Die für den Begriff Finanzierung entscheidenden Phänomene sind Informationsunterschiede zwischen Kapitalgebern und -nehmern sowie Anreizprobleme zur Kapitalüberlassung, wobei letztere Informationsunterschiede voraussetzen. Die eG hat gegenüber den Kapitalgebern i.d.R. einen Informationsvorsprung bzgl. „ihres Willens und ihrer Fähigkeit, Rückflüsse in der vereinbarten oder vom Kapitalgeber erhofften Höhe zu tätigen“[25]. Dieser Informationsunterschied wird als asymmetrische Information zwischen eG und Kapitalgebern bezeichnet[26]. Aus dieser asymmetrischen Information heraus entsteht nun das Anreizproblem, denn wenn beide Seiten gleichermaßen informiert wären, könnte nicht die eine Seite über das Geld der anderen Seite Entscheidungen treffen, die sie begünstigt und somit zwangsweise die andere Seite benachteiligt. Das Verhältnis zwischen Kapitalgeber und eG ist also durch Informationsunterschiede gekennzeichnet, welche die eG befähigt, die Finanzierung im eigenen Interesse zu beeinflussen, der rationale Kapitalgeber dieses aber weiß. Somit lässt sich das Grundproblem mit der Fragestellung umschreiben: Wie können Genossenschaften in einer Welt mit unsicheren Erwartungen zu Recht skeptische und misstrauische Kapitalgeber dazu veranlassen, dass sie ihnen ihr Geld überlassen und wie kann die Partnerschaft mit möglichst geringen Kosten zustande kommen[27]?
Das Eigenkapital der eG ist zunächst einmal von der Zahl der Genossen abhängig und somit variabel. Des Weiteren sind als Genossen nur solche zugelassen, denen § 1 GenG nicht zuwiderläuft, bei denen also eine satzungsentsprechende Förderung zugrunde liegt bzw. überhaupt möglich ist. Will sich die eG nun vermehrt durch dauerhaft zur Verfügung stehendes Eigenkapital finanzieren, welches ihr nicht wieder entzogen werden kann (z.B. durch Austritt der Genossen), erfordert dieses andere Formen der Kapitalbeschaffung als nur die des durch Mitgliederaufnahme entstehenden bzw. sich erhöhenden Grundkapitals.
Da die konkrete Nutzung von Genussrechtskapital als Finanzierungsinstrument davon abhängt, wie die Kapitalgeber und -nehmer die damit verbundenen Vor- und Nachteile im Vergleich zu anderen Finanzierungsinstrumenten einschätzen, sind seitens der eG bzgl. des jeweiligen Finanzierungsinstrumentes entsprechende Informations- und Sicherungsmaßnahmen erforderlich, um die Kapitalgeber für das jeweiliger Finanzierungsinstrument zu gewinnen. Als „optimale“ Finanzierung kann man eine solche bezeichnen, in der es gelungen ist, die Summe aller erwarteten Nachteile aller Beteiligten insgesamt zu minimieren[28]. Hieraus folgt die Maxime, Kapitalgeber dann zu sichern und zu informieren, wenn die hierdurch entstehenden Kosten geringer sind, als die durch die Information und Sicherung erreichbare Verminderung der von der eG geforderten Kompensation für vermutete oder verwirklichte Kapitalüberlassung[29].
Für die Beurteilung einer zweckmäßigen Ausgestaltung von Genussrechtsverhältnissen ist es wichtig, die Ziele von Kapitalgebern und -nehmern zu kennen, um hieraus die notwendigen Konsequenzen für eine optimale Finanzierung dadurch zu treffen, dass für beide Seiten (Kapitalgeber und -nehmer) eine Kongruenz zwischen Zieleigenschaften und -objekten hergestellt wird[30]. Sowohl Kapitalgeber als auch die eG als Kapitalnehmer werden sich nur dann auf eine Finanzierung einlassen, wenn sich die zur Verfügung stehenden Finanzierungsinstrumente mit den für den angestrebten Zustand notwendigen Zielinhalten in Übereinstimmung bringen lassen. Diese Arbeit beschränkt sich dabei auf Genussrechtsverhältnisse als Finanzierungsinstrument.
Im Folgenden wird daher auf Motive und Zielsetzung der Genussrechtsausgabe und auf die Anforderungen ihrer Ausgestaltungsformen eingegangen werden, wonach die Erläuterung der Ausgestaltungsformen erfolgt. Emittiert werden Genussscheine im Zuge[31]
- der Unternehmensgründung für besondere nicht bewertbare Leistungen der Gründer (Gründeranteil, part de fondateur),
- des Unternehmenswachstums zum Bewertungsausgleich bei der Einbringung von Sacheinlagen und/oder Rechten,
- der Unternehmenssanierung zum Ausgleich eines vollständigen oder teilweisen Gläubigerverzichtes oder an Genossen[32] für den Verlust aus einer Kapitalherabsetzung (Besserungsscheine) oder die Zuzahlung auf Genossenschaftsanteile[33] - der reinen Kapitalbeschaffung (Finanzierungsfunktion) in Form von Beteiligungsgenussscheinen.
Weitere Gründe für die Wiederbelebung der Genussscheine als Finanzinstrument in den letzten Jahren ist
- ihre Entdeckung als Arbeitnehmerbeteiligung i.R.d. 5. VermBG nach §§ 2 I Nr. 1 lit. 1 5. VermBG i.V.m. § 19a III Nr. 2 und Nr. 11 EStG, wonach der Erwerb von Genussrechten, über die keine Genussscheine ausgegeben worden sind, begünstigt werden;
- dass ihre Bedeutung für Banken und Versicherungen durch ihre Zulassung als haftendes Eigenkapital i.S.d. § 10 KWG bzw. § 53c IIIa VAG gestiegen ist[34].
Den beiden letzten Fällen ist die steuerliche Behandlung gemein, die zulässt, dass die Steuerschuld des Unternehmens durch die Bedienung als Eigenkapital als Betriebsausgabe gemindert wird (§ 8 III S. 2 KStG). Dabei wird den Genussscheininhabern gesetzlich ein Teilnahme- und Auskunftsrecht in der Genossenschaftsversammlung der Beteiligungsgesellschaft eingeräumt[35] (näher hierzu Abschnitt III.2.3.).
Bezüglich der angesprochenen Möglichkeit der Vermögensbildung bei Arbeitnehmern stellt sich die Frage, ob und – wenn ja – wann Genussscheine als Wertpapiere anzusehen sind. Als solche müssten sie ausgegeben werden, um unter § 2 I lit. f) 5. VermBG i.V.m § 19a III Nr. 3 EStG zu fallen, sowie um an deutschen Wertpapierbörsen gehandelt werden zu können[36]. Ein Wertpapier liegt dann vor, wenn ein Recht urkundlich derart verbrieft ist, dass die Innehabung der Urkunde für die Ausübung des Rechts erforderlich ist. Inwiefern dieses auf Genussrechte zutrifft, hängt jeweils von der vertraglichen Ausgestaltung ab[37]. Aschemann geht hierbei soweit, dass er nur dann von Genussscheinen spricht, wenn es sich hierbei um verbriefte Genussrechte handelt, die gleichzeitig Wertpapiere sind. Andernfalls bietet er den Begriff „Genuss-Urkunde“ an, wobei die Urkunde die gleiche Aufgabe wie bei verbrieften Darlehen oder stillen Beteiligungen, nämlich den beteiligten Mitarbeitern einen gegenständlichen Ausweis (Beweisurkunde) ihrer Beteiligung zu vermitteln[38]. Neben der Beweiskraft liegt ihre Bedeutung eher auf psychologischem Gebiet.
Nach Klärung der Motive zur Genussrechtsausgabe ist nun noch auf das Zielkonzept der Kapitalanleger einzugehen.
Bei sämtlichen Gestaltungsformen von Finanzinstrumenten müssen i.d.R. immer zwei Voraussetzungen erfüllt sein[39]:
1. „Zur Sicherung der vertraglich fixierten Ansprüche gegenüber dem Unternehmen muss es ein Potential zum Auffangen von Verlusten geben; hierfür kommt in erster Linie eine Kapitalbeteiligung in Frage, bei der den Kapitalgebern keine kontraktbestimmte Zahlungen, sondern nur Residualzahlungen zustehen.
2. Zu einer mit der Anwartschaft auf Residualzahlungen verbundenen Kapitalbeteiligung und zur Inkaufnahme des damit verbundenen Risikos werden sich Kapitalgeber nur bereitfinden, wenn sie darauf vertrauen können, dass sich die Unternehmensleitung bei der Führung der Geschäfte primär von dem Ziel der Optimierung dieser Residualzahlungen leiten lässt und den anderen Interessengruppen auf vertraglichem Wege nicht mehr an Ansprüchen zusteht, als bei gegebenen Marktverhältnissen erforderlich ist, um ihre Kooperation zu sichern“.
Die Zieleigenschaften von Anlageformen lassen sich insbesondere durch das sogenannte magische Dreieck der Wertpapieranlage charakterisieren, welches durch die Aspekte Rentabilität, Liquidität bzw. Liquidierbarkeit, Sicherheit (Risiko) sowie Einfluss und Sonstigem erfasst werden kann[40]. Hieraus lassen sich Anforderungen bzgl. der Ausgestaltungsformen von Genussrechten erarbeiten.
Unter Rentabilität versteht man Rentabilitätsüberlegungen privater Kapitalanleger im weitesten Sinne des Wortes insbesondere eine (angemessene) Verzinsung des eingesetzten Kapitals[41] oder eine Wertsteigerung...