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Für einen linken Populismus.

AutorChantal Mouffe
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783518759868
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Kann es das geben, einen guten, linken Populismus? Chantal Mouffe vertritt die Auffassung, dass dies möglich und sogar notwendig ist - eine Position, die ihr auch Kritik eingetragen hat. Führt das nicht zu einer gefährlichen Emotionalisierung? Läuft das nicht ebenfalls auf eine Unterscheidung zwischen gutem Volk und bösem Establishment hinaus? Politik, so Mouffe, funktioniere nun einmal über konfrontative Wir/sie-Konstruktionen; und ja, es gebe eine Art »Oligarchie«, die eine Verwirklichung demokratischer und ökologischer Ziele verhindere. Dies mache klare politische Alternativen und neue progressive Allianzen erforderlich. Eine so präzise wie provokante Intervention, die angesichts der Krise sozialliberaler Parteien und der Debatte um »Identitätspolitik« für Gesprächsstoff sorgen wird.

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Chantal Mouffe ist emeritierte Professorin f&uuml;r Politische Theorie an der University of Westminster. Sie lehrte und forschte an diversen Universit&auml;ten Europas, Nord- und S&uuml;d Amerikas und ist korrespondierendes Mitglied des Coll&egrave;ge International de Philosophie in Paris. Ihr gemeinsam mit dem argentinischen Politikwissenschaftler Ernesto Laclau verfasstes Buch <em>Hegemonie und radikale Demokratie </em>gilt als ein Grundlagentext des Postmarxismus. Mouffe und Laclau entwickeln darin ein Modell der &raquo;agonistischen Politik&laquo;, das Mouffe in<em> &Uuml;ber das Politische</em> weiter ausarbeitete. In der Auseinandersetzung mit Ulrich Becks <em>Konzept der Subpolitik</em> und Anthony Giddens&rsquo; <em>Programm des Dritten Wegs</em> kommt Mouffe zu dem Ergebnis: &raquo;Ich behaupte, es ist nicht nur konzeptionell falsch, sondern auch mit politischen Gefahren verbunden, wenn das Ziel demokratischer Politik in Begriffen von Konsens und Vers&ouml;hnung anvisiert wird. Das Streben nach einer Welt, in der die Wir-Sie-Unterscheidung &uuml;berwunden w&auml;re, basiert auf fehlerhaften Pr&auml;missen, und wer sich diese Vision zu eigen macht, mu&szlig; die tats&auml;chliche Aufgabe demokratischer Politik zwangsl&auml;ufig verkennen.&laquo;

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Leseprobe

11Einführung


Dieses Buch hat seinen Ursprung in meiner Überzeugung, dass die Linke dringend begreifen muss, wie sich die aktuelle Lage darstellt und welche Herausforderungen der »populistische Moment« mit sich bringt. Wir erleben derzeit eine Krise der hegemonialen neoliberalen Formation, und diese Krise eröffnet die Chance zum Aufbau einer demokratischeren Ordnung. Wenn wir diese Chance nutzen wollen, ist es unumgänglich, uns das Wesen der Umwälzungen der letzten dreißig Jahre und deren Konsequenzen für demokratische Politik bewusst zu machen.

Der Grund, weshalb so viele sozialistische und sozialdemokratische Parteien sich in einem desolaten Zustand befinden, liegt meiner Überzeugung nach darin, dass diese sich an ein inadäquates Politikverständnis klammern ‒ ein Verständnis, dessen Kritik seit vielen Jahren im Zentrum meiner Überlegungen steht. Ihren Anfang nahm diese Kritik in dem 1985 gemeinsam mit Ernesto Laclau veröffentlichten Buch Hegemonie und radikale Demokratie.2

Unsere Motivation für dieses Buch war die Unfähigkeit linker Politik, in ihrer marxistischen wie in ihrer sozialdemokratischen Variante, auf eine Reihe von Bewegungen zu reagieren, die im Zuge der Proteste von 1968 entstanden und mit einem Widerstand gegen verschiedene Formen von Unterdrückung einhergingen, der sich nicht in Klassenkategorien fassen ließ. Die zweite Welle des Feminismus, die Schwulen- und Lesbenbewegung, der Kampf gegen den Rassismus und Umweltthemen hatten das politische Panorama grundlegend verändert, doch die traditionellen linksgerichteten Parteien 12waren für derartige Forderungen unempfänglich, weil sie deren politischen Charakter nicht erkannten. Vor dem Hintergrund dieses Versagens versuchten wir, die Ursachen für die damalige Lage herauszuarbeiten.

Schnell wurde uns klar, dass die Hindernisse, die es zu überwinden galt, in erster Linie der essentialistischen Sichtweise entsprangen, die das linke Denken beherrschte. Nach dieser Sichtweise, die wir als »Klassenessentialismus« bezeichnet haben, waren politische Identitäten Ausdruck der Stellung gesellschaftlicher Akteure innerhalb der Produktionsverhältnisse, und ihre Interessen durch diese Stellung definiert. Dass eine solche Sichtweise außerstande war, Forderungen zu verstehen, die nicht auf dem Faktor »Klasse« basierten, war wenig überraschend.

Ein wichtiger Teil des Buches war dem Ziel gewidmet, diesen essentialistischen Ansatz mithilfe der Erkenntnisse des Poststrukturalismus zu widerlegen. Indem wir diese Erkenntnisse mit jenen von Antonio Gramsci verbanden, entwickelten wir einen alternativen, »antiessentialistischen« Ansatz, mit dem sich die Vielfalt der Widerstandsbewegungen gegen unterschiedliche Formen der Unterdrückung verstehen ließ. Um das, was diese Bewegungen artikulierten, mit einem politischen Ausdruck zu erfassen, schlugen wir vor, das sozialistische Projekt neu zu definieren, als eine »Radikalisierung der Demokratie«.

Ein solches Projekt erforderte die Bildung einer »Äquivalenzkette«, die neben den Forderungen der Arbeiterklasse auch jenen der neuen Bewegungen Ausdruck verleiht und so einen »gemeinsamen Willen« konstruiert, der auf die Errichtung dessen abzielt, was Gramsci eine »expansive Hegemonie« nannte. Indem wir das linke Projekt neu formulierten, im Sinne einer »radikalen und pluralen Demokratie«, 13verankerten wir es im weiteren Feld der demokratischen Revolution und wiesen darauf hin, dass die zahlreichen Emanzipationskämpfe auf der Vielfalt der gesellschaftlichen Akteure und ihrer jeweiligen Bemühungen beruhen. Das Feld für gesellschaftliche Konflikte wurde dadurch erweitert und war nicht mehr auf einen »privilegierten Akteur« wie die Arbeiterklasse beschränkt. Entgegen einigen unaufrichtigen Interpretationen unserer Argumentation heißt das wohlgemerkt nicht, dass wir die Forderungen der neuen Bewegungen auf Kosten derer der Arbeiterklasse privilegieren. Was wir betont haben, war, dass linke Politik die Auseinandersetzungen um die unterschiedlichen Formen der Unterordnung artikulieren muss, ohne irgendeiner davon a priori den Vorrang einzuräumen.

Außerdem wiesen wir darauf hin, dass die Ausweitung und Radikalisierung des Kampfes für mehr Demokratie niemals zu einer völlig befreiten Gesellschaft führen wird und man das emanzipatorische Projekt nicht mehr als gleichbedeutend mit der Eliminierung des Staates verstehen kann. Antagonismen, Konflikte und eine gewisse Undurchlässigkeit wird es in einer Gesellschaft immer geben. Daher gelte es, sich vom Mythos des Kommunismus als transparenter und versöhnter Gesellschaft ‒ eine Idee, die klarerweise ein Ende der Politik einschließt ‒ zu verabschieden.

Das Buch entstand in einer Situation, die von der Krise der sozialdemokratischen hegemonialen Formation charakterisiert war, wie sie sich in der Nachkriegszeit herauskristallisiert hatte. Sozialdemokratische Werte wurden durch die neoliberale Offensive infrage gestellt, waren für die Herausbildung des westeuropäischen Common Sense aber noch immer von Bedeutung, und unser Ziel war die Entwicklung einer Strategie, wie man sie verteidigen und radikalisieren 14könnte. Als indes im Jahr 2000 die zweite Auflage von Hegemonie und radikale Demokratie erschien, mussten wir in der neuen Einleitung feststellen, dass in den fünfzehn Jahren seit der Erstveröffentlichung eine bedenkliche Regression stattgefunden hatte. Unter dem Vorwand der »Modernisierung« hatte eine wachsende Zahl sozialdemokratischer Parteien ihre »linke« Identität abgestreift und sich euphemistisch als »Mitte-links-Partei« neu definiert.

Diese neue Lage habe ich in meinem 2005 veröffentlichten Buch Über das Politische analysiert.3 Darin habe ich die Folgen des von Anthony Giddens in der Theorie beschriebenen und von Tony Blair unter dem Schlagwort »New Labour« in der Praxis beschrittenen »Dritten Weges« untersucht. Ich habe aufgezeigt, wie die neue britische Mitte-links-Regierung durch die Akzeptanz der hegemonialen Ordnung, die Margaret Thatcher auf der Basis des Dogmas errichtete, die neoliberale Globalisierung sei »alternativlos«, letztlich etwas erschuf, was Stuart Hall als »sozialdemokratische Version des Neoliberalismus« bezeichnet hat. Indem die »radikale Mitte« das konfliktäre Politikmodell und die Links/rechts-Dichotomie für obsolet erklärte und den »Konsens der Mitte« zwischen Mitte-links und Mitte-rechts zelebrierte, trat sie für eine technokratische Spielart von Politik ein, der zufolge unter Politik nicht die konfrontative Auseinandersetzung zwischen Parteien, sondern das neutrale Management der öffentlichen Angelegenheiten zu verstehen war.

Tony Blair drückte es so aus: »Die Frage lautet nicht, ob wir eine linksgerichtete oder eine rechtsgerichtete Wirtschaftspolitik wollen, sondern ob wir eine gute oder eine schlechte Wirtschaftspolitik wollen.« Die neoliberale Globalisierung wurde als Schicksal betrachtet, in das wir uns zu fügen hätten, und politische Probleme wurden auf reine Sachfragen re15duziert, die von Experten gelöst werden müssten. Für eine echte Wahl, die die Bürger zwischen unterschiedlichen politischen Projekten hätten treffen können, blieb da kein Platz; deren Rolle beschränkte sich auf das Absegnen der »vernünftigen« politischen Maßnahmen, die diese Experten ausgearbeitet hatten.

Im Gegensatz zu jenen, die eine solche Lage als Fortschritt einer reifenden Demokratie verkauften, argumentierte ich, diese »postpolitische« Situation sei die Ursache für den Prozess der zunehmenden Entfremdung von demokratischen Institutionen, der sich in der wachsenden Zahl der Nichtwähler manifestiere. Zugleich warnte ich vor dem zunehmenden Erfolg rechtspopulistischer Parteien, die sich als Alternative darstellten, die den Menschen ihre von den etablierten Eliten konfiszierte Stimme zurückgebe. Ich beharrte darauf, dass es unumgänglich sei, sich vom postpolitischen Konsens zu verabschieden und das konfrontative Wesen der Politik wieder in den Vordergrund zu rücken, um so die Grundlage für eine »agonistische« Debatte über mögliche Alternativen zu schaffen.

Zu diesem Zeitpunkt war ich, wie mir heute bewusst ist, noch immer davon überzeugt, dass sozialistische und sozialdemokratische Parteien so umgestaltet werden könnten, dass sie das von uns in Hegemonie und radikale Demokratie propagierte Projekt der Radikalisierung der...

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