Sie sind hier
E-Book

Geheimtreff Banbury

Wie die Atombombe zu den Russen kam

AutorEberhard Panitz
VerlagDas Neue Berlin
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783360500496
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Wunderwaffe, die Atombombe, an der amerikanische und britische Wissenschaftler seit 1940 bauten, sollte die Vormachtstellung der USA sichern. Was Truman und Churchill nicht ahnten: Die Sowjets waren bestens informiert. Ein Mann aus dem Forschungsteam und eine russische Agentin spielten ihnen die Formel in die Hände. 60 Jahre nach den Ereignissen reiste Eberhard Panitz nach Banbury, wo einst Klaus und Sonja, als Liebespaar getarnt, durch die Gässchen schlenderten und dabei die hochbrisanten Informationen austauschten. Wer war Sonja? Wer war Klaus Fuchs? Anhand persönlicher Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Berichten von Zeitzeugen rekonstruiert Panitz zwei bemerkenswerte Lebenswege.

Eberhard Panitz, geboren 1932 in Dresden, arbeitete als Lektor, seit 1959 als freischaffender Schriftsteller. Veröffentlichte Romane, Reportagen, Drehbücher, zuletzt 'Dresdner Novelle 1989' und 'Geheimtreff Banbury'.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Der Weg nach Banbury

An einem sonnigen Septembermorgen des Jahres 1942 stieg Sonja, eine Frau von fünfunddreißig Jahren mit kurzem schwarzen Haar, in Oxford-Summertown aufs Fahrrad und fuhr zu einem kurzfristig vereinbarten Treffen nach Banbury. »Es ist eine heiße Sache«, hatte Jürgen, ihr Bruder, zu ihr gesagt. Sie solle sich in der High Street, vorm Schaufenster eines kleinen Buchladens, mit einem Deutschen namens Klaus Fuchs treffen. Er sei ein guter Genosse, ein prachtvoller Mensch und ein tüchtiger Wissenschaftler, der Einblick in wichtige militärisch-technische Entwicklungen habe. Genaueres über seine Herkunft und Tätigkeit wusste sie nicht, als sie sich auf den Weg machte, auch nicht, dass er zum engsten Kreis der Kernphysiker gehörte, die am Bau der Atombombe Englands und der USA arbeiteten. Aber noch ehe dieser Tag vorüber war, ahnte sie, welche Bedeutung den Auskünften zukam, die dieser Mann ihr an jenem Tag anvertraute und für weitere Treffen zusicherte.

Fast fünfzig Jahre bewahrte Sonja – mit Geburtsnamen Ursula Kuczynski, in erster Ehe Ursula Hamburger, in zweiter Ehe Ursula Beurton, als Schriftstellerin Ruth Werner – striktes Schweigen über diese Begegnung in Banbury und spätere Kontakte und die Konsequenzen, die sich bis heute für unser aller Schicksal kaum ermessen lassen. Kein Zweifel, dass sie die Erinnerung daran nie losließ, obwohl sie selbst mit den nächsten Angehörigen und Freunden bis kurz vor ihrem Tod so gut wie nie darüber sprach und auch in ihren Büchern diese folgenreichste Begegnung ihres Lebens verschwieg. Nicht einmal in »Sonjas Rapport«, ihrem Lebensbericht, der 1977 erschien, werden die Treffen mit Klaus Fuchs erwähnt. Liest man mit dem heutigen Wissen jedoch das Buch, findet sich immerhin eine beiläufige, verräterische Andeutung, die auf das Fahrrad verweist, das ihr Len, ihr Mann, kurz vor dieser Fahrt nach Banbury geschenkt hatte: »Ein neues, wunderschönes Rad. Ich benutzte es viel, es kam mir auch für illegale Treffs zustatten. Als ich später in die DDR umsiedelte, zerlegte Len das Rad, es reiste im Flugzeug mit. Tochter Nina ist in der ersten Zeit in Berlin noch damit zur Schule geradelt. Jetzt steht es im Keller. Niemand hat das Herz, es der Gerümpelsammlung zu übergeben.«

Im Sommer des Jahres 1980 überraschte sie ihre Leser und auch mich mit dem Buch »Gedanken auf dem Fahrrad«. In der Titelgeschichte, die im Grunde ein lapidarer, über die Zeiten und Grenzen wechselnder Fahrtenbericht ist, erzählt sie, dass sie als Achtjährige auf dem viel zu großen Rad ihres drei Jahre älteren Bruders Jürgen Radfahren gelernt habe: »Da der Sattel unerreichbar war, mit den Füßen auf den Pedalen stehend, die ersten atemberaubenden Meter allein.« Mit vierzehn Jahren besaß sie ein eigenes Rad: »Ich liebte die Bewegung, den Duft der Linden im vorbeirauschenden Wind, die Kälte eines Wintertages bei schneller Fahrt. Als ich 1924 in den Kommunistischen Jugendverband eintrat, wurden auch das Rad und sein Tempo politisch. Wenn ich von den Sitzungen in der Kneipe nach Hause radelte, standen am dunklen Park die Gymnasiasten mit ihren Rädern und nahmen unter Schimpfworten die Verfolgung auf; damals noch nicht, um tätlich zu werden, sondern nur um zu erschrecken und zu bedrohen.« In Schanghai, wo sie dann mit dem legendären sowjetischen Kundschafter Richard Sorge zusammentraf, besaß sie wieder ein neues Rad. »Vor der Lenkstange hing ein kleiner Korbsitz aus Stroh für meinen Sohn. Doch die Genossen im China Tschiang Kai-sheks, wo jedem Kommunisten die Todesstrafe drohte, verlangten, ich solle ein rascheres Verkehrsmittel beherrschen lernen, so lernte ich Auto fahren.« Nach dem Einfall der Japaner in die Mandschurei, den blutigen Metzeleien und der Ermordung eines ihrer nächststehenden Kampfgefährten musste sie das Land verlassen, »ohne Rad oder Auto«. Ein polnischer Frachter nahm sie und ihren Sohn mit, Warschau und Krakau waren ihre nächsten Stationen. »Kommunisten werden oft dort gebraucht, wo sie am wenigsten gern gesehen waren. 1937 fuhr ich von Polen nach Danzig. Meine Fahrerlaubnis aus Schanghai war hier nicht gültig, und wieder bestanden die Genossen auf der Prüfung.« Der Nazibeamte, an den sie dabei geriet, taxierte sie sogleich als Jüdin, gar als »mongolid« und bolschewistisch, und dirigierte sie dann mit dem Auto pausenlos, oft im Rückwärtsgang, durch die schmalen Gassen Danzigs. »Ich wollte mich nicht vom Faschismus besiegen lassen. Noch fünf Minuten – noch zehn Minuten – da beging ich den ersten Fehler. ›Steigen Sie aus, Sie haben nicht bestanden – Heil Hitler!‹ …« Hier bricht die Rückschau ab, England bleibt ausgespart und somit das englische, wahrlich historische Fahrrad. Noch immer wahrte sie strikte Verschwiegenheit über die Fahrten nach Banbury.

Die kleine Stadt Banbury, die wegen des Siegs Warwicks über Eduard IV. im Jahre 1469 in die Geschichtsbücher ein­ging und weithin für ihre Pfefferkuchen, die Textil- und Plüsch­fabrikation, den guten Käse und ihre Ale-Brauereien berühmt war, liegt etwa vierzig Kilometer von Oxford entfernt. Sie war gut erreichbar für die junge Frau auf der Straße, die parallel zum Cherwell-River und durch einige kleinere Ortschaften führte, an sanften Hügeln, Baumreihen und schmalen Äckern vorbei, zumeist jedoch an eingezäunten Wiesen und von Mauern umgebenen Schafweiden, wo sie kaum einem Menschen begegnete. Manche der schmalen, sich durch die Landschaft windenden Straßen stammten noch aus der Römerzeit. Eingewanderte flandrische Weber hatten dann hier im 16. und 17. Jahrhundert eine florierende Wollindustrie begründet, noch sah man den schmucken kleinen Städten und sogar den Dörfern mit den adretten Häuschen aus gelblichem Kalkstein die einstige Wohlhabenheit an. Viele Londoner waren in der Kriegszeit vor den Luftangriffen hierher geflüchtet, kein Haus stand leer, jeder Flecken in den Gärten wurde zum Anbau von Gemüse, Kartoffeln, Weizen und Hafer benutzt.

Sonja mag damals nur wenig für die anmutige Landschaft empfänglich gewesen sein. Unterwegs sah sie Soldaten und Militärfahrzeuge, selten überholte sie ein ziviles Auto oder Motorrad, ab und zu jagten Flugzeuge über sie hinweg. Gerade in dieser Gegend waren zahlreiche Flugzeuge abgestürzt, deutsche und auch englische. Ihr Mann, gebürtiger Engländer, einstiger Spanienkämpfer, hatte sich freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet. Kontakt zu den deutschen Genossen verbot sich wegen ihrer konspirativen Tätigkeit. Vom Treffen mit Klaus Fuchs wussten nur ihr Bruder Jürgen und der sowjetische Verbindungsmann. Ihre Eltern und zwei Schwestern lebten in London. Selbst ihnen gegenüber musste sie schweigen und sich in Ausreden flüchten, wenn sie bei ihnen übernachtete oder wegen der Kinder ihre Hilfe in Anspruch nahm. Ihr Bruder war als Ökonom, Publizist und leitender KPD-Funktionär mit Arbeit und Verpflichtungen überhäuft, zumal er als Sachkenner der Nazi-Kriegswirtschaft auch von englischen Politikern und Forschungsdiensten zu Rate gezogen wurde. Fast ganz Europa war von der deutschen Wehrmacht überrannt: Polen, Frankreich, Belgien, Nieder- lande, Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Jugoslawien, Griechenland und die Sowjetunion bis vor Moskau und Leningrad, im Süden bis zum Don und zur Wolga. Stalingrad wurde bereits umkämpft. Die Vernichtung des Bolschewismus und der »minderwertigen Rassen«, die Deportation und Ermordung von Millionen Menschen waren beschlossene Sache, aus den Verbrennungsöfen stieg der Rauch auf. Sonja, wie sie Richard Sorge genannt hatte, die an jenem Septembermorgen durch die Cotswold-Landschaft nahe dem schmalen Fluss dahinradelte, war als Kommunistin, Jüdin und Kundschafterin des Aufklärungsdienstes der Roten Armee im kriegerischen Asien und Europa vielfach tödlicher Gefahr ausgesetzt gewesen. Aber nichts war mit der Last und der Verantwortung vergleichbar, die sie mit den Formeln und Berechnungen übernahm, die Klaus Fuchs für sie an diesem Tag und bei späteren Treffen zur Weitervermittlung nach Moskau bereithielt.

Sechzig Jahre danach, im April 2002, war ich mit Sonjas jüngerem Sohn Peter auf der Fahrt nach Banbury. Alles war anders, keine Kriegsstimmung, kein Kalter Krieg mehr, dennoch allenthalben wieder Kriege nah und fern. Lediglich den Pass hatten wir bei der Einreise in England kurz vorzeigen müssen, im Hotel nicht einmal das, nur unsere heimatlichen Telefonnummern bat man uns sicherheitshalber zu hinterlassen, falls uns etwas zustoßen sollte. Wir hatten geplant, wie Sonja mit dem Fahrrad die Strecke von vierzig Kilometern zu fahren, doch angesichts der engen Straßen ohne Rad- oder Fußwege und des heute so dichten und rasanten Autoverkehrs darauf verzichtet und uns für eine Bustour entschieden. Nun saßen wir oben im Doppelstockbus und hatten einen weiten Blick auf die hüglige Landschaft mit der viel früheren Baumblüte als im deutschen Osten. Auffällig die Schaf- und Rinderherden auf den großen Weideflächen, umgeben von Mauern aus gelben und ockerfarbenen Kalksteinen. Kaum Wald, nur hier und dort ein Streifen von Laubbäumen oder Sträuchern und der für uns erstaunliche Anblick alter, windgekrümmter Zedern.

Durch Summertown waren wir hindurchgefahren. Es ist keine Vorortsiedlung mehr, sondern mit der Universitätsstadt Oxford verwachsen. Das Haus, in dem Sonja bis 1945 mit ihrer Familie gewohnt hatte, wurde längst abgerissen und wich einem der ortsüblichen Reihenhäuser. Zehn, fünfzehn Kilometer weiter, dicht an der Straße bei Woodstock, steht protzig wie eh und je Blenheim Palace, Geburtsort Winston Churchills. Bei einem kurzen Aufenthalt gingen wir durch die monumentale Eingangshalle, zwanzig Meter hoch, alle Säulen, Bögen, Wände und der barocke Zierat aus dem Kalkstein...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Biografie - Naturwissenschaft - Autobiographie

Erhabene Welten

E-Book Erhabene Welten
Das Leben Rolf Nevanlinnas Format: PDF

'Man muss sein Leben der Arbeit widmen und nach den erhabenen Welten streben', so das Motto des finnischen Mathematikers Rolf Nevanlinna (1895-1980). Er erlangte in den 1920er Jahren Weltruhm mit der…

Erhabene Welten

E-Book Erhabene Welten
Das Leben Rolf Nevanlinnas Format: PDF

'Man muss sein Leben der Arbeit widmen und nach den erhabenen Welten streben', so das Motto des finnischen Mathematikers Rolf Nevanlinna (1895-1980). Er erlangte in den 1920er Jahren Weltruhm mit der…

Ich gab mein Herz für Afrika

E-Book Ich gab mein Herz für Afrika
Das mutige Leben der Joan Root Format: ePUB

Ihr Leben war ein einziges Abenteuer - das mutige Leben der Tierfilmerin Joan RootIhr Leben war ein einziges Abenteuer: Joan Root (1936-2006) filmte in den entlegendsten Winkeln der Erde, immer auf…

Ich gab mein Herz für Afrika

E-Book Ich gab mein Herz für Afrika
Das mutige Leben der Joan Root Format: ePUB

Ihr Leben war ein einziges Abenteuer - das mutige Leben der Tierfilmerin Joan RootIhr Leben war ein einziges Abenteuer: Joan Root (1936-2006) filmte in den entlegendsten Winkeln der Erde, immer auf…

Ich gab mein Herz für Afrika

E-Book Ich gab mein Herz für Afrika
Das mutige Leben der Joan Root Format: ePUB

Ihr Leben war ein einziges Abenteuer - das mutige Leben der Tierfilmerin Joan RootIhr Leben war ein einziges Abenteuer: Joan Root (1936-2006) filmte in den entlegendsten Winkeln der Erde, immer auf…

Weitere Zeitschriften

AUTOCAD & Inventor Magazin

AUTOCAD & Inventor Magazin

FÜHREND - Das AUTOCAD & Inventor Magazin berichtet seinen Lesern seit 30 Jahren ausführlich über die Lösungsvielfalt der SoftwareLösungen des Herstellers Autodesk. Die Produkte gehören zu ...

Baumarkt

Baumarkt

Baumarkt enthält eine ausführliche jährliche Konjunkturanalyse des deutschen Baumarktes und stellt die wichtigsten Ergebnisse des abgelaufenen Baujahres in vielen Zahlen und Fakten zusammen. Auf ...

cards Karten cartes

cards Karten cartes

Die führende Zeitschrift für Zahlungsverkehr und Payments – international und branchenübergreifend, erscheint seit 1990 monatlich (viermal als Fachmagazin, achtmal als ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...