1 Zu diesem Ratgeber
Der Inhalt dieses Buchs soll Ihnen als Orientierungs- und Entscheidungshilfe zur Vermeidung sowie, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, zur erfolgreichen Führung von Gesellschafterstreitigkeiten dienen.
Dieser Ratgeber orientiert sich ausschließlich nach deutschem Recht. Die rechtlichen Ausführungen stammen von Florian Kreis. Die nicht rechtlichen, also die psychologischen und strategischen Ausführungen und die Beispiele wurden von Florian Kreis und Alexander Singer gemeinsam verfasst, dabei sind also auch österreichische Erfahrungen eingeflossen. Wer die österreichische Rechtslage kennenlernen will, dem sei das von Alexander Singer 2009 im Manz Verlag herausgegebene Praxishandbuch „Gesellschafterstreit vermeiden oder gewinnen” empfohlen.
Dieses Buch richtet sich vorrangig an angehende oder bereits aktive Gesellschafter und Geschäftsführer, die Gesellschafterstreitigkeiten möglichst vermeiden wollen oder schon führen (müssen) und gewinnen wollen. Es richtet sich weniger an Rechtsanwälte und andere Berater, die dogmatische Lösungsansätze suchen, diesen empfehlen wir einschlägige Werke1. Rechtsanwälte und andere Berater auf der Suche nach praktischen Erfahrungen insbesondere zu strategischen Überlegungen und psychologischen Elementen des Gesellschafterstreits werden in diesem Buch jedoch fündig werden.
Ziel dieses Buchs ist es, Ihr Problembewusstsein zu schärfen und Ihre Fähigkeit zum frühzeitigen Erkennen streitanfälliger Situationen zu stärken. Die Lösung für einen konkreten Gesellschafterstreit oder gar die Patentlösung für Gesellschafterstreitigkeiten kann kein Buch anbieten, denn jeder Gesellschafterstreit wird von unterschiedlich agierenden Persönlichkeiten geführt, hat andere Ursachen und eine eigene Dynamik. Jeder Gesellschafterstreit bedarf daher einer eigenen, individuellen Lösung. Deswegen erhebt dieser Ratgeber weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch kann er den Einsatz von Beratern ersetzen (Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Mediatoren, PR- und Kommunikationsberater usw.). Dementsprechend beleuchtet dieses Buch auch nicht alle bei der Gesellschaftsgründung beziehungsweise bei bestehender Gesellschaft wesentlichen Aspekte, sondern beschränkt sich auf jene, die zur Vermeidung oder Führung von Gesellschafterstreitigkeiten wichtig sind.
In diesem Ratgeber führen wir immer wieder Beispiele aus unseren beruflichen Tätigkeiten an. Wir ersuchen Sie um Verständnis, dass wir aus Gründen anwaltlicher Verschwiegenheit zu diesen Beispielen keine Namen nennen.
Der Großteil aller Gesellschafterstreitigkeiten findet in GmbHs statt. Ihnen gilt der Schwerpunkt dieses Buchs. Es kommen aber auch andere Gesellschaftsformen nicht zu kurz – insbesondere die Personengesellschaften (dabei insbesondere die GmbH & Co. KG) und AGs. Viele der Ausführungen zu diesen Gesellschaftsformen gelten auch für die ARGE, eine – vor allem in der Baubranche – für die Umsetzung von Großprojekten wichtige Gesellschaftsform, die üblicherweise als GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) organisiert ist.
Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), kurz „UG”, wird in diesem Ratgeber nicht gesondert behandelt. Sie ist dem Wesen nach eine GmbH, mit dem Unterschied, dass die Gründung nach § 5a GmbHG mit einem niedrigeren Stammkapital zulässig ist (mindestens EUR 1). Auf die UG sind alle Vorschriften des GmbHG anzuwenden.
Ebenso wenig behandeln wir die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), die eingetragene Genossenschaft (eG) und die Stiftung, weil es von ihnen im Vergleich zu den anderen Gesellschaftsformen nur wenige gibt.
Die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea) hat in Deutschland vorerst nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung. Sie bleibt aus Gründen der Lesbarkeit und Praktikabilität daher vorerst unberücksichtigt, wenngleich auch für sie im Grunde die gleichen psychologischen, strategischen und allgemeinrechtlichen Überlegungen anzustellen sind wie für die in diesem Buch behandelten Gesellschaftsformen. Über grundsätzliche Überlegungen hinausgehende Rechtsausführungen in diesem Ratgeber sind aber aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung der Europäischen Gesellschaft nicht ohne Weiteres auf sie anwendbar.
Dasselbe gilt für die britische Limited Company (Ltd.). Sie hat keine persönlich haftenden Gesellschafter, ähnelt einer GmbH, für ihre Gründung ist aber kein Mindestkapital erforderlich. Aufgrund der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit konnten Limited Companies in Deutschland zigtausend Niederlassungen errichten. Fraglich ist, wie deren Schicksal nach dem Brexit aussieht?2 Bei „echten” Niederlassungen (das sind rechtlich und wirtschaftlich unselbstständige Betriebsstätten eines Unternehmens, deren Verwaltungssitz tatsächlich in Großbritannien liegt) könnte alles beim Alten bleiben. „Falschen” Niederlassungen von Unternehmen, welche in Großbritannien keinen Verwaltungssitz, sondern bloß einen Briefkasten haben und deren Verwaltungssitz tatsächlich in Deutschland liegt, droht folgendes Risiko: Wegen der in Deutschland herrschenden Sitztheorie, welche besagt, dass Gesellschaften den Formalanforderungen jenes Staates entsprechen müssen, in welchem sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz haben, könnten „falsche” Niederlassungen als OHGs behandelt werden. Die Behandlung der Limited Companies als GmbHs wird daran scheitern, dass Erstgenannte nicht die Gründungsvoraussetzungen einer GmbH erfüllen, insbesondere kein Mindestkapital haben und auch nicht im deutschen Handelsregister eingetragen sind. Dies würde für die Gesellschafter der Limited Company – wahrscheinlich ab 1.1.2019 – eine plötzliche persönliche Haftung nach § 128 HGB mit sich bringen. Diese Haftung kann beispielsweise vermieden werden, indem der Geschäftsbetrieb der Limited Company entweder mittels eines Asset Deals auf eine deutsche Gesellschaft (zum Beispiel auf eine GmbH) übertragen wird, ein grenzüberschreitender Formwechsel zu einer GmbH oder eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine GmbH erfolgt. Wir empfehlen daher Limited Companies ohne tatsächlichen Verwaltungssitz in Großbritannien, rasch eine rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Grundsätzliche Überlegungen in diesem Ratgeber sind zwar auch auf Gesellschafterstreite in Limited Companies gültig, näher eingehen werden wir auf sie aber nicht.
Für alle in diesem Ratgeber nicht behandelten Gesellschaftsformen gelten aber auch unsere allgemeinen psychologischen und strategischen Ausführungen.
Zum besseren Verständnis schildert dieses Buch wichtige Vorgänge weitgehend objektiv und berücksichtigt die Blickwinkel der verschiedenen Streitparteien vor allem dort, wo sich unterschiedliche rechtliche Konsequenzen ergeben. Lesen Sie diese objektiven Schilderungen aus dem Blickwinkel Ihrer Position. Sie werden dabei erkennen, welche Handlungsmöglichkeiten Sie selbst haben und mit welchen Handlungen der Gegenseite Sie rechnen sollten.
Vielleicht rufen manche Ausführungen (die weniger juristischen) bei Ihnen das Gefühl des „Eh-schon-Wissens” hervor. Tatsächlich erscheinen manche Aussagen auf den ersten Blick trivial und logisch. Die Praxis zeigt allerdings, dass Gesellschafter die betreffenden Themenbereiche im Nachhinein als selbstverständlich erkennen, die entsprechenden Überlegungen aber im Vorhinein nicht anstellen oder schlicht übersehen. Auch die Vergegenwärtigung bereits bekannter Überlegungen kann ein Gewinn sein!
Der Aufbau dieses Buchs richtet sich nach dem „Lebenszyklus” einer Gesellschaft. In Kapitel 3 finden Sie Überlegungen, die Sie vor der Gründung einer Gesellschaft anstellen sollten, Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Gründungsvorgang selbst, Kapitel 5 enthält nützliche Maßnahmen zur Streitvermeidung bei bestehender Gesellschaft vor dem Ausbruch eines Gesellschafterstreits, beziehungsweise führt Vorbereitungsmaßnahmen an, mithilfe derer Sie Ihre Position im Fall eines Gesellschafterstreits absichern können, und Kapitel 6 zeigt empfohlene Maßnahmen und Strategien nach dem Ausbruch von Gesellschafterstreitigkeiten. Dieser Aufbau soll es Ihnen als Leser ermöglichen, an jener Stelle des Buchs einzusteigen, die Ihrer individuellen Situation entspricht, bedingt aber auch eine Vielzahl an Verweisen und die eine oder andere Wiederholung.
In den Kapiteln 7-11 gehen wir auf Besonderheiten spezieller Unternehmensformen ein (Familienunternehmen, Freie Berufe, Start-ups, Konzerne [Joint Ventures] und Public Private Partnerships).
Aufgrund des Umstands, dass das wirtschaftliche Schwergewicht in Deutschland bei den GmbHs liegt, verwenden wir häufig für alle Gesellschaftsformen lediglich die für die GmbH gebräuchlichen Vertrags-, Organ- und sonstigen Bezeichnungen. Jedenfalls dort, wo sich durch Verwendung dieser Bezeichnungen inhaltliche Änderungen ergeben, werden die für die jeweilige Gesellschaftsform gebräuchlichen Bezeichnungen verwendet. Der besseren Lesbarkeit wegen haben wir verzichtet, Personenbegriffe nach Geschlechtern zu unterscheiden. Ansprechen wollen wir natürlich Damen wie Herren gleichermaßen.
Die Lektüre dieses Ratgebers kann eine Rechtsberatung nicht ersetzen, weil unsere Ausführungen – vor allem aus didaktischen Gründen – allgemein gehalten sind und jeder konkrete Einzelfall spezielle Anforderungen aufweist, die einer besonderen rechtlichen Prüfung bedürfen. Außerdem werden wir aus Platzgründen nur auf die wichtigsten Themen eingehen. Aus diesen beiden Gründen ist...