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E-Book

Gelegenheit macht Liebe, Kleider machen Leute und der Teufel macht krank

AutorManfred Spitzer
VerlagSchattauer
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl316 Seiten
ISBN9783608169980
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Jeder kennt Sprichworte und setzt sie im Alltag ein, doch was ist dran, an 'Gelegenheit macht Liebe' oder 'Kleider machen Leute'? Der Neurowissenschaftler und Philosoph Manfred Spitzer geht diesen beiden Redewendungen auf den Grund und zeigt, was die Gehirnforschung zu ihnen zu sagen hat. Außerdem fragt er, warum blaues Licht schlaflos macht und der ständig im Hintergrund laufende Fernseher sprachlos. Er berichtet von Menschen, die lieber an zwei sich widersprechende Verschwörungstheorien glauben als an die Wahrheit, und von Menschen, die lieber zu Elektroschocks greifen als mit ihren Gedanken alleine zu sein. - Wenn Sie nun denken, dass das doch mit dem Teufel zugeht, dann sind Sie hier ebenfalls richtig, denn auch ihm ist ein Kapitel gewidmet. Und selbst gegen die neuerdings weitverbreitete Angst, etwas zu verpassen, weiß Spitzer Rat: Legen Sie das Smartphone zur Seite, fahren Sie den Computer herunter und lesen Sie ein Buch - wenn Sie sich darüber hinaus für Neurowissenschaften interessieren, doch am besten gleich dieses!

Manfred Spitzer, Prof. Dr. Dr., studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg, war Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg, Gastprofessor an der Harvard-Universität und am Institute for Cognitive and Decision Sciences in Oregon. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft, der Lernforschung und Psychiatrie. Seit 1997 ist er Ordinarius für Psychiatrie in Ulm. Spitzer ist Herausgeber der Zeitschrift 'Nervenheilkunde' und leitet das von ihm gegründete 'Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen' in Ulm. Er hat mehrere neurowissenschaftliche Bestseller verfasst und moderiert eine wöchentliche Fernsehserie zum Thema Geist und Gehirn.

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Leseprobe

2  Kleider machen Leute


In seinem Buch You Are What You Wear schreibt der Autor William Thourlby das Folgende: „Wenn Sie einen Raum betreten, werden Entscheidungen über Sie ganz allein aufgrund Ihrer äußeren Erscheinung gefällt. Um erfolgreich und sicher zu sein, dass diese Entscheidungen positiv für Sie ausfallen, denken Sie daran, dass Sie sind, was Sie tragen, und kleiden Sie sich entsprechend“ (21, Übersetzung durch den Autor).

Die gut 140 Jahre alte Novelle Kleider machen Leute des Schweizer Dichters Gottfried Keller hatte eigentlich den Titel Die Leute von Seldwyla, gehört bis heute zum Schulstoff im Deutschunterricht, wurde mehrfach verfilmt und hat den folgenden, mittlerweile sprichwörtlichen Inhalt: Ein Schneider kleidet sich trotz Armut gut, wird daher für einen Grafen gehalten und bringt es nach einigen Wirrungen zum wohlverdienten Wohlstand. Das zuvor schon bekannte Sprichwort „Kleider machen Leute“ – die englische Version stammt von Mark Twain: „Clothes make the man. Naked people have little or no influence on society“ – stellt sich also als wahr heraus.

Auch hundert Jahre später schien diese Wahrheit ungebrochen, wurde doch John T. Molloys Buch Dress for Success (1975) über die Auswirkungen der Kleidung auf den persönlichen und geschäftlichen Erfolg im Leben ein Bestseller. Die unzähligen Ratgeber zum Problemkreis „impression management“, die man mittlerweile im Internet finden kann, scheinen dies noch weiter zu bestätigen. Die meisten Menschen sind daher davon überzeugt, dass die Kleidung ähnlich wie die Körperhaltung eine Form der nonverbalen Kommunikation darstellt: Wer sich ordentlich kleidet, signalisiert sein Bemühen, sich in der Gesellschaft einzuordnen und niemanden stören zu wollen. Staubige Lotterklamotten hingegen signalisieren: „Ihr seid mir egal“.

Entsprechende empirische Untersuchungen sind zwar nicht sehr häufig und meist schon älter (2, 16, 17). Es gibt sie aber in manchen Winkeln der psychologischen Fachliteratur. Und auch wenn sie kaum überraschen, so bestätigen sie doch das oben angeführte Diktum von den Kleidern, die die Leute machen: Die Kleidung von Frauen bei einem Interview bestimmt den ersten Eindruck im Hinblick auf die Persönlichkeitsvariablen Kraft, Selbstbewusstsein, Dynamik, Aggressivität und Entschiedenheit (6). Dozenten, die ernst genommen werden wollen, sollten sich korrekt kleiden, aber verwaschene Jeans machten dann doch das Rennen im Hinblick darauf, was den Studenten gefällt (15). Frauen wissen besser, was ein Business-Dress ist (5). Ein Blazer und eine Brille verleihen ihnen Respekt, werden aber weniger gemocht; ein langer Rock dagegen wird einfach nur weniger gemocht, ohne Respekt zu verleihen (13). Der Kleidungsstil hat eine Auswirkung auf die wahrgenommene Glaubwürdigkeit (12). Ganz allgemein mögen die Befragten eher das, was so ähnlich ist wie das, was sie selber tragen (4).

Erst in jüngerer Zeit wird die Forschung wieder interessanter und zeigt einen Zusammenhang zwischen drei der fünf Big Five-Persönlichkeitsvariablen – Neurotizismus, Extraversion und Offenheit – und der Bedeutung, die jemand seinem Erscheinungsbild gibt.1 Schließlich war schon vor 10 Jahren davon die Rede, dass rote Trikots bei etwa gleich guter Performance zweier Mannschaften die Chance zu gewinnen vergrößern (19).

Solche Studien zu den Auswirkungen des Tragens bestimmter Kleidung auf das Verhalten einer Versuchsperson stellen einen eigenen Zweig der psychologischen Forschung dar (10). Hier geht es also weder um den ersten Eindruck noch um mögliche Zusammenhänge von Kleidung und Persönlichkeit, sondern darum, was Kleidung mit demjenigen macht, der sie trägt. Eine der ersten Studien hierzu ging um die Frage, ob die in vielen Kulturen mit „böse“, „teuflisch“ bzw. „aggressiv“ in Verbindung gebrachte Farbe Schwarz tatsächlich zu mehr Aggressivität führt (7). Hierzu untersuchten die Autoren die Fouls der Nationalen Football-Liga und Hockey-Liga in den USA aus den Jahren 1970 bis 1986. Sie fanden, dass bei den Mannschaften mit schwarzen Uniformen vergleichsweise mehr Fouls verzeichnet wurden: In der Football-Liga lagen die Mannschaften mit schwarzen Uniformen im Ranking der Fouls auf den Plätzen 1, 3, 7, 8 und 12 von insgesamt 26 Mannschaften; in der Hockey-Liga entsprechend auf den Plätzen 1, 2, 3, 6 und 10 von insgesamt 23 Plätzen. Zudem wurden bei zwei Teams, deren Uniform im Beobachtungszeitraum von einer anderen Farbe nach schwarz wechselte, nach dem Wechsel deutlich mehr Fouls verzeichnet. In weiteren Experimenten (z. B. zur Beurteilung von Videos mit nachgestellten Fouls durch Spieler in weißen bzw. schwarzen Trikots) zeigte sich, dass der Effekt sowohl auf der Wahrnehmung durch die Schiedsrichter (Spieler in schwarzen Trikots werden als aggressiver wahrgenommen) als auch auf das Aggressionsniveau der Spieler (nimmt in schwarzen Trikots zu) zurückzuführen ist.

Weitere Studien zeigten, dass Frauen, die im Rahmen eines psychologischen Experiments, bei dem es vordergründig um das Einkaufen eines Pullovers bzw. eines Badeanzugs ging, weniger Nahrung zu sich nahmen, wenn sie einen Badeanzug trugen (bei Männern gab es keinen solchen Effekt2) und in einem Mathematik-Test schlechter abschnitten (8). Der Badeanzug führt bei Frauen also zu einer höheren Bewusstheit für den eigenen Körper und den entsprechenden Konsequenzen beim Essen.

Das Tragen von Imitaten teurer Sonnenbrillen (also von gefälschten teuren Sachen) ist keineswegs einfach nur kostengünstig, denn es bringt die Neigung mit sich, auch in anderer Hinsicht (z. B. bei einem Test) zu täuschen und führt darüber hinaus zur Tendenz, bei anderen eher Täuschung zu vermuten (9). Gerade weil sich die Probanden, wie ebenfalls gezeigt wurde, dieser Auswirkungen nicht bewusst sind, sind sie so bedenklich, wie die Autoren mit Recht hervorheben: „Geht man davon aus, dass Kostenersparnis der Hauptgrund für den Kauf von Fälschungen ist, könnten Leute, die Fälschungen für sich selbst oder als Geschenk für andere kaufen, glauben, dass sie einfach nur ähnliche Produkte für weniger Geld bekommen. Aber tatsächlich könnte es sein, dass sie auf längere Sicht einen höheren Preis dafür zahlen, nämlich den Verlust ihrer Moral. Vielleicht am Beunruhigstenden an unseren Ergebnissen […], ist, dass sie zeigen, dass der negative Effekt von Fälschungen sich nicht nur auf die Käufer erstreckt, sondern darüber hinaus auf ihr soziales Umfeld. Dies legt nahe, dass es weiterreichende negative Konsequenzen haben könnte, den negativen Einfluss von Fälschungen außer Acht zu lassen“ (9, S. 719; Übersetzung durch den Autor).

Wie genau diese Wirkungen von getragener Kleidung zu verstehen sind – als Auswirkung einfacher Bahnungseffekte (die Farbe Rot z. B. intensiviert den Affekt) oder als Auswirkungen des sog. verkörperten Denkens (embodied cognition) – wurde in einer Studie untersucht, bei der es nicht um sportlichen Wettkampf und auch nicht um die Farbe Rot ging: Es ging vielmehr um weiße Kittel, die prototypisch für Wissenschaftler und Ärzte stehen, und deren Auswirkungen auf das Denken untersucht wurden.

Wer einen weißen Kittel trägt, der verkörpert eine Einstellung, die Sorgfalt und Aufmerksamkeit sowie das Vermeiden von Fehlern einschließt. 58 Studenten (41 Frauen) im Alter von gut 20 Jahren nahmen an einer Studie zur Auswirkung des Tragens eines weißen Kittels auf die selektive Aufmerksamkeit teil. Der Zufall entschied, ob sie entweder das Experiment in ihrer ganz normalen Alltagskleidung durchführten oder ob sie zuvor einen weißen Kittel zum Anziehen bekamen. Um vom eigentlichen Anlass des Kitteltragens abzulenken und die Studenten nicht auf irgendwelche Ideen zu bringen, was wohl mit dem Kittel los sei, wurde ihnen erklärt, dass wegen Bauarbeiten frühere Teilnehmer des Experiments auch schon einen weißen Kittel hatten tragen müssen. Diese Bauarbeiten seien jetzt abgeschlossen, aber um für alle Versuchsteilnehmer die gleichen Bedingungen zu haben, müssten nun die Versuchspersonen auch ohne Bauarbeiten einen Kittel tragen, sodass alle Teilnehmer am Versuch unter gleichen Bedingungen teilnahmen.

Zur Anwendung kam dann der mittlerweile 80 Jahre alte Stroop-Test, in dem es darum geht, die Farbe von ausgedruckten Farbwörtern zu benennen. Hierbei können die Wortbedeutung und die Farbe übereinstimmen oder nicht und es kommt zu einer Verlangsamung der Reaktion, wenn z. B. das Wort Rot in blauer Farbe ausgedruckt ist und deswegen die richtige Reaktion auf dieses Wort „Blau“ ist. Man mischt in diesem Test kongruente Bedingungen (das Wort Rot in roter Farbe ausgedruckt) und inkongruente Bedingungen und misst die Zeit zum Benennen und die Fehler, die beim Benennen gemacht werden. Der Unterschied zwischen den Reaktionen (Reaktionszeit und Fehler) auf inkongruente Durchgänge im Vergleich zu kongruenten Durchgängen zeigt an, wie gut sich die Versuchsperson auf die Aufgabe konzentrieren kann, d. h., inwieweit sie in der Lage ist, irrelevante Aspekte des Stimulus – in diesem Falle das gelesene Wort – auszublenden.

 Abbildung 2-1 zeigt das Ergebnis dieser Studie. In der kongruenten Bedingung gab es insgesamt wenig Fehler, wohingegen sich in der inkongruenten Bedingung die Träger von weißem Kittel, von denen, die keinen weißen Kittel anhatten, dadurch signifikant unterschieden, dass sie weniger Fehler machten. Bei der Reaktionszeit ergaben sich keine signifikanten Effekte. Damit zeigt das Experiment, dass das Tragen eines weißen Kittels die selektive Aufmerksamkeit...

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