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Gebrauchsanweisung für Apulien und die Basilikata

2. aktualisierte Auflage 2016

AutorMaria Carmen Morese
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492969895
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Türkisfarbenes Meer und weiße Sandbuchten, romanische Kathedralen und trutzige Stauferfestungen, grüne Olivenhaine und gelbe Weizenfelder. Maria Carmen Morese nimmt uns mit in den tiefen Süden ihrer italienischen Heimat, streift tagsüber durch den Dom von Lecce und um Mitternacht durch die Bars von Bari. Sie erkundet winzige, fast vergessene Dörfer, geht dem Rätsel der zipfelförmigen Trulli-Häuser auf den Grund und führt uns zu dem Tuffsteinwunder von Matera und zu den »Grotten des Briganten«, wo der rubinrote Aglianico in alten Holzfässern reift. Wir lernen, was hinter dem Tarantel-Aberglauben und der Legende von Draculas Tochter steckt - und wie der Heilige Nikolaus ausgerechnet im südlichsten Zipfel Italiens zu einer Art »Superman« wurde.

Maria Carmen Morese, 1968 in Pompeji geboren, lebt als Leiterin des Goethe-Institutes und als freie Autorin in Neapel. Mit zwanzig ging sie nach Deutschland, wo sie studierte, promovierte und die PR-Agentur »cooked in berlin« gründete. Sie hat u.a. den Unterhaltungsroman »Amore, amore. Liebe auf Italienisch« veröffentlicht, und zuletzt erschienen von ihr bei Piper die mit dem ITB BookAward ausgezeichnete »Gebrauchsanweisung für Neapel und die Amalfi-Küste« sowie die »Gebrauchsanweisung für Apulien und die Basilikata«.

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Apulien ist ein ferner Kontinent − so glaubte ich, als ich ein Kind war. Von dort brachte uns mein Vater jedes Jahr wunderschöne, nie zuvor gesehene Dinge mit: bunt bemalte Matrjoschkas und russische Holzschalen, litauische Haarspangen aus Walfischknochen und dünne Räucherstäbchen, die nach Jasmin und grünem Tee dufteten. Mein Vater war weder in Russland noch in China gewesen, sondern in der apulischen Hauptstadt Bari, wo jährlich die Fiera del Levante stattfand, damals die einzige Messe in Italien, bei der sich Länder aus Osteuropa und Asien präsentieren durften. Für meinen Vater, der in den Siebzigerjahren noch ein überzeugter Sozialist war und den Fall der Sowjetunion nie und nimmer für möglich gehalten hätte, war Bari während der Messetage die schönste Stadt Italiens. Zwischen Don Camillo und Peppone aufgewachsen, hegte er eine inbrüstige Liebe für alles, was aus dem Osten stammte.

Schauen wir auf die Landkarte Italiens und zoomen auf Apulien. Il tacco d’Italia, der Hacken des italienischen Stiefels, streckt sich Osteuropa entgegen. Von Bari aus gesehen, liegt Albanien näher als Rom: Bis zum Hafenstädtchen Durrës sind es lediglich 80 Kilometer. Dieser schmale Streifen der Adria trennte jahrzehntelang West und Ost, Kapitalismus und Kommunismus. Aufgrund ihrer geografischen Position lag die Region einerseits am Ende der europäischen Welt. Keine Grand Tour, kein Goethe, der hierherkam, sah und schrieb.

Andererseits pflegten die Hafenstädte Bari, Brindisi, Otranto und Taranto seit eh und je Handelsbeziehungen mit Osteuropa und dem Orient. Und das schon unter den Phöniziern im Jahre 800 v. Chr. Diese jahrtausendealte Tradition wurde niemals unterbrochen, nicht einmal während der Zeit des Eisernen Vorhangs. Trotz vieler Einschränkungen hielt die Region weiterhin Kontakte zu Osteuropa. Der Kult des heiligen Nikolaus spielte dabei eine große Rolle. Vieles kam und kommt von Osten übers Meer: Menschen, Mythen, sogar das Land selbst. Der Sporn des italienischen Stiefels gehört geologisch zum Balkan.

Lange Zeit wurden Apulien und die Basilikata als weit abgelegene Regionen betrachtet. Für Italienreisende wortwörtlich ein Geheimtipp. So geheim, dass sie in Reiseführern nicht einmal erwähnt wurden. Noch in den Neunzigerjahren tauchten sie sogar in Büchern mit vielversprechenden Titeln wie Italien und seine Provinzen gar nicht auf. Meine Großmutter, die aus einer Gegend am Rande der Basilikata stammte, sprach übrigens nie von Puglia, sondern benutzte den Namen stets in der Mehrzahl: le Puglie. Heute noch unterscheidet man drei große Gebiete: 1) den Gargano und die Provinz Foggia, die zwar zu Apulien gehört, kulturell aber eher Neapel als Bari ähnlich ist, 2) la terra di Bari und das herrlich ländliche Valle d’Itria oder Itri-Tal – besser bekannt als la terra dei trulli, das Land der Zipfelmützenhäuser, und 3) den großen Salento, der bis 1922 Terra d’Otranto genannt wurde, mit Lecce als Hauptstadt. Besonders dort, an der Ferse des italienischen Stiefels, sprechen die Menschen selten von Puglia, wenn sie ihre Region meinen. Diese ist für sie immer und ausnahmslos il Salento. Auch wenn der Salento keine unabhängige Provinz ist, fühlen sich die Menschen hier wie die Einwohner Barcelonas, die von sich behaupten, in erster Linie Katalanen zu sein und nicht Spanier. Rund um Lecce rümpft man die Nase, wenn man zum Beispiel von Bari oder Foggia spricht: »Das ist sehr weit im Norden!« Was auch stimmt: Immerhin ist Apulien fast 400 Kilometer lang. »Hier sind wir im Salento. Das ist etwas völlig anderes als Apulien.«

Einmal gab mir jemand in Lecce eine Einführung in die Mentalität. Es war Dezember, aber der Himmel glänzte wie im Frühling, und eine schüchterne Sonne lud die Menschen ein, an den Tischen vor den Bars zu verweilen. Ich trat aus einer Konditorei an der zentralen Piazza Sant’Oronzo, wo ich süßes Gebäck gekauft hatte. Plötzlich hörte ich meinen Namen rufen. Es war der Kulturdezernent, den ich am Vortag kennengelernt hatte. Noch sah ich es nicht, das Fettnäpfchen.

»Haben Sie etwas Schönes gekauft?«, fragte er.

»Ja«, hörte ich mich sagen, »ich wollte vor ein paar Tagen etwas Ähnliches in Bari …«

Die Miene des Politikers verfinsterte sich. Trotz des voluminösen Barts konnte ich erkennen, dass die Mundwinkel nach unten gingen. Er räusperte sich, legte väterlich seine Hand auf meinen Unterarm und schaute mich tadelnd an. »Wissen Sie«, sagte er, »warum wir im Plural von le Puglie reden?«

Ich lächelte, blinzelte, schüttelte den Kopf und hatte noch nicht richtig Zeit, das diffuse Gefühl als Verlegenheit zu definieren, als er in einem etwas belustigten, aber sicheren Ton sagte: »Weil wir verschieden sind!« Mit den Fingern seiner großen Hand zählte er mir auf: »Erstens: Wir essen unterschiedliche Dinge. Zweitens: Wir sprechen unterschiedliche Sprachen …« (Ganz nebenbei: Eigentlich meinte er Dialekte, aber das war nicht der geeignete Augenblick, um mit sprachwissenschaftlichem Wissen zu brillieren.) Dann zeigte er auf das antike Amphitheater, dessen ausgegrabene Hälfte eine Etage tiefer als die Piazza Sant’Oronzo hervorlugt. »Drittens: Als wir an dieser Stelle über Philosophie debattierten, hatten sie, die Bareser, es gerade so geschafft, auf die Dächer ihrer Hütten zu klettern, die sie Trulli nennen!«

Also, ho capito, nie in Anwesenheit eines Leccesers von der Hauptstadt der Region, Bari, oder den weiteren Provinzen (Taranto, Brindisi, Trani, Barletta) sprechen! Es ist nicht bloß Lokalpatriotismus. Es ist Ausdruck einer gefühlten Realität: Apulien ist ein Kosmos von Städten und Kleinstädten (Alberobello, Cisternino, Gallipoli, Locorotondo, Martina Franca, Otranto, Ostuni, Santa Maria di Leuca, Trani etc.). Und jedes Fleckchen hat seine ganz besondere Legende, seinen eigenen, ganz speziellen Helden, seine eigene Tradition, die natürlich – so behaupten ihre jeweiligen Einwohner – im Nachbarort gänzlich fehlt. Sie sind wie Früchte, die am selben Baum gewachsen sind und dennoch ganz unterschiedlich schmecken. Eine hat mehr Sonne bekommen und schmeichelt dem Gaumen mit ihrer einzigartigen Süße; bei der anderen haben die Bienen die Blüte mit anderen Pollen bestäubt. Jetzt kitzelt ihr süßsaures Aroma die Zunge. Dann gibt es noch eine, die, gerade weil sie so schön und saftig war, an vielen Stellen von gierigen Vögeln angepickt wurde und trotzdem mit ihrer harmonischen Form und Anmut besticht. Ich denke hier an die wunderschöne, aber von der Großindustrie zu Tode verwundete Stadt Taranto. Apulien ist ein unvollkommenes Eden mit den leckersten Früchten, die man sich vorstellen kann. Das Schöne daran: Wenn man davon isst, wird keiner kommen und uns aus dem Paradies vertreiben.

»Und was ist mit uns?«, rufen die Lukaner, die Einwohner der Basilikata. Bis 1947 hieß die Region Lukanien. Warum gibt es über diesen Landstrich so wenig Literatur? Wer würde etwa auf die Idee kommen, Florenz und Rom zusammen in einem Reiseführer unterzubringen? Dass meine Urgroßmutter väterlicherseits aus der Basilikata stammte, ist nicht der einzige Grund, weshalb ich mich über die stiefmütterliche Behandlung dieser Region zuweilen richtig aufregen kann. Zum Beispiel über Bücher, die Matera, Acerenza und Venosa unter Apulien aufführen (siehe den Klappentext der Aufsatzsammlung Pellegrino di Puglia des Kunsthistorikers Cesare Brandi). Ich habe im Namen einiger dieser Autoren eine Kerze auf dem Altar der heiligen Geografie angezündet. Und eine für alle Lukaner, damit endlich die Schönheit ihrer Region gewürdigt wird. Mein Gebet wurde erhört. Nicht von Gott, sondern von einer EU-Kommission, die im vergangenen Herbst Matera zur »Kulturhauptstadt Europas 2019« auserkoren hat.

Apulien – der ferne Osten meiner Kindheit: Eines Tages durfte auch ich dem Morgen entgegenfahren und mit meiner Familie die Messe besuchen. Von diesem Ausflug ist in meinem Gedächtnis fast nichts geblieben, außer zwei Erinnerungen: das grüne Meer und die leckeren Krabben – die gamberetti. An jenem Tag Ende September 1978 war das Wetter stürmisch. Ein trotziger Wind heulte durch die weißen Gassen von Bari, Gischt spülte über die Wellenbrecher. Aber hier war das Wasser nicht stumpf und grau wie an regnerischen Tagen auf unserer tyrrhenischen Seite, sondern schimmerte in einem zarten Grünblau. Mir fiel Marco Polo, der Held meiner Kindheit, ein (über ihn lief im Vorabendprogramm eine Fernsehserie). Ich dachte, dass dieses Meer ganz notwendigerweise Fernweh erzeugen musste. Beim Anblick dieses Wassers musste jeder sofort die Lust verspüren, Mama und Papa Adieu zu sagen und davonzufahren.

Tatsächlich sind aus vielen apulischen Kindern Seefahrer oder Handelsreisende geworden. Geschäftstüchtig waren sie und gerissen. Das behaupte übrigens nicht ich, das sagt der italienische Volksmund. Demnach besitzt jede italienische Stadt – jede Provinz, jede Region – ihren ganz eigenen Charakterzug. So sollen die Genueser ziemlich sparsam sein, die Neapolitaner anarchisch, die Römer prahlerisch und so weiter. Den Einwohnern Apuliens wird ein großes wirtschaftliches Talent nachgesagt. Sie selbst sind fest davon überzeugt und betonen es bei jeder Gelegenheit.

Seit ich wieder in Italien lebe und regelmäßig nach Apulien fahre, muss ich oft erleben, wie die Bareser sich mir – einer Neapolitanerin, die lange im Ausland gewohnt hat – vorstellen. »Siamo commercianti, wir sind Kaufleute«, sagen sie und schauen mich eindringlich an. Jahrhundertelang war Bari eine...

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