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Geschichte Südosteuropas

Reclam Sachbuch premium

AutorKlaus Buchenau, Ulf Brunnbauer
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheReclam Sachbuch premium 
Seitenanzahl654 Seiten
ISBN9783159613062
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Wohl keine europäische Region ist so in sich unterschiedlich wie Südosteuropa, das erst zu Byzanz, dann zum Osmanischen Reich, zur österreichisch-ungarischen Monarchie und schließlich in großen Teilen zum Einflussbereich der Sowjetunion gehörte. Das Zusammenleben von Muslimen und Christen verschiedener Konfessionen wie auch die schwierigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen führten dort immer wieder zu blutigen Konflikten; alle Länder haben bis heute mit Armut und Korruption zu kämpfen. Dieses Buch legt die Wurzeln vieler Probleme frei und gibt Einblicke in die Aktualität einer ganzen Region - von Albanien über Griechenland, Kroatien und die Türkei bis Zypern.

Ulf Brunnbauer, geb. 1970, ist Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung. Klaus Buchenau, geb. 1967, ist Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg.

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Leseprobe

Bilder über und Wissen von Südosteuropa


»Es war mir ein wahres Vergnügen, mich wieder heimisch zu fühlen im Orient, in diesem Gegensatz des milden, ruhigen, gelehrigen Daseins des Hauswesens und der stürmischen Bewegung des Hofes und Feldlagers, in dieser bequemen und zierlichen Tracht, in diesen geschmackvollen Zimmern und behaglichen Divans, in diesem himmlischen Klima und dem in beständiger Gemeinschaft mit der Natur verbrachten Dasein. Welche Erholung überdies von europäischer Langweile, Politik, Theorien, Systemen, Beweisführungen und Gelehrsamkeit! Der Orient verdankt vieles von seinem Reiz den Gegensätzen, die verschwinden, wenn sie nicht mehr neu und ungewohnt sind. Aber er besitzt auch wirkliche Vorzüge, die mit Erfahrung und Gewohnheit immer mehr zunehmen und die in meinen Augen niemals so anziehend zu sein schienen wie gerade in diesem Augenblick. […] Ich kam geradewegs aus Europa, ich war im Süden Italiens durch Szenen beispiellosen Elends gekommen, ich hatte England unmittelbar nach dem wilden Tumult von Bristol verlassen, ich war auf meiner schnellen Reise der Erste gewesen, der in Lyon eintraf, nach dem mehr systematischen, aber auch blutigen Aufstand in dieser Stadt.« (Urquhart, David: Im Wilden Balkan. Vom Berg Olymp bis zur albanischen Adriaküste. Wiesbaden 2008. S. 257.)

So beschrieb der Schotte David Urquhart seine Gefühle bei seiner zweiten Reise in die europäische Türkei, die er 1831 im Auftrag der britischen Regierung unternahm. Urquhart sollte die Situation in den Gebieten der aufständischen Griechen untersuchen, als es darum ging, die Grenzen des neuen griechischen Staates festzulegen. Er war bereits 1827 in Griechenland gewesen und sollte 1836 Botschaftssekretär in Konstantinopel werden. Im weiteren Verlauf seiner Laufbahn entwickelte er sich zum Fürsprecher des Osmanischen Reiches, unter anderem als Parlamentsabgeordneter in Westminster, und zum vehementen Gegner Russlands und dessen Ansprüchen am Balkan.

Einen etwas anderen ersten Eindruck vom »Orient« gewann ein Zeitgenosse Urquharts, der preußische Offizier Helmuth von Moltke, der 1835 von König Friedrich Wilhelm III. als Militärberater zum osmanischen Sultan geschickt wurde. Er betrat osmanisches Territorium auf der Donauinsel Ada-Kaleh an der österreichischen-osmanischen Donaugrenze, östlich von Belgrad (die Insel versank 1972 in der Donau, nachdem die Talsperre am Eisernen Tor fertiggestellt wurde). Dort wurden er und sein Mitreisender von dem auf der Insel residierenden osmanischen Gouverneur empfangen:

»Osman Pascha empfing mit viel Freundlichkeit zwei Fremde, die aus dem fernen Lande ›Trandenburg‹ [so des Paschas Bezeichnung für Brandenburg] kamen: Er ließ uns Kaffee reichen und Pfeifen und gestattete uns, seine Festung zu besehen. Der Pascha ist ein stattlicher Herr mit einem dicken roten Bart, aber so unbeschreiblich schlecht logiert wie bei uns ein Dorfschulze. Sein Palast ist ein Bretterschuppen, der an ein detachiertes Bastion angeklebt ist. Trotz der empfindlichsten Kälte saßen wir in einem halboffenen Gemach ohne Fensterscheiben. Sehr unnötigerweise hatten wir uns in Frack gesetzt, während Se. Excellenz in zwei bis drei Pelzen, einer größer und weiter, ganz à son aise erschienen. In der Stadt überraschte uns die Unreinlichkeit der engen Straßen. Die Anzüge der Menschen waren rot, gelb, blau, kurz von den schreiendsten Farben, aber alle zerlumpt. Alle Wohnungen trugen Spuren des Verfalls, und an der Festung ist, glaub’ ich, seit der Besitznahme kein Ziegel ausgebessert.« (Moltke, Helmuth von: Unter dem Halbmond. Erlebnisse in der alten Türkei. Wiesbaden 2008. S. 53.)

Bei beiden Autoren wird deutlich, dass sie die Einreise in das Osmanische Reich als Verlassen Europas empfinden. Sie beschreiben den Balkan als von Europa gänzlich unterschiedliche Kultur, wobei Motive auftauchen, die in den folgenden Jahrzehnten zu festen Vorstellungen über den Balkan gerannen: Der Balkan war bunt und ursprünglich, gastfreundlich, aber ungeordnet. Moltke betonte den Schmutz und die Armut, die ihm auf der weiteren Reise durch Südosteuropa gen Konstantinopel ins Auge stachen – dies sollte ein festes Motiv in den Südosteuropaschilderungen von europäischen Reisenden im 19. und auch 20. Jahrhundert werden. Der Konservative Urquhart hingegen entdeckte im Orient, zu dem er den Balkan zählte, noch jene Unverdorbenheit und Natürlichkeit sowie Freundlichkeit im Umgang miteinander, die er im vermeintlich zivilisierten, aber von Revolutionen erschütterten und durch enorme Klassengegensätze gekennzeichneten Europa seiner Zeit vermisste.

Im Laufe der Jahre sollte sich nicht das positive, von Urquhart gezeichnete Bild durchsetzen, sondern ein negatives, in dem der Balkan synonym wurde für Gewalt, Rohheit, Verlogenheit, Unvorhersehbarkeit, Fanatismus, Ignoranz, Schmutz und Verfall – mit einem Wort, für den Mangel an Zivilisation. Es ist bezeichnend für diesen Wandel, dass Urquhart noch von der Badekultur der Osmanen begeistert war, die ihm als viel reinlicher erschienen als seine Landsleute, die zu jener Zeit das Wasser scheuten (Urquhart richtete sogar in London ein türkisches Bad ein); bei Karl May hingegen sind die Menschen des Balkans notorisch ungepflegt. In In den Schluchten des Balkan schreibt May:

»Mir wurde bereits jetzt übel. Der Orientale schläft in seinen Kleidern, die er also äußerst selten ablegt. Von einem regelmäßigen Wechsel der Leibwäsche hat er gar keine Ahnung; darum ist es kein Wunder, daß seine Nähe nicht nur durch das Auge, sondern auch durch die Nase bemerklich ist. Und nun diese fürchterlich zusammengedrängten Menschen! Der Dichter des Inferno hat eine wunderbare Phantasie entwickelt, aber eine der entsetzlichsten Strafen hat er doch übersehen – eine arme Seele, zwischen Orientalen eingepreßt, um ein chinesisches Schattenspiel zu erwarten, unfähig, die Arme zu rühren und sich die Nase zuzuhalten. Ein Glück, daß ich damals von dem Dasein des Komma-Bazillus und anderer ähnlicher Ungeheuer noch keine Ahnung hatte! Welch ein Weltmeer von Bazillen mußte uns hier umfluten!« (May, Karl: In den Schluchten des Balkan. Freiburg 1892. S. 353.)

Für das deutschsprachige Publikum hat wohl kaum ein Autor das Bild vom Balkan so geprägt wie ebendieser Karl May, der die Region zwar nie bereist hatte, aber sie zum Schauplatz von zwei Büchern seines Orientalischen Zyklus machte (In den Schluchten des Balkan und Durch das Land der Skipetaren, beide 1892). Die Albaner (»Skipetaren« nach der albanischen Selbstbezeichnung) sind bei May hinterhältige, rachsüchtige Halunken in einem Land, in dem das Recht nichts gilt:

»Die türkische Rechtspflege hat bekanntlich ihre Eigentümlichkeiten, sagen wir geradezu ihre Schattenseiten, die um so deutlicher hervortreten, je entlegener die Gegend ist, um die es sich handelt. Unter den dortigen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, daß da, wo die verschiedenen zuchtlosen, sich ewig befehdenden Stämme der Arnauten ihre Wohnsitze haben, von einem wirklichen ›Rechte‹ fast gar nicht gesprochen werden kann. Bei Ostromdscha beginnt das Gebiet dieser Skipetaren, welche nur das eine Gesetz kennen, daß der Schwächere dem Stärkeren zu weichen hat.« (May, Karl: Durch das Land der Skipetaren. Freiburg 1892. S. 1.)

Das Motiv der Gewaltneigung und Rechtlosigkeit der Völker des Balkans erwies sich als besonders wirkmächtige Vorstellung. Die regelmäßigen Massaker der Osmanen bei der Niederschlagung von christlichen Aufständen im 19. Jahrhundert, die auch im 19. Jahrhundert noch verbreitete Praxis, abgeschlagene Köpfe von Feinden zur Schau zu stellen, die blutrünstige Ermordung des serbischen Königs und seiner Gattin 1903, die international untersuchten Brutalitäten der Balkankriege von 1912/13, das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo im Juni 1914 – alle diese Ereignisse verstärkten das Bild einer unzivilisierten und wilden Region (über die von ›zivilisierten‹ Europäern angestellten Brutalitäten, etwa in den Kolonialkriegen, sahen europäischer Beobachter zumeist ebenso großzügig hinweg wie über die Tatsache, dass die europäischen Mächte in vielerlei Hinsicht in die Ereignisse und damit auch Gewaltakte am Balkan involviert waren). In der Berichterstattung über die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre fanden sich häufig Verweise auf die vermeintlich lange Tradition der besonders grausamen Kriegführung in Südosteuropa. Gleichzeitig verfestigten diese Kriege das Bild des Balkans als Pulverfass erneut, denn selbst in akademischen Publikationen über die Jugoslawienkriege findet sich die falsche Bezeichnung »Balkankriege«. Auch der Begriff »Balkanisierung«, mit dem die oftmals gewaltsame Auflösung einer größeren politischen Ordnung in kleinere, wenig...

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