Aussagen über Wirkungsweisen von Videospielen hängen davon ab, welcher Standpunkt bei der Betrachtung und dem Erstellen von Versuchen zur Überprüfung von Thesen eingenommen wird. Im Grunde genommen gibt es drei verschiedene Betrachtungsstandpunkte: Den Extrospektiven Standpunkt, welcher die Videospiele von außen betrachtet, den Prospektiven Standpunkt, der deren Wirkungen betrachtet und den Introspektiven Standpunkt, welcher die Videospiele aus der Sicht des Spielers, sozusagen von innen heraus, betrachtet.[27]
Abbildung 2: Blickrichtungen und Betrachtungsstandpunkte
(Quelle: Eigene Darstellung)
Bei der extrospektiven Betrachtungsweise beurteilt man die Videospiele nach vier theoretischen Gesichtspunkten:
Abbildung 3: Extrospektive Betrachtungsstandpunkte
(Quelle: Eigene Darstellung)
Gerade der analytisch-ideologiekritische Gesichtspunkt bietet bei der extrospektiven Betrachtungsweise eine Art „Reiz“, welcher beim Betrachter die eigenen, für richtig gehaltenen Wertvorstellungen und Normen hervorruft, daraufhin Diskrepanz zwischen den Erfahrungswerten und daraus folgend Kritik mit sich bringt.[28] Diese Betrachtungsweise ist als Begründungshilfe für mögliche negative Auswirkungen von Videospielen auf das Erleben, Fühlen, Handeln und Denken der Spieler bekannt.[29] Diese Diskrepanz von Erfahrungswerten, welche bei der extrospektiven Betrachtungsweise auftritt, hängt oft mit dem Generationenkonflikt zusammen und fördert Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Generation X zu Generation Y oder Z.
Betrachtet man die Wirkung von Videospielen aus einer Prospektiven Sicht, so wird überprüft, welche kurz- oder langfristigen Folgen der Konsum dieser Medien hat. Es werden spezielle Hypothesen, z.B. die Wirkung von Videospielen auf Aggressionen, mit Hilfe wissenschaftlicher Verfahren überprüft. Diese Ergebnisse werden allerdings häufig in ihrer Bedeutung überschätzt und überinterpretiert, es wäre wichtiger und richtiger, solchen voreiligen Einschätzungen mit einer Skepsis zu begegnen.[30] So sagten bereits 1990 Winter und Eckert, in ihrem Buch über Mediengeschichte und kulturelle Differenzierung:
„…die Auswirkung der Kommunikationsmedien auf unsere Erfahrung der Wirklichkeit, unsere persönlichen Beziehungen und die Kultur unserer Gesellschaft sind trotz erheblicher Forschungsanstrengungen weitgehend ungeklärt. (…) Nur so viel ist mittlerweile klar: Die Wirkung der Medien hängt davon ab, wie Menschen sie nutzen.“[31]
Die Ergebnisse einer prospektiv betriebenen Forschung sind laut Sacher nicht aussagekräftig, weswegen er ein Wegkommen von der Medienwirkungsforschung fordert.[32] Diese geht davon aus, dass der Mensch nur eine passive Fläche für Medien ist und diesen ungeschützt ausgeliefert ist. Stattdessen soll verstärkt eine Mediennutzungsforschung betrieben werden, welche nach den Gründen für die Mediennutzung und dem Nutzen der durch die Medien vermittelten Inhalte für den Menschen fragt und den Menschen selbst als aktiven, auswählenden, interpretierenden und produktiven Nutzer der Medien sieht. Die Medienwirkung wird in erster Linie als von den Motiven des Rezipienten bestimmt betrachtet, dessen Umgang erst später von Inhalt und Struktur bestimmt wird.[33]
Dem Konsum von Videospielen wird nachgesagt, dass der Rezipient bei gegebenen, im späteren Verlauf noch genauer definierten Umständen, in eine Art von Trance verfällt, was einen Verlust von Zeitgefühl zur Folge hat. Dieser Verlust von Zeitgefühl kann zu einer Prioritätenveränderung führen, wobei dem Gaming eine immer wichtigere Rolle im Tagesablauf zugeschrieben wird und andere, oft auch mit sozialen Kontakten zusammenhängende Abläufe, nachgestellt werden. Dies wird oft mit einer Sucht und einer sozialen Isolation in Verbindung gebracht, jedoch muss hier darauf hingewiesen werden, dass der Rezipient nicht passiv ist und Suchtverhalten nicht auf das Medium bezogen werden kann, sondern rein kompensatorisch betrachtet werden muss.[34] Das führt dazu, dass, von außen betrachtet, sich der Videospieler wissentlich abschottet und die sozialen Kompetenzen nicht erlernt werden.
Die Gründe für das mutwillige, exzessive Gaming werden im Kapitel 3.3.2 näher beschrieben. Des Weiteren werden Thesen, laut denen kurzfristige Veränderungen beim Rezipienten beim Konsum von Videospielen beobachtet werden können, ausgehend vom Begriff Aggression beispielhaft erläutert und im Anschluss erst auf Kognitionen, Emotionen und Empathiefähigkeit übertragen. Die Auswirkungen auf das Empfinden von Empathie werden im Kapitel zur Parasozialen Interaktion genauer behandelt. Die Stimulationsthese, engl. media priming theory, befasst sich unter anderem mit den kurzfristigen Effekten von medialem Konsum von Gewaltdarstellungen. Nach der Stimulationsthese erleichtert der Umgang mit dieser Art von medialen Inhalten den Zugang zu Informationen, die mit Hilfe der Medieninhalte präsentiert werden.[35] Gestützt wird diese Hypothese von der Annahme, dass beim Konsum Gedächtnisinhalte mit ähnlicher Bedeutung aktiviert werden, wobei diese Assoziationen dann zu semantisch verwandten Gedanken, Einstellungen und sogar Verhaltenstendenzen führen können (Primingeffekt).[36] In wie weit und wie stark diese neo-assoziativen Netzwerke untereinander durch assoziative Pfade verknüpft werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren wie Regelmäßigkeit, Gleichheit und Ähnlichkeit ab.[37]
Die Theorie der neo-assoziativen Netzwerke stammt aus der Hirnforschung und besagt, dass z.B. Videospiele aggressives Verhalten aus der virtuellen in die reale Welt projizieren können, denn beim kontinuierlichen Spielen von gewalthaltigen Videospielen werden nachhaltige Kognitionen und damit verknüpfte Emotionen aktiviert und gebildet, was einen Transfer, also einen Austauschprozess zwischen Spiel und Spieler, zwischen virtueller und realer Welt, begünstigen kann. Somit werden nach der Stimulationsthese aggressive Schemata durch regelmäßigen Konsum leichter zugänglich und auch in anderem sozialen Kontext schneller abrufbar.
Abbildung 4: Stimulationsthese
(Quelle: Eigene Darstellung)
Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass bereits im Vorfeld zur Aggression neigende Rezipienten mit höherer Wahrscheinlichkeit medial vermittelte Aggression in die reale Welt übertragen, da deren neo-assoziativen Netzwerke zur Gewalt bereits gebildet und nur noch mit medialer Gewaltdarstellungen verknüpft werden müssen. Der medieninduzierte Reiz wird in diesem Fall als ein Auslöserreiz verstanden, engl. „eliciting cue“. Weitere Begünstigung zur Aggression des Rezipienten in der Wirklichkeit erfährt dieser auslösende Reiz durch Ähnlichkeiten des in den Medien dargestellten Aggressors zum Rezipienten. Sollten diese Gewalthandlungen einem guten, höheren Zweck dienen oder moralisch legitimiert sein, ist dies ebenfalls eine Begünstigung.[38]
Abbildung 5: Stimulationsthese bei Aggressiven Rezipienten
(Quelle: Eigene Darstellung)
So kann es passieren, dass mit Gewaltdarstellungen konfrontierte Rezipienten, die Gewalt an sich als gerechtfertigt und effektiv wahrnehmen, ambivalenten Handlungen anderer feindselige Motive unterstellen und letztlich Gewalt in der Wirklichkeit ausführen. Zu den Bedingungen die solche sogenannten Priming-Effekte auslösen, bzw. begünstigen können, gehört, dass die medial vermittelte Gewalt auch als Aggression wahrgenommen wird und nicht zum Beispiel als ein sportlicher Wettkampf und den damit verbundenen Kriterien der Ludologie. Weiterhin ist eine Bedingung, dass die Gewalthandlungen gerechtfertigt und nicht sozial sanktioniert werden sowie einer möglichst realistischen Präsentation der Gewalt unterliegen.[39]
Analog zum Transfer von Aggression und Gewalt in und aus einer Virtuellen Welt heraus besagt die Stimulationsthese, dass jegliche Informationen, kognitive Einstellungen und Emotionen, welche durch Medien dargestellt werden können, einen leichteren Zugang in der realen Welt schaffen können. Die Grundannahme dahinter ist, dass Menschen grundsätzlich am Modell lernen und zu diesen Modellen gehört auch die VR.[40] Als moderierende Variable nennt Fritz die Rahmungskompetenz. Sie ist die Erkenntnis darüber, dass gültige Sachverhalte aus der VR im RL nichts zu suchen haben, da sie anstatt sinnvolle Lösungsansätze zu bringen, fatale Folgen nach sich ziehen können. Dieser...