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E-Book

Gefährliche Freiheit?

Das Ende der Sicherungsverwahrung

AutorPeter Asprion
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783451346149
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Entlassung einiger für gefährlich gehaltener Straftäter lösten Ängste aus. Ein absoluter Schutz vor Rückfällen scheint unmöglich. Verunsicherung hier, dort das Recht auf Resozialisierung. Peter Asprion berichtet vom schwierigen Weg in die Freiheit. Er gibt den 'Gefährlichen' ein menschliches Gesicht und plädiert für einen Umgang mit diesen ohne Dämonisierung und Panik.

Peter Asprion arbeitet als Bewährungshelfer, Supervisor, Mediator und Dozent, er lebt in Freiburg i. Br.

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Leseprobe

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern


Ziemlich sicher hat mein Großvater weder Franz-Joseph Degenhardt noch dessen Lied von den Schmuddelkindern gekannt. Gesagt hat er zu mir trotzdem: „Zu denen gehst du nicht hin!“

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf und von dort in ein streng katholisches Internat zum Schulbesuch geschickt, hatte mein Großvater Sorge um mich, als sich im Dorf eine kleine Initiative ansiedelte, die sich um drogenabhängige junge Menschen kümmerte. Es war die Zeit der späten Achtundsechziger, und ich selbst war damals zumindest äußerlich infiziert, mit langen Haaren und der Musik der jungen Generation in den Ohren: nach bürgerlichen Maßstäben ein „Gammler“. Mein dörflich geprägter Großvater, und nicht nur er, hatte Sorge, dass der Kontakt mit den suspekten neuen Dorfbewohnern sich schädlich auf mich auswirken würde. Also wurde mir der Umgang mit den neuen Dorfbewohnern verboten.

Selbstverständlich habe ich mich nicht an das Verbot gehalten und so einige Menschen in meinem Heimatdorf kennengelernt, die, wie ich, zwischen 16 und 20 Jahre alt waren, sich in ihrer Biografie und vor allem in ihrer sozialen Auffälligkeit von mir unterschieden, was ich einerseits aufregend und abenteuerlich, andererseits aber auch beängstigend empfand. Sie hatten harte Drogen konsumiert, waren von Krankheiten wie Hepatitis beeinträchtigt, manche hatten schwere Straftaten wie Raub, Diebstahl oder Körperverletzungen begangen. Neben ihnen kam ich mir vor wie ein „kleiner Fisch“. Ich hatte zwar im jugendtypischen Umfang zusammen mit Internatsfreunden kleinere Diebstähle begangen und war dabei erwischt und polizeilich behandelt worden. Eine jugendrichterliche Ermahnung hatte mich aber beeindruckt und von Schlimmerem abgehalten.

Neben meiner Faszination für die meist jugendlichen, drogenabhängigen Straftäter spürte ich damals schon die Ausgrenzung, die sie erfuhren, etwa in der Distanz der Dorfbewohner. Aus meiner damaligen Sicht erkannte ich aber auch den Zwiespalt zwischen der juristischen Verfolgung solcher Menschen und der sozialen, psychischen und medizinischen Hilfe, die sie doch ganz offensichtlich brauchten.

Was mir auf jeden Fall aus diesen Begegnungen geblieben ist, ist eine Sensibilität für Ausgrenzung und Benachteiligung und eine innere Empörung dagegen. Früh entwickelte ich den festen Willen, mich dem zu widersetzen und mich zu engagieren. Und das dürfte ein wesentlicher Impuls für meine Berufswahl in die Sozialarbeit gewesen sein. Nach Abitur und Zivildienst nahm ich das Studium der Sozialarbeit mit dem Ziel auf, besonders benachteiligte Menschen wie Drogenabhängige oder Straftäter zu unterstützen, sodass diese integriert und akzeptiert in unserer Gesellschaft leben können.

Erste Begegnung mit dem Rand

Aus der Initiative in unserem Dorf, die mich in jungen Jahren beeindruckt und mit drogenabhängigen Menschen in Kontakt gebracht hat, ist inzwischen eine anerkannte Fachklinik für die Behandlung von drogenkranken Menschen geworden.1 Heute haben die Einwohner in meinem Heimatdorf mit der Existenz dieser Einrichtung und ihren Patienten auch keine Probleme mehr. Sie gehören dazu, sind integriert, und die Dorfbewohner gehen in der Klinik einkaufen.

Mein beruflicher Weg führte mich in den Strafvollzug; mit der Freiburger Justizvollzugsanstalt lernte ich eine Einrichtung kennen, die seit 1875 Straftäter gefangen hält und sich dabei an den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen Ideen und Vorgaben orientiert. Die Anstalt hat das Kaiserreich und den Reichskanzler Otto von Bismarck genauso erlebt und überstanden wie die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Mit dem 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz wurde die Anstalt erstmals mit reformorientierten Ideen für den Umgang mit den Gefangenen und dem Ziel ihrer Integration konfrontiert. Frühere, ähnliche Ideen und Entwürfe aus der Weimarer Zeit konnten sich nicht durchsetzen und wurden von den Nationalsozialisten abgewürgt.

Meine Vorstellungen von Behandlung und Umgang mit Straftätern, die sich an Ideen abolitionistischer Denker wie Thomas Matthiesen oder Nils Christie2 orientieren, waren und sind für eine klassische Strafanstalt eher fremd. Auch reformorientierte Initiativen, wie die Sozialpolitischen Arbeitskreise (SPAK) oder die Ansätze einzelner Juristen, die sich als Vertreter einer kritischen Kriminologie verstehen, konnten sich bis heute kaum durchsetzen.

In den unterschiedlichen Formen der Haft erlebte ich vor allem eines: viel menschliches Leid. Ursache waren Inhaftierte mit ihren strafbaren Handlungen, die jetzt in der Konsequenz einem repressiven Strafsystem ausgesetzt waren. Oft erfuhr ich im Gefängnis auch von traumatisierenden Verletzungen der Täter, die ihr bisheriges Leben lang unbeachtet geblieben waren.

Ich begegnete Untersuchungsgefangenen, die von jetzt auf gleich aus ihrem gesamten sozialen Umfeld gerissen und in einer Abgeschiedenheit von der Welt festgehalten werden, die manchen für sein Leben beschädigt. Ich begegnete Strafgefangenen, denen sich die Reform des Strafvollzugs 1977 vor allem in Form eines um sich greifenden Rechtsmittelsystems zeigte, das nicht zuletzt immer auch der Absicherung der Verantwortlichen des Systems dient und die Gefangenen als Mitmenschen kaum beachtet. Ich sah Strafgefangene mit langen Freiheitsstrafen, ich sah Sicherungsverwahrte, denen hohe Gefährlichkeit unterstellt und aus diesem Grund eine Rückkehr in die menschliche Gemeinschaft verwehrt wird. Häufig begegnen mir auch Menschen, die vor der Entlassung aus der Haft stehen und die in dieser Situation mit ihren Ängsten konfrontiert sind, insbesondere mit der Frage, ob sie es überhaupt noch schaffen werden, selbständig in Freiheit zu leben. Sie wissen um die Ängste ihrer Umgebung und deren Misstrauen. Sie kennen aber auch ihre eigene Unzulänglichkeit.

Sozialarbeit hinter Gittern

„Wenn wir die Menschen nur nehmen,

wie sie sind, so machen wir sie schlechter.

 

Wenn wir sie behandeln, als wären sie, wie sie sein sollten,

so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“

 

Johann Wolfgang Goethe

 

Nach dreißig Berufsjahren bin ich überzeugt: Die Haltung, die Goethe hier formuliert, erzielt eine positive Wirkung. Wesentlich, um überhaupt wirksam mit Straffälligen arbeiten zu können, ist die Bereitschaft, miteinander in Kontakt und in Beziehung zu treten. Diese, ich will es Beziehungspflege nennen, fällt dem Gefängnis schwer, denn nach wie vor handelt es sich um eine Organisation, deren Struktur sich am ehesten noch am militärischen Gehorsamsgedanken orientiert.

Trotzdem ist es mir als „Knastsozialarbeiter“ oft gelungen, den Kontakt zu den Gefangenen aufzubauen und eine Arbeitsbeziehung herzustellen, geprägt von gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Ein Indiz hierfür war die geringe Missbrauchsquote bei Maßnahmen, die ich mit Inhaftierten außerhalb der Gefängnismauern durchführen konnte. Dabei handelte es sich z. B. um mehrtägige Seminare erlebnispädagogischer Ausprägung, Meditationstage, Familienseminare oder auch Väter-Kinder-Tage. Die Gefangenen akzeptierten ein Rahmenprogramm, sicherten ihre Mitarbeit und korrekte Rückkehr in das Gefängnis zu und erhielten in der Regel auf diesem Weg ihre ersten Lockerungen aus dem Strafvollzug. Nicht selten früher, als sie sie sonst hätten erwarten können. In seiner übermäßig verrechtlichten Absicherungstendenz hat der Strafvollzug es inzwischen erreicht, dass Inhaftierte oft erst zeigen müssen, dass sie solcher Maßnahmen würdig sind, bevor sie ihnen bewilligt werden. „Heilung“ als Voraussetzung für Behandlung?

Bewährungshilfe – eine Alternative

Nach siebzehn Jahren als Sozialarbeiter im Gefängnis wollte ich eine andere Perspektive einnehmen und wechselte in die Bewährungshilfe. Bis Ende 2006 stand die Bewährungshilfe in Baden-Württemberg in der Trägerschaft des Justizministeriums und war den jeweiligen Landgerichten angegliedert. Seit 2007 ist diese Aufgabe an die NEUSTART gGmbH als privater Organisation übertragen.3

Die grundlegende Vorgabe für Bewährungshelfer ist § 56 d, Absatz 3 des Strafgesetzbuchs, wo es heißt: „Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer steht der verurteilten Person helfend und betreuend zur Seite. Sie oder er überwacht im Einvernehmen mit dem Gericht die Erfüllung der Auflagen und Weisungen sowie der Anerbieten und Zusagen und berichtet über die Lebensführung der verurteilten Person in Zeitabständen, die das Gericht bestimmt. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Auflagen, Weisungen, Anerbieten oder Zusagen teilt die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer dem Gericht mit.“

Auch wenn es sich etwas antiquiert liest, mir gefällt die Formulierung des „zur Seite stehen“. Setzt das doch voraus, dass wir in Kontakt treten und einen Weg miteinander gehen. Für den Bewährungshelfer bedeutet das zunächst, den Verurteilten erkennen zu lassen, dass er ihm zur Seite steht und ihm nicht vorrangig „im Genick sitzt“, wie es mancher befürchten mag. Meist gelingt dieser Weg mit den Klienten erfolgreich: In über achtzig Prozent der Fälle wird die Bewährung vom Gericht mit dem Erlass der Strafe beendet. Und dies gilt auch für Verurteilte, die der Führungsaufsicht unterstellt sind und für die es im § 68a, Absatz 2, Strafgesetzbuch heißt: „Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer und die Aufsichtsstelle stehen im Einvernehmen miteinander der verurteilten Person helfend und betreuend...

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