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Genaue Betrachtung des Vaterunsers (Mt 6,9-15). Eine Prüfungsexegese

AutorSebastian Hoeffgen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783656948490
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Theologie - Biblische Theologie, Note: 1,3, Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Verse aus Matthäus 6,9-15 gehören wohl ohne Übertreibung zu den bekanntesten Texten der gesamten christlichen Bibel und haben eine enorme Wirkungsgeschichte (gehabt). Das sogenannte 'Vaterunser' ist auch heute noch Menschen aus allen Schichten (in der westlichen Welt) mehr oder weniger geläufig, selbst dort, wo man sich vom Christentum oder der Religion im Allgemeinen distanziert hat. Das Gebet, das den Jüngern Jesu von ihm selbst als Mustergebet gelehrt wurde, hat seinen Platz in der Mitte der Bergpredigt und wird deshalb zu Recht ihr Zentrum genannt. Unzählige Generationen von Christen nutzten dieses Gebet als Ausdruck ihrer Frömmigkeit, wurden davon angesprochen und zum Leben aus dem Glauben inspiriert und selbst wenn ganze Kirchen sich spalteten galt den unterschiedlichen christlichen Denominationen das Vaterunser als gemeimes und unzerstörbares Gut. Trotz oder gerade wegen der Bekanntheit des Textes, ist es nicht selten der Fall, dass die genaue Beachtung von einzelnen Worten oder ganzen Sätzen nicht mehr so genau erfolgt. Die Aufgabe sorgfältiger Auslegung ist es des. halb, den Sinn der gesprochenen Worte genau zu erheben. Was sollte von Anfang an mit diesem Gebet ausgesagt werden? Welche Bedeutung liegt den einzelnen Begriffen zu Grunde, mit denen Gott angerufen wird?

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Leseprobe

3. Exegese von Mt 6,9-15


 

Nachdem nun die Vorarbeit geleistet ist, soll deren Ertrag in der Exegese fruchtbar gemacht werden. Zum besseren Verständnis des Textes folgen vor der Einzelexegese das Textthema und der Gedankengang sowie eine Gliederung des Vaterunsers. Neben grammatikalischen und semantischen Untersuchungen des Textes soll ein besonderes Augenmerk auf die Parallelüberlieferungen des Gebets aus Lk 11,2-4 und Did 8,2f gelegt werden.[208]

 

3.1. Textthema und Gedankengang


 

Das Vaterunser ist in seinem Aufbau „a literary masterpiece.“[209] Es kann in drei Teile untergliedert werden und entspricht der Form nach dem üblichen Muster von Hymnen und Gebeten. Die sog. invocatio (V.9b) nennt die angesprochene Gottheit (hier: „Vater“), der Hauptteil (V.9c-13) kann untergliedert werden in „two sets of three petitions.“[210] Der erste Teil dieser Bitten (V.10) enthält die sogenannten „Du – Bitten“, die alle in der 2.Pers.Sg. gehalten sind und um Heiligung des Gottesnamens (V.9c), Kommen des Gottesreiches (V.10a) und Willensdurchführung der Gottheit (V.10bc) beten.[211] Der zweite Teil der Bitten konzentriert sich auf die den Menschen eigentümlichen Bedürfnissen, namentlich um tägliches Brot (V.11), die Vergebung der Schulden (V.12) und die Bewahrung vor Versuchung bzw. Rettung vor dem Bösen (V.13).[212]

 

Die Verse 14 und 15 beinhalten eine weitere Erklärung zur Bitte um Schuldenvergebung (V.12, τὰ ὀφειλήματα), die einmal positiv zur Vergebung der eigenen Schuld bei Vergebung von fremden Verfehlungen führt (V.14, τὰ παραπτώματα) und zum anderen negativ das Behalten der eigenen Schuld bei Nichtvergebung fremder Verfehlungen nach sich zieht (V.15, τὰ παραπτώματα).[213]

 

Eine Gliederung des Vaterunsers lässt damit wie folgt darstellen:

 

 

3.2. Einzelexegese


 

3.2.1. V.9


 

„Betet ihr nun so: Unser Vater, der (du bist) in den Himmeln[214], dein Name werde geheiligt; …“

 

Οὕτως οὖν προσεύχεσθε ὑμεῖς:

 

Die Einleitung mit Οὕτως οὖνὑμεῖς macht deutlich, dass alles nun Gesagte im Bezug und Kontrast steht zum vorherigen Textgegenstand. V.7 und 8 beinhalten die Beschreibung des Gebets der Nationen (οἱ ἐθνικοί) durch Jesus.[215] Diese „plappern“ (βατταλογήσητε) in ihren Gebeten zu Gott, um durch viele Worte (τῇ πολυλογίᾳ) erhört zu werden. Das hapax legomenon von βατταλογέω meint nach Delling „durch die Häufung der Gottesnamen … die für seine Bitte zuständige Gottheit zu erreichen und vor allem … durch andauerndes Bestürmen müde zu machen.“[216] Zwar halten beispielsweise Koh 5,1 oder Sir 7,14b zum kurzen Gebet an, Jesus möchte mit seiner Aussage aber nicht wortreiche Gebete per se verbieten, sondern lediglich ihren Gebrauch „als ein Mittel, Gottes Erhörung zu gewinnen.“[217] Jesus selbst hält seine Jünger an anderer Stelle (Lk 21,36) dazu an, „zu aller Zeit zu beten“ (ἐν παντὶ καιρῷ δεόμενοι). Noch verstärkt wird dieser Umstand dadurch, dass die Aufforderung zum anhaltenden Gebet “ohne Unterlass” in 1.Thess 5,17 mit exakt derselben Form (προσεύχεσθε, Imp.Präs.2.Pl.) wie der von Jesus in V.9a benutzten geschieht.[218] Die Begründung für ein kurzes Gebet liefert V.8b: Der Vater weiß schon vor jeder Bitte, was jeder einzelne Beter benötigt (vgl. Mt 6,32; Lk 12,30).[219]

 

In der Gegenüberstellung zu einer solchen Gebetshaltung redet Jesus also in V.9a die Jünger an und zeigt ihnen auf, wie sie selbst beten sollen (προσεύχεσθε, Imp.Präs.2.Pl.). Betz hat m.E. recht, wenn er sagt, dass „the movement of argument began with the critique of wrong performance (vs 7a) and wrong theory (vs 7b), in order then to turn to the correct theory (vs 8), and now the correct practice, exemplified by the Lord’s prayer.”[220] Das an 85 Stellen[221] aufzufindende Verb προσεύχομαι bedeutet „beten, anbeten, bitten“[222] und steht immer dort bevorzugt, „wo der Tatbestand des Betens ohne nähere Inhaltsangabe dargestellt werden soll.“[223] Wie gestaltet sich ein solches Gebet inhaltlich? In den Versen 9b-13 macht Jesus dies exemplarisch mit dem Vaterunser deutlich.[224] Zu klären bleibt vorab, ob das Gebet lediglich „a paradigm for prayer, not the prayer itself“[225] ist, wie dies Lachs meint. Das von Jesus gebrauchte einleitende οὕτως (= „derart, ebenso“)[226] statt eines auch möglichen τοῦτο (= „dies“)[227] gibt m.E. schon die Richtung des Verständnisses vor. Zusammen mit Quarles bin ich der Meinung, dass „the adverb ‚like this‘ (houtōs) shows that Jesus‘ prayer is a model to be emulated rather than a script to be recited. Jesus did not say ‘pray this (touto)’ but ‘pray like this’.”[228] Ergänzend muss aber hinzugefügt werden, dass auch ein Gebet mit genau diesen Worten dem Sinn nicht entgegensteht und nur als alternativlose Möglichkeit zu kurz greift.

 

Auch die Frage nach dem heilsgeschichtlichen Ort des Gebets ist m.E. wichtig und wird bei der Exegese eine Rolle spielen: handelt es sich im Ganzen oder zumindest im ersten Hauptteil um ein eschatologisches Gebet oder um eine andere Art von Gebet?[229]

 

Πάτερ ἡμῶν ἐν τοῖς οὐρανοῖς:

 

Mit dem einleitenden Substantiv Πάτερ (1.Pers.Sg. Vokativ) wird klargestellt, wer der Angeredete ist. Da damit eine entscheidende Weichenstellung für alles weiter Gesagte geschieht, lohnt es sich, diesen Begriff genauer zu untersuchen. In den Evangelien erscheint die Vokabel insgesamt 273-mal, davon an 57 Stellen bei Matthäus[230], 17-mal bei Markus, 48-mal bei Lukas und schließlich 112-mal bei Johannes. Dabei wird der am besten mit „Vater“ zu übersetzende Begriff sowohl konkret auf einen unmittelbaren Vorfahren verwendet (vgl. Mt 2,22; Joh 4,53), kann aber auch den Stammvater (Vorfahr, Ahnherr) bezeichnen (vgl. Mt 3,9; Lk 1,73).[231] Vor allem im Mund Jesu findet sich häufig die Anrede Gottes als seinen Vater (vgl. Mt 11,27; Joh 2,16; 6,40). Die Juden reden von Gott als ihrem Vater (Joh 8,41), wie auch die Christen (Röm 1,7; 1.Kor 1,3) und Jesus fordert seine Jünger hier auf, Gott in der 1.Pers.Pl. als „unser Vater“ (Πάτερ ἡμῶν) anzusprechen. Wie ist dies zu verstehen? Für Betz wird durch das Pronomen ὑμεῖς ersichtlich, dass es sich beim Vaterunser v.a. um ein Gebet für die Gemeinschaft handelt (im Gegensatz zu Mt 6,6 mit betontem σὺ, 2.Pers.Sg., wo das Gebet des Einzelnen im Fokus steht).[232]

 

Exkurs: Gott als Vater

 

Für Schrenk gehört „die Anrufung der Gottheit unter dem Vaternamen … zu den Urphänomenen der Religionsgeschichte“[233], da sie bei den verschiedensten Völkern unterschiedlichen kulturellen und geographischen Standpunktes gleichermaßen vorhanden sei. Zwar hat Philo zur Redeweise von Gott als Vater viel beigetragen[234], der neutestamentliche Hintergrund der Begrifflichkeit dürfte aber zu weit größeren Teilen im Alten Testament liegen.

 

In der LXX erscheint πατήρ fast ausschließlich als Entsprechung von באָ. In der direkten Gottesbezeichnung kommt Vater nach Jeremias im gesamten AT jedoch nur 15-mal vor (u.a. Dt 32,6; 2.Sam 7,14; Ps 68,8), nicht eingerechnet sind hier allerdings Stellen, an denen Gott lediglich mit einem Vater verglichen wird (z.B. Dt 1,31; 8,5; Ps 103,13) und auch solche, die Namen mit einem theophoren Element (z.B. יֹואָב) enthalten.[235] Zwar bezeichnet sich Jahwe auch als Vater Einzelner (2.Sam 7,14), spricht jedoch häufig von ganz Israel als seinem Sohn und Erstgeborenen (z.B. Dt 14,1f), der „in einem geschichtlichen Akt, nämlich beim Auszug aus Ägypten, sichtbar geworden ist“[236] (vgl. Jes 63,16; Jer 3,19; Hos 11,1).

 

Als dieser Sohn ist Israel umworben von Jahwe auch dann, wenn er abtrünnig ist (Jer 3,22) mit dem Ziel, ihn als Vater wieder auf den geraden Weg zu bringen (Jer 31,9). Die (prophetische) Antwort durch das Volk ist gekennzeichnet durch den Auspruch: „Du bist doch unser Vater.“ (Jes 63,16; כִּֽי־אַתָּ֣ה...

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