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E-Book

Galileos Tochter

Eine Geschichte von der Wissenschaft, den Sternen und der Liebe

AutorDava Sobel
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783827072375
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Celeste ging bereits als junges Mädchen ins Kloster. Über hundert Briefe an den Vater sind erhalten und zeigen einen Galileo, wie wir ihn nicht kennen: voller Mut, die Wahrheiten, auf die er stieß, zu erklären. Sobel versteht es meisterlich, die Stimmen von Galileo und seiner Tochter in ihre Erzählung einzuweben. Und sie führt uns die wohl dramatischste Konfrontation von Kirche und Wissenschaft vor Augen, die es in der Geschichte gegeben hat.

Dava Sobel ist eine vielfach ausgezeichnete Wissenschaftsredakteurin der New York Times. Weltweit bekannt wurde sie als Autorin des Bestsellers 'Längengrad', mit dem sie eine völlig neue und überaus erfolgreiche Form des populären Wissenschafts-Sachbuchs begründete. Im Berlin Verlag erschienen auch die Romane 'Planeten' und 'Galileos Tochter'. Dava Sobel lebt in East Hampton und in New York.

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Leseprobe

1

NICHTS, WAS EUCH KOSTBARER WÄRE


Hochberühmter Herr Vater.

Wir sind in tiefstem Kummer über den Tod Eurer geliebten Schwester und unserer lieben Tante. Wir empfinden, sage ich, großen Schmerz über ihren Verlust, und um so mehr, als wir ja wissen, welche Pein Ihr erdulden müßt, weil Ihr nun gewissermaßen niemanden mehr auf dieser Welt habt und beinahe nichts mehr verlieren könnt, was Euch kostbarer wäre, so daß wir uns vorstellen können, wie schwer dieser so unerwartete Schlag für Euch war. Und, wie ich sage, auch wir tragen einen guten Teil Eures Schmerzes, obgleich wir doch schon aus der Betrachtung des menschlichen Elends hätten Trost schöpfen müssen, denn wir alle sind hier auf Erden wie Fremde und Reisende, die bald in ihre wahre Heimat im Himmel aufbrechen werden, wo vollendete Seligkeit herrscht und wo, wie wir hoffen müssen, jene gesegnete Seele schon weilt. So bitten wir Euch um der Liebe Gottes willen, Euch zu trösten und Euch dem Willen des Herrn anzuvertrauen, denn das ist es, was Er von Euch erwartet, wie Ihr wohl wißt; außerdem würdet Ihr Euch selbst und auch uns Schaden zufügen, weil wir nicht anders können, als uns unendlich zu grämen, wenn wir hören, daß Ihr betrübt oder unpäßlich seid, denn wir haben kein anderes Gut auf der Welt als Euch.

Weiter will ich nichts sagen, als daß wir mit ganzem Herzen inständig zu Gott dem Herrn beten, er möge Euch trösten und stets mit Euch sein, und wir grüßen Euch in aller Liebe.

Zu S. Matteo, am 10. Mai 1623.

Eure liebende Tochter S. Maria Celeste1

 

Am Tag nach dem Begräbnis seiner Schwester Virginia erhielt der damals schon weltberühmte Forscher Galileo Galilei diesen Brief, den ersten von hundertvierundzwanzig, die von der einst umfangreichen Korrespondenz mit seiner ältesten Tochter noch erhalten sind. Von seinen drei Kindern war sie die einzige, in der er seinen eigenen brillanten Verstand, seinen Arbeitseifer und seine Empfindsamkeit wiedererkannte und die dank diesen Eigenschaften zu seiner Vertrauten wurde.

Galileis Tochter, hervorgegangen aus seiner langjährigen illegitimen Verbindung mit der Venezianerin Marina Gamba, kam in der Sommerhitze eines neuen Jahrhunderts zur Welt, am 13. August 1600 – im selben Jahr, in dem der Dominikanermönch Giordano Bruno in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannte, weil er, neben anderen ketzerischen und gotteslästerlichen Lehren, die er verbreitete, nicht von seiner Behauptung abließ, die Erde drehe sich um die Sonne, statt im Zentrum des Universums zu ruhen. In einer Welt, die ihren Platz noch nicht kannte, ließ sich Galilei auf denselben kosmischen Konflikt mit der Kirche ein und vollführte damit eine gefährliche Gratwanderung zwischen dem christlichen Himmel, an den er als guter Katholik ehrfürchtig glaubte, und dem Himmel, den er durch sein Fernrohr erkundete.

Seine Tochter ließ Galilei zu Ehren seiner »geliebten Schwester« auf den Namen Virginia taufen. Aber weil er Virginias Mutter nie geheiratet hatte, meinte er, auch die Tochter sei nicht zu verheiraten. Nicht lang nach ihrem dreizehnten Geburtstag brachte er sie im Kloster San Matteo in Arcetri unter, wo sie ihr Leben in Armut und Klausur verbrachte.

Als Nonne wählte sich Virginia den Namen Maria Celeste – die Himmlische: eine Geste, in der vielleicht ihres Vaters Begeisterung für die Sterne zum Ausdruck kam. Auch nachdem sie gelobt hatte, ihr Leben dem Gebet und der Buße zu widmen, blieb sie Galilei wie einem Schutzheiligen treu ergeben. Die übergroße Sorge um ihn, die sie in ihrem Kondolenzbrief äußert, nahm im Verlauf des nächsten Jahrzehnts nur noch zu, als ihr Vater alt wurde, häufiger erkrankte, gleichwohl aber seine außergewöhnlichen Forschungen fortsetzte und ein Buch veröffentlichte, das ihn vor das Heilige Offizium der Inquisition brachte.

Von Galilei hergestelltes Teleskop

Mit dem »wir« in dem zitierten Brief meint Suor Maria Celeste sich und ihre Schwester Livia – Galileis wunderliche, schweigsame zweite Tochter, die ebenfalls den Schleier nahm und als Suor Arcangela im selben Kloster San Matteo die Gelübde ablegte. Unterdessen war ihr Bruder Vincenzio, der jüngste Sproß aus der Verbindung von Galilei und Marina, durch einen Erlaß des Großherzogs der Toskana legitimiert worden und betrieb nun das Studium der Rechte an der Universität Pisa.

So tröstete Suor Maria Celeste ihren Vater, der jetzt allein in seiner Welt zurückgeblieben war, denn seine Töchter lebten fernab in ihrer eigenen, unzugänglichen Klosterwelt, sein Sohn war noch kein Mann, seine einstige Geliebte tot, und die Mitglieder seiner ursprünglichen Familie waren alle verstorben oder weit verstreut.

Auch mit seiner Sicht der Welt stand Galilei, inzwischen neunundfünfzig, ziemlich allein, wie Suor Maria Celeste sehr wohl wußte, weil sie seine Bücher las und die Briefe, die ihm Kollegen und Kritiker aus ganz Italien und sogar von jenseits der Alpen schrieben. Zwar hatte ihr Vater seine Laufbahn als Professor für Mathematik begonnen – zuerst in Pisa, dann in Padua –, doch jeder Philosoph in Europa verband Galileis Namen mit der aufsehenerregendsten Reihe astronomischer Entdeckungen, die je ein Mensch für sich in Anspruch nehmen konnte.

Ptolemäus’ geozentrisches Planetensystem

Im Jahr 1609, als Suor Maria Celeste noch ein Kind in Padua war, hatte Galileo im Garten hinter seinem Haus ein Fernrohr aufgestellt und auf den Himmel gerichtet. Nie gesehene Sterne sprangen aus der Dunkelheit hervor und erweiterten bekannte Konstellationen; der Nebel der Milchstraße löste sich in Garben dichtgedrängter Sterne auf; Berge und Täler zerfurchten die seit alters überlieferte Makellosigkeit des Mondes; und Jupiter wurde regelmäßig von einer Eskorte aus vier Himmelskörpern umkreist, wie ein Planetensystem en miniature.

»Ich erweise Gott meinen unendlichen Dank«, schwärmte Galilei nach solchen Nächten der Wunder, »weil er mich allein als ersten Beobachter bewunderungswürdiger Dinge ausersehen hat, die den bisherigen Jahrhunderten verborgen geblieben sind.«2

Die neuentdeckten Welten verwandelten Galileis Leben. 1610 wurde er von Cosimo de’ Medici zum Primario Matematico e Filosofo ernannt und kehrte nach Florenz zurück, um seine Stelle als »Erster Mathematiker und Philosoph des Großherzogs von Toskana« anzutreten. Er nahm seine beiden Töchter mit, damals neun und zehn Jahre alt, doch Vincenzio, der erst vier war, als der Ruhm die Familie erfaßte, ließ er zurück; er sollte noch eine Weile bei seiner Mutter in Padua leben.

Kopernikus’ heliozentrisches Planetensystem

Seine Entdeckungen stellten Galilei in eine Reihe mit Kolumbus. Doch sogar auf dem Höhepunkt seines Ruhms zog er Feindseligkeit und Argwohn auf sich. Denn statt ein von Heiden beherrschtes fernes Land zu erschließen, hatte sich Galilei auf heiligen Boden vorgewagt. Kaum hatte die erste Flut seiner Entdeckungen die Völker Europas in Staunen versetzt, folgte schon eine neue Welle: Er sah dunkle Flecken, die fortwährend über die Oberfläche der Sonne krochen, und beobachtete, daß die »Mutter der Liebe«, wie er die Venus nannte, Phasen der Zu- und Abnahme durchlief, nicht anders als der Mond.

Alle seine Beobachtungen bestätigten das ungeliebte heliozentrische Planetensystem, das Kopernikus mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor eingeführt hatte, das jedoch aus Mangel an Beweisen wieder eingestürzt war. In Galileis Erkenntnissen begannen sich nun erste Belege dafür abzuzeichnen. Und seine extravagante Art, die eigenen Ideen zu verbreiten – manchmal mit derbem Humor, manchmal lauthals bei gesellschaftlichen Anlässen und in öffentlichen Debatten –, trug die neue Astronomie aus den Stuben der Universitätsgelehrsamkeit hinaus in die Öffentlichkeit. 1616 erhielt Galilei von einem Papst und einem Kardinal der Inquisition eine formelle Ermahnung, seine Ausflüge in himmlische Gefilde zu unterlassen. Die Bewegungen der Himmelskörper, sagten sie, seien bereits in den Psalmen, im Buch Josua und an anderen Bibelstellen erwähnt und insofern eine Angelegenheit, die man am besten den Kirchenvätern überließ.

Galilei unterwarf sich ihrer Anordnung und hüllte sich über dieses Thema in Schweigen. Sieben Jahre lang wandte er sich weniger gefährlichen Betätigungen zu, etwa der Frage, wie sich seine Jupitersatelliten in den Dienst der Navigation stellen ließen, zur Längenbestimmung auf See. Er widmete sich der Dichtung und verfaßte literaturkritische Schriften. Durch Umarbeitung seines Fernrohrs entwickelte er ein zusammengesetztes Mikroskop. »Mit unendlicher Bewunderung habe ich viele winzige Tierchen beobachtet«, berichtete er, »unter denen der Floh am allerschrecklichsten ist, die Stechmücke und die Motte hingegen sind wunderschön; und mit großer Befriedigung habe ich gesehen, wie Fliegen und andere kleine Tiere über Spiegelflächen laufen können, sogar mit dem Kopf nach unten.«3

Kurz nach dem Tod seiner Schwester im Mai...

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