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E-Book

Gebrauchsanweisung für die Fußball-Nationalmannschaft

2. aktualisierte Auflage 2018

AutorMichael Horeni
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492990219
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
54, 74, 90, 2014 - Deutschland reist als Weltmeister mit vier Sternen auf der Brust an und gilt nicht erst seit dem Gewinn des Confed Cup als einer der Favoriten auf den WM-Titel. Es wird spannend in Russland, wenn Jogis Elf auf Klassiker wie Brasilien, Italien und Frankreich trifft: Michael Horeni, der 1974 als Kind beim Strandfußball an der Adria erlebte, was es bedeutet, Weltmeister zu sein, begleitet die Nationalmannschaft seit fast 20 Jahren. Er erzählt uns so detail- und kenntnisreich von der Aura und den Emotionen, von der Geschichte und den Strategien dieses Teams, dass man die Nationalelf mit anderen Augen sieht. Er erklärt uns, warum uns keine andere Mannschaft seit Jahrzehnten so bewegt und der Bundestrainerjob der unmöglichste im ganzen Land ist. Was es heißt, für Deutschland zu spielen, aber die Hymne nicht zu singen. Und was es braucht, um 2018 den fünften Stern aufs Trikot zu sticken.

Michael Horeni, geboren 1965 in Frankfurt am Main, schreibt seit 1989 als Sport-Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der studierte Politologe und Philosoph ist seit 2000 zuständiger Redakteur für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. 1998 erhielt Horeni den Fair-Play-Preis für Sportjournalismus.

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Leseprobe

Warum die Nationalelf glücklich macht

Ich war neun, als ich das erste Mal Weltmeister wurde. Es passierte am 7. Juli 1974, an einem kühlen Sommertag. Mittags hatte es ein bisschen geregnet, wir schauten in die schwarzen Wolken und hörten ein wenig früher mit dem Kicken auf. Aber das war nicht wichtig an diesem Tag. Wichtig war etwas anderes: Das Endspiel fiel auf Grabis Geburtstag! Und damit war die Sache für uns klar: Heute werden wir Weltmeister.

Schon während der gesamten Weltmeisterschaft hatte ich zuvor alle Zeichen richtig gedeutet. An diesem Finaltag, da war ich mir absolut sicher, lief alles auf Grabi hinaus. Und auf Holz. Und auf Frankfurt, meine Heimatstadt. Grabi, das war natürlich Jürgen Grabowski, und Holz, das war Bernd Hölzenbein. Das musste man damals niemandem erklären, schon gar nicht, wenn man aus Frankfurt kam. Grabi war ein Fußballgott, das Wort gab es damals zwar noch nicht, aber er war trotzdem einer. Aber weil Grabi so unerreichbar war, wurde er nie mein Lieblingsspieler. Das war Holz, das Schlitzohr.

Ich hatte schon bei meiner ersten Weltmeisterschaft begriffen, dass man Fußball nur mit magischem Denken wirklich versteht. Für mich war das Erkennen und Verbinden dieser Zeichen eine vollkommen logische Angelegenheit, ein Kinderspiel. Ich sah die Dinge, die kommen sollten, glasklar vor meinem inneren Auge. Meine Eltern konnten jedoch nicht sehen, was ich sah, und die anderen Erwachsenen auch nicht. Selbst in der Zeitung, die ich an jenem Sonntag kurz vor dem Endspiel am Wasserhäuschen holte, dort, wo die Männer ihr Henninger und Binding wie immer aus der Flasche tranken, hatten sie doch tatsächlich behauptet, die Holländer hätten die bessere Mannschaft.

Wer den Fußball aber wirklich begriff, so wie ich damals als Kind, dem hatten sich schon vor dem Endspiel die entscheidenden Dinge offenbart. Wo hatte denn das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft stattgefunden? In Frankfurt! Und wer kam ins Team, nachdem wir gegen die DDR mit 0:1 verloren hatten: Holz! Und im nächsten Spiel auch noch Grabi! Und wo hatte die Wasserschlacht gegen Polen stattgefunden, die wir 1:0 gewannen und die uns ins Endspiel gebracht hatte? Natürlich auch in Frankfurt! Und nun spielten mit Grabi und Holz gleich zwei Frankfurter von Anfang an im Endspiel gegen die Holländer – und Grabi hatte auch noch Geburtstag! Das waren für mich eindeutige, unwiderlegbare Zeichen, dass ich mir um den Ausgang des Spiels überhaupt keine Sorgen machte.

Mein Vater schaltete den schleiflackweißen Grundig-Fernseher ein, den er extra für die Weltmeisterschaft gekauft hatte, leider das etwas günstigere Modell ohne Fernbedienung. Die braucht kein Mensch, hatte er gesagt. Meine Mutter setzte dafür den eleganten, silbernen Drehfuß durch. Als das farbige Bild langsam auf dem Grundig Super Color 8011 erschien, sprang ich von der Hollywoodschaukel auf und lief ins Wohnzimmer.

Auf der glattbraunen Ledercouch nahmen wir vor dem Fernseher unsere feste Formation ein. Eine Dreierkette, wie ich heute sagen würde, auch wenn es die damals noch nicht gab. Ich saß ganz links auf dem Sofa, direkt neben der Tür. Meine Mutter in der Mitte, mein Vater ganz rechts, nah an den Schaltern des neuen Geräts. Er brauchte seinen muskulösen Arm nur ein wenig auszustrecken, um die Lautstärke zu regeln oder zwischen den einzigen drei Programmen zu wechseln, was er auf Anweisung meiner Mutter auch klaglos tat, um zu beweisen, dass wir die Fernbedienung nicht brauchten.

Das Spiel begann. Für die Nationalhymne interessierte sich damals, als Deutschland noch mit dem sperrigen Vornamen Bundesrepublik vorgestellt wurde, niemand bei uns. Ich war jedenfalls kein bisschen nervös, als die Mannschaften erst an der Mittellinie Aufstellung nahmen und Uli Hoeneß dann schon eine Minute nach Anpfiff den verdammt lässigen Johan Cruyff foulte und Johan Neeskens den Elfmeter genauso lässig zum 1:0 für Holland mitten ins Tor donnerte. Warum auch? Ich wusste ja, dass wir gewinnen.

Mein Vater drehte nach dem Rückstand die Lautstärke runter, während ich ruhig auf den Ausgleich wartete. Schmerzhafte Niederlagen, über die sich mein Vater mit seinen Freunden während der Weltmeisterschaft ausgelassen hatte, kannte ich noch nicht. Und selbst wenn ich davon mal gehört hatte, dann lagen sie für mich unendlich weit zurück. So wie das 3:4 gegen Italien nach Verlängerung beim WM-Halbfinale von Mexiko vier Jahre zuvor, von dem die Erwachsenen immer wieder erzählten. Über diese Niederlage redeten sie auf eine ganz merkwürdige Art, geradezu schwärmerisch, als wäre es eine besondere Kunst, schön zu verlieren. Bei dieser Niederlage war ich gerade fünf gewesen, jetzt war ich fast doppelt so alt.

Ein halbes Leben lag also das Spiel zurück, und ich fragte mich, warum die Erwachsenen immer noch darüber redeten. Genauso wie über dieses merkwürdige Wembley-Tor gegen England. Darüber konnten sie sich immer noch richtig aufregen.

Ich dagegen war nur mit deutschen Siegen groß geworden. Etwas anderes als einen Sieg konnte ich mir gegen Holland an diesem Tag einfach nicht vorstellen. Zwei Jahre zuvor hatte ich auf unserem alten Schwarz-Weiß-Fernseher mein erstes Länderspiel gesehen. Es war wieder im Wembley-Stadion, aber diesmal gewannen wir 3:1 gegen England. Mein Vater war vollkommen aus dem Häuschen. Beckenbauer, Netzer, so etwas Schönes habe er auf dem Fußballplatz noch nie gesehen, sagte er. Ich fand das vollkommen normal. Kurz darauf wurden wir Europameister, ganz locker 3:0 gegen die Sowjetunion, die bei uns aber alle nur die Russen nannten. Europameister werden war leicht. So viel stand fest.

Ich war also nicht überrascht, als Paul Breitner mit einem Elfmeter das 1:1 machte. Holz war im Strafraum zu Boden gegangen, mit ausgebreiteten Armen, als wollte er fliegen. Das war seine Spezialität. Ich kannte das schon aus der Bundesliga von ihm und spielte es auf der Wiese und auf dem Platz immer wieder nach: Elfmeter schinden. Das konnte auch ich irgendwann ziemlich gut.

Als ich dreißig Jahre später mit Bernd Hölzenbein für einen Rückblick auf den WM-Sieg von 1974 zusammensaß und wir noch einmal über jene Szene im Strafraum redeten, die viele für eine Schwalbe hielten, vor allem wenn sie aus Holland kamen, einigten wir uns schließlich auf die Formulierung, dass er sich in diesem Zweikampf gegen Wim Jansen nicht gegen die Schwerkraft gewehrt hatte. Holz hätte die schönste Schwalbe, die Fußball-Deutschland je gesehen hat, natürlich auch dreißig Jahre später niemals zugeben. Aber er grinste dabei so herrlich, wie es Ronald Biggs nach seinem legendären Postraubzug bestimmt auch getan hatte.

Als Gerd Müller kurz vor der Pause das 2:1 mit einem Drehschuss machte, flippte bei uns niemand aus. Nicht einmal der Reporter im Fernsehen. Auf unserer Dreierketten-Couch passierte das sowieso nie beim Fußball. Auch auf der Straße rührte sich nichts, nicht einmal nach dem Schlusspfiff, als Franz Beckenbauer den Pokal in den wolkigen Himmel hob und Sepp Maier ihn küsste. Erst den Pokal und dann bestimmt auch den Franz.

Unsere Nachbarn blieben wie wir mit dem zweiten deutschen WM-Titel allein zu Haus. Es war ja nur Fußball. Und nicht Silvester, wo man zusammen auf der Straße miteinander anstieß und feierte. Der Reporter im Fernsehen sagte nach dem Abpfiff, meine Herren, jetzt können Sie die besseren Sachen entkorken. Und Sie, meine lieben Damen, können mittrinken. Aber wir tranken nichts.

Auch von Autokorsos, die sich beim nächsten WM-Sieg 1990 in Deutschland erstmals, aber noch zögerlich durch die Stadt bewegten, fehlte damals in unserer Straße noch jede Spur. Von Public Viewing vor dem Brandenburger Tor oder am Mainufer ganz zu schweigen. Mein erster WM-Sieg war ein reiner Familien-Fernseh-Fußball-Tag. Das reichte, um mich glücklich zu machen.

Am Tag danach sind wir mit unserem taubenblauen Ford Taunus in den Urlaub gefahren. Es ging nach Italien, an die Adria. Es war meine erste Reise als Weltmeister, aber das ahnte ich noch nicht, als wir über den Brenner fuhren und unsere Pässe vorzeigten. Ich trug ein T-Shirt mit Tip und Tap drauf, den beiden WM-Maskottchen, die sich ziemlich hip in bauchfreien T-Shirts zeigten, aber ich dachte damals bloß, sie wären ihnen versehentlich aus der Hose gerutscht, so wie mir das immer passierte, wenn wir nach der Schule kickten und aus unseren Ranzen Torpfosten machten. Als der Grenzbeamte mich hinten in meinem WM-Shirt entdeckte, ging er in die Knie, um mir direkt ins Gesicht zu sehen. Mit Grenzern kannte ich mich aus. Ich merkte gleich, dass der ganz anders drauf war als die mürrischen Typen in Herleshausen, an denen wir immer vorbei mussten, wenn wir Verwandte in der DDR besuchten. Eine schickere Uniform hatte er auch. Durchs runtergekurbelte Fenster reckte er mir nun seinen Daumen entgegen und sagte grinsend: Muller, Muller. Dann winkte er uns fröhlich in die Ferien. So also reiste man als Weltmeister.

Gleich am nächsten Tag, nachdem wir unsere Liegestühle unter einem der akkurat aufgereihten azurblauen Sonnenschirme in der zweiten Reihe gemietet hatten, schnappte ich mir meinen Ball, um hinten am Strand zu kicken, bevor der Sand zu heiß wurde. Es waren auch schon ein paar andere deutsche Jungs in meinem Alter da. Wir spielten sofort das WM-Endspiel nach. Erst den Elfmeter von Paul Breitner, flach ins linke Eck. Das war leicht. Der Drehschuss von Müller um die eigene Achse war schon schwieriger, das bekamen wir im tiefen Sand kaum hin. Aber was sollen da erst die Jungs und Mädchen von heute sagen, wenn sie das Wahnsinnstor von Mario...

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