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E-Book

Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel

Irritationen, Analysen und Forschungsperspektiven

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl326 Seiten
ISBN9783170264205
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Das Selbstverständnis von Männern und Frauen hat sich in den letzten Jahrzehnten ebenso verändert wie der Pfarrberuf. Dem Ineinander beider Veränderungsprozesse im Kontext des gesellschaftlichen Wandels geht dieses Buch nach. Seine Beiträge untersuchen Genderfragen im Pfarrberuf in Ost- wie Westdeutschland, dem europäischen Ausland und den USA. Dabei zeigen sich widersprüchliche Entwicklungen: Geschlechtsspezifische Rollenerwartungen lösen sich auf und sind zugleich immer noch präsent. Die Debatte über Genderfragen im Pfarrberuf, die unter dem Stichwort der 'Feminisierung' oft oberflächlich geführt wird, erhält durch die empirischen Forschungen und theoretischen Beiträge weiterführende Impulse.

Dr. Simone Mantei ist Inhaberin der Pfarrstelle für Theologische Frauenforschung an der Universität Mainz. PD Dr. Regina Sommer ist Referentin für Theologische Ausbildung bei der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel. Prof. Dr. Ulrike Wagner-Rau lehrt Praktische Theologie an der Universität Marburg.

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Leseprobe

Simone Mantei

Neue Vielfalt – Problem oder Potenzial?


Auswirkungen des Geschlechterrollenwandels auf Wirklichkeit und Verständnis des Pfarrberufs


God needs all kinds of people

Philipp Potter

Einleitung

Geschlechterrollen in Deutschland haben sich im 20. Jahrhundert gewandelt. Der vorliegende Beitrag fragt nach Auswirkungen dieses Wandels auf den Pfarrberuf. Er erkundet zunächst, ob sich die Wirklichkeit des Pfarrberufs und sodann auch sein Verständnis durch die neuen Geschlechterverhältnisse verändert haben und, wenn ja, wie.

Der Beitrag richtet sein Augenmerk dabei weniger auf pfarramtliche Aufgaben als auf die Akteure und Akteurinnen selbst sowie ihre kulturellen und organisationsstrukturellen Rahmenbedingungen. Zunächst werden die Konturen der neuen gesellschaftlichen Geschlechterarrangements in Erinnerung gerufen. Im Spiegel des Pfarrdienstrechts sowie auf der Grundlage einer eigenen quantitativ-empirischen Studie über pastorale Berufsverläufe werden sodann Auswirkungen des Wandels auf die Berufswirklichkeit skizziert. Abschließend wechselt der Beitrag von der deskriptiven (pastoralsoziologischen) auf die normative Ebene. Er fragt nach bisherigen und künftigen Implikationen der neuen Geschlechterverhältnisse für das Verständnis des Pfarrberufs und plädiert für den Neuansatz einer Pastoraltheologie der Vielfalt, die pastorale Identität und individuelle Diversität konstruktiv aufeinander zu beziehen sucht.17 Die Geschlechterthematik im Pfarrberuf weist somit über sich selbst hinaus auf die aktuelle Grundsatzfrage nach einer pluralismusfähigen Pastoraltheologie und Personalpolitik.

1. Geschlechterverhältnisse im Wandel

1.1 Was sind Geschlechterrollen?

In jeder Gesellschaft gibt es Verhaltenserwartungen und Normen, die sich an bestimmte Gruppen richten. In unserem vom Konzept der Zweigeschlechtlichkeit geprägten Kulturkreis strukturieren sich die Erwartungen und Normen unter anderem entlang der Geschlechterkategorie. Verhaltensweisen werden einem bestimmten Geschlecht zugewiesen, das heißt ‚gegendert‘, und in Geschlechterrollen (gender roles) zusammengefasst.18 Sie bündeln, was im jeweiligen kulturellen Kontext als typisch ‚männlich‘ bzw. ‚weiblich‘ angesehen wird.

Geschlechterrollen normieren Verhalten, reduzieren Vielfalt und strukturieren Wahrnehmung. Sie sind jedoch keine Naturprodukte, sondern kulturelle Konstrukte. Was für Männer oder Frauen als typisch bzw. akzeptabel gilt, ergibt sich nicht – wie gemeinhin postuliert – aus der ‚Natur‘ der Frau bzw. des Mannes, sondern aus gesellschaftlichen Übereinkünften. Geschlechterzuschreibungen sind sowohl historisch kontingent als auch milieu- und kulturabhängig.19 Sie sind folglich wandelbar, was sich bereits an verschieden konturierten Geschlechterverhältnissen in den neuen und alten Bundesländern nachvollziehen lässt.20 Der Wandel von Geschlechterrollen ist allerdings ein nur bedingt steuerbares, da langwelliges gesellschaftliches Phänomen. Das Individuum findet sich stets eingebettet in gesellschaftliche Geschlechterstereotype, die es nicht beliebig variieren kann. Zum einen hat es sie größtenteils selbst habitualisiert, das heißt als Wesensmerkmale übernommen. Zum anderen manifestieren sie sich unter anderem in staats- und dienstrechtlichen Regelungen, die dem unmittelbaren Zugriff ebenfalls entzogen sind.21 Den individuellen Gestaltungsmöglichkeiten sind somit strukturelle Grenzen gesetzt.

1.2 Konturen des Wandels

Im zurückliegenden Jahrhundert vollzog sich ein Paradigmenwechsel von einem streng hierarchischen zu einem egalitären Geschlechterverhältnis mit weitreichenden Folgen insbesondere für die weibliche Geschlechterrolle. Frauen erhielten zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals Zugang zu höherer Bildung und konnten das Abitur sowie universitäre Studienabschlüsse erlangen.22

Mit der Übertragung des aktiven wie passiven Wahlrechts 1918 erhielten Frauen in Deutschland ferner die Chance zu gesellschaftlicher Mitbestimmung und konnten erstmals (mindestens formal) Einfluss nehmen auf die rechtliche Ausgestaltung des Geschlechterverhältnisses in Staat, Gesellschaft und im Berufsleben der Moderne.23 Ihre zunehmende Inklusion ins Erwerbsleben ging im Verlauf des 20. Jahrhunderts unter anderem mit wachsender materieller Autonomie und einer Diversifizierung der Lebensformen einher.24

Im Zuge des Paradigmenwechsels vom Leitbild eines hierarchisch strukturierten zu einem egalitären Geschlechterverhältnis erhielten Frauen im zurückliegenden Jahrhundert zwar erstmals breiten Zugang zu Bildung, gesellschaftlicher Mitgestaltung und entlohnter Arbeit. Doch finden sich auch im 21. Jahrhundert noch Relikte der Geschlechterhierarchie, so dass gegenwärtig z.T. widersprüchliche Geschlechterarrangements kommuniziert werden.25

Der Paradigmenwechsel im Geschlechterverhältnis hatte zudem auf die Geschlechterrollen von Männern und Frauen divergente Auswirkungen. Die Segregation der Arbeitswelt in Haus- und Erwerbsarbeit wurde bislang lediglich im Blick auf weibliche Geschlechterzuschreibungen hinterfragt. Festlegungen der Frauen auf die Hausfrauenrolle wurden erweitert um die Optionen der Berufsorientierung (‚Karrierefrau‘) sowie der sogenannten Doppelrolle, die Familien- und Berufsorientierung zu vereinbaren sucht.26

Eine parallele Vervielfältigung männlicher Geschlechterrollen ist nicht zu konstatieren. Die nahezu ausschließliche Berufsorientierung der Männlichkeitskonstruktionen besteht ungebrochen fort. Eine Erweiterung der klassischen Ernährerrolle ist trotz gesetzgeberischer Bemühungen bislang nicht erfolgt.

Dazu der Leiter des nationalen Bildungspanels Hans-Peter Blossfeld 2012: „Männer leben heute noch so wie vor 40 Jahren. Da hat sich nicht viel geändert. […] In der Lebensmitte sind fast genauso viele Männer Vollzeit erwerbstätig wie vor 40 oder 50 Jahren.“27

Weder haben sich männliche Erwerbsmuster bis dato in nennenswertem Umfang diversifiziert noch haben sich die Rollenerwartungen nachhaltig pluralisiert.28 Insbesondere im Blick auf Erziehungs- und Pflegeaufgaben ist die Persistenz geschlechterstereotyper Rollenerwartungen nach wie vor hoch.29

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Im Geschlechterverhältnis vollzog sich im 20. Jahrhundert ein Paradigmenwechsel von einem hierarchischen zu einem egalitären Leitbild. Infolgedessen sind insbesondere weibliche Geschlechterrollen fluider geworden, haben sich pluralisiert und reglementieren das Leben nicht mehr in demselben Maß wie ehedem. Der Entwicklungsprozess ist allerdings weder linear noch abgeschlossen. Geschlechtsspezifische Normen und Verhaltenserwartungen existieren mithin fort, strukturieren unsere Wahrnehmung und prägen auch das Berufsleben – zum Beispiel in Form geschlechtsspezifischer Erwerbsverläufe und Beschäftigungsformen.

2. Wandel und vielfältige Wirklichkeit im Pfarrberuf

Der skizzierte Paradigmenwechsel hatte kaum zu überschätzende Auswirkungen auf den Pfarrberuf. Durch die Integration von Frauen öffnete sich der Pfarrberuf erstmals – über die seit jeher bestehende individuelle Vielfalt der Pfarrpersonen hinaus – für strukturelle Diversität (Geschlechtervielfalt).30

Ein kurzer Rückblick auf die Berufsentwicklung im 20. Jahrhundert sowie eine geschlechterbewusste Analyse aktueller Berufsverläufe von Pfarrern und Pfarrerinnen mögen dies veranschaulichen.

2.1 Dienstrechtliche Entwicklungen im 20. Jahrhundert

Epochal war im letzten Jahrhundert zunächst die Inklusion von Theologinnen in das pastorale Berufsfeld. Während dieser Schritt für die Mehrheit der weltweiten Christenheit – unter anderem die katholische Schwesterkirche – noch aussteht, kam es im deutschen Protestantismus ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts zu ersten Ordinationen von Theologinnen.31

Das Amt der Theologin wurde jedoch zunächst in dezidierter Abgrenzung und Subordination zum Gemeindepfarramt, welches Männern vorbehalten blieb, als Sonder(pfarr-)amt entworfen. Damit existierten zunächst zwei nach Geschlechtern getrennt verfasste pastorale Berufe. Geschlechtsspezifische (Pfarr-)Dienstgesetze markierten die Segregation unter anderem hinsichtlich der Amtsbezeichnung, der Vikariatsausbildung, der Amtstracht, der Anstellungs- sowie Lebensform, des Gehalts sowie des Einsatzortes.32 Erst 1970 führte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) als EKD-weit erste Landeskirche das bis dahin nach Geschlechtern getrennt verfasste Dienstrecht zusammen und etablierte den ersten geschlechterübergreifenden Pfarrberuf.33

Durch die Inklusion der Theologinnen in das pastorale Berufsfeld haben sich wesentliche Strukturmerkmale des Pfarrberufs verändert. Dazu gehören unter anderem der Ausbau sogenannter Funktionspfarrstellen, die Möglichkeit zur Beurlaubung aus familiären Gründen sowie die Einführung von Teildienstverhältnissen. Die Veränderungen gingen allerdings nur z.T. auf die Intervention von Theologinnen zurück und waren mitunter auch das Resultat geschlechtsspezifischer Rollenzuweisungen (wie zum Beispiel die Beschränkung auf Funktionspfarrstellen).

Die maßgeblichsten Auswirkungen des Geschlechterrollenwandels bestanden jedoch in der Öffnung des pastoralen Berufsfeldes für Frauen sowie der sukzessiven Angleichung des zunächst geschlechtsspezifisch verfassten Dienstrechts bis zum ersten...

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