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Geschlechtergerechte Erziehung in der Grundschule

AutorHelen Sporbert
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl63 Seiten
ISBN9783640934157
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Pädagogik - Schulpädagogik, Note: 1,0, Universität Leipzig (Erziehungswissenschaftliche Fakultät), Sprache: Deutsch, Abstract: Muss man denn heute immer noch den Blick auf die Gleichstellung von Jungen und Mädchen im Schulalltag richten? Ist die Debatte um die Koedukation und geschlechtergerechte Erziehung nicht längst veraltet, da die Ergebnisse der feministischen Schulforschung schon ausreichend genutzt und umgesetzt werden und die Chancengleichheit von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft bereits erreicht ist? Ist es denn nicht sogar so, dass die Mädchen die Gewinner der Koedukation sind? Solche Fragen könnten von vielen Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Erzieherinnen und Erziehern gestellt werden. Bei einem Großteil der Lehrkräfte besteht kaum Interesse sich mit einer geschlechtergerechten Erziehung auseinanderzusetzen. Es wird kein oder nur wenig Handlungsbedarf gesehen, da sie z. B. der Meinung sind, dass sie jedes Kind gleich behandeln und andererseits sehen sie oftmals die Differenzen beider Geschlechter als biologisch begründete Tatsachen an. Die vielen Untersuchungsergebnisse der feministischen Schulforschung seit 1980er Jahren geben jedoch ein anderes Bild. Dabei wurde die Schule '[...] als Mikrokosmos des in unserer Gesellschaft bestehenden Geschlechterverhältnisses [entlarvt]' , in welchem stereotype Rollenzuschreibungen und Erwartungshaltungen weiterhin an die Kinder transportiert werden. Das männliche Geschlecht scheint jedoch bei näherer Betrachtung in einer Identitätskrise zu stecken, positive männliche Vorbilder und Lebensentwürfe fehlen und die jungen Männer haben im Durchschnitt geringere oder gar keine Bildungsabschlüsse. Die Bildungsbenachteiligung hat sich zu Ungunsten der Jungen stark verschoben. Die Mädchen haben bei den Schul- und Studienabschlüssen stark aufgeholt und die Jungen überholt. Betrachtet man jedoch die Zahlen bezüglich der arbeitenden Frauen und vergleicht die Machtpositionen und Gehälter beider Geschlechter, so wird schnell deutlich, dass es immer noch große Unterschiede in der gesellschaftlichen Gleichstellung beider Geschlechter gibt. [...] Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick zu schaffen über die Thematik zu schaffen. Das beinhaltet die Klärung, was Geschlecht ist, welchen Einflüsse auf die Geschlechterentwicklung wirken, wie es zu Rollenzuschreibungen kommt und was speziell die Grundschule für Möglichkeiten hat, Kinder geschlechtergerecht zu erziehen. Daher ergibt sich folgende Gliederung: [...]

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Leseprobe

2 Sozialisationsprozesse von Jungen und Mädchen


 

2.1 Geschlechtsidentität


 

Wenn Kinder die konkret-operationale Phase[41] erreicht haben und sich u. a. das Verständnis von Invarianz und Objektpermanenz zeigt, begreifen Kinder auch, dass ihr zugeschriebenes biologisches Geschlecht trotz z. B. äußerlicher geschlechtsuntypischer Erscheinungsformen wie kurze Haare bei Mädchen und lange Haare bei Jungen ihr Leben lang invariant bleiben wird, d. h., dass sie je nach Entwicklungsstand ihre eigene, stabile Geschlechtsidentität im Alter[42] von ca. 5/6 Jahren erkennen. Die Geschlechtsidentität stimmt demnach meist mit dem bei der Geburt zugeschriebenen morphologischen Geschlecht überein. Außerdem stellt diese Erkenntnis einen wichtigen und notwendigen Bestandteil der Identitätsentwicklung dar.[43] Die kategoriale Unterscheidung von erwachsenen Personen in männlich oder weiblich ist jedoch schon bei Säuglingen erkennbar, ebenso die Einteilung in Jungen und Mädchen anderer Personen anhand verschiedener Anhaltspunkte wie z. B. Namen, äußere Erscheinung und Stimme.[44]

 

Neben der biologischen Geschlechtsidentität erwerben Kinder ihr psychologisches, soziales Geschlecht (Geschlechtsrollenidentität). Diese wird geprägt durch die vorhandenen Geschlechterstereotype und die Geschlechterrollen, welche wiederum durch die Gesellschaft, Medien, Eltern, Erziehung, Schule, Freunde usw. vorgegeben bzw. vorgelebt werden.[45] Die soziale Geschlechtsidentität kann sich im Verlauf der Entwicklung von der Kindheit bis ins Alter verändern im Sinne von doing gender.

 

Darauf wird näher im folgenden Punkt eingegangen.

 

2.2 Geschlechterstereotype, Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten


 

Stereotype sind allgemeine Annahmen und Merkmale über die personalen Eigenschaften einer bestimmten sozialen Gruppe, die durch eine Gesellschaft geprägt werden. Sie werden als kognitive Wissensbestände im Laufe des Sozialisationsprozesses z. B. durch eigene Beobachtungen, Aussagen anderer Personen und über Medien mithilfe von Lernprozessen und Konzeptbildung erworben. Sie dienen der Bewältigung, Vereinfachung und Ordnung von Informationen und somit der Alltagsbewältigung. Demzufolge sind Geschlechterstereotype Eigenschaftszuschreibung von Frauen und Männer und gehören in sämtlichen Kulturen zum Alltagswissen. Vorschulkinder können schon Geschlechterstereotype nennen und sie glauben auch an ihren Wahrheitsgehalt.[46]

 

Eine kulturvergleichende Untersuchung in 25 Staaten von Williams & Best[47] über die Kenntnis von Geschlechterstereotype ergab, dass der männliche Stereotyp ausgeprägter und differenzierter ist als der weibliche. Der männliche Stereotyp wird häufiger mit den Eigenschaften der Aktivität und Stärke in Verbindung gebracht.[48] Diese Merkmale werden wertvoller eingeschätzt als Schwäche und Passivität, damit ist auch eine allgemein höhere und positive Bewertung der männlichen Stereotype in der Gesellschaft erklärbar. Männlich stereotype Attribute sind z. B. aggressiv, selbstbewusst, realistisch, mutig, rational, ehrgeizig, stark, unordentlich. Weibliche hingegen sind z. B. geschwätzig, attraktiv, sanft, liebevoll, weichherzig, schwach, emotional, unterwürfig, abhängig.[49] Diese Konzepte von männlichen und weiblichen Stereotypen sind nicht nur kulturell invariant, sondern auch über die Jahrzehnte recht stabil und spiegeln eine durchschnittlich höhere Bewertung von maskulinen Eigenschaften wider. [50] Es gibt aber nicht nur einen weiblichen und einen männlichen Stereotyp, sondern auch Substereotype, also verschiedene Frauen- und Männertypen, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte. Einen guten Überblick liefert Eckes.[51]

 

Das erworbene Stereotypenwissen als soziokognitive Strukturen sind jedoch von dem Prozess der Stereotypisierung zu unterscheiden, denn das Wissen über Stereotype hat nicht unmittelbar etwas mit deren Anwendung auf konkrete Situationen und Personen zu tun. Da jedoch Geschlechterstereotype bereits früh in der kindlichen Entwicklung erlangt werden und sich der Prozess bis ins Erwachsenenalter fortsetzt, kann man deren Anwendung kaum trennbar von dem erworbenen Stereotypenwissen betrachten bzw. vollzieht sich Stereotypisierung oftmals automatisch. Eine Beeinflussung ist zwar möglich, aber sie setzt verschiedene Faktoren wie Motivation, Willen und in erster Linie das Bewusstsein und Sensibilisierung der Geschlechterstereotype sowie deren Anwendung voraus.[52]

 

Anhand der Geschlechterstereotype, welche eher einen beschreibenden Charakter und eine motivationale Funktion zur Rechtfertigung der gesellschaftlichen Rang- und Werteordnung besitzen,[53] lassen sich bereits die Geschlechterrollen, die verbreiteten geschlechtstypischen Arbeitsteilungen und Rollenerwartungen in der Gesellschaft und damit auch geschlechtstypisches Verhalten erkennen. Wobei recht unklar erscheint, ob die Geschlechterrollen und geschlechtstypische Arbeitsteilung aus den Geschlechterstereotypen resultieren oder die Geschlechterrollen und die Arbeitsteilung die Stereotype ausmachen. Es findet sich aber eine hohe Korrelation zwischen dem jeweiligen Stereotyp und der sozialen Rolle der Frau und des Mannes. Eine eher traditionelle Geschlechterrolle birgt demzufolge eine gewisse Erwartungshaltung an den Inhaber dieser Rolle, d. h. Geschlechterrollen haben einen eher präskriptiven Charakter[54]. Die Geschlechterrollen und deren Erwartungen haben einen großen Einfluss auf das Handeln und die Wahrnehmung von Personen. So wird von einem Mann erwartet, dass er Verantwortung für sich und die Familie übernimmt, der Ernährer ist und Führungsqualitäten besitzt, was einer instrumentellen Rolle entspricht. Das Rollenbild der Frau ist eher gekennzeichnet durch Haushaltführung, Kindererziehung und Fürsorge für andere Menschen, also einer expressiv geprägten Rolle. Das traditionelle Rollenbild beider Geschlechter hat sich in den letzten Jahrzehnten durch allgemeine gesellschaftliche Umstrukturierungen, verschiedener Gesetzgebungen[55] und insbesondere durch die wirtschaftliche Lage einzelner Familien verändert, jedoch ist es noch im traditionellen, aber erweiterten Sinne vorhanden, besonders innerhalb von Familien.[56] Eine außerordentliche Entwicklung hat seit der Nachkriegszeit das Frauenbild erlebt, besonders angeregt durch die zweite Frauenbewegung[57] und Frauenförderprogramme. Frauen sind häufiger erwerbstätig, haben besonders in den letzten Jahren an hohen Bildungsabschlüssen aufgeholt und stehen den Männern in Bezug auf Bildung kaum noch nach, sondern haben diese eher überholt. Der Frauenanteil bei den Abiturjahrgängen beträgt derzeit im Durchschnitt 55%.[58] Auch an den Universitäten haben sie in den letzten Jahren aufgeholt. 2007 waren 50% aller Studierenden Frauen.[59] Im Gegensatz dazu hat die Rolle des Mannes kaum einen erkennbaren Wandel durchlebt. Der Vormarsch der Frauen hat die Männer verunsichert und lässt besonders in der jungen Generation einen Zwiespalt und Überforderung mit ihrer Rolle als Mann erkennen.[60] Junge Männer finden kaum geeignete Vorbilder, die ihnen verschiedene Lebensentwürfe und eine „neue Männlichkeit“ anbieten. Bei der Bildungsbeteiligung an Hauptschulen und Förderschulen im Schuljahr 2006/2007 sind sie deutlich überrepräsentiert. Ebenso verlassen 62% der jungen Männer, doppelt soviel wie die jungen Frauen, die Schule ohne Abschluss.[61] Dass derzeit trotzdem noch ein tradiertes Rollenbild im erweiterten Sinn vorhanden ist, machen auch verschiedene Studien deutlich. Z. B. zeigt die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Auftrag gegebene Studie „männer leben“[62] recht deutlich, dass die Haushaltsführung und Kinderbetreuung in das Aufgabengebiet der Frauen fällt, ebenso die Rolle des Mannes als Haupternährer, wobei es hier signifikante Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern gibt. Im Osten Deutschlands führen Frauen und Männer eine eher egalitäre Beziehung mit gleichwertigen Arbeitsverteilungen im Haushalt und mit zwei Haushalts-einkommen. Auch in einer aktuellen Längsschnittstudie „Männer in Bewegung“[63] herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wird deutlich, dass sich Männer zwar im Bereich Haushaltsarbeit beteiligen, aber ihre Tätigkeiten sind eher praktischer Art wie Gartenarbeit, Reparaturen, Auto waschen oder mit Behörden verhandeln. Das häusliche Tätigkeitsfeld der Frauen erstreckt sich nach wie vor über die Versorgung mit Reinigungsarbeiten, im sozialen und häuslichen Bereich wie Müll entsorgen, Tisch decken und abräumen bis hin zur Pflege sozialer Kontakte.[64] Ein ähnliches Bild zeichnet sich der Ausübung von Berufen ab. Darin werden die Rollenerwartungen weitergeführt, d. h. Frauen sind noch immer mehr in sozialen und hauswirtschaftlichen Berufen sowie als Bürofachkräfte und in der...

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