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E-Book

Genbombe

Wie sich genmanipulierte Lebensmittel unbemerkt in unser Essen schleichen

AutorCaitlin Shetterly
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783641203030
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Nach jahrelangem Leidensweg mit diffusen Krankheitssymptomen erhält Caitlin Shetterly die Diagnose, allergisch auf genmanipulierten Mais zu sein. Auf diesen zu verzichten: kein Problem. Oder doch? Bei ihrer akribischen Recherche, die die Autorin auf der Spur der Lebensmittel aus den USA schnell auch nach Brüssel und Deutschland führt, zeigt sich die erschreckende Wahrheit darüber, wie weit unser Essen schon von genmanipulierten Substanzen unterwandert ist. Ein beunruhigender Blick auf den größten Lebensmittelkampf unserer Zeit, der gerade erst begonnen hat.

Caitlin Shetterly ist Autorin mehrerer Sachbücher und schreibt regelmäßig für The New York Times Magazine und die amerikanische Elle. Sie lebt mit ihrer Familie in Maine.

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Leseprobe

KAPITEL 2


In Denver mietete ich einen silbernen VW Käfer mit Colorado-Kennzeichen; der Kleinwagen erwies sich bald als denkbar unsinnigste Wahl für eine Fahrt durch die Great Plains, da auf den Straßen dort beinahe ausschließlich Traktoren mit riesigen Hängern, Monstertrucks und Geländewagen die schnurgeraden Highways entlangbrettern. Dann fand ich einen Supermarkt, wo ich mich mit Kaffee für meine erste Reiseetappe sowie Hummus, Crackern, einem gemischten Salat, ein paar Kartoffelchips, einer Box Hanf-Buchweizen-Biomüsli, einer Tüte Biosojamilch (denn für richtige Milch hätte ich eine Kühltasche gebraucht), einem Glas Salatdressing und einer Tüte Biotrockenfleisch eindeckte. Ich fürchtete, dass (zumindest für mich) die Auswahl an genießbaren Lebensmitteln in den ersten Tagen eher dürftig sein würde, und darauf musste ich vorbereitet sein. Während die Sonne hinter mir langsam unterging, machte ich mich auf den Weg nach Osten.

Nachdem ich die Außenbezirke Denvers hinter mir gelassen hatte, wich die Bebauung allmählich riesigen Sand- und Kiesfeldern am Straßenrand, die wiederum bald in weite Gebiete ausgedörrten Buschlands mit Wüstenbeifuß und Pferden übergingen. Ich schloss mein iPhone ans Radio an und hörte Ryan Adams, und seine Musik löste eine Welle von Gefühlen in mir aus – Liebe, Nostalgie, tiefe Traurigkeit und Freude – und ich fühlte mich plötzlich ganz lebendig. Und dann wechselte ich zu Lucinda Williams, deren Stimme so rau und trocken war wie die Landschaft draußen. In Anlehnung an ein Zitat aus Tennessee Williams’ Theaterstück Die Glasmenagerie habe ich immer von mir gesagt, dass ich in Bewegung am leistungsfähigsten bin; »meine Ruhelosigkeit war der Ausdruck dafür, nicht zu zeigen, daß ich keine Luft zum Atmen hatte«.1

Amerika auf diese Weise kennenzulernen – allein auf einem Roadtrip quer durch das Land – war für mich beinahe so, als fände ich wieder Zugang zu einem fernen Teil meiner Seele, zu dem ich seit Jahren keinen Kontakt gehabt hatte, seit ich geheiratet hatte, Mutter geworden war und mein Leben nach den Gewohnheiten und Bedürfnissen anderer Leute ausgerichtet hatte. Derart wild und frei war ich zuletzt quer durch Amerika gefahren, als Dan und ich während der Finanzkrise nach Los Angeles gezogen waren.

Als sich die Sonne dem Horizont näherte, bemerkte ich, dass dem Land hier etwas Harsches anhaftete, als hätte sich dieser westliche Rand der Great Plains nie ganz von den verheerenden Staubstürmen erholt, die die sogenannte Dust Bowl, die Staubschüssel, in den 1930er-Jahren heimgesucht hatten. Noch immer ist der Osten Colorados unfruchtbar und schwer zu bewirtschaften. Hier überziehen Ranches mit grasenden Black-Angus-Rindern die Weiten, und Kornweihen sitzen auf den Koppelpfosten und halten im Gestrüpp nach Beute Ausschau. Der Wind trägt den Duft von Wüstenbeifuß mit sich und weckt kollektive Erinnerungen an Wildnis, Cowboylieder und uramerikanisches Brauchtum.

Bald ging der Cowboystaat Colorado in Nebraska über, die Route 76 wurde zur Route 80 und die Landschaft aufgeräumter und von intensiver Bewässerung durchzogen: Ich sah Getreidekreise und Silos, Zuckerrübenfarmen (vermutlich allesamt mit GV-Rüben, die heutzutage für alles Mögliche verwendet werden, vom einfachen Haushaltszucker über Zuckerrübensirup bis hin zu Viehfutter2) und Fabriken, in denen die Rüben verarbeitet werden. Ich sah ein schmuddeliges kleines Lokal mit einem riesigen Reklameschild, das hoch über dem Highway aufragte. An der Grenze zwischen Colorado und Nebraska veränderte sich die Luft so dramatisch, als wäre eine Sturmfront aufgezogen, und ein penetranter, stechender Heugeruch sowie der trockene Erntestaub drangen ins Auto und brachten sofort meine Nase zum Laufen und die Augen zum Tränen. Als es dunkel wurde, folgte ich großen Lastwagen, die mit weißen GV-Zuckerrüben mit dem Umfang von Grapefruits beladen waren, auf dem Highway, bis ich zu müde wurde, um noch weiterzufahren, und bei einem Hampton Inn in North Platte, Nebraska, von der Straße abfuhr.

North Platte liegt im südwestlichen Teil des Bundesstaates, wo sich der nördliche und südliche Arm des Flusses Platte zu einem einzigen Fluss vereinigen. Tatsächlich hat der Staat dem Fluss seinen Namen zu verdanken: Die amerikanischen Ureinwohner der Stämme Otoe, Pawnee und Omaha nannten den Fluss »flaches Wasser«, und der Begriff der Otoe für »flaches Wasser« war »nebrathka«. Die französischen Entdecker benannten den Platte in »Rivière plate« um (ausgesprochen »platt«, was auf Französisch »flach« bedeutet), und dabei blieb es. Hier am Platte machen mehr als 500 000 Kanadakraniche Station, wenn sie im Frühjahr aus dem Süden von Texas und aus Mexiko nordwärts bis hinauf nach Alaska oder Sibirien zu ihren Brutplätzen ziehen. Hier fressen die Kraniche wirbellose Wassertiere in den Sumpfgebieten am Fluss und die Körner des GV-Getreides von den Feldern rund um das Wasser.3 Nach einer zwei- oder dreiwöchigen Rast, wenn sie sich ordentlich gestärkt haben, setzen die Kraniche ihren Weg nach Norden fort.

Früher war Platte eine Eisenbahnstadt, und noch immer wirkt sie wie das Zugangstor, das den Übergang vom wilderen, weniger gezähmten Westen zur industriellen Landwirtschaft markiert, die inzwischen Nebraska und den gesamten sogenannten Brotkorb inmitten dieses Landes geprägt hat. Das ganze Jahr über finden Fachtagungen und Kongresse für die Landwirtschaft und verwandte Bereiche in North Platte statt, besonders während des Winters, wenn die Ernte eingebracht ist. Diese Tagungen lasten die Hotels und Motels der Stadt aus und füllen sie mit bodenständigen Farmern und deren Ehefrauen. In der Nacht, als ich im Hampton Inn ankam, saßen einige Farmersfrauen in der Lobby, strickten gemeinsam und tranken entkoffeinierten Kaffee, während ihre Ehemänner sich über Getreideanbau unterhielten. So gemütlich, heimelig und einladend diese Szenerie anmutet – North Platte ist dennoch eine Stadt, in der man lieber nur einen Zwischenstopp einlegt.

In meinem Zimmer packte ich meine Taschen aus und zog die beiden Bücher hervor, die ich mitgebracht hatte: Ian Fraziers fesselnde Beschreibung der Great Plains und den Sibley Field Guide to Birds of Western North America. Dann holte ich meinen Badeanzug aus der Tasche. Ganz gleich, wohin ich verreise, immer nehme ich sowohl meine Laufschuhe als auch meinen Badeanzug mit. Am liebsten gehe ich an neuen Orten laufen, um sie zu Fuß ein wenig zu erkunden. Doch nach langen Reisetagen und anstrengenden Straßenverhältnissen hoffe ich als zweitbeste Alternative darauf, dass das Hotel einen Pool hat. Ich schwimme, um herunterzukommen und mich zu entspannen, und wenn das gechlorte Wasser meinen Körper umspült, ist das wie eine rituelle Waschung am Abend. Nach einigen Bahnen durch den ruhigen blauen Pool des Hampton Inn duschte ich und ging ins Bett. Ich war müde. Meine Reise hatte begonnen. Als meine Augenlider bereits schwer wurden, öffnete ich meinen Sibley, blätterte langsam durch die Seiten und versuchte dabei, einige der Falken zu identifizieren, die ich am Tag über mich hinwegfliegen oder auf Zaunpfosten hatte sitzen sehen, während ich den westlichen Rand der Great Plains durchquert hatte.

Am nächsten Morgen erwachte ich mit verstopfter und geschwollener Nase und entdeckte vor meinem Fenster die kürzlich abgeernteten Maisfelder, die braun und stoppelig bis an den Rand des Hotelparkplatzes heranreichten. Nach einem Frühstück, das aus Müsli mit Sojamilch bestand, packte ich meine Taschen und ging hinaus zum Auto. Ich kramte meine Wegzehrung hervor, legte sie griffbereit auf dem Beifahrersitz zurecht, tankte und setzte dann meine Fahrt nach Osten fort.

In Nebraska ist das Land flach und ausladend, und diese Weite beschwört ein Gefühl von Freiheit und sogar Freude herauf. Ian Frazier schrieb darüber, dass die Freude in den Great Plains durch die Geografie hervorgerufen zu werden scheine, ebenso wie Wüsten mystische Ekstase und englische Sumpflandschaften Schwermut hervorrufen könnten. Es stellte sich jedoch heraus, dass ich nicht dieselben Great Plains vor Augen hatte, die Frazier in den 1980er-Jahren bereist hatte, als er auf seinem wilden Roadtrip Städte und Ebenen besucht hatte, um für uns Leser diesen Teil des Landes zu dokumentieren. Und es versteht sich von selbst, dass die Plains, die die ersten Siedler durchquert hatten, bereits so lange verschwunden waren, dass heute nicht einmal mehr ein Hauch Erinnerung an sie in der Luft liegt.

Seit vor nur 20 Jahren mit dem intensiven Anbau von vornehmlich GV-Mais und – Sojabohnen (und ein wenig gentechnisch unverändertem Weizen und Sorghumhirse) begonnen wurde, ist die Landschaft zu einer gigantischen Kornkammer geworden. (Obwohl »Kornkammer« vermutlich das falsche Wort ist, da es das befriedigende Gefühl von Nahrungssicherheit hervorruft. Tatsächlich werden nahezu der gesamte Mais und fast alle Sojabohnen für unzählige andere Dinge verwendet, etwa zur Herstellung von Kunststoffen, Chemikalien, Medikamenten, Viehfuttermitteln und Biobenzin oder Ethanol.4) Da bleibt wenig übrig, weder für Menschen noch anderweitig. Und dieser Anstieg der industriellen Landwirtschaft ist permanent abhängig von der Wasserzufuhr aus dem extrem gefährdeten und flachen unterirdischen Wasserspeicher, dem Ogallala-Aquifer. Der Ogallala – benannt nach der Stadt Ogallala in Nebraska, die wiederum ihren Namen dem Oglala-Sioux-Stamm amerikanischer Ureinwohner verdankt (und zwischenzeitlich ein mysteriöses »l« hinzugewonnen...

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