Wandern am Gardasee
Der Gardasee, größter See Italiens, ist nicht nur durch den viel zitierten Goethe zum Spiegelbild der Sehnsüchte all jener geworden, die nördlich des Alpenhauptkamms über zu kurze, kühle Sommer und zu lange Winter klagen. Er steht für so gut wie alles, was zwischen Garmisch-Partenkirchen und Flensburg mit Italien in Verbindung gebracht wird: endlose Sonnenstunden, Badespaß, rasantes Surfen und Segeln über zackigen Schaumkronen, delikates Olivenöl, fruchtigen Wein, hohe Zypressen über blauem Wasser. Nicht zuletzt hat er sich in den vergangenen Jahren insbesondere im Nordteil zu einem Mekka der Mountainbiker entwickelt. Auch Kletterfreunde kommen an zahllosen Steilwänden auf ihre Kosten - in Arco fanden sogar schon mehrfach die Kletterweltmeisterschaften statt.
Die Folge der vielfältigen Freizeitmöglichkeiten sind die hohen Besucherzahlen. Weit über zwei Millionen Gäste reisen jährlich an die Gestade des Lago, ein großer Teil davon im Juli und August, wenn die italienischen Sommerferien mit denen vieler deutscher Bundesländer zusammenfallen. Dann heißt es auch: endlose Staus auf den Straßen um den See, überhöhte Preise in Hotels und Pensionen, schlecht gelauntes Personal in Restaurants und auf Campingplätzen.
Und hier kommen diejenigen ins Spiel, für die dieses Buch geschrieben ist: die Wanderer nämlich haben, sofern sie nicht an die Sommerferien gebunden sind, einen großen Vorteil. Der Gardasee eignet sich eigentlich das ganze Jahr über zum Wandern, am schönsten ist es nicht im Hochsommer, sondern im Mai, Juni und Oktober. Während im Frühjahr die Farben und Formen unzähliger Blüten und Blumen beglücken, sind es im Herbst das stabile Wetter, die Färbung der Laubbäume und das entspannte Durchatmen der Nachsaison, das förmlich um den ganzen See herum zu spüren ist.
Die Vielfalt der Landschaft macht die Region zum einzigartigen Wanderrevier. Zwischen 100 m und 2200 m über dem Meeresspiegel finden sich auf engem Raum zahllose Landschaftsformen und eine reichhaltige, oftmals endemische Flora und Fauna. Sonnige Olivenhaine, dichte Buchenwälder, saftige Almwiesen, enge Felsschluchten und zackige Grate lassen das Wandererherz höher schlagen. Und wo sonst lässt sich schon eine Wanderung auf windumtostem Grat zwischen Schneeresten beginnen und wenige Stunden später in wärmender Sonne am Seeufer im Angesicht sanft plätschernder Wellen bei einem entspannten Glas Wein oder einem Cappuccino beenden?
Der Gardasee hieß bis ins 11. Jh. lacus benacus. Der römische Name stammt angeblich von der Siedlung Benacum, die einmal an der Stelle des heutigen Toscolano existiert haben soll. Es gibt aber auch die Sage vom Wassergott Benacus, der den lacus benacus für die Bergnymphe Engadina schuf - woraufhin sie ihm das Kind Garda gebar. Der Begriff taucht auch heute an vielen Stellen auf: z. B. im „Giro del Benaco“ oder in „Torri del Benaco“.
Wanderregionen am Gardasee
Die Wanderregionen am Gardasee lassen sich gut anhand geographischer Gegebenheiten einteilen. Von Trento kommend, führt das fruchtbare, von Gletschern geschaffene Sarcatal zwischen den mächtigen Gipfeln Monte Casale, Brento, Monte Bondone und Monte Stivo nach Süden. Es endet schließlich, vom in seiner Mitte einsam aufragenden Monte Brione zweigeteilt, bei Riva und Torbole an den Wassern des Sees. Die kleine Kirche Sant’Apollinare nördlich von Arco (Tour 6)
Hier beginnt der gewaltige Bergrücken des Monte-Baldo-Massivs. Er erstreckt sich mit steil zum Ufer abfallenden Felsflanken an der gesamten östlichen Seeseite entlang und endet erst auf der Höhe von Garda, wo er in sanfte, weinbewachsene Hügel übergeht. Diese fruchtbare, vom früheren Gletscherabraum gebildete Endmoränenlandschaft zieht sich dann um den gesamten, weitläufigen Südteil des Gardasees. Im Südwesten, auf der Höhe von Salò, geht das flache Gelände allmählich wieder in gebirgigere Landschaft über. Der westliche Gardasee wird von zahllosen markanten Gipfeln geprägt. Der nordwestliche Gardasee schließlich besticht durch steile Felswände, die direkt aus dem tiefblauen Wasser des hier schmalen und windreichen Sees in den Himmel emporzusteigen scheinen.
Auf alten Pflasterspuren durch Olivenhaine (Tour 12)
Der Gardasee ist 51,6 km lang. Er misst im Norden zwischen Riva und Torbole nur 4 km in der Breite, im Süden dagegen bis zu 17,2 km. Bei einer Fläche von 370 km² hat er einen Umfang von 160 km. Seine tiefste Stelle liegt mit 346 m vor Magugnano di Brenzone.
Der Gardasee grenzt an drei italienische Regionen: Im Norden bis Tempesta (Ostufer) und kurz vor Limone (Westufer) ist es das Trentino, am Westufer von Limone abwärts die Lombardei und am Ostufer von Tempesta abwärts Venetien. Die Grenze zwischen Venetien und der Lombardei verläuft dabei ziemlich genau in der Mitte des Sees.
Südliches Sarcatal : Inmitten weitläufiger Pflaumen-, Apfel- und Kiwiplantagen windet sich der Fluss Sarca, der im Sommer oft eher einem Rinnsal gleicht, nach Regenfällen aber zum breiten Strom anschwellen kann, am beschaulichen Drò und dem quirligen, geschichtsträchtigen Arco vorbei nach Süden. Das Tal wird im Osten von den mächtigen Monte Bondone und Monte Stivo (→ Tour 3) und im Westen von Monte Casale und Brento begrenzt. Weite, im Frühjahr und Sommer blumenübersäte Almwiesen begleiten den Wanderer am Monte Stivo und lassen nicht vermuten, dass auf der Ostseite mächtige Felsen zum Etschtal hin abbrechen. Die senkrecht aus dem Sarcatal emporsteigenden Felswände südlich des Monte Brento verbergen eine atemberaubende Wanderung mit Kraxelelementen über Eisentreppen und Drahtseilversicherungen (→ Tour 2). Westlich von Arco ragen die berühmten Kletterfelsen des Monte Colodri und Monte Colt empor. An ihrer Westseite zeigen sie sich sanft und bewaldet, so dass man ihre Gipfel auch ohne Kletterausrüstung bezwingen kann (→ Tour 5) - der Grat, der sie...