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Geschwisterbeziehungen in suchtbelasteten Familien

Wie gestaltet sich der Umgang von Kindern und jungen Erwachsenen mit der väterlichen Alkoholerkrankung innerhalb der Geschwisterbeziehung?

AutorJennifer Stein
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl226 Seiten
ISBN9783656857044
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Pädagogik - Familienerziehung, Note: 1,0, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Arbeit wird sich mit Geschwisterbeziehungen in alkoholbelasteten Familien auseinander gesetzt und geschaut, ob und wie die Alkoholerkrankung eines Elternteils innerhalb der geschwisterlichen Beziehung bearbeitet wird und ob sie gegebenenfalls als Ressource im Umgang mit dieser dient.

Jennifer Stein, M.A., wurde 1989 geboren. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main schloss die Autorin 2012 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts ab. Ihr Masterstudium mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik absolvierte sie im Anschluss an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

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Leseprobe

2. Aktueller Forschungsstand


 

Die zu behandelnde Forschungsfrage tangiert im Grunde zwei Themenbereiche. Zum einen den der Kinder in sucht- bzw. alkoholbelasteten Familien, zum anderen das Thema Geschwisterbeziehungen. Zu beiden Bereichen bestehen bereits einige Untersuchungen, von denen im Folgenden einzelne mit ihren zentralen Ergebnissen aufgezeigt werden sollen. Eine Untersuchung, die diese beiden Themen miteinander verbindet, scheint es bisher jedoch kaum zu geben.

 

2.1 Kinder in alkoholbelasteten Familien


 

In der Forschung werden alkoholabhängige und drogenabhängige Menschen häufig getrennt behandelt, da zweitere, unter anderem aufgrund der Illegalität, meist einen anderen Lebensstil pflegen (vgl. Klein 2003, 365). An dieser Stelle soll der Fokus auf Kindern aus alkoholbelasteten Familien liegen. Ein Großteil der bestehenden Studien befasst sich mit den Folgen der elterlichen Abhängigkeit für die Kinder. Behandelt werden meist die mögliche Transmission der Erkrankung oder die Auswirkungen auf Verhaltensweisen im Kindes- und Erwachsenenalter. Somit nahm die Forschung lange Zeit einen defizitorientierten Blick ein und vernachlässigte gänzlich, die Fähigkeiten und Kompetenzen der betroffenen Kinder zu benennen (vgl. Zobel 2001, 23). Erst relativ spät begannen Forscher, dem gängigen Störungsmodell Resilienzmodelle gegenüber zu stellen (vgl. Klein 2001, 122).

 

Die Auswirkungen der elterlichen Erkrankung auf das gesamte Familiensystem sind immens: Die Kinder müssen mit dem ambivalenten Verhalten des Erkrankten leben, was zu großen Verunsicherungen führen kann (vgl. Zobel 2001, 24), und leiden häufig unter den vom Alkohol bestimmten familiären Verhältnissen (ders., 25). Zudem gehen durch die Alkoholabhängigkeit elterliche Erziehungsleistungen verloren oder sind widersprüchlich (vgl. Ackermann 1990), was bei fehlenden Schutzfaktoren u.a. zu schlechten schulischen Leistungen und Anpassungsproblemen bei den Kindern führen kann (ders.).

 

Alkoholbelastete Familien fallen insgesamt durch vermehrte Konflikte, weniger Zusammenhalt und emotionale Ausdrucksstärke sowie durch eine verminderte Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder auf (vgl. Sher 1991).

 

Das Leben der Kinder aus Suchtfamilien wird durch das herrschende Klima entsprechend geprägt. So zeigen sie häufig bestimmte Verhaltensweisen wie Überforderung, Parentifizierung, Loyalitätskonflikte, altersunangemessenes Verhalten, Einsamkeit oder Trennungs- und Verlusterleben (vgl. Sand 2003). Die Kinder versuchen, sich den Gegebenheiten anzupassen und nehmen dabei unterschiedliche Rollen ein, die Wegscheider 1988 in vier Typen zusammenfasste:

 

Das älteste Kind nimmt häufig die Rolle des Helden ein. Durch schulische und/oder sportliche Leistungen sowie dem Streben nach Verantwortung und Selbstständigkeit sucht der Held die Aufmerksamkeit und Anerkennung. Die Familie erfährt dadurch eine Aufwertung. Als Folge entstehen beim Helden jedoch häufig Gefühle von Ärger, psychosomatische Probleme und exzessiver Perfektionismus.

 

Das Zweitgeborene gilt als der Sündenbock, der durch rebellierendes und auflehnendes Verhalten auffällt. Häufig treten Trotz, Wut und ein geringes Selbstwertgefühl auf. Er ist selbst oft gefährdet, früh Alkohol und Drogen zu konsumieren. Sein negatives Verhalten lenkt dabei vom Alkoholproblem in der Familie ab.

 

Das dritte Kind gilt als das verlorene Kind. Es zieht sich oft zurück, um sich zu schützen und die Familie zu entlasten. Das Vermeiden von Konflikten, Unsicherheit, Hilflosigkeit und Kontaktschwierigkeiten sind typisch für dieses.

 

Der Clown, das jüngste Kind, zeigt sich durch ein aufgeschlossenes und spaßiges Verhalten. Seine Extrovertiertheit sorgt für Aufmerksamkeit. Gleichzeitig wirkt es jedoch oft unreif, ängstlich und hat Anzeichen von Hyperaktivität oder Lernstörungen. Häufig wird es von den älteren Geschwistern geschützt und das Problem wird von ihm ferngehalten. In die Familie bringt es jedoch Humor und Ablenkung.

 

Ähnliche Rollenmodelle wurden von anderen Autoren wie Black (1988), Ackermann (1987) und Lambrou (1991) entwickelt, sowie teilweise um weitere Rollen erweitert. Ackermann nimmt als einziger zu den mit negativen Auswirkungen behafteten Rollen eine positive mit auf: die des Unverletzten, der sich in der problembehafteten Familie gesund entwickelt.

 

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass diese Rollenmodelle nicht starr zu betrachten sind. Ein Kind kann dabei Merkmale unterschiedlicher Rollentypen zeigen oder im Alter in andere Typen wechseln (vgl. Zobel 2001, 32). Jenkins et al. (1993) fanden diese Modelle bei verschiedenen dysfunktionalen Familien wieder. Kritisiert wurde an den Modellen jedoch oftmals, dass bestimmte Faktoren, wie beispielsweise die grundlegend unterschiedlichen Temperamente von Kindern, die diese in ein bestimmtes Modell fallen lassen, vernachlässigt wurden (vgl. Braithwaite/Devine 1993). Auch die Vorteile, die das rollentypische Verhalten und seine Eigenschaften für das spätere Leben haben können, blieben bisher unberücksichtigt (vgl. Kolitzus 2013). Aus diesen Gründen stehen die Modelle auch heute noch in der Kritik.

 

Ein Blick wird in der Forschung auch oftmals auf die Transmission von Alkoholabhängigkeit geworfen. Häufig entwickeln Personen aus alkoholbelasteten Familien ebenso eine Abhängigkeit (vgl. Sher 1997), wobei Töchter gefährdeter sind als Söhne und sich eine Abhängigkeit der Mutter schwerwiegender auswirkt (vgl. Lachner & Wittchen 1997). Das Risiko, selbst eine substanzbezogene Sucht zu entwickeln, ist bei Kindern alkoholkranker Menschen bis zu sechs mal so hoch (Klein 2005). Auch der Alkoholkonsum in dieser Gruppe ist häufig höher. Das Einstiegsalter in den schädlichen Alkoholkonsum liegt außerdem vor allem bei Jugendlichen, deren Elternteile beide alkoholabhängig sind, deutlich unter dem der Kinder ohne belastete Eltern (vgl. Lieb et al. 2001, 125).

 

Zobel zieht in seinem Buch weitere Studien heran, die sich mit dem Verhalten und der Lebensbewältigung von Kindern in Suchtfamilien im Erwachsenenalter beschäftigen, und geht auf Störungen ein, die sich potentiell bei dieser Risikogruppe entwickeln können. Viele Untersuchungen ergaben, dass die Betroffenen durch mangelnde Sozialkompetenzen, ein geringes Selbstwertgefühl, mangelnde Verhaltenskontrolle und Schwierigkeiten hinsichtlich der psychosozialen Anpassung auffallen. Sie haben Probleme, Beziehungen einzugehen oder wählen einen ebenfalls abhängigen Partner (vgl. Black 1988, Lambrou 2012, Woititz 2011).

 

 

Abbildung 1: Risiko- und Schutzfaktoren bei der Transmission von Alkoholabhängigkeit (nach Petermann 1997)

 

Diese Auffälligkeiten gaben Forschern den Anlass, die Faktoren zu ergründen, die die erhöhte Vulnerabilität erklären. Das Zusammenwirken von kind- und umgebungsbezogenen Schutz- und Risikofaktoren bestimmt laut Kusch und Petermann (1998) die Entwicklung des Kindes. Sozioökonomische Bedingungen, das Familienklima oder das Interaktionsverhalten der Eltern spielen dabei eine ebenso große Rolle wie der Charakter des Kindes oder die Peergroup. Selbstvertrauen, Bewältigungskompetenzen und ein waches Temperament sind wichtige Ressourcen, während sich Ängstlichkeit und ein niedriger Intelligenzquotient als ungünstig erweisen (vgl. Zobel 2001, 17, 179).

 

Die Untersuchungen zu Auswirkungen elterlicher Alkoholabhängigkeit auf das kindliche Individuum sowie mögliche Schutz- und Risikofaktoren sind sichtbar zahlreich, jedoch hinsichtlich des Zusammenhangs mit Geschwisterbeziehungen nicht ausreichend erforscht. Daher gilt es, in dieser Arbeit ebenso den aktuellen Forschungsstand der Geschwisterforschung aufzuzeigen, um dieses theoretische Wissen mit in den empirischen Teil dieser Arbeit einfließen zu lassen.

 

2.2 Geschwisterbeziehungen


 

Geschwisterbeziehungen haben bereits seit den 1970er Jahren vor allem im angloamerikanischen Raum einen Platz in der Forschung. Hierzulande wiederum liegt der Wissenschaftsschwerpunkt vermehrt auf anderen Beziehungen wie die zwischen Eltern und Kind oder Paaren. Die Beziehung unter Geschwistern wird hingegen verhältnismäßig wenig einbezogen (vgl. Papastefanou 2002, 201).

 

In den bestehenden Studien wurden hauptsächlich die Auswirkungen der Geburtenrangfolge, des Geschlechts oder des Altersabstandes zwischen den Geschwistern (s. Übersicht Jungbauer 2009, 55 ff.), die Entwicklungsaufgaben, die Geschwister im Laufe des Lebens bewältigen müssen (vgl. Goetting, 1986) sowie die sich verändernden Verhaltensweisen der Geschwister mit fortschreitendem Alter (s. Übersicht Jungbauer 2009, 61ff.) untersucht.

 

Vera Bollmann fasst die Merkmale einer Geschwisterbeziehung wie folgt zusammen:

 

„In der Lebensverlaufsperspektive ist die Geschwisterbeziehung die, die am längsten andauert. Sie ist zum einen durch die Unfreiwilligkeit der Verwandtschaftsbeziehung gekennzeichnet als auch durch die gemeinsam erlebte primäre Sozialisation in der Familie, welche in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung als die Prägendste überhaupt angesehen werden kann.“ (Bollmann 2012, 35).

 

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