In diesem Teil der vorliegenden Ausführung liegt der Schwerpunkt auf dem gesellschaftlichen Aspekt, bei dem zunächst historische Entwicklungen bis hin zur aktuellen Epoche der Postmoderne beleuchtet werden. Eine weitere Vertiefung findet anhand des Megatrends „Gender Shift“ statt, aus dem sich der Trend „Genderless“ ableitet. Letztlich werden auch die gesellschaftlichen Felder der Kunst und sozialen Medien mit dem Augenmerk der Geschlechtslosigkeit analysiert.
Damit die Etablierung des „Genderless-Trends“ in unserer heutigen Gesellschaft möglich ist, mussten besonders Frauen und Homosexuelle in der Vergangenheit für eine gleichberechtigte Position in der Gesellschaft kämpfen. Im Jahr 1949 wurde zwar im Grundgesetz die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgelegt, dies hatte jedoch wenig mit der Realität zu tun, was sich zum Beispiel in dem veralteten Ehemodell und ungleichen Arbeitsbedingungen zeigte, was die Frauen dazu veranlasste, besonders in der zweiten Frauenbewegung zum Schluss der 60er Jahre für gleiche Chancen und Rechte zu kämpfen.[70] Die Frauen schlossen sich zusammen, bildeten feministische Gemeinschaften und Verbände und gingen demonstrativ in der Öffentlichkeit gegen ihre Unterdrückung und gesetzliche Vorschriften, wie den Paragraph 218, vor, der die Abtreibung des Kindes mit Gefängnis bis hin zur Todesstrafe sanktionierte.[71] Im Jahr 1974 wurde die Strafe erstmals abgeschafft und durch eine noch umstrittene Fristenregelung der Abtreibung innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft ersetzt.[72] Erst 1995 setzte sich diese Regelung fest durch unter der Bedingung dies mittels einer ärztlichen Behandlung durchzuführen. Auch gesetzliche Änderungen im Ehe- und Familienrecht in 1976 und die gesetzliche Gleichberechtigung im Arbeitsleben im Jahr 1980 revolutionierten die Stellung der Frau im Gesellschaftssystem.[73]
Wie die Frau musste sich der homosexuelle Mann seine gesellschaftliche Akzeptanz erkämpfen, was sich in einer Homosexuellenbewegung deutlich machte. Hier wurde besonders der Paragraph 175 angefochten, der schon seit 1872 homosexuelle Handlungen mit dem Gefängnis bestrafte und zur Zeit des Nationalsozialismus tausende Tode bewirkte. 1968 gingen die homosexuellen Männer und Frauen ebenfalls öffentlich gegen ihre Diskriminierung durch den Staat vor und forderten unter Anderem eine Abschaffung des Paragraphen 175, der 1957 in der „Deutschen Demokratischen Republik“ schon liberalisiert wurde, aber erst im Jahr 1969 in der „Bundesrepublik Deutschland" und letztlich 1994 aus dem Strafgesetzbuch entfernt wurde. Im Jahr 2001 zeigte sich ein weiterer Fortschritt durch die „eingetragene Lebenspartnerschaft“[74] für homosexuelle Paare in Deutschland. Dennoch ist bis heute im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und der USA die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland nicht erlaubt.[75]
Der Trend „Genderless“ spricht jedoch nicht nur heterosexuelle und homosexuelle Menschen an, sondern alle Lebensmodelle, wie auch Individuen, die „transsexuell“ oder „transgender“ sind oder aber sich für kein Geschlecht entscheiden möchten und selbstbestimmt ihren persönlich präferierten Lebensstil ausleben möchten. Doch diese Freiheit musste sich ebenso über Jahrzehnte etablieren. Im deutschen Staat wurde erstmals das „Transsexuellengesetz (TSG)“ am 01.01.1981 erlassen, durch das für Betroffene eine Änderung des Vornamens und des Personenstands möglich ist. Darin ist festgelegt, dass ein Mensch, der sich in dem eigenen Geschlecht unwohl fühlt und sich eher mit dem Gegenstück identifizieren kann, diese Ansicht drei Jahre stringent vertreten haben muss, um die Möglichkeit zu erhalten, einen neuen Namen anzunehmen. Um auch durch die Justiz als Persönlichkeit des anderen Geschlechts eingetragen zu werden, ist eine Geschlechtsumwandlung notwendig mit dem Zusatz, dass eine Fortpflanzung durch das alte Geschlecht unmöglich ist.[76] Durch diese Voraussetzungen ist es der jeweiligen Person also nicht gestattet nur durch die innere Überzeugung gesetzlich als das andere Geschlecht anerkannt zu werden. Operative Maßnahmen sind zwanghaft notwendig, um neben der psychischen Einstellung auch physisch der Anatomie einer Frau oder eines Mannes zu entsprechen.
Nach der Einordnung der ICD-10, „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ der Weltgesundheitsorganisation „WHO“ (World Health Organization) lässt sich Transsexualität innerhalb des Bereichs „F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“[77] unter der Sparte „F64 Störungen der Geschlechtsidentität“[78] kategorisieren. In allgemeiner Kritik steht die Kategorisierung „F64.1 Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen“[79]. Inhaltlich geht es um den Menschen, der sich mit der Kleidung des gegensätzlichen Geschlechts bekleidet, um sich in einem zeitlich begrenzten Zustand zur Frauen- oder Männerwelt zugehörig zu fühlen. Auch sie werden ebenfalls als Mensch mit einer gestörten Geschlechtsidentität diagnostiziert. Transsexualität wird hier ausgeschlossen und ist lediglich in Verbindung mit einer Geschlechtsumwandlung von Relevanz.[80]
Dennoch zeigt sich ein Fortschritt bei „intersexuellen“ Menschen, die bei der Geburt nicht eindeutig als Mann oder Frau einzuordnen sind, da sie beide Geschlechtsorgane besitzen oder aber, dass sie ein eindeutiges natürliches Geschlecht besitzen, jedoch eine Vielzahl an oppositionellen Geschlechtshormonen aufweisen. Am 1. November 2013 wurde durch das „Personenstandsgesetz“ festgelegt, dass die Elternteile bei der Geburt des intersexuellen Kindes sich nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden müssen und das Neugeborene ohne
Geschlecht registriert werden kann. Des Weiteren haben sich die Richtlinien bezüglich des Reisepasses geändert. In der Kategorie, wo zuvor die Option zwischen „F“ und „M“ für weiblich und männlich gegeben war, besteht nun die Wahlmöglichkeit „X“, die eine Existenz ohne eindeutige Geschlechtszugehörigkeit zulässt.[81] Letztlich sind die transsexuellen Individuen auch heute noch in ihrer Wahlfreiheit durch Gesetze und Rechte eingeschränkt, die als widersprüchlich im Vergleich zu der Vielfalt an Lebensmodellen erscheinen, die heutzutage existieren. Die heutige Situation hat sich im Vergleich zur Vergangenheit größtenteils deutlich verbessert, aber dennoch ist dies nicht eine globale Tatsache, da Länder wie Indien und Uganda im Jahr 2013 und 2014 ihre Strafen für Homosexualität verschärft haben und auch Russland 2013 ein „Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda“[82] eingeführt hat, was die Homosexuellen aus der Gesellschaft ausschließt und zur bedrohten Randgruppe macht.[83]
Der hier behandelte Trend „Genderless“ lässt sich in die aktuelle Epoche der Postmoderne einordnen. Diese um 1980 entstandene Zeitströmung geht aus der Zeit der Moderne heraus und unterscheidet sich von dieser durch eine Pluralität von Stilen und Strömungen in Bereichen der Gesellschaft, Kunst, Mode und Architektur. Der postmoderne Charakter unterstützt hierbei Diversität im Gesellschaftssystem und analysiert und dekonstruiert bestehende Normen und Werte und setzt diese neuartig und individuell zusammen.[84] Ein postmodernes Beispiel, in dem das Zweigeschlechtermodell aufgebrochen wird und neu interpretiert wird, ist der metrosexuelle Mann, der sich an weiblichen Einflüssen orientiert und für sein männliches Geschlecht neu erfindet.
Der Begriff der „Metrosexualität“ beschreibt einen neuen Typ Mann, der sich laut des Beitrags „Beckham’s Style Kicks! Die metrosexuellen Körperbilder der Jugendidole“ der Autorin Birgit Richard in dem Werk „Cool Hunters“ im Jahr 2004 etabliert hat. Dabei ist die männliche Zielgruppe von 20 - 40 Jahren betroffen. In diesem Männerbild findet sich laut der Schriftstellerin eine Verbindung aus heterosexuellen und homosexuellen Körperidealen wieder. Für die Durchsetzung dieses Männerideals sieht sie unter anderem die Medien als einen wichtigen verantwortlichen Faktor an, da speziell durch Werbekampagnen für männliche Pflegeartikel, wie Rasierer oder auch Herrenunterwäsche, der neue Mann angepriesen wird. Der metrosexuelle Mann vereint in der Idealisierung seines Körpers Bilder der Weiblichkeit und der Männlichkeit und dadurch macht sich die soziale Konstruktion von den beiden Geschlechtern besonders deutlich. Diese Marketingmaßnahme spricht dennoch nicht nur den homosexuellen, sondern auch den heterosexuellen Mann an.[85] Eine Leitfigur dieses neuen Männertyps ist der britische Fußballspieler David Beckham. Durch sein Wirken in dem männlich behafteten Fußballsport, seiner Heterosexualität und seiner Rolle als Vater und Ehemann dient er auch für den Heterosexuellen als Identifikationsfigur. Als „metrosexuell“ charakterisieren ihn dabei seine lackierten Nägel, häufig wechselnde Frisuren oder Ohrstecker...