»Die ungetrübte biografische Wahrheit ist nicht zu haben«
Sigmund Freud
»Des kaun do no ned ollas gwes’n sein … da war do no was«
Wiener Dialekt. Und nur so! Es wäre ein unpassender Kniefall davor, »dass das außerhalb Österreichs auch noch verstanden werden sollte«, diesem Buch ein hochdeutsches »Das kann doch noch nicht alles gewesen sein … da war doch noch etwas« an den Anfang zu setzen.
Georg Danzer war Wien. Klar, da waren seine Jahre in Deutschland, zahlreiche Songs, die er auf Hochdeutsch geschrieben und gesungen hat, aber der »Schurl« war Wiener durch und durch. Aufgewachsen am Gaudenzdorfer Gürtel, den Blues in der Seele, im Gemüt und in der Sprachmelodie, ebenso wie den Wortwitz, den diese Stadt am Donaustrand den Menschen am Weg ins Leben umhängt wie einen Rucksack und der so viel ausmacht, vor allem den berühmten Unterschied.
Georg Danzer hat das Lied »Des kaun do no ned ollas gwes’n sein« 1975 auf seinem Album »Ollas leiwand« zum ersten Mal veröffentlicht. Ollas leiwand – alles ist gut. Auf der LP war auch der Kracher »Jö schau« zu finden, und allgemein gilt diese Platte als diejenige, die den großen Durchbruch der Karriere des »Liederaten« Georg Danzer einläutete.
Liederat – so bezeichne ich den Georg gerne. Die Wortschöpfung stammt von der Liederatin Stefanie Werger und ich leihe sie mir sehr gerne aus, denn ich kenne keine andere Bezeichnung, die das Tun und Schaffen des Georg Danzer in aller Kürze so perfekt beschreibt und die Steffi wird so lieb sein und nichts dagegen haben, weil ja der Georg immer schon ein Würdiger war, einer aus dem Kreis der wenigen wahren Liederaten in Österreich.
»Liedermacher« gefällt mir sowieso nicht. Es klingt wie das handwerkliche Herstellen eines Liedes, nach Werkzeug. Die Lieder des Georg Danzer wurden nicht »gemacht«. Sie sind das Ergebnis allerfeinster, aus der Feder fließender Dichtkunst. Sie erzählen Erlebtes, Erdachtes, vom Zorn genauso wie von der Liebe, der Trauer, dem Unverständnis und dem Zwischenmenschlichen. Manchmal berührend romantisch, dann wieder schön herb und derb. Sie erzählen auch von uns allen.
Es war 1977 oder 1978, so genau weiß ich das nicht mehr, da hatte ich zum ersten Mal mit Georg Danzer zu tun. Ich war beim Österreich-Ableger von CBS Records in Wien beschäftigt und CBS hatte die Reste von m-records aufgekauft. Das deutsche Label ging den Bach runter und die Masterrechte der Produktionen, die seinerzeit auf m-records erschienen waren, wanderten zu CBS. Ich war blutjung und kam so, durch den Crash von m-records, zu den ersten großen Hits von Georg Danzer wie die Jungfrau zum Kind. Plattenfirmen machen in so einem Fall genau das, was man von ihnen erwartet: Man nimmt alles an Liedern, was gut und vor allem bereits hitgeprüft ist, und packt es auf eine Best-of-CD.
»Jö schau … Georg Danzer – seine größten Erfolge« hieß das Album, kam 1976 auf den Markt und lief prächtig. Eines Tages rief mich Georg an und sagte, dass er die Abrechnungen von dieser Platte bekommen habe, die ja schon auch Gold-Status erreicht hätte, also 25 000 verkaufte Stück schon überschritten wären … Klar! Klar? Mittlerweile war er ja bei Polydor unter Vertrag, und einen Künstler auszuzeichnen, der beim Mitbewerber sei, das gehe einfach nicht. Man hat mich zurückgepfiffen und ich sagte Georg ab. Musste absagen. Darüber ärgere ich mich noch heute, denn zu gerne hätte ich ihm diese Goldene in die Hand gedrückt. Schon aus rein sentimentalen Gründen.
Ich war 13, als mich der Herr Ambros mit dem »Hofa« musikalisch nach Hause geholt hat. Musik aus Österreich hatte mich davor nur peripher interessiert. England und Amerika waren toll. Österreich? War da was? Marianne Mendt und die »Glockn«. Großes Kino, Dialekt, schön, sauber, sehr fein produziert und großartig gesungen. Doch dann warf es mich fast aus den Schuhen: Auf einmal singt da einer im Radio über jemanden, der zertreten im Rinnsal liegt. Das Lied war herrlichster, tiefster, gnadenlosester Dialektgesang. Bist du deppert – da singt einer so, wie wir reden! In unserer Sprache! Der »Hofa« war ein heftiger Windstoß. Er hat die Fenster eingedrückt, den Mief rausgeblasen und T. Rex und Konsorten mussten sich auf einmal schwer anstrengen, um bei mir ihren Status zu halten.
Da kamen sie, stiegen auf wie bunte Ballons, die ganzen leiwanden Lieder. Und wie sie im Dialekt anrollten: »Der »Schneemensch«, der »Tschik«, »Hau di am Dampfer, Zwutschkerl«, »I man i dram«, »Ballawatschata« … einfach gerade, ohne sich um irgendwelche Konventionen zu scheren. Statt den späten 60ern waren die ganz frühen 70er-Jahre in Österreich jene Zeit, in der sich mehr und mehr Bunt zwischen das Grau schob. Das berühmte »Austrian-Delay«. Bei uns in Österreich hat alles ein wenig länger gedauert und erst, als der Eiserne Vorhang fiel und wir plötzlich von der Peripherie in die Mitte Europas geschubst wurden, haben sich die Entwicklungen den internationalen Strömungen angepasst.
Aber was hat das alles mit dem Georg Danzer zu tun? Viel und noch viel mehr. Ohne dieses buntlose Grau im Land wären nie diese Lieder entstanden, die, die wir bis heute so gerne hören und die nie alt und überwuzelt wirken. 40 Jahre und mehr haben sie auf dem Buckel, aber wenn uns »Schau Schatzi« oder »Griechenland« irgendwo über den Weg laufen, sind 40 Jahre auf einmal nur drei oder vier Minuten lang und Zeit spielt keine Rolle mehr. Ist inexistent.
»Mei Leb’n is mei Leb’n und mei Leb’n ghead mia« – selbst bestimmen, was man mag, was man tun will, wie es weitergehen soll, und diese Forderung in ein Lied verpackt – war auf eine gewisse Weise Hirndoping für eine ganze Generation. Den großen Krieg mitsamt seinen bösen Erinnerungen, Schmerzen und Ewiggestrigen endlich aufarbeiten … In Österreich geschah das in der Popularmusik viel früher als in der Politik. Und Georg Danzer war einer derjenigen, der nie den Finger aus der Wunde nahm.
Ein Teil dieses Buches ist »Auf und davon«. Georg Danzer hat dieses Buch 1993 geschrieben. Es sind Kindheitserinnerungen – an das zerbombte Wien, an den kriegsversehrten Vater, ans Heranwachsen und das Liederschreiben. Kurz nach der Veröffentlichung von »Auf und davon« ist dem Georg der Verlag abhandengekommen und soist das Buch de facto unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienen. Einige wenige Exemplare geisterten noch auf dem Markt herum, aber das war’s. Raritätenstatus – den es nun gilt aufzuheben. »Auf und davon« ist der erste Teil dieses Buches. Ungekürzt. So, wie es der Autor seinerzeit zur Veröffentlichung freigegeben hatte. Authentisch. Ein Georg Danzer, dem nichts Biografisches von fremder Hand hinzuzufügen wäre.
Am 20. Juli 2007 wurde die Asche von Georg Danzer, seinem Wunsch entsprechend, vor der Küste Mallorcas dem Meer übergeben. Fast 30 Jahre lagen da zwischen dem Goldplatten-Telefonat mit Georg und dem endgültigen Abschied.
Wir sind uns in den späten 90ern und den frühen Nullerjahren immer wieder einmal über den Weg gelaufen. Den privaten Menschen Georg Danzer kannte ich nicht. Vielmehr den Künstler. Ich schrieb einige seiner offiziellen Pressetexte ebenso wie Texte in CD-Booklets. Ich empfand es als eine Ehre, wenn jemand, den ich als Texter sehr schätzte, mir seine Lieder zum Hören gab und ich diese mit einem,seinem offiziellen Begleittext auf die Reise in die Öffentlichkeit schicken durfte. Als der Erste. »Hör es dir an und schreib drüber.« Ich schrieb, und es gab nie irgendwelche Eitelkeiten. Manches sah ich so und er anders, aber er redigierte nie. Von meinen falsch gesetzten Kommas einmal abgesehen. Es blieb im Grunde, wie es war.
Georg Danzer und ich, wir waren nie befreundet. Wir gingen nie gemeinsam auf ein Bier und waren keine Best Buddies. Nah war er mir nur durch seine Lieder, seine Texte.
2006, es war Anfang Juli, erhielt ich den Auftrag für die ersten Pressetexte zum anstehenden Album »Träumer«. Ich hörte die Lieder vorab und das Gespräch darüber sollte später folgen. »Der Georg meldet sich dann, wenn er wieder da ist«, hat es geheißen. Nur, der Georg hat sich nicht bei mir gemeldet. Nie mehr. Ich habe trotzdem geschrieben, mich über einige Lieder auf der Platte gewundert, in denen es ums Sterben geht, mir aber weiter keine Gedanken gemacht.
Ende Juli 2006 wurde bei Georg Danzer Lungenkrebs festgestellt. Als ich später darüber im »profil« las, wurde mir schlecht. Aber nachdem die Hoffnung angeblich immer zuletzt stirbt, fütterte ich dieselbe mit »der kriegt das in den Griff«.
Im Mai 2007 erhielt Georg Danzer den »Amadeus Austrian Music Award« für sein Lebenswerk. Er schickte eine...