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E-Book

Fritz Lang

»Ich bin ein Augenmensch«

AutorNorbert Grob
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783843709484
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Seine Filme erfanden die Kinowelt neu, sein Name steht für Meisterschaft. Fritz Lang, der Erschaffer von »Metropolis«, »M - Eine Stadt sucht einen Mörder« oder »Dr. Mabuse«, ist eine Legende: Geschichtenerzähler und Bildkompositeur, Schauspieler, Autor, Bonvivant und vor allem begnadeter Regisseur. Er war ein obsessiver Visionär, als Künstler so innovativ wie unerbittlich, als Privatmann gern geheimnisumwittert. Norbert Grob, einer der besten Kenner von Fritz Langs Leben und Werk, legt die erste umfassende Biographie des Filmgenies vor. Die Weimarer Republik feierte ihn als Star, das Berlin der 1920er Jahre war ihm glanzvolle Bühne. Die Nationalsozialisten umwarben ihn, doch er zog das Exil in den USA vor, wo er zur zentralen Figur der Emigrantenszene wurde. Hollywood ermöglichte dem eleganten Monokelträger, dessen Regiearbeit als diktatorisch galt, eine zweite Karriere. Doch wer war Fritz Lang, der mit Theodor W. Adorno befreundet war und mit Bertolt Brecht über Weltanschauungen stritt, außerhalb des Filmsets? Anhand einer Fülle kaum beachteter Quellen folgt Norbert Grob den Spuren des großen Filmmagiers und bringt uns erstmals auch den Menschen Fritz Lang nahe.

Norbert Grob, geboren 1949 in Frankfurt am Main, ist Professor für Mediendramaturgie und Filmwissenschaft in Mainz. Zahlreiche Buchpublikationen, Artikel und Filmkritiken u. a. für DIE ZEIT sowie filmische Essays für das WDR-Fernsehen. Fritz Lang und seine innovativen Vorstellungen von Kino zählen zu seinen Leidenschaften, der klassische Film und Stilepochen der Moderne zu seinen Forschungsschwerpunkten.

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Leseprobe

Späte Rückkehr

Frankfurt, Berlin · 1956–1958

Fritz Lang und Theodor W. Adorno: »Badger« und »Nilpferd« – zwei Freunde, mal lachend, mal streitend, aber stets seelenverwandt. Links: Langs Lebensgefährtin Lily Latté

Anfang Oktober 1956 traf Fritz Lang nach 23 Jahren wieder in Deutschland ein. Ihm war klar: Irgendwie kommt er in die Fremde, und irgendwie kommt er nach Hause. Der Tag war wolken­verhangen, nicht mehr herbstlich mild, aber auch noch nicht kalt.

Ein paar Wochen zuvor hatte Lang sich in Indien mit einem Virus infiziert. Deshalb war er von London, wo er sich von einem Arzt behandeln ließ, nicht zurück in die USA geflogen, sondern nach Frankfurt am Main. Er wollte dort einen renommierten Facharzt aufsuchen und diese Gelegenheit nutzen, seinen Freund Theodor W. Adorno und dessen Frau Gretel zu treffen, die er über seine Lebensgefährtin Lily Latté 1942 in Los Angeles kennen­gelernt hatte. Lang und Adorno, der führende Vertreter der »Kri­tischen Theorie«, Autor der Dialektik der Aufklärung1 (1947) und der Minima Moralia (1951), fühlten sich von der ersten Begegnung an seelenverwandt. Sie hatten einen ähnlichen Humor, sie lachten gerne über absurde Situationen. Als sie sich nun nach sieben Jahren wiedertrafen, war die Szene fast filmisch: Sie drückten sich fest die Hand. Danach ein kurzer Klaps auf die Schulter. Keine Umarmung.

Der Facharzt in Frankfurt mahnte ihn zur Geduld. So zwang ihn die Krankheit, seinen Aufenthalt um einige Zeit zu verlängern. »Dabei«, so bekannte er in einem Radio-Interview gegenüber Ludwig Maibohm, habe er eigentlich »nie wieder zurückkommen« wollen, »nach allem, was mir und vielen einstigen Leidensgenossen und Heimatvertriebenen angetan worden war.«2

Lang war dennoch, trotz seiner Vorbehalte, gespannt auf alles, was in diesem Land vor ihm lag. Er wollte genau hinschauen: Was ist mit Deutschland, was mit seinen Bewohnern? Nach zwölf Jahren unter nationalsozialistischer Diktatur? Und was mit der Regierung, die sich gerade anschickte, erneut aufzurüsten? Unter dem Kanzler Konrad Adenauer hatte die Bundesregierung zwei Jahre zuvor mit den Westmächten die Aufhebung des Besatzungsstatus vereinbart und am 5. Mai 1955 die volle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland proklamiert. Damit verbunden war der Beitritt zur NATO. Ein halbes Jahr später, am 12. November, wurde den ersten freiwilligen Soldaten ihre Ernennungsurkunde überreicht. Damit war die deutsche Bundeswehr gegründet. Kurz vor Langs Ankunft, Ende September, bestimmte Bundespräsident Theodor Heuss schließlich das »schwarze Kreuz mit weißer Umrandung« als offizielles Hoheitszeichen der Bundeswehr. Lang war über diese Entwicklung besorgt, sah aber mit Genugtuung die Einbindung der deutschen Militärkräfte in die internationalen Organisationen.

Lang musste oft an die Zeit denken, bevor er Deutschland 1933 verlassen hatte. Ihn ärgerte seine damalige Haltung. Sein politisches Desinteresse zu dieser Zeit, auch wenn er selbstverständlich registriert hatte, was Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre in Deutschland passierte. Aber es glitt an ihm vorbei, als ginge es ihn nichts an. Später erklärte er, er sei damals wie ein »Schlafwandler«3 durch die Welt gegangen. Interessiert nicht an der gesellschaftlichen, sondern ausschließlich an seiner filmkünstlerischen Entwicklung. In dieser Zeit hatte er sich vor allem als Maler gefühlt. Seine Bilder sollten künstlerische Kompositionen sein und gleichzeitig aufregende Seherfahrungen für die Zuschauer: mit Linien und Flächen, Licht und Schatten. So hatte er gehofft, der Rembrandt des Kinos zu werden: geheimnisvoll in den Hell-Dunkel-Effekten, aufregend in der Zeichnung von Figuren und Konflikten. Nie hatte er seine Geschichten bloß als ausgedachte Phantasien gesehen, sondern als künstlerische Umspielungen einer lebenslangen Faszination für alles Dunkle und Düstere menschlicher Existenz: für die Macht des Bösen, für die Lust am verbotenen Tun, für die Dominanz des Zufälligen, für die spielerische Nähe zum Tod. »Lang ist seinem Werk immanent«, schrieb der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser. »Was immer seine Aufmerksamkeit auf sich zog, er verwandelte es und brachte es zum Sprechen (…). Auch wenn er (…) in allen Genrespielarten arbeitete (…) er blieb doch immer derselbe: nirgends sichtbar und überall spürbar.«4

Noch im Februar 1932 hatte Lang selber geschrieben:

»Der Existenzkampf des deutschen Films wird auf einer rationellen Fabrikation basieren, die in diesen Zeiten größter Kapital­knappheit mehr als je auf die Investierung von Geist, Erfindungsgabe und Können wird zurückgreifen müssen, um dem Publikum Neues in neuer Form bieten zu können und es damit in die jetzt leeren Kinotheater zurückzuholen.«5

Ein Jahr später, 1933, war dieses Interesse am »Existenzkampf des deutschen Films« erloschen. Der Umzug nach Paris und kurz darauf nach Los Angeles hatte ihn verändert. Er spürte, dass er nun Farbe bekennen musste. In den USA entschied er, sein En­ga­gement radikal zu verstärken: Er begann, Exilanten zu helfen, und hielt Kontakte »zu politisch linken wie zu konservativen Kreisen des deutschen Exils«6. Lang war in den USA »keine isolierte, sondern in hohem Maße eine gesellschaftliche Figur«7. Er gab, wie die Malerin und Kunstsammlerin Galka Scheyer schrieb, »sein ganzes Geld für den Kampf gegen Hitler« aus8.

Lang war im Deutschland Anfang der 1930er Jahre zwar nicht wie seine damalige Frau Thea von Harbou anfällig gewesen für die Politik der Hugenberg/Hitler-Fraktion. Aber es hatte auch nicht die klare Distanz gegeben, wie sie später so selbstverständlich angenommen wurde. Doch im Exil »mischte (er) sich ein, verfolgte das aktuelle politische Geschehen (…), engagierte sich«.9

Lang, »hochgewachsen und elegant«, sei »Hollywood ganz vorzüglich bekommen«, notierten Klaus und Erika Mann in ihrem Buch Escape to Life, nachdem sie sein amerikanisches Debüt Fury gesehen und ihn mehrfach auf Partys getroffen hatten. Sie waren überrascht von seiner neuen Klarheit. Keine Gedanken mehr an Ewiges oder Übermenschliches und nur noch wenig spöttische Überheblichkeit. Ihm gehe es inzwischen

»um die Problematik des menschlichen Zusammenlebens, um Irrtum, Schuld, Gerechtigkeit, Fortschritt (…) Er ist Emigrant mit Leib und Seele; und obwohl er Amerika liebt und sich dem Lande zugehörig fühlt, das ihm so beglückende Wirkungsmöglichkeiten bietet, hängt er mit zäher Zärtlichkeit an Deutschland, dessen Schande er als die seine empfindet.«10

Bei seinem Aufenthalt in Deutschland Ende 1956 war Lang daher nicht mehr nur passiver Beobachter, sondern aktiver, debattierender Demokrat: bewusster in politischen Situationen, interessierter an Details, aufmerksamer für Tendenzen. Viele seiner Freunde zeigten sich überrascht, dass er während ihrer Begegnungen konkrete Fragen stellte nach der politischen Realität in der Bundesrepublik, nach Parteien und Personen. Und sie waren erstaunt, wie sehr er Wert darauf legte, auch ihre Ansichten kennenzulernen. Der ehemals so barsche, selbstgewisse, arrogante Künstler kam als älterer, freundlicher, neugieriger Gentleman ins alte Zuhause.

Kurz vor Langs Reise nach Deutschland, im Januar 1956, hatte der Filmpublizist Kurt Pinthus, auch er ein Exilant, den Regisseur in der Zeitschrift Aufbau als »Meister des Films« geehrt – für seinen »Einfluss auf die Entwicklung der Filmproduktion« ganz ­allgemein und für seine »fast unwahrscheinlichen Vorahnungen künftiger Dinge.« Lang kannte Pinthus noch aus seiner Berliner Zeit, er hatte ihn auch in Hollywood mehrfach getroffen. Deshalb war er umso erfreuter, nun von ihm eine derartige Würdigung seiner Arbeit zu lesen. Pinthus hatte einige Tendenzen seines Œuvres hervorgehoben: die »weder vorher noch nachher in der Weltproduktion gese­hene malerische Phantastik«; »das Unheimliche, Grauenhafte, ­Abgründige, das (…) schließlich ins Psychologische gewendet« wurde; die Beachtung »soziale(r) Probleme in den amerikanischen Filmen; und insgesamt das »tiefe Mitgefühl für die Unterwelt im Einzelmenschen und in der Gesellschaft und ein fast prophe­tisches Wissen um die chaotische Angst un­serer Epoche«.11 Lang fühlte sich durch den Text, der ein Fazit seines Werks zog, aus dem Achtung vor seiner Kunst sowie Sympathie für seine Themen und Bilder sprachen, überaus geschmeichelt. Aus heutiger Sicht wirkt es wie eine Ironie des Schicksals, dass Langs Karriere in Hollywood noch im selben Jahr, präzise am 1. Oktober, mit Beyond a Reasonable Doubt en­dete.

Theodor W. Adorno hatte, als Lang nach Frankfurt kam, ge­rade seine Studien über den Philosophen Edmund Husserl publiziert (Zur Metakritik der Erkenntnistheorie) und freute sich nun darauf, mit seiner Frau Gretel seinen Freund zu verwöhnen. Schon am ersten Abend in Frankfurt luden sie ihn zum Essen ein: zu Forelle Blau und Perlhuhn, dazu tranken sie einen Pfälzer Riesling, den Lang besonders schätzte, während Adorno Weine von der Mosel bevorzugte. Sie debattierten, erzählten, scherzten und lachten. Sie flachsten auch über ihren unterschiedlichen Weingeschmack – und stritten darum, sehr ernst. Und sie amüsierten sich wieder darüber, wenn Gretel und Lily Latté, die in...

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