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E-Book

Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie

Grundlagen und Behandlung aus verhaltenstherapeutischer Sicht

AutorSabine Volkmar
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783170238312
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Die psychotherapeutische Behandlung Älterer stellt trotz des demografischen Wandels bisher ein eher randständiges Thema dar. In diesem Buch werden ausgehend von gerontopsychologischen Schwerpunktthemen die Grundlagen der Gerontopsychosomatik und Alterspsychotherapie aus verhaltensmedizinischer Sicht anhand der wichtigsten Störungsbilder dargestellt. Das Praktikerbuch bietet neben Diagnostikhilfen nach ICD-10 und Fallbeispielen spezifische und wissenschaftlich fundierte Psychotherapie- und Interventionsformen für ältere Patienten.

Sabine Volkmar (geb. Geyer), Dipl.-Psychologin und Dipl.-Psychogerontologin, 2008-2011 Aufbau einer Alterspsychotherapiestation Schön Klinik Bad Staffelstein, seit 2012 Tätigkeit an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Bamberg.

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Leseprobe

Teil II: Alterspsychotherapie in der Praxis


Weder im ICD-10 noch im DSM-IV gibt es gesonderte Kapitel, in denen alterstypische psychische Erkrankungen definiert sind. Deshalb ist der Praktiker gezwungen, sich an den bisher vorliegenden, altersübergreifenden Störungsbildern in der Diagnostik zu orientieren. Zu den häufigsten psychischen Störungen im Alter zählen Demenzen, Depressionen und Angststörungen, welche in den folgenden Kapiteln detailliert vorgestellt werden.

Da es für den Praktiker schnell offensichtlich wird, dass psychische Störungen im Alter sich nicht immer in den bisherigen Störungsdefinitionen abbilden lassen, gibt es aktuell die in Tabelle 12 vorgestellten Diagnosevorschläge für psychische Erkrankungen mit Altersrelevanz (vgl. Maercker 2002, 2003). Es bleibt zu hoffen, dass diese Eingang in die Überarbeitungen der gängigen Klassifikationssysteme finden.

Tab. 12: Psychische Störungen mit Altersrelevanz (z.T. Diagnosevorschläge; nach Maercker 2003, S. 133)

Diagnosevorschlag

Kurzbeschreibung

Bisheriger ICD-10 Code

Kurz dauernde rezidivierende Depression

Depressive Verstimmung als Kernsymptom, weitere vier Symptome wie bei Major Depression vorhanden, aber nur ein bis zwei mehrtägige Episoden pro Monat

F33.8

Komplizierte Trauer

Verlust einer bedeutsamen Bezugsperson vor mind. 13 Monaten. Drei von acht Symptomen aus den Bereichen Intrusion, Vermeidung und Fehlanpassung sind vorhanden

F43.22

Anpassungsstörung

Bisher pathogenetisch schlecht definierte Belastungssyndrome

F43.xx

Gemischte Angst und depressive Störung

Dysphorische Verstimmung als Kernsymptom für mindestens einen Monat. Mind. vier weitere Symptome

F41.2

Posttraumatische Belastungsstörung mit spätem Beginn

Kurz- oder langanhaltendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung in der Vergangenheit. Symptome aus den Bereichen Intrusion, Vermeidung und physiologischer Übererregung

F43.1

Leichte kognitive Beeinträchtigung

Kognitive Beeinträchtigung über mind. zwei Wochen in Gedächtnis-, Exekutiv-, Aufmerksamkeits-, Sprach- und perzeptiven motorischen Fähigkeiten, die neurologisch und neuropsychologisch objektivierbar sind.

F06.7

Psychose der Alzheimer-Demenz

Visuelle oder auditive Halluzinationen und/oder Wahn und Alzheimer-Demenz vorhanden. Ausschlusskriterien: Schizophrenie, wahnhafte Psychose, Delirium etc.

F00.x1

In den folgenden Kapiteln sollen die wichtigsten psychischen Störungen mit Altersrelevanz nach ICD-10 definiert sowie verhaltenstherapeutische Interventionen dargestellt werden. Neben Diagnostikhilfen, Fallbeispielen, spezifischen und wissenschaftlich fundierten Psychotherapie- und Interventionsformen für ältere Patienten orientiert sich dieser Abschnitt an den gerontopsychologischen Schwerpunktthemen des Alters. Hierdurch kann neben einem störungsspezifischen Vorgehen auch eine themenspezifische Nutzung des vorliegenden Buches gewährleistet werden. Eine einfache Anwendung des Buches ausgehend von bestehenden Belastungsfaktoren hin zu verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen der verschiedenen psychischen Störungen wird ermöglicht. Dies bedeutet konkret, dass am Beispiel pflegender Angehöriger die Themen Depression, Pflege-Burnout, Suizidalität und Gewalt in der Pflege vorgestellt werden. Anpassungsstörungen und komplizierte Trauerreaktionen werden im Zusammenhang mit dem Tod eines Angehörigen thematisiert. Der große Komplex der Angststörungen im Alter wurde um den Bereich Sturzangst erweitert. Die Therapie Posttraumatischer Belastungsstörungen wird am Beispiel der Kriegskinder-Generation dargestellt. Weiterhin wurden häufige Schlagworte des Alterns, nämlich Multimorbidität, Komorbidität, Frailty und Schmerz, in einem Kapitel zusammengefasst und in Zusammenhang mit der Behandlung Somatoformer Schmerzstörung gebracht. Abschließend sollen am Beispiel von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit Demenzerkrankungen und Demenzangst thematisiert werden.

4 Pflegende Angehörige


Pflegende Angehörige sind mit dem täglichen Spagat zwischen Beruf, Familie und Pflege konfrontiert. 2011 waren ca. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig (Statistisches Bundesamt, 2012). Hiervon wurden ca. zwei Drittel im häuslichen Umfeld versorgt. Für die Übernahme der Pflege durch Angehörige gibt es unterschiedliche Beweggründe ( Kasten 2). Zum einen kann die Pflege aus (Nächsten-)Liebe und Zuneigung resultieren. In diesem Fall wird die Pflege weniger als Belastung, sondern eher als positiver Stress erlebt. In der psychotherapeutischen Praxis finden sich eher Klienten, die die Motivation für die Pflege aus überzogener Dankbarkeit oder Pflichtgefühl ziehen. Betroffene berichten häufig den Gedanken, ihre Pflegeaufgaben nicht ausreichend gut zu erfüllen, so dass sie in ständiger Selbstabwertung, Schuldgefühlen und Versagensängsten leben. Aber auch finanzielle Gründe können zur Übernahme der Pflege motivieren. Häufig besteht in diesen Fällen eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen pflegendem Angehörigen und Pflegebedürftigen.

Kasten 2: Beweggründe zur Übernahme der Pflege Angehöriger
  • Motivation aus (Nächsten-)Liebe und Zuneigung
  • Motivation aus Dankbarkeit
  • Motivation aus finanziellen Gründen
  • Motivation aus Abhängigkeit

Grundlage für eine gute häusliche Pflege ist das Wohlbefinden der pflegenden Angehörigen. Häufig werden die pflegenden Angehörigen in dem Prozess der Pflege gar nicht wahrgenommen, da sich alle auf den zu Pflegenden fokussieren. Im Rahmen der Pflegebelastung können sich körperliche, psychische und soziale Beeinträchtigungen beim Pflegenden entwickeln. Es ist davon auszugehen, dass ca. ein Drittel der pflegenden Angehörigen an psychischen oder organischen Krankheiten erkrankt (Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin 2005). Die Dunkelziffer dürfte aber noch deutlich höher liegen. Häufig sind Angehörige 24 Stunden am Tag für den zu Pflegenden zuständig, was zu deutlichen physischen Beeinträchtigungen führen kann. Eine gestörte Nachtruhe verhindert die Regeneration des Körpers und kann u. a. zu Kreislaufproblemen, Schwindel, Stürzen und Konzentrationsschwächen führen. Körperliche Überlastung beim Heben und Umlagern kann Ursache von diversen orthopädischen Problemen sein. Neben den körperlichen Überforderungen sind pflegende Angehörige auch mit einer Vielzahl von psychischen Belastungen konfrontiert. Die Gesellschaft setzt häufig selbstverständlich voraus, dass die Pflege innerhalb der Familie übernommen wird. Insbesondere weibliche Familienmitglieder stehen häufig hilflos diesem Erwartungsdruck gegenüber und fühlen sich verpflichtet, dieses Rollenverständnis zu erfüllen. Die durch die Pflegesituation entstehende Rollenumkehr (z. B. Tochter übernimmt die »Mutterrolle« gegenüber ihrer pflegebedürftigen Mutter, welche »zum Kind werden« soll) kann zu tiefgreifenden Konflikten innerhalb der Familie führen. Die psychische Belastung äußert sich bei den Betroffenen häufig in Depressionen, welche sich insbesondere durch somatische Symptome (z. B. Schlafstörungen, Müdigkeit, erhöhter Blutdruck, psychomotorische Agitiertheit), Grübeln (Sorge, etwas falsch zu machen oder nicht genug zu tun) und Ängsten (den Kranken nicht alleine zu lassen) auszeichnet. Psychische Belastungen können sich im schlimmsten Fall in gewalttätigem Verhalten gegenüber dem zu Pflegenden äußern. Bei einer langandauernden Pflegesituation tritt häufig ein Zustand von totaler emotionaler und körperlicher Erschöpfung, dem sogenannten »Pflege-Burnout« ein. Die Pflege eines Angehörigen kann auch weitreichende soziale Folgen haben. Durch die eingeschränkte Möglichkeit, den eigenen Beruf aufgrund der Pflege auszuüben, kann es zu finanziellen Einbußen kommen. Auch führt der oft hohe Zeitaufwand für die Pflege zur Aufgabe von Hobbys und Interessen, was in einer totalen sozialen Isolation enden kann.

4.1 Depression im Alter


Fallbeispiel: Depression im Alter

Frau M. (66 Jahre) berichtet, dass sie sehr niedergeschlagen sei. Vorschläge ihrer Freunde, gemeinsam etwas zu unternehmen, lehne sie mit der Begründung...

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