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E-Book

Generation Laminat

Mit uns beginnt der Abstieg ... - und was wir dagegen tun müssen -

AutorKathrin Fischer
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641074944
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Was, wenn die meisten sich das gewohnte Leben nicht mehr leisten können?
Kathrin Fischer, 44, gut verdienend, beobachtet sich und die deutsche Mittelschicht auf ihrem Weg nach unten: Sie wuchs auf im Wohlstand der achtziger Jahre und dachte, es ginge immer so weiter. Stattdessen geht es bergab. Zum ersten Mal wird es eine Generation nicht besser haben als die Eltern. Wo diese mit einem Gehalt eine Familie ernährten und ein Haus bauten, reicht das Geld heute gerade für eine Mietwohnung mit Laminat. Und das ist erst der Anfang.

Kathrin Fischer, geboren 1967 in Frankfurt am Main, studierte Philosophie, Literaturwissenschaften und Russisch in Marburg und Moskau. Sie war 15 Jahre Moderatorin und Redakteurin beim Hessischen Rundfunk und arbeitet heute als Öffentlichkeitsreferentin der Universität Flensburg.

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Leseprobe

Einleitung


»Ich wohne auf Laminat. Dabei kann ich Laminat nicht ausstehen«

Ich wohne auf Laminat. Dabei kann ich Laminat nicht ausstehen. Es fühlt sich nicht gut an, denn es wärmt den Fuß nicht, es hört sich nicht gut an, denn es knarrt nicht beruhigend, es sieht auch nicht gut aus, denn man sieht ihm an, dass es vorgibt, etwas anderes zu sein, als es ist. Es spielt Holz, beispielsweise Nussbaum-Schiffsboden, ist aber nur Holzabfall, es will Solidität vermitteln und zeigt doch nur, dass hier jemand gespart hat. Dadurch erinnert es mich daran, dass ich mir Holzboden nicht leisten kann, dass ich aus eigener Kraft nicht den Wohlstand erzeugen kann, in dem ich aufgewachsen bin. Ich dachte, mein Leben ginge immer so weiter, wie es begonnen hat. Tut es aber nicht, flüstert mir jeden Morgen das Laminat in meiner Mietwohnung zu. Mein Sohn wird voraussichtlich später mal kein Haus erben. Was habe ich falsch gemacht?

Nun muss man fairerweise zugeben, dass es drängendere Probleme im Leben eines Menschen geben kann als das Wohnen auf einem ungeliebten Fußbodenbelag. Arbeitslosigkeit. Krankheit. Armut. Verlust.

Das Jammern über Laminat ist Jammern auf hohem Niveau. Da ist es leicht, sich achselzuckend abzuwenden. Doch damit hat man eine Chance vertan: die Chance, dem Wohlstand beim Bröckeln zuzusehen. Denn ist es nicht so, dass die Arbeitsverhältnisse immer unsicherer werden? Dass es immer schwieriger wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Warum konnte mein Englischlehrer in den achtziger Jahren Frau und drei Kinder ernähren und ein Haus bauen – von einem Gehalt? Warum kann ich das nicht mehr? Warum kann ich mir von einem durchschnittlichen Akademikergehalt nur noch eine Mietwohnung und Laminat leisten? Was hat sich seit damals verändert? Es muss sich etwas verändert haben, denn mit meinen Wohlstandssorgen stehe ich schließlich nicht alleine da. Findet so etwas wie eine »Laminatisierung« der ehemals soliden Mitte statt?

Auf dem Geburtstagsbrunch eines Kollegen habe ich ein Gespräch geführt, das ich vor fünf Jahren so garantiert noch nicht geführt hätte. Mit Blick in den Garten, einen Aperol Spritz in der Hand stehe ich einem jugendlich wirkenden Herrn Mitte vierzig gegenüber, der als Musikproduzent und Eventmanager arbeitet. Wir reden über Eurokrise und Israelproteste. Ich erzähle von einem Bekannten, der vor drei Jahren seine Lebensversicherung verkauft und in Gold angelegt hat – eigentlich ein ungewöhnliches Partygesprächsthema, jedenfalls in den Kreisen, in denen ich mich normalerweise bewege: Anlagemöglichkeiten werden da nicht diskutiert, erstens, weil die meisten von uns nichts zum Anlegen haben, und zweitens, weil wir Geld für langweilig halten.

Doch mein Gegenüber überrascht mich. »Gold!«, ruft es entsetzt aus. »Doch nicht Gold!«

»Warum kein Gold?«, frage ich und nippe an meinem Aperol Spritz. »Zu teuer?«

»Nein, nein«, schüttelt er den Kopf, »weil Goldbesitz bei einem Staatsbankrott oder einem Währungscrash verboten werden wird. Das war in den USA in den dreißiger Jahren so, und das wird bei uns auch so sein. Und dann«, fügt er mit einer Selbstverständlichkeit hinzu, als dächte er schon seit Jahren darüber nach, was Schutz bieten könnte vor Inflation, Staatsbankrott, Währungsschnitt oder Zwangsenteignung, »dann muss man es entweder abgeben, wird also zwangsenteignet, oder man wird auf dem Schwarzmarkt niemals den Preis erzielen, für den man es eingekauft hat, weil man ja illegal verkaufen muss. Gold ist überhaupt keine Alternative.«

»Was dann?«, frage ich, immer noch verblüfft über die Richtung, die das Gespräch genommen hat.

Der Musikproduzent lächelt mich an: »Silber«, sagt er. »Du kannst viele Dinge des täglichen Lebens in Silber kaufen – Besteck, Lampenfüße. Dazu ein paar Münzen. Ist doch sowieso besser, eine Silbermünze gegen eine Wurst zu tauschen als eine Goldmünze.«

So weit sind wir: Dass wir bei gepflegten Kaltgetränken und gehobenen Speisen darüber sprechen, wie wir uns vor den Folgen einer Staatspleite schützen können.

Auch meine Mutter, die immer noch in der Neubausiedlung wohnt, in der ich groß geworden bin, auch wenn die Neubauten mittlerweile längst nicht mehr neu sind, erzählt mir ähnliche Geschichten. Von kinderlosen Ehepaaren in Einfamilienhäusern mit großem Garten, vor deren Einfahrt zwei Autos stehen, die Angst haben, weil der Mann nun schon seit zehn Monaten arbeitslos ist. Nach zwölf Monaten wird das Arbeitslosengeld I durch das Arbeitslosengeld II – im Volksmund Hartz IV genannt – ersetzt. Von Eltern, die zu viel verdienen, als dass ihre Kinder BAföG beantragen könnten, und die dennoch nicht wissen, wie sie das Studium ihrer Kinder finanzieren sollen. »Wir«, sagt meine Freundin Anna, die selbst zwei halbwüchsige Kinder hat, »wir wurden lange unterstützt, aber ich weiß nicht, welche Eltern das heute noch können.«

Überall machen sich Nervosität, Unsicherheit und Angst breit. In der Straßenbahn, auf Partys, unter den Arbeitskollegen, bei den Nachbarn, im eigenen Kopf. Es ist die Angst, die eigene soziale Position auf Dauer nicht halten zu können, sozial abzusteigen. Es ist die Angst, dass der Kuchen nicht für alle reicht. Dass er kleiner sein könnte als gedacht. Es ist eine Angst, die aus dem vagen Bewusstsein von Endlichkeit entsteht. Entgegen unserem bisherigen Lebensgefühl müssen wir in den Folgen der »Multikrise« aus Euro-, Schulden-, Finanz-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Klimakrise feststellen, dass die Phönizier offenbar zu wenig Geld erfunden haben. Und dass auch Wälder, Fische, Erze und Öl irgendwann einfach alle sein könnten.

Soziologen stellen fest, dass innerhalb der letzten zwanzig Jahre das Unsicherheitsempfinden der mittleren Mitte überproportional angestiegen ist.1 Damit hält ein Phänomen in Deutschland Einzug, das man für die USA schon in den neunziger Jahren diagnostiziert hat. Und das sich nicht nur in Deutschland ausbreitet, wie der Sommer 2011 gezeigt hat. Krawalle in Großbritannien, Proteste in Spanien und Israel, Demonstrationen in Griechenland – in all diesen Ländern dreht sich der Protest letztendlich um die Sorge, dass nachwachsende Generationen nicht in dem öffentlichen Wohlstand werden leben können, der für die Älteren noch selbstverständlich war.

1Holger Lengfeld/Jochen Hirschle: Die Angst der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg, S. 196

»Wir sind in ein Zeitalter der Unsicherheiten eingetreten – wirtschaftliche Unsicherheit, physische Unsicherheit, politische Unsicherheit.« So analysiert der britische Historiker Tony Judt die gegenwärtige Situation. »Unsicherheit erzeugt Angst. Und Angst – Angst vor Veränderung, Angst vor dem sozialen Abstieg, Angst vor Fremden und einer fremden Welt – zerfrisst das wechselseitige Vertrauen, auf dem die Bürgergesellschaft beruht.«2

2 Tony Judt: Dem Land geht es schlecht, S. 16

Natürlich könnte man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das Gefühl dieser Wohlstandsbedrohung nicht exakt den Gefahren entspricht, denen wir tatsächlich ausgesetzt sind. Vielleicht, halten mir manchmal Gesprächspartner entgegen, vielleicht sind wir einfach satte Wohlstandsbürger, die seit ihrer Jugend immer ein Mehr gewohnt waren und die nun die Furcht vor einem möglichen Weniger in Schockstarre versetzt. »Heul doch«, sagt beispielsweise meine amerikanische Freundin Ally, die ein Leben lang ohne jegliche Absicherung als Künstlerin gearbeitet hat. Solange ich noch Biobratwürste auf den Kugelgrill lege, nimmt sie mich nicht ernst und bezeichnet meine zunehmenden Ängste und Unsicherheiten als typisch deutsches Gejammer und Genörgel. Brillant imitiert sie, was sie in den Cafés in Frankfurt so zu hören kriegt. »O weh, da kann sich jemand nur dann Biospaghetti leisten, wenn er alle sechs statt vier Wochen zum Friseur geht! O Gott, o Gott, in der staatlichen Schule um die Ecke sind so viele Ausländerkinder, aber die Waldorfschule kann man sich nur leisten, wenn Opa das Schulgeld zahlt – und der will dann dafür mit in den Urlaub, das ist ja furchtbar!«

Aber auch viele deutsche Freunde und Kollegen halten meine Sorgen, Ängste und Überlegungen wahlweise für kollektive Wohlstandsphantasmen oder individuelle neurotische Angstattacken. Auf jeden Fall für nichts, was man politisch ernst nehmen müsste. Ihre Argumente: das hohe Niveau, auf dem wir klagen, der Reichtum des Landes, in dem wir leben, die Zahlen des wirtschaftlichen Wachstums, die Sozialausgaben, die die Bundesregierung leiste. »Ich kann dieses Gerede über gefühlte Ängste nicht mehr hören«, regt sich meine sonst gut gelaunte Kollegin Christine auf, »ich bin ein Faktenjunkie, schau dir mal die Zahlen an. Dieses Land ist die am stärksten wachsende Volkswirtschaft Europas. Hier brummt’s!«

Und über einen Satz meines Freundes Michael lacht sie sich halb tot. »Zur Not«, hatte der mir gesagt, »könnte ich den Flügel verkaufen.« Michael und ich hatten über unsere unsicheren Arbeitsverhältnisse beim Rundfunk gesprochen. Wir sind beide nicht fest angestellt, was in den permanenten Konsolidierungsplänen, in denen wir seit Jahren stecken, mittlerweile zu einer echten Belastung geworden ist. Fest angestellte...

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