3. Die Dimension Gender in der Schule
3.1 Notwendigkeit von Förderung eines gendersensiblen Berufswahlverhaltens in der Schule
Für die Segregation des Arbeitsmarktes gibt es zahlreiche Theorien, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite.[198] Im Folgenden wird die Situation an Schulen, dem Ort an dem junge Menschen auf das spätere Berufsleben vorbereitet werden, genauer beleuchtet. Die Deutsche Gesellschaft für ökonomische Bildung e.V. veröffentlichte in ihren Standards für den mittleren Bildungsabschluss u.a. folgenden Kompetenzstandard:
„Die Schülerinnen und Schüler können am Ende des mittleren Schulabschlusses Entscheidungen für die Bildungs-, Erwerbs- und Berufswahl unter Berücksichtigung eigener Interessen sowie der Anforderungen und des Wandels der Arbeitswelt treffen“[199].
Wiepcke erläutert des Weiteren, dass diesen Ausführungen zufolge den tradierten, in Theorien verankerten Determinanten, die Segregation und somit die Ungleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt hervorbringen, entgegenzuwirken ist.[200] Folglich ist es die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer eine gendersensible ökonomische Bildung zu realisieren. Die Thematisierung der geschlechterspezifischen Unterschiede von Fähigkeiten und Fertigkeiten ist hierbei unabdingbar, da diese für beide Geschlechter einen hohen Nutzen haben.[201]
Grundlage der Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern ist der Bildungsplan. Hier werden u.a. zu erreichende Kompetenzen für die Berufsorientierung an Realschulen formuliert. Diese Berufsorientierung nimmt eine zentrale Funktion auf dem Weg zur Berufswahlreife der Schülerinnen und Schüler ein.[202] Die Dimension „Gesichtspunkte bei der Berufswahl“ beschreibt u.a. folgende zu erreichende Kompetenz:
„Die Schülerinnen und Schüler können sich selbständig über grundlegende Kategorien von beruflichen Interessen und Fähigkeiten Klarheit verschaffen, eigene Interessen und Fähigkeiten entsprechend zuordnen, dokumentieren und sachbezogen präsentieren.“[203]
Folglich sollten die Lehrkräfte den Schülerinnen und Schülern hinsichtlich der Berufsorientierung fachwissenschaftliche Erkenntnisse der geschlechterspezifischen Arbeitsmarktsegregation thematisieren und auf das geschlechtstypische bzw. –untypische Berufswahlverhalten beziehen.[204]
Lehmann weist darauf hin, dass es nicht darum gehe, eine identische Situation für beide Geschlechter herzustellen. Die Lebensbedingungen im Bereich der Erwerbs- und Familienarbeit sollen so verändert werden, dass Frauen und Männer unabhängig von ihrem Geschlecht gleiche Entfaltungsmöglichkeiten oder Handlungs- und Entscheidungsspielräume haben.[205] Des Weiteren wird angeführt, dass faktische Gleichstellung von Mädchen und Jungen in der Schule nicht auf Grund identischer Lernbedingungen und Lerninhalte für alle zu erreichen ist, sondern dass unterschiedliche Angebote für Schülerinnen und Schüler notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen.[206] Chancengleichheit bedeutet für Lehmann Mädchen und Jungen die Möglichkeit und Fähigkeit zu vermitteln selbst zu bestimmen, was für ein Leben sie leben möchten. Ungleiche Geschlechterverhältnisse, Geschlechterrollen und damit verbundene Rollenerwartungen beschneiden diese Freiheit.[207] Wichtiges Ziel der Schule ist es demnach, junge Frauen und Männer aus bestehenden Geschlechterkorsetts und –hierarchien zu befreien.[208]
3.2 Der Ist-Zustand an deutschen Schulen
3.2.1 Geschlechterverhältnisse von Lehrkräften
Im Schuljahr 1989/90 waren von allen Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen 52% weiblich und 48% männlich.[209] Allerdings ist an dieser Stelle eine Unterscheidung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten notwendig. Fast die Hälfte der hauptberuflichen Lehrerinnen war in Teilzeit beschäftigt, unter den männlichen Lehrkräften war der Anteil der Teilzeitbeschäftigten jedoch verschwindend gering.[210]
Im Schuljahr 2001/2002 arbeitet die Mehrheit der Lehrer Vollzeit, wohingegen bei den weiblichen Lehrkräften die Zahl der Teilzeitbeschäftigten die Vollzeitbeschäftigten übersteigt.[211] Folgende Tabelle zeigt die Anzahl der weiblichen und männlichen Lehrkräfte in Vollzeit und Teilzeit[212]:
Tab. 7:
Quelle: Vgl.: Stürzer, Monika/ Henrike Roisch et.al., a.a.O., S. 22. (eigene Darstellung).
Die Summen (V1+V2) in der Tabelle geben eine fiktive Zahl der Vollzeitbeschäftigten an. Die Fiktivität der Zahlenwerte begründet sich durch die Zusammenfassung von jeweils zwei Teilzeitstellen.[213] Die Daten zeigen, dass Lehrerinnen heutzutage prozentual die größere Gruppe unter den Lehrenden an allgemein bildenden Schulen ausmachen.
Die Unterscheidung der Beschäftigungsart zeigt, dass die überwiegende Zahl der männlichen Lehrkräfte Vollzeit beschäftigt ist, wohingegen Lehrerinnen mehrheitlich Teilzeit arbeiten.[214] Daraus lässt sich folgern, dass sich Lehrerinnen und Lehrer in geschlechtertypischer Weise auf die verschiedenen Arten der Beschäftigung verteilen, wodurch eine horizontale Segregation der Lehrkräfte nach Art der Beschäftigung festzustellen ist.[215]
3.2.2. Geschlechterverhältnisse in den verschiedenen Schultypen
Der Frauenanteil in den verschiedenen Schultypen ist bis heute unterschiedlich stark angestiegen. In der Zeit zwischen 1960 und 1990 ist der Anteil weiblicher Lehrkräfte an den Grund- und Hauptschulen, Sonderschulen und Abendschulen angewachsen.[216]
Der Anstieg des Frauenanteils an Realschulen war etwas niedriger und am Geringsten war der Zuwachs an den Gymnasien.[217] Die folgende Tabelle zeigt den Stand der Geschlechterverteilung an den unterschiedlichen Schultypen im Schuljahr 2001/2002:
Abb. 4.:
Anteil der Lehrerinnen und Lehrer an allen hauptberuflichen Lehrkräften im Schuljahr 2001/2002[218]
Quelle: Stürzer, Monika/ Henrike Roisch et.al., a.a.O., S. 26. (eigene Darstellung).
Die grafische Darstellung veranschaulicht, dass der schulische Werdegang von Schülerinnen und Schülern fast ausschließlich mit einer weiblichen Lehrkraft beginnt. Mit zunehmendem Alter bzw. ansteigendem Bildungsgrad nimmt der Anteil an weiblichen Lehrkräften ab und der der männlichen Lehrkräfte zu.[219]
Im skizzierten Schuljahr 2001/2002 wird deutlich, dass weibliche Lehrkräfte auch an Haupt-, Realschulen und Gymnasien fast in gleichem Maße vertreten sind wie ihre männlichen Kollegen.[220] Gundel Schümer erläuterte bereits im Jahr 1992, „daß der Anteil der Frauen am gesamten Lehrpersonal immer weiter abnimmt, je älter die Schüler werden, das heißt je stärker die sozialen und emotionalen Komponenten der pädagogischen Arbeit zurücktreten, je wichtiger die Wissensvermittlung wird und je länger die Ausbildung der Lehrer dauert“[221].
Ausgehend von der Tatsache, dass die Schülerinnen und Schüler auch vor der Schule von weiblichen Fachkräften erzogen und beaufsichtigt werden und dass zu Anfang ihrer Schullaufbahn ebenfalls meist eine weibliche Lehrkraft steht, könnte für die Lernenden der Eindruck entstehen, dass Fürsorglichkeit ein Teil des Frauenbildes ist, welcher dem Männerbild fehlt.[222] In den weiterführenden Schulen finden sich in der Folge mehr männliche Lehrkräfte. Henrike Roisch geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass in den Anfangsjahren der Schullaufbahn den Jungen das männliche Vorbild und den Mädchen das andere Geschlecht fehlt.[223]
3.2.3 Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler und deren Auswirkungen auf die Berufswahl
Ende der 60er Jahre wurde beklagt, dass weniger Mädchen die allgemeine Hochschulreife erlangen als Jungen.[224] Dieser Missstand hat sich, wie folgende Tabelle der Geschlechterverteilung an niedersächsischen allgemeinbildenden Schulen zeigt, geändert:
Tab.8:
Geschlechterverteilung an niedersächsischen allgemeinbildenden Schulen
Quelle: Kaiser, a.a.O., S. 6.
Mädchen kommen häufiger auf weiterführende Schulen[225] und sie schließen diese mit besseren Noten ab, wohingegen...