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Geld und Lebensgeschichte

Eine biografieanalytische Untersuchung

AutorBirgit Happel
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl335 Seiten
ISBN9783593436234
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Der nachhaltige Umgang mit Geld gilt als Schlüsselkompetenz und als kulturelle Technik. Birgit Happel betrachtet die Themen Geld und Lebensgeschichte aus einer biografieanalytischen Perspektive. Sie zeichnet ein differenziertes Bild übergeordneter Werte des täglichen ökonomischen Handelns und begreift den Umgang mit Geld als ein relevantes Kriterium biografischer Weichenstellungen. Die Untersuchung stellt zudem Divergenzen zwischen monetären Anforderungs- und Möglichkeitsstrukturen auf den Prüfstand, die in besonderer Weise von Armut gefährdete Gruppen treffen.

Birgit Happel, Dr. phil., ist Soziologin und arbeitet als freie Referentin für Wirtschaftsbildung und Biografiearbeit.

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Leseprobe
Vorwort Moderne Gesellschaften stehen vor sozialen, ökologischen und politischen Herausforderungen, die periodisch von ökonomischen Krisen begleitet sind, oder durch diese hervorgerufen werden. Jene werfen nicht nur Fragen im Hinblick auf die Gestaltung der öffentlichen Haushalte, sondern auch der privaten Finanzen auf. In Deutschland sind diese Fragen eng verwoben mit makroökonomischen und steuerungspolitischen Implikationen einer alternden Gesellschaft - sie demonstrieren die komplexen Wechselwirkungen zwischen der strukturellen Einbettung von Akteuren in Gesellschafts- und Marktordnungen und deren Raum zur individuellen wie autonomen Gestaltung von Lebensentwürfen. Regulierung und eigenverantwortliche Absicherung - etwa im Bereich der Altersvorsorge - sollen das Aufrechterhalten der sozialen Sicherungssysteme gewährleisten. Indessen verlaufen Prozesse der Übertragung von Eigenverantwortung auf der Achse sozialer Ungleichheiten und berühren Kernfragen flexibilisierter Arbeits- und Lebensverhältnisse. Im Zusammenhang mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors ergeben sich gesellschaftlich prekäre Konstellationen: Denn wie kann es Bürger/innen in angespannter wirtschaftlicher Lage gelingen, neben ihrer derzeitigen Existenz auch die finanzielle Zukunft hinreichend abzusichern? Zur gleichen Zeit bringt die als Krisenantwort verfolgte expansive Geld- wie historische Niedrigzinspolitik der Zentralbanken nicht nur gesamtgesellschaftliche Umverteilungseffekte hervor, sondern birgt Risiken in Bezug auf Veränderungen der Spar-, Anlage- und Kreditkultur, die nicht zuletzt wiederum auf die Ebene der Altersversorgung zurückwirken. Im Rahmen der vorliegenden soziologischen Forschungsarbeit wird der Blick auf die biografischen Hintergründe des persönlichen Umgangs mit Geld gelenkt. Wie Geld individuell definiert und verwendet wird, ist soziokulturell und sozioökonomisch begründet und auf lebensgeschichtliche Bedingungen zurückzuführen. Das monetäre Alltagshandeln evolviert aus kulturell und individuell verankerten Wissensbeständen und Sinndeutungen und umfasst das persönliche Konsum- und Haushaltsverhalten ebenso wie Vorsorgestrategien und den Umgang mit komplexen Finanzdienstleistungen; gleichzeitig tangiert es wirtschafts- und finanzethische Aspekte. In der biografieanalytischen Untersuchung werden monetäre Handlungsmuster als Geldpraxen rekonstruiert, um ihren symbolischen Sinn zu heben und sie auf der Ebene der Lebensführung im Hinblick auf zunehmend komplexere alltagsökonomische Anforderungen zu verorten. Besondere Beachtung wird dabei den Lebens- und Prekaritätsrisiken beigemessen, da Lebensübergänge und kritische Lebenssituationen oftmals eine Adaption des Umgangs mit Geld bedingen. Der facettenreiche tiefgreifende Wandel von Haushalts- und Lebens-formen bildet sich in pluralisierten Lebens- und Erwerbsverläufen ab - etwa in zunehmend kleineren Haushalten, Patchwork- und transnationalen Familien, steigenden Zahlen von Alleinerziehenden sowie atypischen oder niedrig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen. Vor allem für gering Qualifizierte ist die Arbeitsmarktlage trotz der im europäischen Vergleich sehr niedrigen Arbeitslosigkeit in Deutschland ungünstig (vgl. OECD 2013a; 2014a). Biografische Diskontinuitäten wie Erwerbsunterbrechungen, Trennung oder Krankheit verändern nicht nur soziale Lebenssituationen, sondern können einschneidende monetäre Veränderungen mit sich führen. Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Stefan Hummelsheim (2010: 2) erfordern diese Entwicklungen 'einen heute immer häufigeren Abgleich der eigenen Lebens- bzw. Finanzsituation'. Auch der Haushalts- und Konsumökonom Michael-Burkhard Piorkowsky und die Haushaltswissenschaftlerin Birgit Bürkin (2011: 15) verweisen in einem Schufa-Beitrag zum Wandel der Alltags- und Lebensökonomie auf die wachsenden 'Anforderungen an die Fähigkeiten jedes Einzelnen zur Gestaltung der individuellen Lebenslage'. Diese Schufa-Analyse des Finanzmanagements in Privathaushalten skizziert den Umgang mit Geld als Spiegel der Zeit und konstatiert, dass 'immer mehr Haushalte [...] eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten' verzeichnen (Schufa-Kredit-Kompass 2011: 6). Gestiegene individuelle Verantwortlichkeiten resultieren vor allem aus dem partiellen Rückzug des Staates aus den Bereichen Gesundheit, Alter und Berufsunfähigkeit. Um Lebensrisiken wie -krisen monetär abzufedern respektive einer Unterversorgung im Alter entgegenzusteuern, können sich insbesondere die Jahre in der Erziehungs- wie Pflegeverantwortung zu einer genuin monetären Rushhour des Lebens entwickeln. Wie im Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hervorgehoben, ist neben der Zunahme atypischer Erwerbsformen eine ansteigende Fragmentierung 'auch [der] Erwerbsverläufe von Männern' (BMFSFJ 2011: 109) zu verzeichnen; entsprechend erhöht sich das finanzielle Risikopotenzial von Familien und werden mehr Frauen zu Familienernährerinnen. Unterdessen sind die Erwerbsbiografien von Frauen noch immer von verminderten Partizipations- und Entfaltungschancen geprägt, wie der Zweite Gleichstellungsbericht hervorkehrt (BMFSFJ 2017). Frauen tragen durch ihre überproportionale (oft unfreiwillige) Präsenz im Teilzeit- und Niedriglohnbereich höhere finanzielle Risiken, während ihre finanzielle Autonomie weiterhin durch Einkommens- und/oder Aufstiegsdiskriminierung gefährdet ist. Doch steht im Zuge der Umstrukturierung der Wohlfahrtssysteme nicht nur die Bevölkerungsgruppe der Frauen, sondern auch die der Jugendlichen vor besonderen Herausforderungen. Hurrelmann und Karch (2013: 23) betrachten die 'Bewältigung der Zukunftssicherung durch souveränes Wirtschaften und Finanzieren' als eine 'alterstypische Entwicklungsaufgabe' von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das Untersuchungsfeld der vorliegenden Studie reicht von individuellen monetären Handlungsmustern bis zu sozialstrukturell bedingten finanzwirtschaftlichen Erfordernissen der Anpassung an das moderne Wirtschaftsleben. Das Kernstück der Forschung bilden die Lebensgeschichten meiner Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, denen mein herzlicher und ausdrücklicher Dank für ihre Gesprächsbereitschaft und Offenheit gilt. Sie haben sich meinem Forschungsanliegen geöffnet und im Zusammenhang mit dem sensiblen Thema Geld freimütig über ihr Leben erzählt. In besonderer Weise danken möchte ich meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl und meiner Betreuerin Frau Prof. Dr. Ursula Apitzsch. Die kontinuierliche fachliche Begleitung und Unterstützung meines Projektes war sehr wertvoll und ermutigend für mich. Die Möglichkeit, den jeweiligen Stand der Arbeit im Rahmen verschiedener Forschungszusammenhänge periodisch vorzustellen und zu diskutieren, entwickelte sich zu einem unverzichtbaren Element meines Forschungsprozesses. Rolf Haubl, dessen sozialpsychologischer und psychoanalytischer Blick auf das Geld zu einem wertvollen roten Faden für meine Arbeit wurde, danke ich ganz besonders für die initialen und richtungsweisenden Gespräche im Hinblick auf die Entwicklung der Forschungsfrage und für seine weitsichtigen Anregungen und Anmerkungen zu Forschungsdesign und Referenzrahmen in den verschiedenen Stadien der Arbeit. Ursula Apitzsch, die mir bereits im Studium die Tür zur Biografieforschung geöffnet hat, danke ich sehr herzlich für die langjährige bereichernde wissenschaftliche Begleitung. Dies insbesondere im Rahmen der inspirierenden Diskussionen im Kolloquium 'Biographieforschung und Kulturanalyse' der Frankfurter Goethe-Universität, die mich stets bestärkt haben, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Letzterer Dank richtet sich auch an Frau Prof. Dr. Lena Inowlocki, die das Kolloquium gemeinsam mit Ursula Apitzsch leitet. Ein ganz besonderer Dank gilt auch Frau Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich ebenso allen Mitstreiter/innen der Doktorandenkolloquien, Forschungswerkstätten und Interpretationsgruppen, allen voran Dietmar Burkhardt und Darja Klingenberg, für die fruchtbaren und motivierenden Diskussionen und die gemeinsamen Analysen des Interviewmaterials. Ferner gilt mein Dank der Grade, Goethe Graduate Academy für die umfangreichen Seminarangebote und Begegnungsforen. Frau Dr. Dorothea Geissler bin ich in aufrichtiger Dankbarkeit verbunden. Die konstruktiv-professionellen Gespräche und der freundschaftliche Austausch zum Stand der Arbeit, die unermüdliche Hilfe bei der Korrektur des Manuskripts und ihre uneingeschränkte Bestätigung und Ermutigung waren sehr wichtig für mich. Insbesondere hat sie mir immer wieder dabei geholfen, aus Theoriegebäuden herauszufinden und mich neu zu fokussieren. Miriam Seel danke ich sehr herzlich für ihre Unterstützung bei der Überarbeitung des Buches. Schließlich möchte ich mich bei meiner Familie für die liebevolle Unterstützung, das vorbehaltlose Vertrauen, die Rücksichtnahme und Geduld bedanken; zu ihr zählen mein Mann und meine beiden Kinder. Sie haben mich zur richtigen Zeit Ablenkung und Muße finden lassen und meine Arbeit mit viel Ausdauer und Wohlwollen begleitet. Ihr Verständnis für Zeiten von Absenz war unschätzbar wertvoll. Dieser Dank richtet sich auch an alle Freunde und Wegbegleiter, denen ich für vielfältige Zeichen von Fürsorge und Bestärkung danke. Einführung: Lebenslagen und Alltagsökonomie Mein persönlicher Weg zum Thema Geld und Lebensgeschichte führte über den Frankfurter Finanzdistrikt zu einem Magisterstudium der Soziologie. Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kam ich zurück zum Thema Geld, als ich um die Konzeption eines Bildungsurlaubs für Frauen zur Prävention von Altersarmut und zum Anlegerinnenschutz gebeten wurde. Dieser knüpfte an den erhöhten Fokus auf Wirtschaftsthemen an und sollte den Teilnehmerinnen die Möglichkeit geben, ihre individuelle Finanz- und Vorsorgeplanung zu erleichtern. Zusammen mit weiteren Veranstaltungen entwickelte sich die Idee zum Forschungsprojekt, das Fragen zum persönlichen Umgang mit Geld in einen biografieanalytischen Zusammenhang einbettet. Meine Berufserfahrungen sensibilisieren mich für die ökonomische Situation von Frauen. Auch wenn deren Lebenswirklichkeiten einem Paradigmenwechsel unterliegen, ist ihre finanzielle Unabhängigkeit noch immer von strukturellen Ungleichheiten beeinträchtigt. Jutta Allmendinger (2011: 7) sieht Frauenleben speziell in Deutschland von 'sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit' geprägt und kommt im Hinblick auf die Rentensituation von Frauen zu dem Schluss: 'Der Heiratsmarkt sichert Frauen nach wie vor besser ab als der Arbeitsmarkt' (ebd.: 3). Sie bezieht sich auf eine Sozialstrukturanalyse, die das Niveau der 'eigene[n] Altersrente von Frauen' in den 'westdeutschen Bundesländern unterhalb der gezahlten Witwenrenten' verortet (ebd.). Strukturelle Defizite der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und - wie Apitzsch und Schmidbaur (2011: 45) explizieren - die parallel verlaufende 'widersprüchliche Re-Familialisierung von Care-Aufgaben' werden seit vielen Jahren diskutiert. Die gleichzeitige Obliegenheit der privaten Zukunftssicherung ist für Frauen von existenzieller Bedeutung - und sie bedingt unbestritten solide ökonomische Kenntnisse. In einer Bestandsanalyse der ökonomischen Bildung hebt Hummelsheim (2010: 2) 'eine immer größere Eigenverantwortung und Eigenleistung' der Akteure hervor - wie auch die 'Initiative Finanzmarktwächter' des Bundesverbands der Verbraucherzentralen den Verbraucher/innen attestiert, vielfältige Entscheidungen mit finanzieller Reichweite zu treffen, 'deren Auswirkungen sie meist erst Jahrzehnte später erkennen können' (vzbv 2012a: 2). Demzufolge gewinnt die gesellschaftspolitische Relevanz von ökonomischer und finanzieller Bildung nicht nur 'im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes' (vzbv 2010: 3) zunehmend an Bedeutung. Indes: Ob und inwiefern eine biografieanalytische Perspektive auf den Umgang mit Geld den Kanon der Bildungsinhalte ergänzen kann, wird mithilfe der empirischen Untersuchung analysiert. Das Interesse an auf weibliche Zielgruppen zugeschnittenen Weiterbildungsangeboten im Bereich der ökonomischen Bildung war mitunter erst zu wecken. Die Schwankungen bei der realisierten Nachfrage warfen zum einen die Frage nach dem anhaltenden Tabuisierungsgehalt finanzieller Themen auf. Die Auseinandersetzung mit den Themen Geld, Finanzen und Vorsorge ruft bei vielen Menschen Vermeidungsstrategien hervor. Dem Ausspruch 'über Geld spricht man nicht' stimmten im Jahr 2009 rund 72 Prozent der Befragten zu (forsa/comdirekt 2009). Zum anderen verdeutlichte die Durchführung der Veranstaltungen Verunsicherung in Bezug auf finanzielles Grundlagenwissen und Handlungskompetenzen. Zahlreiche empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass das Wissen um ökonomische Zusammenhänge in der Bevölkerung nicht flächendeckend vorhanden ist. Diese Thematik wird im angelsächsischen Raum unter dem Begriff Financial Literacy bzw. Financial Capability diskutiert (OECD 2006a). Unzureichende finanzwirtschaftliche Kenntnisse bergen Risiken auf individueller wie makroökonomischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene. Dass sie neben eminenten strukturellen Marktdefiziten als einer der weiteren Faktoren der US-Subprime-Krise angesehen werden, verweist auf paradoxe Effekte der marktwirtschaftlichen Organisation. Der in dieser Arbeit vorgenommene Rückgriff auf das Biografiekonzept ermöglicht es, die strukturelle Einbettung der Gesellschaftsmitglieder in das Wirtschaftssystem aus der Binnenperspektive zu analysieren, um den individuellen Umgang mit Geld als eine soziologische Kategorie zu fundieren. Piorkowsky und Bürkin (2011: 15) weisen dem privaten Finanzmanagement eine 'Schlüsselrolle' als 'Fundament für die persönliche Alltags- und Lebensgestaltung' zu. Sie sehen es als unabdingbar, den 'persönlichen Bedarf und seine Deckungsmöglichkeiten nicht nur heute und morgen, sondern auch längerfristig planerisch vorausschauend in Einklang [zu] bringen' (ebd.). Welche Bedingungsgefüge einem solchen (Geld-)Handeln dienlich sind, soll die empirische Studie klären. Fragestellungen Dass das Geld einer philosophischen, soziologischen und sozialpsychologischen Konzeptualisierung bedarf und der Umgang mit Geld nicht allein aus ökonomischer Perspektive betrachtet werden kann, hat Simmel (Orig. 1900) weitsichtig und umfassend hervorgehoben: 'Es ist Simmels Analyse, die den Blick für das Ausmaß und die ganze Komplexität der durch das ökonomische Denken ausgeblendeten gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhänge des Geldes öffnet.' (Deutschmann 2007: 70) Auch wurde die soziologische Bedeutung von über Geld vermittelten Konsum als Status- und Distinktionsmarker in den Untersuchungen von Veblen (Orig. 1899) und Bourdieu (1982) eindrücklich herausgestellt - wobei Veblen der demonstrativen Muße ebenso Gewicht verleiht wie Bourdieu dem Geschmack und Kennertum. Das von der klassischen Wirtschaftstheorie entworfene Modell des Homo oeconomicus liefert nicht erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 'kein letztgültiges Erklärungsmuster mehr' (Engartner/Heiduk 2015: 338). Für Rolf Haubl (2004: 305), der den Umgang mit Geld aus soziologischer und psychoanalytischer Sicht analysiert, ist die Rationalität des Homo oeconomicus 'nur allzu oft die Rationalisierung eines irrationalen Begehrens'. Letzteres wiederum zu konzeptualisieren, erfordert eine 'sozio- und psychodynamische Perspektive' (ebd.). Wenn auch grundlegendes ökonomisches und finanzielles Wissen eine wichtige Voraussetzung für einen gelingenden Umgang mit Geld darstellt, ist es somit unumgänglich, bei der Betrachtung monetärer Alltagspraxen auch lebensgeschichtliche Hintergründe und Bedingungen einzubeziehen - vor allem auf der Ebene der symbolischen Bedeutungen des Geldes. Dieser Aufgabe will sich die vorliegende Studie stellen. Das alltagsökonomische Handeln der Akteure liegt nicht nur in ihrer ökonomischen Sozialisation (Claar 1990; Rosendorfer 2000) bzw. ihrer Geldsozialisation (Reisch 1998) begründet, sondern hat vielfältige biogra-fische Wirkungszusammenhänge, die letzten Endes komplexe Fragen zu Werthaltungen und zum 'guten Leben' beinhalten. Christoph Deutsch-mann (1999: 61) zufolge wird 'im Geld [...] das Vermögen des Menschen, seine eigene Welt gesellschaftlich hervorzubringen, zu einem privat anzueignenden Gegenstand'. Was sind die Gründe dafür, dass die einen ihr Geld im Griff behalten - und die anderen nicht? Wem gelingt es, mit den gegebenen Mitteln auszukommen und wer stößt dabei an seine - nicht nur finanziellen - Grenzen? Wie kommt es, dass Akteure ihre beruflichen Budgets erfolgreich managen, ihre privaten hingegen nicht? Inwiefern lassen sich differente Geldpraxen auf die lebensgeschichtliche Ausgangslage zurückführen? Welche dem Umgang mit Geld inhärenten Bewältigungsstrategien lassen sich identifizieren und welche Sozialisationsfallen können sich hinsichtlich der Rolle des Geldes als 'Medium sozioökonomischer Integration' (Haubl 2004: 304) auftun? Auf diese Fragen werden vor dem Hintergrund der subjektiven - und gleichsam strukturell verankerten - Handlungskompetenzen der Akteur/innen Antworten gesucht. Dazu ziehe ich das Biografiekonzept heran, welches Biografie als soziale Konstruktion begreift, das heißt 'zentrale Dimensionen der Gesellschaft' anspricht (Fischer/Kohli 1987: 26) und nicht nur für die Migrations- und Geschlechterforschung fruchtbar gemacht wurde, sondern unter anderem auch in der Erziehungswissenschaft Anwendung findet. Methodischer Zugang Der Umgang mit Geld wurde vor allem in der ökonomischen, psychologischen und haushaltswissenschaftlichen Forschung durch quantitative und qualitative Untersuchungen in den Bereichen Finanzen und Ökonomie der privaten Haushalte erschlossen. Die sich auf empirische Falldarstellungen stützende Betrachtungsweise der vorgestellten Arbeit soll solche Daten um biografieanalytisch fundierte soziologische und sozialpsychologische Dimensionen ergänzen. Haubl (2004: 298) zufolge wird der 'Geldstil, den Erwachsene zeigen [...] in ihrer lebensgeschichtlichen Vergangenheit vorbereitet'. In der vorliegenden Arbeit werden mithilfe der soziologischen Biografieanalyse monetäre Handlungsmuster erschlossen, die ich im Begriff der Geldpraxis fasse. Das Ziel der Untersuchung ist es, die lebensschichtliche Genese des individuellen Umgangs mit Geld zu rekonstruieren, um Geldsymboliken zu heben. Dies vor allem in Bezug auf die Rolle der Geldpraxen als Bearbeitungs- und Bewältigungsstrategien der Lebensführung. Dabei werden 'übergeordnete Muster' (Unterweger 2013: 96) des Umgangs mit Geld als immanente Wertdimensionen erschlossen. Die Forschungsfrage, deren Herleitung unter 1.4 detailliert erörtert wird, lautet wie folgt: 'Wie konstituiert sich der Umgang mit Geld lebensgeschichtlich und welche Bedeutungen kommen ihm über das alltagsökonomische Handeln hinausgehend in der Lebensführung zu?' Das Datenmaterial wurde mit der Methode des autobiografisch-narrativen Interviews (Schütze 1983; 1984; 1987) erhoben und biografieanalytisch weitgehend in Anlehnung an Schütze (1981; 1984; 1994; 1995) ausgewertet. Mit Blich auf kritische Lebensereignisse werden jene Bedingungen fokussiert, die dazu befähigen, die komplexen sozialen und ökonomischen Erfordernisse des modernen Lebens und dessen Risiken gestalterisch zu bewältigen. Die empirisch gewonnenen und theoretisch fundierten Ergebnisse können in die präventive Verbraucherbildung einfließen und zur Konzeption von Bildungsangeboten bzw. zur ausstehenden Konzeptualisierung einer sogenannten monetären Kompetenz herangezogen werden. Dieser Begriff wurde von Haubl geprägt, der die Beherrschung des Mediums Geld als eine 'elementare Kulturtechnik' verankert sehen möchte (Haubl 2004: 304). Nachfolgend skizziere ich die Architektur der Untersuchung. Aufbau der Arbeit Die Forschungsarbeit gliedert sich in drei größere Abschnitte: Im ersten Teil (I) wird der theoretische Rahmen der konzeptionellen Verknüpfung von Geld und Lebensgeschichte aufgefächert. Der zweite Teil (II) beinhaltet die empirische Fallstudie zum Umgang mit Geld aus biografieanalytischer Sicht. Der dritte Teil (III) ist der theoretischen Integration und Diskussion der Forschungsergebnisse gewidmet. ? Kapitel eins im ersten Teil (I) betrachtet die theoretische Rahmung und fundiert das in der Beratungs- und Bildungspraxis gründende Forschungsinteresse sowie den Zugang über das Biografiekonzept. Zur Annäherung an das Forschungsfeld wird der Stand der soziologischen Forschung zum Geld dargestellt und der Umgang mit Geld aus interdisziplinärer Sicht erschlossen. Daran anknüpfend formuliere ich mit Blick auf die gesellschaftliche Relevanz des Forschungsanliegens mein Erkenntnisinteresse. Die Fragestellung wird auf der Ebene der Lebensführung und in Bezug auf institutionelle Rahmenbedingungen und wohlfahrtsstaatliche Reorganisationen entwickelt. Zugleich gebe ich einen Einblick in die Bildungslandschaft der wirtschaftlichen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland und den Diskurs um die finanzielle Allgemeinbildung. Zur Generierung der Forschungsfrage werden die komplexen Problemstellungen, die mit der Analyse alltagsökonomischer Handlungsmuster einhergehen, auf der Folie normativer Implikationen entfaltet, um die Begrifflichkeiten zu schärfen und die Fragestellung zu präzisieren. Der empirische Teil der Arbeit umfasst die Kapitel zwei bis fünf (Teil II). Zunächst erfolgt in Kapitel zwei die Darstellung der methodologischen und methodischen Grundlagen der Studie. So wird die Entscheidung für das biografieanalytische Forschungsdesign hergeleitet und mit Blick auf den Forschungsgegenstand begründet; ebenso werden die angewandten Methoden expliziert und der methodische Verlauf konturiert. In Kapitel drei reflektiere ich meine eigene Rolle im Forschungsprozess und lege den Feldzugang sowie die Konstitution des Forschungssamples dar; ferner wird das zur Rekonstruktion der Geldpraxen konzipierte Analyseschema vorgestellt. Kapitel vier als zentraler empirischer Teil beleuchtet den Umgang mit Geld aus biografieanalytischer Perspektive anhand drei exemplarischer Falldarstellungen. Es handelt sich dabei um zu Tage getretene Muster typischer Bearbeitungsstrategien in Bezug auf das Verhältnis von Geldpraxis und Lebensgeschichte. Jeweils dem selben Aufbau folgend, werden die familiäre Sozialisation, implizit und explizit vermittelte Geldbotschaften, persönliche und soziale Ressourcen sowie biografische Prozess- und Ordnungsstrukturen herausgearbeitet und zu einem Resümee der symbolischen Bedeutung des Umgangs mit Geld verdichtet. Unter Hinzunahme aller weiteren autobiografisch-narrativen Interviews sowie eines Leitfadeninterviews unterziehe ich die rekonstruierten Fälle in Kapitel fünf einer Gegenüberstellung und kontrastiere die lebensgeschichtlich fundierten Geldpraxen aus dem Blickwinkel ihres sozialen Sinns. Aufbauend auf dieser fallübergreifenden Perspektive wird eine Typisierung erarbeitet, die von der Handlungsebene abstrahiert und auf die Verwirklichung von Freiheitsgraden abstellt. Im dritten Teil (III) der Untersuchung folgt in Kapitel sechs die theoretische Rückbindung der ausgearbeiteten Forschungsergebnisse, um lebens-geschichtliche Dimensionen des Umgangs mit Geld ins Verhältnis zu Möglichkeitsstrukturen zu setzen. Schließlich evaluiere ich die Biografieperspektive auf den Umgang mit Geld hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit in der ökonomischen Bildung und Beratungspraxis. Die abschließende Betrachtung widmet sich der Zusammenschau der Ergebnisse und deren kritischer Würdigung. Zuletzt werden offen gebliebene Fragen mit einem weiterführenden Ausblick auf Anschlussforschungen formuliert. Im Kontext der Arbeit relevante Begriffe wurden in einem Glossar festgehalten.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort10
Einführung: Lebenslagen und Alltagsökonomie14
Teil I Geld und Lebensgeschichte: Theoretischer Rahmen22
1. Der Umgang mit Geld im Licht des Forschungsinteresses24
1.1 Die Verknüpfung von Geld und Lebensgeschichte: Zur geldbezogenen Alltags- und Zukunftsgestaltung24
1.2 Theoretische Konzeptualisierungen des Geldes und des Umgangs mit Geld: Der Stand der Forschung31
1.3 Der Umgang mit Geld im Spannungsfeld von Handlung und Struktur: Die Entwicklung der Fragestellung46
1.4 Zur Explikation des Forschungsanliegens65
1.4.1 Normative Implikationen des Forschungsdesigns68
1.4.2 Die Präzisierung der Forschungsfrage78
Teil II Biografieanalytische Fallstudie zum Umgang mit Geld84
2. Methodologische Grundlagen und Methodenwahl86
2.1 Qualitativ-rekonstruktive Sozialforschung und soziologische Biografieforschung86
2.2 Methodologie und Vorgehensweise88
2.3 Das biografieanalytische Forschungsdesign93
3. Der Zugang zum Forschungsfeld105
3.1 Forschungskontext und Forschungsverlauf105
3.2 Datenerhebung und Analyseschema109
4. Vom Umgang mit Geld aus biografieanalytischer Perspektive: Drei exemplarische Falldarstellungen119
4.1 Die Diplom-Ökonomin und Beraterin Claudia Adler119
4.1.1 Biografische Fallanalyse: Geld und Werte im Transformationsprozess121
4.1.2 »Das Geld muss fließen« – Die symbolische Bedeutung von Geld im Leben der Claudia Adler134
4.2 Der angestellte Handwerker Thorsten Wendig137
4.2.1 Biografische Fallanalyse: Der pragmatische Umgang mit Geld als Bewältigungsstrategie140
4.2.2 »Da spart man halt und dann hat man auch etwas davon« – Die symbolische Bedeutung von Geld im Leben des Thorsten Wendig155
4.3 Die selbstständige Goldschmiedemeisterin Yvonne Silber158
4.3.1 Biografische Fallanalyse: (Geld-)Sozialisation zwischen Sparsamkeit und Genuss160
4.3.2 »Ich bin großzügig und ich bin sparsam« – Die symbolische Bedeutung von Geld im Leben der Yvonne Silber172
5. Auf der Suche nach dem guten Leben: Geldpraxen im Biografievergleich176
5.1 Die kontrastive Analyse der Geldpraxen176
5.2 Geldpraxis und (psycho-)sozialer Sinn187
5.2.1 Be- und Verarbeitungsstrategien189
5.2.2 Ermächtigungsstrategien197
5.2.3 Der Umgang mit Geld im Licht ungelebten Lebens210
5.3 Kontrolle, Situativität, Innovation – Eine lebensgeschichtlich fundierte Geldtypologie213
5.4 Fazit des Biografievergleichs: Das Allgemeine im Besonderen226
Teil III Biografie und Geldpraxis: Theoretische Anschlussfähigkeit232
6. Lebensgeschichtliche Dimensionen des Umgangs mit Geld234
6.1 Grundlegende monetäre Handlungsmuster235
6.2 Vom Umgang mit Geld in der Lebensführung247
6.2.1 Chancen und Grenzen des Doing Money248
6.2.2 Wert(e)dimensionen260
6.2.3 Haben und Sein: Die Geldpraxis als biografische Ressource267
6.3 Die Biografieperspektive der Geldpraxen in Bildungsarbeit und Beratungspraxis273
6.4 Gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischeImplikationen278
Abschließende Betrachtung285
Glossar301
Literatur305
Anhang336

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