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E-Book

Geld, Gesellschaft und Gewalt

Kapital und Christentum (Band 1)

AutorEugen Drewermann
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl406 Seiten
ISBN9783843608367
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Immer mehr, immer schneller, immer weiter: Die derzeit herrschende Wachstumsdoktrin ist nicht nur schädlich, sie ist ruinös. Es werden immer mehr Produkte auf den Markt geworfen - zu Lasten der armen Bevölkerung und der Natur. Eugen Drewermann zeigt auf, dass eine nachhaltige und damit nicht länger wachstumsbestimmte Wirtschaftsform die einzig realistische und tragfähige ist. Leicht verständlich erläutert er wirtschaftswissenschaftliche Zusammenhänge und deutet die derzeitige Weltlage tiefenpsychologisch fundiert. Ein unverzichtbares Werk für alle, die die Problematik der aktuellen ökonomischen und damit ökologischen Entwicklungen erkennen und etwas ändern wollen. Klimaneutral gedruckt.

Dr. Eugen Drewermann, geb. 1940, ist Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller mit internationaler Reichweite. Zu seinen Hauptwerken gehören das siebenteilige theologische Grundlagenwerk 'Glauben in Freiheit' sowie die Kommentierung der vier Evangelien des Neuen Testaments. Tiefenpsychologisch und religionsphilosophisch deutet er biblische Texte, Mythen und Märchen. Der gefragte Referent nimmt auch Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen.

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Vorwort oder:
Vom Wahn des Wachstums


Wie soll man damit leben?

Mit Händen zu greifen ist die Umwandlung der Welt, in der wir leben, in ein Warenhaus. Alles ist käuflich, jede Landschaft, jeder Gegenstand, jede Dienstleistung. Es ist so viel wert, wie es kostet, ein Zahlenspiel zwischen vorgeschossenem und eingenommenem Kapital. Auf die Rendite kommt es an, denn deren Maximierung ist der offenbare Endzweck aller marktkonformen Aktivitäten. Was sich nicht auszahlt, lohnt sich nicht. Wir zerstören die Natur? Wer sie retten will, kann ja ein Stück von ihr käuflich erwerben; mit dem, was er besitzt, kann er dann machen, was er will, – bis daß ein größerer Anbieter mehr als er noch investiert; dann geht ein Strand­abschnitt in Griechenland, eine noch unbewohnte Insel der Ägäis, eine noch intakte Zone tropischen Regenwaldes in Bauland für eine Hotelkette, in einen Yachthafen für erholungsbedürftige Manager oder in eine Palmölplantage für die Herstellung von Cremes und Luxusseifen über. Die Pflanzen, die Tiere, die Fische, die Korallen – sie haben keine Rechte. Recht hat, wer genug besitzt, sich sein Eigentumsrecht zu erkaufen. An jenem Strand, jener Insel, jenem Stück Urwald ist dem neuen Besitzer nicht wirklich gelegen. Der Gewinn aus den Geschäften, den Pachtverträgen, den Umsätzen interessiert ihn. Nichts weiter.

Und wer kein Geld hat? Der muß halt sehen, wo er es herkriegt. Sonst geht er unter. Die Angst wächst auf, daß ein immer größerer Teil der Gesellschaft bereits in der Lebensmitte zum Untergang verurteilt ist. Altersarmut – eine dunkle Gewißheit für Millionen, sogar bei uns, in der BRD. »Sie hätten eigenverantwortlich eine entsprechende Vorsorge treffen sollen, statt alles auszugeben.« Wie aber, wenn das, was sie ausgeben mußten, all das aufzehrte, was sie besaßen? Was machen Menschen, denen der Strom abgedreht wird, weil sie die Rechnung bei ihrem Energielieferanten nicht zahlen können? Oder nicht ihre Miete? Oder nicht die Nahrung für ihre Kinder bis zum Monatsende? Die Schulden wachsen, und mit ihnen die Zinsen für den Dispokredit, je länger, desto unbezahlbarer. Bis zur Insolvenz. Bis zur Pfändung. Bis zum endgültigen Ausverkauf des Privatlebens. Die Straßenschluchten zwischen den Bankhochhäusern liegen in ewigem Schatten; die Sonne scheint nur in die Fenster derer dort droben. Und die Fallhöhe wächst immer weiter zwischen ganz Oben und ganz Unten. Nur wenige kommen empor, und die abstürzen, fallen ins Nichts. Denn das Sein ist das Geld, und das Nichts ist Geldmangel. Auch Menschen scheinen nur das noch wert, was sich im Austausch von Geld und Ware mit ihnen verdienen läßt. Die totale Ökonomisierung der Gesellschaft – schon ist sie Gegenwart; »alternativlos« gibt sie sich als künftiges Schicksal. Die »Gesetze« der Mikro- und der Makroökonomie, so lernen es schon die Studenten, sind wie die Naturgesetze, wie die Physik: die Massenanziehung, das Fallgesetz … »Wer schon hat, dem wird gegeben werden«, sagt doch selbst die Bibel (Mk 4,25). Sie meint es anders? Dann wissen wir’s besser. War wirklich einstmals Gott die herrschende Vernunft? Heute heißt sie Marktrationalität. Der Preis einer Ware ist bestimmt durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Anbieten kann, wer Gelder besitzt oder Waren, sonst muß er sich selbst, seine Arbeitskraft, zu Markte tragen als »Anbieter« und froh sein, wenn nach ihm gefragt wird. 50 % Arbeitslose unter der Jugend in Spanien? 20 % Arbeitslose in der Gesamtbevölkerung Griechenlands? Da kann man nichts machen. Als erstes müssen die Schulden der Banken zurückgezahlt werden, – mit immer noch höheren Schulden, mit immer noch höheren Laufzeiten. »Merkel rettet die Griechen – mit unserem Geld.« So stellt sich’s dar in der veröffentlichten Meinung der Massenpresse. Sie schafft neue Dogmen und neue erfahrungsresistente Gewißheiten. »Der Markt wird es richten.« Was richtet er? Seit 1991 hat sich das Volksvermögen in der BRD verdreifacht – in den Händen von 10 %, denen mehr als 60 % von allem gehört. Das Kapital akkumuliert und schafft sich selbst sein Prekariat. »Eigentum ist Diebstahl.«1 Ganz falsch ist das nicht. Denn allemal gilt: »Konkurrenz« bedeutet, daß nur die Stärksten: die Größten, die Schnellsten, die Raffiniertesten im Wettkampf gewinnen. Und dann heißt es in amerikanischer Coolness: »The winner takes it all.« Wer auf dem zweiten Platz landet, ist nichts als ein Loser.

Die Gesetze des Wettbewerbs halten den ganzen Globus im Griff. Schon unsere Kinder können wir nicht früh genug medienkompetent und leistungsorientiert heranziehen, um sie fit zu machen für die Sicherung des Industriestandortes Deutschland im internationalen Wirtschaftswettbewerb. Wenn wir durch Abbau von Sozialabgaben und Steuervergünstigungen die Unternehmen erleichtern und die Marktkräfte entfesseln, wachsen die Chancen, im globalen Vergleich als Gewinner hervorzugehen. Und mit den Gewinnen steigt der Wohlstand für alle, heißt es, – wie wenn die Flut aufläuft und gleichmäßig alle Boote mit anhebt. Solcherart lautet das unerschütterliche Credo neoliberaler Gesellschaftslehre. Doch so wußte schon Hugo von Hofmannsthal:

Manche freilich müssen drunten sterben,

Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,

Andere wohnen bei dem Steuer droben,

Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen immer mit schweren Gliedern

Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens …2

So ist’s, nur sind’s nicht »manche«, sondern allzu viele. Die Wenigen da droben, die von den Wellen nicht verschlungen werden, verwandeln die gesamte Welt in ihr Casino. Sie lagern Arbeitsplätze dahin aus, wo sich die Lohnkosten am niedrigsten halten lassen; sie drohen mit der Schließung ganzer Werke am einheimischen Standort, wenn die Belegschaft nicht dem Lohndumping der Unternehmer zustimmt. Aus der einstigen Idee einer Internationale der Arbeiterschaft ist der globale Konkurrenzkampf um die billigsten, das heißt in Unternehmersicht: die kostengünstigsten Arbeitskräfte geworden.

Und nicht nur Arbeit läßt sich kaufen, auch Bodenschätze, Schürf­rechte und Ackerland. Sind erst einmal die Schulden eines Lands der Dritten Welt nur hoch genug, beginnt der Zwang zum Ausverkauf. Statt für die eigene Ernährung, müssen die Bauern jetzt für den Export ins Ausland produzieren, die Böden kauft man ihnen unter den Füßen weg, und zur Sanierung des maroden Staatshaushalts müssen die Subventionen für Nahrungsmittel gekürzt, am besten ganz gestrichen werden; die Wasserversorgung, das Transportwesen, der Sicherheitsdienst, sogar die Gefängnisse müssen privatisiert werden, um damit Geschäfte zu machen.

»Aber irgendwo muß das Geld doch hin!« Richtig, die Flut steigt auf den nächsten Pegelstand: Wenn erst einmal der Geld- und Warenkreislauf gesättigt ist, ist es am besten, gleich mit viel Geld noch mehr Geld zu »machen«. Ganze Firmen, Handelsketten, Produktionsstätten lassen sich in den Ruin treiben; dann investiert ein »Retter«, – ein Hedgefonds kommt und kauft das »Objekt« auf, nicht zum Erhalt von Güterherstellung und Arbeitsplätzen, sondern zum baldigen Weiterverkauf mit mehr Gewinn. Oder noch einfacher: man leiht sich bei den Banken Geld, kauft auf, verkauft und ist plötzlich ein reicher Mann. Am allereinfachsten: die Banken selber gehen zum Investmentbanking über. Sie kaufen Schulden auf und schließen Wetten auf die Neuverschuldung ganzer Staaten ab; sie spekulieren auf die Ernteausfälle durch Unwetter und Dürre und machen Höchstgewinne mit dem Preisaufschlag beim Handel an der Nahrungsmittelbörse in Chicago. Da gibt es keine Not und keine Katastrophe, mit der nicht, gerade da, noch ein Surplus zu scheffeln wäre. Ein Tsunami verwüstet die Fischerdörfer an der Küste einer malaiischen Insel; wohl uns: ab sofort steht das Gebiet zum Ausverkauf, und was läßt sich alles machen mit einem Küstenstreifen in der Südsee3!

So geht das nur. Sind erst einmal die Banken groß genug, so daß sie systemrelevant für den Erhalt dieser Wirtschaftsform der rigorosen Selbstbereicherung geworden sind, aus der sie selbst hervorgegangen, darf man sie nicht mehr fallen lassen; das Volk muß sie mit Steuermitteln retten. Es gibt kein Bail-out, um der Bevölkerung eines failed state, eines überschuldeten Staates, durch Schuldenschnitt die Chance zu einem Neuanfang zu ermöglichen, aber die Rettung der Banken ist das oberste wirtschaftspolitische Gebot der Staaten­gemeinschaft. Eine Aufsicht des Kapitaltransfers und der Spekula­tionsgeschäfte der Banken – daran ist schwer zu denken; eher schickt man Sozialspione auf die Straße, um nachzusehen, ob nicht ein Hartz-IV-Empfänger durch illegale Bettlertätigkeit über unerklärte Nebeneinkünfte verfügt. Anders die Besitzenden. Wer geschickt genug ist, gründet Scheinfirmen auf den Kanalinseln, den Cayman-Islands oder in der Schweiz, er nutzt den Niedrigsteuer-Wettlauf in Luxembourg, in Liechtenstein, in Holland, – es gibt so viele schöne Steuersparmodelle bei denen, die genügend Geld besitzen, um sich ein cleveres Beratungsbüro leisten zu können. Ehrlichkeit – das war einmal. Die entfesselten Marktkräfte lassen durch moralische Skrupel sich nicht länger hemmen.

Tatsächlich gibt es kein dynamischeres, will sagen: aggressiveres und zerstörerisches Wirtschaftssystem als den derzeit wütenden neoliberalen Kapitalismus. Er kann sich nur erhalten durch ständiges Wachstum, – wie ein Krebsgeschwür. Er zerstört die Natur, die er...

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