche ›Demokratisierung‹ der Spiritualität führte zur inter-konfessionellen und interreligiösen Weitung des Begriffs, der nunmehr als Dimension des Menschseins verstanden wurde. Die wachsende Bedeutung von Spiritualität im New Age und anderen außerkirchlichen Bewegungen, aber auch in den Gesundheitswissenschaften, ging vom englischen Sprachraum aus. In der Soziologie verstand man unter dem »Spiritual Turn« lange Zeit alternative Spiritualitäten im Gegensatz zur Kirchenreligiosität. Mit der zunehmenden Berücksichtigung der Erste-Person-Perspektive folgt nun auch in den Wissenschaften eine Demokratisierung, die dem Sprachgebrauch und der individuellen oder kollektiven Suchbewegung auch konzeptionell Rechnung trägt. Eine derartige Demokratisierung entspricht auch der psychoanalytischen Haltung: Kollektive Einstellungen in kirchlichen und psychoanalytischen Institutionen werden zu Gunsten des Dialogs über Spiritualität in der Zweiten-Person-Perspektive relativiert.

Ein Dialog mit einem gebildeten Verächter der Religion


Sigmund Freud ist zweifellos ein gebildeter Religionskritiker. Ist er auch ein »Verächter der Religion« (Schleiermacher 1799/1958)? Gebildetsein heißt für Freud, im Dialog zu sein, und diesen Dialog auch angesichts eines religiösen Bekenntnisses fortzuführen. Es ist ein Dialog, den Freud als aufgeklärter Wissenschaftler mit dem gläubigen Gesprächspartner führen möchte, in »einstweiliger«, nicht unversöhnlicher Gegnerschaft. Charakteristisch für diesen bis an die Grenzen des Lebens gehenden Dialog ist die religiöse Sprachform, in der Freud vom Gott Lógos spricht: »Wir erhoffen dasselbe, aber Sie sind ungeduldiger, anspruchsvoller und – warum soll ich es nicht sagen? – selbstsüchtiger als ich und die Meinigen. Sie wollen die Seligkeit gleich nach dem Tod beginnen lassen, verlangen von ihr das Unmögliche und wollen den Anspruch der Einzelpersonen nicht aufgeben. Unser Gott Λόγος, […] wird von diesen Wünschen verwirklichen, was die Natur außer uns gestattet, aber sehr allmählich, erst in unabsehbarer Zukunft und für neue Menschenkinder. Eine Entschädigung für uns, die wir schwer am Leben leiden, verspricht er nicht. Auf dem Wege zu diesem fernen Ziel müssen Ihre religiösen Lehren fallen gelassen werden, gleichgiltig ob die ersten Versuche misslingen, gleichgiltig ob sich die ersten Ersatzbildungen als haltlos erweisen« (Freud 1927c/1940: 378). Der kritische Dialog, zu dem Sigmund Freuds »Zukunft einer Illusion« einlädt, ist also ein werkimmanenter. Dieses Buch ist ein literarisches Schlachtfeld, auf dem »Freud der Atheist« und »Freud der Gläubige« miteinander kämpfen (Akhtar 2009: 3). Im Kampf zwischen dem intrapsychischen Gläubigen und dem äußeren Gläubigen geht es um Hoffnung und Zukunft, in mehr oder minder »absehbarer« Perspektive und in »einstweiliger« Kontroverse: Nach eigenem Bekunden möchte Freud keine Untersuchung schreiben, »die ungestört fortschreitet wie ein Monolog«. Deshalb stellt er sich einen Gegner vor, der seine »Ausführungen mit Misstrauen verfolgt« und den er deshalb immer wieder zu Wort kommen lässt (Freud 1927c/1940: 342). Kritisch-dialogisch ist auch die Rezeption der »Zukunft einer Illusion«, von den Anfängen bis zu uns Psychoanalytikern, Gläubigen und Ungläubigen, Philosophen, Theologen, Frauen und Männern in ihrer je eigenen spirituellen Sensibilität. Genauer gesagt: Kritisch-dialogisch ist der Interdiskurs zwischen Psychoanalyse und Religion, wenn auf apologetische Vorverurteilungen beiderseits verzichtet und stattdessen kreativ gestritten wird.

Ein früher Dialogpartner ist der Zürcher Pfarrer Oskar Pfister. Pfister fühlt sich als Reformierter und Begründer einer »analytischen Seelsorge« durch die meisten Kritikpunkte Freuds nicht angesprochen. Er bezieht sie auf einen zwanghaft-ritualisierten und unaufgeklärten österreichischen Katholizismus und macht sich insofern die Kritik zu eigen (Noth 2010). Seinerseits kritisiert er Freuds Intellektualismus:

»Allein aus dem Wesen des Menschen und der engen Begrenzung des Intellektes muss ich Freuds Weissagung von der Zukunft einer Illusion die nicht mehr weissagende, sondern psychologisch begründete Behauptung von der Illusion einer solchen Zukunft entgegensetzen« (Pfister 1928: 131).

»Weissagung« ist wiederum religiöse Sprache. In der Tat macht Freud Aussagen, die in der Theologie »eschatologisch « (die letzten Dinge betreffend) genannt werden. Er spricht über Wünschen und Hoffen angesichts des Leidens, der Begrenztheit des Lebens, und zwar über individuelle und kollektive Wünsche und Hoffnungen. Er äußert den Verdacht, die individuellen religiösen Wünsche könnten ungeduldiger, selbstsüchtiger sein als das, was er für »neue Menschenkinder« erhofft. Er macht insofern eine unbewiesene, »illusionäre« Aussage über die Zukunft, als er allen Menschen eine religionslose Zukunft ankündigt und durch die Gleichsetzung von religiösem Glauben und infantilem Wunsch seine psychoanalytischen Schüler auf den Atheismus einzuschwören versucht. Gewiss kann sich die Gleichsetzung von religiösem Glauben und infantilem Wunsch im Einzelfall eines Analysanden, auch eines Lehranalysanden als berechtigt erweisen. Die kulturanthropologische Verallgemeinerung auf die Menschheit insgesamt ist unberechtigt und erschwert die Wahrnehmung des »illusionären« Charakters der Religion im Einzelfall (Lear 2009).

Vordergründig betrachtet, und dies hat sich oft genug ereignet, trennt Freuds Religionskritik Fromme und Aufgeklärte, Priester und Psychoanalytiker. Die trotzdem bestehenden Parallelen zwischen religiösen und psychoanalytischen Institutionen sind mehr oder minder bewusst. Manche religiös sozialisierte »Ausgetretene« werden zu überidentifizierten psychoanalytischen »Gläubigen«. Wer sowohl in der religiösen als auch in der psychoanalytischen »Kirche « eine »Weihe« erlangt hat, entdeckt diese Parallelen auf Schritt und Tritt. Freud selbst hatte einerseits einen wachen Sinn für Instituts-, Vereins- und Zeitschriftengründungen, andererseits war er skeptisch gegenüber Institutionen, vor allem gegenüber kirchlichen und medizinischen. Er wollte seine »Seelsorge« von derartigen kulturellen Überformungen freihalten:

»Ich weiß nicht, ob Sie das geheime Band zwischen der ›Laienanalyse‹ und der ›Illusion‹ erraten haben. In der ersten will ich die Analyse vor den Ärzten, in der anderen vor den Priestern schützen. Ich möchte sie einem Stand übergeben, der noch nicht existiert, einem Stand von weltlichen Seelsorgern, die Ärzte nicht zu sein brauchen und Priester nicht sein dürfen. Herzlich Ihr alter Freud « (Freud an Pfister 25.11.1928).

Die Psychoanalyse als weltliche Seelsorge: Freud möchte sie in seinem freundlich-spöttischen, aber durchaus ernst gemeinten Brief an Pfister sowohl vor der Vereinnahmung durch Ärzte (als Exponenten der medizinischen Institutionen) als auch durch Priester (als Exponenten religiöser Institutionen) schützen. Wie schon aus seiner Freundschaft mit Pfister deutlich wird, wollte er keinen feindseligen Ausschluss gläubiger Menschen aus dem psychoanalytischen Projekt. Faktisch bildeten sich sieben psychoanalytische Positionen zu Freuds Religionskritik heraus (Akhtar 2009):

1.  Übernahme von Freuds Atheismus und Verweigerung eines fortgesetzten, lebendigen religionskritischen Diskurses.

2.  Mit Erikson billigen einige Psychoanalytiker der Religion eine strukturierende Rolle in der Identitätsbildung zu.

3.  Wenige »bekennen« sich zu ihrem christlichen (Domínguez-Morano 2003; Meissner 1984/2001; Rizzuto 1998), muslimischen (Ad-Dab'bagh 2001) oder jüdischen Glauben und begründen dies metapsychologisch und klinisch-theoretisch.

4.  Andere stellen dem von Freud kritisierten anthropomorphen Monotheismus polytheistische und nicht-theistische Entwürfe gegenüber.

5.  Andere sehen Gott als ein frühes und sinnlich erfahrbares Wissen um...

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