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Generation als Argument

Konflikte um die Rentenversicherung in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden

AutorChristina May
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783593408514
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Die Idee, dass Generationen durch die Rentenversicherung geprägt werden, ist Gegenstand medialer Debatten. Es werden »Gewinner- « und »Verlierergenerationen « und Konflikte zwischen Jung und Alt identifiziert. Christina May prüft dieses sozialhistorische Konzept und fragt, inwieweit es als Kategorie sozialer Ungleichheit brauchbar ist. Sie zeigt, dass das Konzept »Generation « im Wohlfahrtsstaat ein weit vielschichtigeres ist, als mediale Debatten glauben machen. Ausgezeichnet mit dem Wolfgang-Enke-Preis der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen für das Jahr 2009

Christina May forscht am DFGGraduiertenkolleg »Zivilgesellschaftliche Verständigungsprozesse « in Münster.

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Leseprobe
5. Verunsichernde Diskurse? Rentenreformen in öffentlichen Debatten In den vorangegangenen Kapiteln konnte gezeigt werden, dass soziale Ungleichheit zwischen Kohorten - sowohl finanzieller Art als auch in Bezug auf Erfahrungen und Einstellungen - empirisch nur mühsam bzw. gar nicht zu fassen ist. Die vorliegende Arbeit hätte mit diesem Ergebnis enden können; die Forschungsfrage nach einer gesamtgesellschaftlichen Generationenprägung durch die Rentenversicherung muss negativ beantwortet, die gebildeten Hypothesen größtenteils abgelehnt werden. Trotzdem stellt sich die Frage, wer denn die Generationen sind, von denen in der Presse zu lesen ist, wieso die Gewinner- und Verlierergenerationen überhaupt in öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten erscheinen. Es ist im Bezug auf den Generationenkonflikt oft von 'Stellvertreterdebatten' die Rede gewesen, auch auf die Instrumentalisierung für wirtschaftsliberale und familienpolitisch-konservative Zwecke ist hingewiesen worden (vgl. etwa Klundt 2008, Nullmeier/Rüb 1993). Es soll deshalb im Folgenden im Rahmen einer Medienanalyse die Entwicklung des Generationskonzepts in medialen Debatten in den drei Untersuchungsländern nachvollzogen werden. Dazu sollen zunächst einige Grundannahmen über Öffentlichkeit sowie mediale und politische Diskurse vorgestellt werden, die die empirische Analyse theoretisch anleiten. Dann wird auf die verwendete Methode zur Inhaltsanalyse eingegangen, bevor schließlich die Ergebnisse der Studie vorgestellt werden. 5.1 Öffentlichkeit, Diskurs und Medien Friedhelm Neidhart (1994: 10) zufolge entsteht Öffentlichkeit dort, wo ein Sprecher vor einem Publikum kommuniziert, dessen Grenzen er nicht bestimmen kann. Daraus folgt, dass öffentliche Kommunikation immer einen gewissen Grad an Kontingenz aufweist; ihr Verlauf ist von Ungewissheiten geprägt, und es ist hochgradig wahrscheinlich, dass Überraschungen auftreten. Dies gilt besonders für die mediale Öffentlichkeit, denn hier tritt neben Sprecher und Publikum ein weiterer Kommunikator hinzu: Die Massenmedien. Durch diese Erweiterung geht die direkte interaktive Kommunikation zwischen Sprecher und Publikum verloren, gleichzeitig können die kommunikative Reichweite und die Größe des Publikums erheblich zunehmen. Das Publikum umfaßt dabei potenziell die Gesamtheit der Bürger, da aber die Beteiligung an der öffentlichen Kommunikation die aktive Rezeption von Medien beinhaltet, ist das Publikum im Regelfall alles andere als deckungsgleich mit der Bevölkerung oder auch nur für diese repräsentativ. Die öffentliche Sphäre ist aus einer Vielzahl von kleineren Kommunikationszusammenhängen zusammengesetzt, die sich zum Beispiel im Hinblick auf jeweils aktuelle Themen konstituieren (vgl. Peters 1994: 56), die Kommunikation in solchen Zusammenhängen soll im Folgenden als Diskurs bezeichnet werden. Diskurs wird hier also relativ neutral verstanden als geteiltes Wissen und strukturierter Austausch über Themen innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Bereiche. Diskurse können in verschiedenen Arenen stattfinden (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990). Solche Arenen können ganz unterschiedliche Formen haben, der Bundestag kann beispielsweise eine Arena darstellen, aber auch ein Seminar an der Universität. Am interessantesten für die Diskursanalyse ist häufig die Medienarena, also Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, darauf wird weiter unten noch näher eingegangen. Laut Michael Schwab-Trapp (2002: 36) ist Diskursanalyse Konfliktanalyse, weil sie diskursive Auseinandersetzungen rekonstruiert, in denen die Diskursteilnehmer Deutungen für soziale und politische Handlungszusammenhänge entwerfen und um die kollektive Geltung dieser Deutungen ringen. Dies gilt besonders auch für politische Diskurse; als Fluchtpunkt politischer Diskurse identifiziert Schwab-Trapp die Legitimität politischer Ereignisse und Handlungszusammenhänge. Politische Diskurse legitimieren politisches Handeln und institutionalisieren mehr oder weniger verbindliche Deutungen. Diese beiden Dimensionen sind miteinander verschränkt: 'Legitime Deutungen sind kollektiv anerkannte Deutungen und als kollektiv anerkannte Deutungen sind sie legitimierungsfähige Deutungen - Deutungen, die dazu benutzt werden können, politisches Handeln zu legitimieren' (Schwab-Trapp 2002: 37). Diskursive Auseinandersetzungen können die dominanten und kollektiv mehr oder weniger verbindlichen Deutungen politischer Ereignisse und Handlungszusammenhänge reproduzieren oder verändern. Sehr allgemein und grob formuliert lassen sich diskursive Auseinandersetzungen als Prozesse der Marginalisierung und Fokussierung beschreiben. Die Teilnehmer des Diskurses versuchen, sich und ihre eigenen Argumente in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken und ihre Gegner und deren Argumente an den Rand zu drängen (vgl. Schwab-Trapp 2002: 57). Journalisten nehmen unter den Sprechern im medialen Diskurs eine Sonderrolle ein. Sie haben eine 'gatekeeper-Funktion', das heißt sie entscheiden über die Zulassung bzw. die Beschaffung und Bearbeitung von Beiträgen. Über diese gatekeeper-Funktion hinaus können sie aber auch als Produzenten eigener Texte selbst am Prozess der Fokussierung oder Marginalisierung von Argumenten beteiligt sein. Bernhard Peters (1994) kann neben den Journalisten noch andere spezialisierte Kommunikationsrollen identifizieren, die wichtigsten sind ihm zufolge: - Repräsentanten, die von einer bestimmten Gruppe der Gesellschaft als Vertreter ihrer Interessen und/oder Erfahrungen akzeptiert werden; - Experten als Vertreter spezialisierter Professionen, zum Beispiel Wissenschaftler; - Advokaten, die Gruppen vertreten, die nach herrschender Meinung nicht in der Lage sind, eigene Interessen zu formulieren (bspw. Kinder); - Intellektuelle, die keine spezielle Gruppe vertreten, sondern sich als 'Zeitdeuter' für die Gesamtgesellschaft verstehen. Die Sprecher sind untereinander in der Regel nicht die Adressaten ihrer Beiträge, auch dann nicht, wenn sie sich gegenseitig direkt ansprechen. Ihre Bezugsgruppe ist das Publikum (vgl. Peters 1994: 21). 'Öffentliche Meinung' ist nicht gleichbedeutend mit der Einstellung, die das Publikum zu Themen und Diskursen hat, sie ist vielmehr die Gesamtheit an Aussagen und Argumenten, die in öffentlichen Kommunikationen geäußert werden und dadurch einem mehr oder weniger großen Publikum zugänglich sind. Ob die Individuen die Einstellungen übernehmen oder nicht, ist für das Konzept der 'Öffentlichen Meinung' daher nicht primär relevant. Es soll auch bei der hier noch vorzustellenden Diskursanalyse nicht darum gehen, den Einfluss zu untersuchen, den die analysierten Debatten auf ihr Publikum haben. Medien kann sicherlich ein gewisser agenda-setting-Effekt zugeschrieben werden. Für die Prägung persönlicher Einstellungen und Prioritäten sind darüber hinaus aber auch ganz andere Faktoren wichtig, zum Beispiel das jeweilige individuelle Vorwissen über ein Thema oder die interpersonale Kommunikation in face-to-face-Netzwerken (vgl. Schenk/ Rössler 1994). Ein relativ großer Teil der Kommunikationsimpulse erreicht das Publikum erst gar nicht oder übt nicht den intendierten Einfluss aus. Dies liegt auch daran, dass aufgrund der hohen Anzahl von Akteuren und Protagonisten im medialen Diskurs selten eine Fokussierung auf ein Thema stattfindet. Zudem wechseln sich die Themen auf der Tagesordnung der Medien relativ schnell ab, da ständig Neuigkeiten auftauchen. Dies führt zu einer ständigen Unterbrechung der Informationsverarbeitung, die eine Konzentration auf spezielle Themen erschwert (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990: 44-45).
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Dank8
1. Einleitung10
2. Grundlagen der Untersuchung20
2.1 Die Begriffe »Kohorte«, »Generation« und »Altersgruppe«21
2.2 Wohlfahrtsgenerationen: Forschungsstand und Forschungslücken30
2.3 Zum Konzept sozialer Sicherheit50
2.4 Rentenversicherung als Programm sozialer Sicherheit57
2.5 Die generationelle Prägung von Rentnerkohorten74
3. Drei Rentenversicherungssysteme und ihre Entwicklung 1945–200581
3.1 Die Auswahl der drei Vergleichsländer81
3.2 Deutschland – Sicherheit des Lebensstandards87
3.3 Niederlande – universale Sicherheit der Mindestrente106
3.4 Großbritannien – kategoriale Sicherheit des Existenzminimums124
3.5 Zwischenfazit: Soziale Sicherheit in drei Rentenversicherungssystemen139
4. Harte Fakten? Empirische Annäherungen an Wohlfahrtsgenerationen143
4.1 Zur Prägung von Wohlfahrtskohorten anhand statistischer Daten144
4.2 Die generationelle Prägung bei der Einstellung zur Rentenversicherung175
4.3 Zwischenfazit: Soziale Sicherheit als generationeller Erfahrungszusammenhang206
5. Verunsichernde Diskurse? Rentenreformen in öffentlichen Debatten212
5.1 Öffentlichkeit, Diskurs und Medien213
5.2 Vorstellung der Methoden der Inhaltsanalyse218
5.3 Zur medialen Bewertung von drei europäischen Rentenversicherungssystemen225
5.4 Zwischenfazit: Rente, Generation, Sicherheit im öffentlichen Diskurs267
6. Fazit: Rentnerkohorten als generationelle Kollektive?274
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis288
Literatur290

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