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E-Book

Gebrauchsanweisung für München

AutorThomas Grasberger
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783492958264
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Manche glauben, München bestehe nur aus Dallmayr und Maximilianstraße, Käfer-Zelt und Schickimicki, Freizeitspaß im Voralpenland und einer Stadtsilhouette ohne Hochhäuser. Aber München ist mehr. Hinter den Kulissen der Film- und Bierstadt gibt es Skurriles und Vielfältiges zu entdecken, nicht nur im Englischen Garten oder an den Stammtischen der bayerischen Grantokratie. Thomas Grasberger ergründet das kulturelle Leben jenseits von Oktoberfest, Gasteig und Tollwood; er erkundet die Seele des »echten« Münchners, seine Föhnfühligkeit und andere Hinterfotzigkeiten des lokalen Wetters. Der Autor führt uns in eine Zeit, als Schwabing noch Boheme bedeutete und Giesing noch ein Arbeiterviertel war.

Thomas Grasberger, 1964 in Altötting geboren, studierte in Bangkok und der bayerischen Landeshauptstadt, wo er auch die Journalistenschule absolvierte. Er arbeitete u. a. für die SZ und Die Welt; seit 2000 ist er fest-freier Journalist beim Bayerischen Rundfunk. In seinen Radiofeatures, Fernsehdokumentationen und Büchern wie »Grant. Der Blues des Südens« spürt Grasberger dem bairischen Lebensgefühl nach. 2017 wurde er mit dem Ernst-Hoferichter-Preis ausgezeichnet und im selben Jahr zur renommierten Literatenvereinigung Münchner Turmschreiber berufen. Mit seiner Familie lebt er in der Münchner Maxvorstadt.

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Leseprobe

Ankunft


Eine Annäherung an München ist zu Wasser, zu Lande und aus der Luft möglich. Welches das günstigste und schnellste Verkehrsmittel ist, vermag derzeit niemand wirklich zu sagen. Was den Wasserweg angeht, müssen wir zu unserem Bedauern feststellen, dass es mit den fahrplanmäßigen Verbindungen auf der Isar, den sogenannten Ordinariflößen, nicht mehr allzu weit her ist. Dabei war es einst eine durchaus gängige Methode der Anreise. Schon Mitte des 17. Jahrhunderts fuhr jeden Montag und jeden Freitag Punkt sieben Uhr früh ein Floß von Mittenwald nach München hinein. Später kam der Fernverkehr hinzu, von München nach Landshut, ja sogar bis nach Wien hinunter. Schade, dass es sie nicht mehr gibt, denn solche Fahrten waren wohl eine recht heitere Angelegenheit. Auf einem einzigen Floß wurde vermutlich mehr Alkohol ausgeschenkt als bei allen zeitgenössischen Airlines zusammen. Was die Sache nicht eben ungefährlich machte, denn so manches Mal knallte ein schwer angeheiterter Flößer mit seinem Gefährt samt Fracht und Passagieren gegen einen Brückenpfeiler.

Vielleicht wurde auch deshalb 1825 der fahrplanmäßige Passagierverkehr aufgegeben. Heute gibt es nur mehr die bierseligen Gaudifloßfahrten, die als zeitgemäßes Verkehrsmittel nicht wirklich zu empfehlen sind. Wer also unbedingt am Wasserweg festhalten wollte, müsste schwimmen. Was beim Wasserstand der Isar mancherorts mit aufgeschlagenen Knien enden würde, auch wenn mit der Renaturierung des Flusses die Restwassermenge größer und die Qualität des Isarwassers besser geworden ist. Für größere Schiffe reicht es aber wohl noch nicht ganz. Der zeitgenössische Besucher nimmt also lieber sein Auto für eine Reise nach München. Doch auch damit kann es an manchen Tagen zu Verzögerungen kommen. Von Norden her, auf der A 9 fahrend, kommt er nämlich in der Regel ungefähr bei Eching zu stehen. Von Süden her, auf der A 8, in der Gegend um Brunnthal. So oder so, er wird viel Zeit haben, sich zu fragen, warum er nicht doch besser geschwommen ist.

Beliebt sind auch die Reisen mit der Eisenbahn. Gleichwohl sind auch dabei gewisse Fallstricke nicht ohne Weiteres auszuschließen. Unerfahrene Reisende könnten aus lauter Vorfreude versucht sein, schon im Bahnhof München-Pasing aus dem Zug zu springen. Sollte Ihnen als Debütant ein solches Missgeschick widerfahren, bleiben Sie ganz ruhig, verlieren Sie nicht die Nerven, und beachten Sie folgenden Drei-Punkte-Notfallplan: 1. Verlassen Sie nie den Bahnhof Pasing! 2. Vergessen Sie alles, was Sie gesehen haben, warten Sie auf den nächsten Zug nach Augsburg, und fahren Sie zurück! 3. Machen Sie von Augsburg aus einen erneuten Anlauf zum Münchner Hauptbahnhof. Sie wissen ja, es ist immer die erste Begegnung mit einer Stadt, die beim Gesamteindruck besonders zählt, weil sich unwiderrufliche Eindrücke im Gehirn einprägen. Heben Sie sich Pasing lieber für später auf!

Wem all dies gleich am Anfang viel zu gefährlich erscheint, der nehme das angeblich schnellste und sicherste Verkehrsmittel unserer Tage. Ein Flug von Hamburg nach München dauert nur eine Stunde. Außer es ist gerade Sommer und es hängen mehrere Gewitter über München. Dann kann so ein Rundflug in der Warteschleife auch schon mal fünf Stunden dauern. Vielleicht sitzen Sie ja gerade in einem Flugzeug, wenn Sie diese Zeilen lesen. Die Maschine fliegt eine steile Kurve, die Stewardess hat Sie soeben freundlich aufgefordert, Ihren Gurt anzulegen, und aus dem Deckenlautsprecher näselt Ihr Kapitän irgendetwas Unverständliches von »Landeanflug«. Sollten Sie einen Fensterplatz haben, dann schauen Sie doch einfach mal hinaus. Mit etwas Glück sehen Sie unter sich die Burg Trausnitz und den größten klerikalen Backsteinbau der Welt, die Martinskirche. Beide gehören unwiderruflich zur niederbayerischen Stadt Landshut. Eindrucksvoll und zum Greifen nah! Man kann schon fast die Menschen erkennen. Aus dem Erdkundeunterricht wissen Sie vielleicht noch, dass Landshut gut 60 Kilometer von München entfernt liegt. Spätestens jetzt dürfte sich bei Ihnen ein leichter Anflug von Panik einstellen. Sie denken an eine Flugzeugentführung? An eine Notlandung? Bleiben Sie gelassen! Zugegeben, die Maschine ist schon verdammt weit unten und die Stadt Ihrer Sehnsüchte noch so fern. Und doch hat alles seine Richtigkeit. Sie befinden sich im Landeanflug auf den Flughafen München. Oder »FJS-Airport«, wie der in der Einflugschneise immer noch tapfer ansässige Niederbayer heutzutage sagen würde. Wenn Sie jetzt ins Grübeln kommen und sich fragen, ob im Begriff Annäherung nicht doch irgendwie das Wort »nahe« drinsteckt, und wenn Sie sich dann weiter fragen, warum der Münchner Flughafen dennoch so weit von der Stadt weg ist, dann schauen Sie noch einmal aus dem Flugzeugfenster. Mit hoher Wahrscheinlichkeit blicken Sie in eine der ortsüblichen Quellwolkenformationen. Mit etwas Phantasie können Sie zwischen den dichten Wolkenbänken das Konterfei eines hiesigen Stammesheiligen erkennen. Ein schwerer, massiger Schädel mit kleinen, fast zugewachsenen Äuglein, die Ihnen zuzwinkern. Es handelt sich dabei keineswegs um eine Fata Morgana, sondern um eine noch recht präsente, wenngleich nicht mehr physisch unter uns weilende Persönlichkeit. Was Sie da sehen, ist die Erscheinung Seiner Majestät Franz Josef Strauß des Ersten und Einzigen, seines Zeichens langjährig unumschränkt waltender Stammesfürst der Bayern, verstorben im 88er Jahr bei einer fürstlichen Jagdgesellschaft, hinaufgefahren gen Himmel, dort droben – so will es die bayerische Mythologie – die Macht im Handstreich an sich gerissen und seither gottgleicher Herrscher der himmlischen Heerscharen, Sektion Bayernland.

Weil seine Untertanen und mehr noch seine politischen Ziehsöhne nicht glauben konnten, dass er für immer von ihnen gegangen sein soll, hat man – ganz in der Tradition altägyptischer Pharaonenkulte – vorsichtshalber einen überdimensionierten Flughafen gebaut und nach ihm benannt. Denn erstens war er zu Lebzeiten passionierter Sportflieger und somit prädestiniert für die Rolle des Schutzpatrons der Fliegerei und des steuerbefreiten Flugbenzins. Und zweitens: Man weiß ja nie, ob er vielleicht nicht doch eines Tages wieder runterkommt, der heilige Franz Josef. Dann braucht er eine geräumige Landebahn, weshalb das Mammutprojekt mitten im Erdinger Moos gerade groß genug erschien.

Zugegeben, das ist nur eine der Theorien über den Münchner Flughafen. Eine andere besagt, dass der Stammesfürst Strauß selbst das Renommierstück aus quasi niederen Beweggründen in die Welt setzen ließ. Motiv Rache! Das würde gut erklären, warum der Franz-Josef-Strauß-Flughafen so weit von München entfernt ist und in 2000 Jahren kein noch so gescheiter Archäologe wird sagen können, ob dieser kultische Ort nun zur Siedlung Salzburg, Nürnberg oder doch zu München gehört hat. Unser tapferer Altertumsforscher wird vielleicht nur aus diesem Buch erfahren können, dass es seinerzeit um die posthume Abrechnung eines enttäuschten Namensgebers ging.

Der politische Hintergrund ist eindeutig: Zu gern wäre der Bayernherrscher einst Bundeskanzler der ganzen Republik geworden. Aber die undankbaren Wähler, sie wollten ihn nicht. Und deshalb müssen Sie jetzt jedes Mal bluten, wenn Sie nach München wollen. Immer schön ein paar Scheine fürs Taxi in der Reisekasse bereithalten, sonst heißt es: zu Fuß gehen. Was dann unter Umständen noch länger dauert, als an der S-Bahn-Station herauszufinden, wie viele Streifenkarten Sie für eine Fahrt in die Innenstadt brauchen. Machen Sie sich in solchen Situationen keine ernsthaften Gedanken über Ihre eigene Intelligenz. Es gibt keinen Eingeborenen, der das Tarifsystem des Münchner Verkehrsverbunds zur Gänze verstanden hätte. Und es gibt keinen, der einen anderen kennt, der über solche Kenntnisse verfügte. Wer was anderes behauptet, der lügt oder arbeitet beim MVV. Und lassen Sie sich um Gottes willen nicht das MVV-Kartenverwirrspiel erklären. So viel Zeit haben Sie nicht. Halten Sie es lieber mit dem Rat eines alten Münchners, der dem Autor auf die Frage nach dem richtigen Ticket einst antwortete: »I woaß aa ned. Nehmans a billigs und lossns Eahna hoid ned dawischn.«

Diese Form der mobilen Unwissenheit ist übrigens eine der wesentlichen Gemeinsamkeiten aller Münchner. Eine weitere besteht darin, dass man gern und wortreich über die S-Bahn schimpft, weil sie oft zu spät kommt. Plötzlich entflammen am Haltesteig Gespräche zwischen Wildfremden, was sonst nicht gerade üblich ist in dieser Stadt. Im Fall der Flughafenlinie sind solche Beschimpfungen aber reichlich undankbar. Immerhin gibt es heute diese Bahnverbindung, was auch nicht selbstverständlich ist. In der Frühzeit des Airports machte unter Spöttern das geflügelte Wort die Runde, dass der Münchner Flughafen der einzige der Welt sei, den man nur aus der Luft erreichen könne. Heute können Sie in gepflegten vierzig Minuten in die Innenstadt reisen. Wenn Sie von irgendeinem bundesdeutschen Flughafen gestartet sind, macht das in der Regel nur die Hälfte Ihrer Gesamtreisezeit aus. Und wenn Sie von den Fidschi-Inseln kommen, ist es kaum mehr der Rede wert.

Dafür können Sie sich dann ausgiebig an so idyllisch klingenden Haltestellennamen wie Hallbergmoos, Ismaning und Unterföhring erfreuen. Weil aber S-Bahn-Dörfer im Allgemeinen und vom Zug aus gesehen im Besonderen doch sehr ähnlich wirken, und weil die Ortsnamen immer noch ländlicher werden, reißt der Ortsunkundige spätestens bei Englschalking seinen Stadtplan heraus und prüft panisch, ob er auch ja in die richtige Richtung fährt. Bleiben Sie gelassen, eigentlich kann jetzt nicht mehr viel schiefgehen. Lauschen Sie der Stimme Ihres Zugbegleiters: Wenn es irgendwie nach...

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