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E-Book

Gebrauchsanweisung für Dänemark

AutorThomas Borchert
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492976206
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Smørrebrød und Carlsberg, Lego und Gemütlichkeit: Thomas Borchert, seit über dreißig Jahren mit einer Dänin verheiratet, führt uns liebevoll und hintergründig in seine Wahlheimat ein. Wo 7500 Kilometer Küste zum Verweilen einladen, Babys angeblich mit einer Fahrradklingel auf die Welt kommen und das sommerhus gerne an Besucher aus dem Nachbarland vermietet wird. Er streift durch Kopenhagen, wo Starkoch René Redzepi das berühmte »Noma« betreibt und im »Freistaat Christiania« die Hippies regieren. Nimmt von Bornholm bis Møn die 406 Inseln unter die Lupe. Blickt auf Exportschlager wie Jussi Adler-Olsen, Lars von Trier und Mads Mikkelsen. Und verrät, was die beliebte TV-Serie »Borgen« mit den populistischen Machenschaften in Christiansborg tatsächlich gemeinsam hat; ob die Dänen wirklich so glücklich sind und was wir außer Hygge sonst noch von ihnen lernen können ...

Thomas Borchert, Jahrgang 1952, ist 1983 der Liebe wegen von Bremen nach Kopenhagen gezogen, wo er gemeinsam mit seiner dänischen Frau, mit der er drei Kinder hat, lebt. Bis 2013 arbeitete er als Korrespondent für die dpa, aktuell berichtet er für die Frankfurter Rundschau aus Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen und Island. In Dänemark schreibt er als Kolumnist für Jyllands-Posten.

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Leseprobe

Mit Fähre und Fahrrad


Dänemark hat drei Haupteingänge: bei Flensburg über die Festlandgrenze nach Jütland. Auf der Ostsee per Schiff Richtung Kopenhagen über die Fährstationen Rødby und Gedser. Vom schwedischen Malmö aus über die elegante Øresund-Brücke, das Prachtportal, direkt in die Hauptstadt. Das reicht auch für dieses überschaubare Land. Mittendrin wird die Sache allerdings etwas komplizierter.

Ob sie die Fähre schaffen, ist für Bente Antonsen und Jørgen Møller eine wichtige Frage. Die letzte zurück auf ihre kleine Insel Fejø legt ziemlich knapp nach dem Opernbesuch in Søllested ab. Oper auf dem Dorf? »Sie läuft im Kino per Liveübertragung aus dem Königlichen Theater in Kopen­hagen. Als ob wir selbst dabei wären. Aber danach müssen wir uns beeilen.« Sie haben es immer geschafft, erzählen beide vor dem Haus mit Blick aufs Meer bei Kaffee und wienerbrød, dem dänischen Plundergebäck. Wenn sie mit den Kindern in Kopen­hagen beim Kaffee zusammensitzen, liegt gleich viermal Inselhüpfen hinter ihnen. Von Fejø über Lolland, Falster und Farø nach Seeland.

Wollen sie aufs Festland, vielleicht wegen einer Konfirmation oder Silberhochzeit in Jütland, müssen sie sogar fünfmal über das Wasser. 406 Inseln hat dieses Land. Am Ende wird das Festlokal daran zu erkennen sein, dass vor dem Eingang ein Dannebrog, Dänemarks Nationalflagge, rot-weiß flattert. Das ist Sitte bei den kolossal vielen Familienfesten.

Auf der Karte sieht es so aus: links das länglich schmale Jütland mit der Nordsee auf der einen Seite. Auf der anderen die Ostsee samt einem Sammelsurium von Inseln und auf der größten – Seeland – am östlichen Rand schließlich Kopen­hagen. Dann kommt wieder Wasser und dann Schweden. »Das Meer ist der gemeinsame Feind der Dänen, es teilt unser winziges Land in zwei Hälften«, klagte 1887 Edvard Brandes, Mitbegründer der Zeitung Politiken. Dabei hatten seine Wikingervorfahren das Inselreich doch gerade als beschlagene See­fahrer für ein paar Hundert Jahre zur Großmacht werden lassen. Danach war es permanent in Richtung »winzig« gegangen, bis Brandes die geografischen Gegebenheiten nur noch niederschmetternd fand. Die Landgrenze Jütlands zum übermächtigen deutschen Nachbarn sei »verführerisch für den Preußen, sich auch das Bajonett zu schnappen, wenn er schon das Gewehr hat«, weil das dänische Festland wie ein Wurmfortsatz an den mächtigen Nachbarn anschließt. Östlich davon sehe es mit den vielen Inseln nicht besser aus: »Die andere Hälfte liegt zerstückelt da, außerhalb Europas und des Weltverkehrs, schwer zu erreichen, unbefruchtet vom Handel, ausgeschlossen vom internationalen Verkehr und der Leuchtkraft der Ideen.«

Gelindert haben dieses Handicap in tausend Jahren dänischer Geschichte die Fähren. Dabei ging es nicht immer nur um eine möglichst schnelle Verbindung zur nächsten Insel. 1523 nutzte König Christian II. – so geht jedenfalls eine weitverbreitete Legende – die Überfahrt zwischen Jütland und Fünen zum Grübeln: Kampf gegen die Feinde auf dem Festland oder Flucht auf eine Insel? Immer wieder soll der Wankel­mütige dem Fährenkapitän auf dem Kleinen Belt den Befehl zum Wenden gegeben und ihn dann widerrufen haben, ehe er sich am Ende für die Flucht entschied. Danach ging alles schief.

Dänen bemühen die Geschichte aus dem Roman »Der Fall des Königs«, geschrieben vom Nobelpreisträger Johannes V. Jensen, gern zur Illustration von Wankelmut als angeblich nationaler Eigenart, geboren aus einem unseligen Mix von Größenwahn und Minderwertigkeitskomplexen. Ich finde Dänen überhaupt nicht wankelmütiger als andere.

1819 zog der Schustersohn Hans Christian Andersen aus Odense auf Fünen los nach Kopenhagen auf Seeland. Der Grün­schnabel träumte von Ruhm als Balletttänzer oder Schauspieler. Das mit den Märchen war dann eine Notlösung und sein erstes Hindernis auf dem Weg zum Ruhm der Große Belt. Mindestens eine Nacht hatte man vor dem Sprung über 25 Kilometer Wasser auf die Fähre zu warten, bei schlechtem Wind eventuell deutlich länger. Noch ein halbes Jahrhundert später fand es ein Reisender hier ganz unromantisch, wenn »die Überfahrt zwischen Nyborg und Korsør zwei Tage dauert und man in der Mitte bei zwanzig Grad Frost auf Sprogø übernachten muss«.

Nach und nach wurde das alles besser. Aber die Frage »Nåede de færgen?  Haben Sie die Fähre erreicht?« blieb für die Verbindung zwischen West- und Ostdänemark immer eine entscheidende. Damit überschrieb 1925 auch Johannes V. Jensen seine berühmte Novelle über Mann und Frau auf dem Weg von Jütland nach Kopenhagen. Das Paar kommt mit der Fähre auf Fünen an und jagt auf dem Motorrad halsbrecherisch über die Insel, um die nächste Überfahrt nach Seeland zu schaffen. Jeder in Dänemark kennt das Problem und die daraus folgende Gewissensfrage: Bleifuß fahren oder eventuell die nächste Fähre verpassen?

Als Jensens Schriftstellerkollege Klaus Rifbjerg knapp ein Jahrhundert später mit der Geschichte »Vi nåede færgen! – Wir haben die Fähre erreicht!« antwortete, war das schon ein wehmütiger Rückblick. Die 20 Kilometer lange Brücke über den Großen Belt hat das Land zum Jahrtausendwechsel zusammengeschweißt. Ein revolutionärer Sieg über die Geografie, diese und all die anderen gewaltigen Brücken. Das Land ist nicht mehr zerstückelt. Verkehr, Handel und auch die »Leuchtkraft der Ideen« können ungehindert fließen. Von den größeren Inseln fehlt nur dem abgelegenen Bornholm eine feste Verbindung zur Nachbarschaft. Die »Sonneninsel«, näher an Schweden und Polen als an Dänemark, steuern dafür Highspeedfähren an.

Als junger Mann mit Ehrgeiz könnte Andersen heutzutage in 75 Minuten zwischen Odense und Kopenhagen über den Belt pendeln, wie es so viele Studenten und Berufstätige täglich tun. Ihr Fahrrad nehmen sie in der Bahn mit. Oder, die bessere Variante, sie haben je eines an beiden Bahnhöfen stehen. Odense schlägt Kopenhagen um Längen als Fahrrad­paradies. Bekommen Studenten einen Wohnheimplatz, drückt man ihnen mit dem Zimmerschlüssel auch gleich ein Fahrrad in die Hand. Das ist in der Miete inbegriffen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen und Dänemarks CO2-Bilanz nach unten ziehen. Hinaus zum Campus geht es auf einer Fahrradautobahn mit tempoförderndem Belag, grüner Welle vor den Autos, Luftpumpenstationen und allerlei anderen Raffinessen. Wer könnte da widerstehen? Mein Freund Henning begründet seine Entscheidung für dieses Fortbewegungs­mittel psychologisch: »Man kommt auf dem Rad besser gelaunt an.«

Geschwindigkeit ist eben nicht alles, und auch die Fähre ist für die Dänen immer mehr gewesen als nur ein notwendiges Übel. So feierte Rifbjerg die vielen Überfahrten als »eine Freistatt«, als »die Stunde, in der nichts Böses passieren konnte, vielleicht bis auf das Unglück, möglicherweise von einem Möwenklacks getroffen zu werden«. Danach setzt man die Reise »in behaglich aufgefrischter Stimmung« fort. Rifbjergs Kollegin Hanne Marie Svendsen sieht die Fähre »als ein bewegliches Inselreich außerhalb der Grenzen der Normalität, das zugleich sammelt und verbindet«. Im Fährenrestaurant findet sie familien Danmark vereint, ohne Unterschied von Klasse, Alter oder sonst etwas. Das Selbstbild als Familie taucht oft auf, wenn Dänen sich gegenseitig erklären, warum sie so zufrieden sind in ihrem Land.

In der Familie gibt es aber auch mal Streit. Eine Ministerin bekam vor etlichen Jahren Riesenärger, skandal!, als sie telefonisch eine Fähre vom Ablegen abhielt, um noch mitzukommen. Kronprinz Frederik bekam vor Kurzem Riesen­ärger, als er sich trotz Sperrung wegen Sturm über die Große-Belt-Brücke chauffieren ließ. Die anderen mussten warten. Beides gehört sich nicht, wenn alle gleich sind.

Pyt, egal, die Brücke ist ja nur sehr selten gesperrt. Die Fährenkultur lebt dennoch weiter, vor allem durch die kleineren Inseln, die für ihre Bewohner – oder auf dem Weg zum Sommerhaus – nicht anders zu erreichen sind. Hier winkt nach wie vor die Stunde, in der nichts Böses passieren kann.

Fähre und Fahrrad passen gut zu diesem Land. Aber wo anfangen, wenn man sich Dänemark nähern möchte? Im Zentrum oder in der Peripherie? Und was ist Zentrum? In Kopenhagen leben rund 20 Prozent der Bevölkerung. Andererseits ist die Hauptstadt geografisch an den Rand gequetscht. Das war nicht immer so. Auch das westliche Schweden gehörte zur einstigen Großmacht Dänemark, bis es 1658, wie später noch so vieles mehr, verloren ging.

Vielleicht ist es besser, in Dänemarks Westen zu beginnen? Dafür sollten sich alle entscheiden, die das Land radelnd erkunden möchten, denn der Wind weht meistens von der Nordsee Richtung Kopenhagen. Auf ihn kann man sich ohne einen einzigen Berg, der diesen Namen verdient, immer verlassen.

Jyderne, die Jütländer, sind sicher, dass bei ihnen das Herz des Landes schlägt und danskheden, das Dänische an sich, klarer durchkommt als bei den Hauptstädtern: ohne Lamento zupackend, traditionsbewusst und nach wie vor bäuerlich orientiert. Im südlichen Jütland, gleich hinter der Grenze zu Schleswig-Holstein, trifft man auf eine deutsche Minderheit.

Ich lebe abwechselnd in Kopenhagen und auf der Insel Falster. Aus praktischen Gründen bevorzuge ich den Fehmarnbelt als Zugang von Deutschland. Ganz Eilige ärgern sich über diese letzte Lücke nach der Großen-Belt-Verbindung und der Øresund-Brücke zwischen Dänemark und dem Rest der Welt. Ein 20 Kilometer langer Tunnel ist beschlossene Sache,...

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