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Geschichte des globalen Christentums

Teil 2: 19. Jahrhundert

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl583 Seiten
ISBN9783170315044
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis159,99 EUR
The way in which the world's religions are intertwined in the dynamics of global development has become obvious in the twenty-first century. This also applies to Christianity. In view of the fact that its historiography is still predominantly regional or national, however, little is known about Christianity's historical process of development to become a religion that is globally active and plurally differentiated. The second volume presents a comprehensive, interdenominational and interdisciplinary history of global Christianity in the nineteenth century, for the first time in the German-speaking countries. Renowned theologians, (church) historians and historians trace the numerous upheavals associated with the 'long nineteenth century' that brought Christianity into the modern age.

Jens Holger Schjørring is Emeritus Professor of Church History at the University of Aarhus. Dr. Norman A. Hjelm is a Lutheran minister and Senior Theological Editor in Wynnewood, Pennsylvania.

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Leseprobe

Einführung in Band II


Hugh McLeod

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts lebte die überwiegende Mehrheit der Christen dieser Welt noch in den „Christentümern“ Europas und Äthiopiens oder in den christlichen Gemeinschaften auf dem amerikanischen Doppelkontinent und auf den Philippinen, die erst in jüngerer Zeit im Gefolge der Eroberungen des 16. und 17. Jahrhunderts entstanden waren. Daneben existierten noch historische christliche Minderheiten in Südindien und in einigen Teilen des Mittleren Ostens sowie in Nordafrika, das einstmals weitgehend christianisiert war, nun aber seit vielen Jahrhunderten unter muslimischer Herrschaft lebte. In China und Japan wiederum hatten Verfolgungen das Christentum stark dezimiert, während es in Vietnam trotz ähnlicher Verfolgungen immer noch eine beachtliche christliche Gemeinschaft gab. Die Entwicklung, innerhalb derer das Christentum nach China und Japan zurückkehrte und in anderen Regionen Asiens und Afrikas zumindest Fuß fasste, hatte noch kaum eingesetzt.

Die „Christenheit“ setzte sich zu jener Zeit aus Gesellschaften zusammen, die sich insgesamt als christlich bezeichneten – und üblicherweise war dies eine spezifische Form von Christlichkeit: Sie war entweder katholisch, orthodox, lutherisch, reformiert oder anglikanisch. Nichtchristen oder etwa Christen der falschen Art galten in diesen Gesellschaften als Bürger zweiter Klasse – falls ihre Existenz überhaupt anerkannt oder toleriert wurde. Das bedeutete zum Beispiel, dass man den Gesetzen und den zentralen gesellschaftlichen Institutionen ein christliches Fundament attestierte und dass es enge Verbindungen zwischen den religiösen und den anderen Eliten gab. Regierungen, Grundbesitzer und städtische Eliten erkannten an, dass es zu ihren Pflichten gehörte, die Kirche zu unterstützen – auch wenn diese Unterstützung natürlich an zahlreiche Bedingungen geknüpft war. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat waren zwar nicht immer harmonisch, doch es war unwahrscheinlich, dass Kirchenleitungen gewisse Grenzen allzu sehr missachteten. Selbst in katholischen Staaten wie Frankreich, Spanien und Portugal, in denen der Papst die höchste Autorität für die Kirche war, wurden die Bischöfe vom Monarchen ernannt. Noch direktere Macht über die Kirche hatte der Staat in Russland, wo ein Heiliger Synod, dessen Mitglieder vom Zaren ausgewählt wurden, die höchste Kontrolle über die Orthodoxe Kirche ausübte. Aber auch in protestantischen Ländern wie England oder Preußen war der Monarch der „höchste Herrscher“ oder „oberste Bischof“ der Kirche. Die Kirche und der rechte christliche Glaube (wie man ihn im jeweiligen Land verstand) wurden von der Zensur und von Gesetzen geschützt, die Häresie und Blasphemie unter Strafe stellten sowie Kirchenbesuch und Sakramentenempfang zur Pflicht machten. Auf dem amerikanischen Doppelkontinent waren die Menschen europäischer oder gemischter Abstammung zumindest nominell Christen, doch viele indigene Völker hielten weiter an ihren traditionellen Praktiken fest –, ebenso wie die als Sklaven gehaltenen Afrikaner. Doch in manchen Gebieten wie im Süden der USA setzte unter ihnen eine Massenbewegung hin zum Christentum ein.

In der Praxis gab es ständig Spannungen zwischen der Idealvorstellung von einer christlichen Gesellschaft und den gesellschaftlichen Realitäten, in denen die unterschiedlichsten Werte beträchtlichen Einfluss hatten. Für die Spitzen der Gesellschaft zählte Ehre oft mehr als christliche Ethik, und für die Menschen am unteren Ende hatte das Überleben um jeden Preis höchste Priorität. So wurde das Duellieren immer wieder von der Kirche verurteilt, doch unter Aristokraten blieb es eine weitgehend übliche Art der Auseinandersetzung. Die Prostitution wurde gleichermaßen verdammt, war jedoch gleichermaßen verbreitet und wurde von Männern aller Klassen in Anspruch genommen und somit begünstigt.

Im Osmanischen Reich sorgte das Millet-System dafür, dass nicht muslimische Minderheiten, unter ihnen auch die zu verschiedenen Kirchen gehörenden Christen, ein beträchtliches Maß an Autonomie genossen: Sie konnten unter ihren eigenen religiösen Führern leben, die für das Eintreiben der Steuern, das Bildungswesen, die Wohltätigkeit und die Rechtsprechung verantwortlich waren. Zugleich aber mussten sie zusätzliche Steuern bezahlen und wurden so immer wieder daran erinnert, dass sie als tolerierte Minderheit in einem Staat und einer Gesellschaft von Muslimen existierten. Im späteren 18. Jahrhundert war ihre Situation besser als diejenige religiöser Minderheiten – ob christlich oder nicht christlich – in vielen christlichen Ländern, doch im Laufe des 19. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage im Osmanischen Reich.

Christliche und muslimische Gesellschaften glichen sich darin, dass die konfessionelle Identität sowohl für das Leben der Einzelnen als auch für die gesellschaftliche Ordnung von grundlegender Bedeutung war. Ungeachtet des persönlichen Glaubens oder Unglaubens gehörte jeder einem spezifischen religiösen Bekenntnis an, und das bestimmte zu einem wesentlichen Teil, wie man von anderen wahrgenommen wurde. Der Position der Christen im Osmanischen Reich entsprach die Position der Juden im christlichen Europa. Sie besaßen keine politischen Rechte und waren oft von der Ausübung vieler Berufe ausgeschlossen, aber im Allgemeinen genossen sie die Freiheit der Religionsausübung. Sie bildeten eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft. In manchen Teilen Europas, vor allem in Deutschland, wurden die Schranken zwischen Juden und Nichtjuden allmählich eingerissen, als im Gefolge der Haskala, der jüdischen Aufklärung, Juden begannen, sich als „Deutsche jüdischen Glaubens“ zu verstehen und staatsbürgerliche Rechte einzufordern. Ihre Emanzipation erwies sich als langwieriger Prozess, und im 19. Jahrhundert wurde die gesellschaftliche Position der Juden im christlichen Europa unter dem Einfluss liberaler Ideen zu einer wichtigen politischen Frage.

Zwischen dem östlichen und westlichen Christentum Europas bestand noch immer eine grundlegende Teilung, die von der formalen Trennung im 11. Jahrhundert herrührte und darüber hinaus auch noch auf ältere Differenzen zurückging. So gab es auf der östlichen Seite orthodoxe Kirchen wie die griechische, die die Autorität des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel anerkannten, und es gab die russisch-orthodoxe Kirche, die syrisch -orthodoxe Kirche, die äthiopisch -orthodoxe Kirche und die koptische Kirche in Ägypten. Irgendwo zwischen Ost und West gab es dann noch Kirchen, die, wie die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine und den benachbarten europäischen Gebieten, eine orthodoxe Form der Liturgie mit der Anerkennung der Oberhoheit des Papstes verbanden. Im Westen war die römisch-katholische Kirche bei Weitem die größte; in Südeuropa war sie die vorherrschende Konfession, ebenso in großen Teilen Mittel- und Osteuropas sowie in den riesigen Territorien der spanischen und portugiesischen Imperien in Amerika und Asien. Außerdem waren da auch noch die Lutheraner, die in vielen deutschen Staaten und in den nordischen Ländern die Oberhand hatten, sodann die Reformierten, Anhänger von Johannes Calvin mit Hochburgen in der Schweiz, den Niederlanden, in Schottland und einigen deutschen Staaten, und schließlich die Anglikaner, die nicht nur in England, sondern auch in Wales und Irland einen privilegierten Status hatten. Die Reformation des 16. Jahrhunderts hatte zudem auch zahlreiche Freikirchen hervorgebracht – im offiziellen Sprachgebrauch „Sekten“ –, die keine Vergünstigungen vom Staat erhielten und häufig verfolgt wurden. In den britischen Kolonien Nordamerikas fanden diese „Sekten“ ihre Freiheit; nach der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika wurde eine von ihnen, die Kirche der Kongregationalisten, sogar zur offiziellen Kirche von Massachusetts und Connecticut, und eine andere, die methodistische Kirche, war eine Zeitlang die größte Konfession in den Vereinigten Staaten.

Bei vielen Fragen bildeten die protestantischen „Sekten“ das eine Extrem eines sehr weitgefächerten Spektrums der christlichen Praxis. Das spiegelte sich am lebhaftesten in der Architektur und Ikonografie der gottesdienstlichen Orte wieder. Hier finden sich einerseits die orthodoxen Kirchen, deren Wände bedeckt waren mit Abbildungen von Szenen aus der Bibel und aus dem Leben von Heiligen, andererseits die schmucklosen weißgetünchten Wände der reformierten Kirchen oder die noch schlichteren Bauten von Mennoniten und Quäkern. Die Lutheraner und Anglikaner standen irgendwo zwischen diesen Extremen. Ihre Kirchen muteten nach katholischen, geschweige denn nach orthodoxen Maßstäben relativ nüchtern an, doch sie hatten während der Reformation manchmal Altarbilder oder Wandgemälde behalten, die andere Protestanten heruntergerissen oder übermalt hätten. In ähnlicher Weise lässt sich sagen, dass die Bedeutung der Tradition, die in den östlichen Kirchen sehr groß und in der römisch-katholischen Kirche groß war, in den protestantischen „Sekten“ einen sehr niedrigen Stellenwert hatte, während das persönliche Studium der Schrift und vor allem die direkte Inspiration mehr zählte. Einige Ausdrucksformen des Glaubens, wie beispielsweise das Mönchstum und die Wallfahrt, blieben für die Ostkirchen und den Katholizismus von zentraler Wichtigkeit, wurden aber von allen Protestanten weiterhin abgelehnt – obwohl im 19. Jahrhundert in Luthertum und Anglikanismus „hochkirchliche“ Bewegungen aufkamen, die eine neue...

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