2. Karrussell von Rang und Ruhm: Königliche Selbstinszenierungen
»Eitler Glanz«? Friedrichs Ironie
In einer Festbeschreibung aus dem Berlin des 18. Jahrhunderts ist von außerordentlich einfallsreichen Feiern zu lesen, von kostbarer Ausstattung der Gebäude und der Kleider der Teilnehmer, von einer überwältigenden Folge von Speisen, Musik und Feuerwerken: »[Das] Schloß [kann] man einen Zauber-Pallast heissen. Das Gold, der Marmor, und die Gemälde kämpfen miteinander in der Schönheit und der Pracht. [Alles ist] so wol angelegt und dergestallt ausgeführet, daß es von nichts übertroffen werden kann.« Zu einem Diner in Schloss Monbijou, das dem Bericht zufolge von nicht weniger als 1.000 Lampen erhellt wurde, wurde gespeist von einem »goldenen Service ..., das der König bei seiner Gelangung auf den Thron verfertigen ließ und welches wegen der schönen Arbeit, eben so schäzbar ist, als wegen des Werths der Materie.« Die am Abend gegebene Oper bestach durch »ausnehmende Stimmen«, »reiche Kleidungen und prächtigste Auszierungen«. Die Feuerwerke schließlich bestanden aus »einer unendlichen Menge von Raquetten, von Girandolen, von Lancen, von Gerben und von Feux Gregrois; welches eine solche Wirkung that, daß es schien, als ob der Himmel, die Erde und das Wasser ganz in Feuer gerathen wären.« Kein Wunder also, dass dem Festbericht zufolge der Hof »vollkommen vergnügt [war] über das, was er allda gesehen hatte und allerseits mit Bewunderung eingenommen, so wol über die Verschiedenheit der Lustbarkeiten, als auch über die Artigkeit, Ordnung und Pracht, welche dabei auf einmal geherrscht hatten.« Höhepunkt der beschriebenen Festlichkeiten war ein Reitturnier im Berliner Lustgarten, der zu diesem Zweck zu einem verschwenderisch ausgestatteten Festplatz umgebaut worden war und gegen Abend, wie der offizielle Festbericht hervorhebt, im Licht von nicht weniger als 30.000 Lampen erstrahlte:
»Der Bau an dem Chore des Königes und der Königinnen war nach Corinthischer Ordnung mit Marmor-Pfeilern und Säulen ausgezieret, deren Füße und Gesimse golden waren. Dieser Bau endigte sich in einem gekrönten Fronton, in welchem man des Königes Namen sahe. Das Chor war austapezirt und der Himmel war von Carmesin-Sammet und eben so mit goldenen Galonen und Franzen besezt, wie die Decke, welche über der Wand der Ballustrade hing.«
Die Kostüme der Teilnehmer waren an »Glanz«, »Pomp« und »Pracht«. nicht zu übertreffen: Es gab Purpur und Samt, Tiger- und Marderfell, Silbergaze und Drap d'Argent, Brokat und Atlas, Diamantenbesatz, Perlen und Rubinen, Silberzeug und Silber- und Goldstickereien; noch die Sporen der Reiter bestanden aus mit Diamanten besetztem Silber. All dies klingt nun verdächtig nach dem, was Friedrich gern als den »asiatischen Prunk« seines Großvaters, des ersten Preußenkönigs Friedrich I., verspottete. Veranstalter der ebenbeschriebenen Feiern allerdings war Friedrich II. selbst: Es handelt sich um die Feierlichkeiten im Juli und August 1750, die der König in Berlin und Potsdam aus Anlass des mehrmonatigen Besuchs des Markgrafen und der Markgräfin von Bayreuth - der in der Literatur als »Lieblingsschwester« Friedrichs betitelten Wilhelmine - organisieren ließ. In einem Brief an seine Schwester hatte er angekündigt, er wolle sie ganz »ohne Zeremonie empfangen, die Sie nicht lieben und die ich verachte«, aber seiner Freude über ihren Besuch Ausdruck verleihen mithilfe »von Festen, die Sie unterhalten werden, ohne Sie in Verlegenheit zu stürzen.«
Deutlich wird hier also, dass die bekannten ironischen Distanzierungen Friedrichs von höfischem Zeremoniell und »Pomp«, vom »eitlen Glanz frivoler und unnützer Zeremonien« nicht einfach als Absage an zeremonielles Handeln als solches lesbar sind. Diese Sprechakte dürfen nicht einfach als Ausdruck einer konsistenten, vermeintlich aus jeder Äußerung ablesbaren Programmatik herrscherlichen Handelns gewertet werden, sondern müssen in ihrem jeweiligen, häufig von literarisch-konversationellen Genrekonventionen geprägten, Kontext betrachtet werden. Als Beleg für Friedrichs Verachtung für Präzedenzstreitigkeiten zitierte Bemerkungen wie jene, die er 1751 bei einer Rangstreitigkeit unter den Damen des Hofes geäußert haben soll (»Die Dümmste soll vorangehen.«), waren zudem selbst im 18. Jahrhundert bereits jahrhundertealte Wandertopoi. Friedrichs Abneigung gegen »Zeremoniell« ist zumeist in Gegensatz zu seiner ausgedehnten Bautätigkeit oder zu Festen wie dem ebenbeschriebenen gesehen worden, worin dann einer jener vermeintlichen Widersprüche aufscheine, wie sie ja auch sonst für diesen Monarchen charakteristisch seien. Allerdings ist es angezeigt, mit scheinbar einleuchtenden, in der Forschung lange dominierenden Gegensatzpaaren wie Aufklärung versus Hof oder Öffentlichkeit versus absolute Monarchie, die einen vermeintlich klaren Weg in die Moderne nachzuzeichnen erlauben, vorsichtig umzugehen. Daher ist auch Zurückhaltung dabei angebracht, in der höfisch-dynastischen Praxis Friedrichs des Großen (aber auch des 18. Jahrhunderts überhaupt) »Widersprüche« zu diagnostizieren, die sich ja erst aus diesen Kategorisierungen ergeben.
Denn Zeremoniell blieb bei allem Spott auch für den dritten preußischen König unverzichtbar. Auch der vermeintlich so informelle Friedrich suchte seinen eigenen Rang in Relation zu anderen Herrschern wie zu seiner machtpolitisch relevanten Umgebung in Preußen selbst stets aufs Neue zu bestätigen. Sowohl innerhalb der Dynastie wie innerhalb des Militärs wird dies deutlich in der periodisch immer wieder erfolgenden zeremoniellen Abwertung seiner Geschwister wie auch herausragender Offiziere, ebenso in der von ihm genau kontrollierten Abfolge und Ausgestaltung der Hoffeste bis hin zu den Sitzordnungen der Hofdamen im Theater. Die bedeutenden Generäle und nahen Verwandten Prinz Heinrich und Herzog Ferdinand von Braunschweig, die während des Krieges eigenständig ganze Armeen geführt und Friedrich den Rücken freigehalten hatten, wurden wieder auf den Rang bloßer Regimentskommandeure zurückgestuft, denen zudem noch bei Revuen öffentlich Gunstverlust bezeigt wurde. Den dadurch bedingten Verlust herausragender militärischer Kompetenzen nahm Friedrich offenbar bewusst in Kauf. Bei seinen Zusammentreffen mit rangniederen auswärtigen Fürstlichkeiten verfuhr Friedrich bei Handgewährung wie Tischordnung genauestens nach den Regeln des Zeremoniells, so auch beim Besuch des Markgrafenpaars von Bayreuth im Sommer 1750. Der vermeintliche, im offiziellen Festbericht hervorgehobene Verzicht auf hierarchische Unterschiede bei der ersten gemeinsamen Tafel in Potsdam - wo statt der »eiteln Beweisen der königlichen Würde [...] ohne Unterscheid des Ranges Plaz genommen« worden sei - stellt sich nämlich als exakte Befolgung jener Rangordnung heraus, die der Markgräfin Wilhelmine als »Königlicher Hoheit« einen höheren Rang als ihrem Gemahl einräumte: Dementsprechend gewährte der König seiner Schwester die rechte Hand, wohingegen der Markgraf bei Tisch zur Linken platziert wurde. Dem Markgrafen gegenüber wusste Friedrich den königlichen Vorrang seines Hauses auch am Bayreuther Hof selbst durchzusetzen, an dem seine Schwester Wilhelmine stets den ranghöchsten Platz vor ihrem Gemahl erhielt. Auch zeitgenössische Diplomaten wussten Friedrichs vermeintliche Informalität entsprechend zu werten. So wies der britische Gesandte in Berlin, Sir Andrew Mitchell, im Jahre 1766 Londoner Vorgesetzte darauf hin, Friedrichs gelegentliche Ironisierungen von Zeremoniell und Präzedenz nicht für bare Münze zu nehmen, denn sobald es um seine eigene Stellung gehe, nehme er diese Kategorien sehr ernst. Er wolle nie jemandem nachstehen, sondern sei geprägt von
»vanity, and a desire on every occasion to have the lead, or, at least, to seem to have it. [...] The nomination of an ambassador to Russia, who is only to call upon him en passant, may make him jealous of the preference given to that Court, for, though upon some occasions he laughs at all formalities, yet no man is more tenacious of them in whatever he thinks touches his rank, dignity, and consideration.«
Allerdings wäre es nun genauso falsch, Friedrichs spöttische Distanz zu Hof und Zeremoniell zu ignorieren und den Schluss zu ziehen, seine Ironie sei gleichsam »nur Scherz« und »nicht so gemeint« gewesen, etwa im Sinne von: »eigentlich« war Friedrich ein höfischer absolutistischer Herrscher wie andere auch, und er setzte sich nur verbal von ihnen ab. Das war nun ganz offensichtlich auch nicht der Fall. Vielmehr scheint das Verhältnis von Ironie und höfischer Festpraxis bei Friedrich II. komplexer zu sein. Friedrich war die Rangordnung keinesfalls gleichgültig, aber er suchte den Eindruck zu erwecken, dass er über »unnützen« Zeremonien stehe. Die von Friedrich eröffnete ironische Spannung verweist somit auf die sehr spezifische Position, die der roi-philosophe im Gefüge von höfischer Öffentlichkeit und der république des lettres einzunehmen trachtete. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht jener dynastische Verwandtenbesuch des Bayreuther Markgrafenpaares, anlässlich dessen die eingangs beschriebenen Festlichkeiten stattfanden. Die Verwandtenbesuche spielten eine besondere Rolle im friderizianischen Preußen, sind allerdings bisher von der Forschung weitgehend ignoriert worden. Hier werden sie aufgegriffen, weil ihre Analyse einen genaueren Blick auf Friedrichs Begriff königlicher »Würde« und historischer »Größe« erlaubt. Neben den Feierlichkeiten von 1750 werden in diesem Kapitel kurz vier weitere Beispiele aus der Zeit nach 1763 untersucht, welche die Kontextualisierung der friderizianischen Zeremoniellpraxis erlauben.